BVerfGE 97, 186 - Kleinbetriebsklausel II


BVerfGE 97, 186 (186):

Zur Ermittlung der für die Anwendung der Kleinbetriebsklausel maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nach § 23 Abs. 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes a.F.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 27. Januar 1998
-- 1 BvL 22/93 --
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 23 Abs. 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in der bis zum 30. September 1996 geltenden Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit danach bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nur Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden übersteigt -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Arbeitsgerichts Bremen vom 26. August 1992 mit Ergänzungsbeschluß vom 14. September 1994 (5 Ca 5072/92) --.
Entscheidungsformel:
§ 23 Absatz 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in der Fassung des Gesetzes vom 26. April 1985 (Bundesgesetzblatt I Seite 710) war nach Maßgabe der Entscheidungsgründe mit dem Grundgesetz vereinbar.
 


BVerfGE 97, 186 (187):

Gründe
 
A.
Das Verfahren betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar war, daß § 23 des Kündigungsschutzgesetzes bis zum 30. September 1996 auch solche Betriebe vom gesetzlichen Kündigungsschutz freistellte, bei denen eine beliebig große Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt war, die wöchentlich zehn (monatlich 45) Stunden oder weniger arbeiteten.
I.
1. Der allgemeine arbeitsrechtliche Kündigungsschutz ist im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in der Fassung des Gesetzes vom 26. April 1985 (BGBl I S. 710) geregelt. Von dem betrieblichen Geltungsbereich dieses Gesetzes werden durch § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG die sogenannten Kleinbetriebe ausgenommen. Diese Bestimmung ist nach einem heute ergangenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 97, 169 [169]). Von der Prüfung ausgenommen wurde dabei die hier zu beantwortende Vorlagefrage.
2. § 23 Abs. 1 KSchG lautet in der maßgeblichen Fassung wie folgt:
    Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 sind nur Arbeitnehmer zu berücksichtigen, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden übersteigt. ...
Satz 3 wurde durch Art. 3 Nr. 2 Buchstabe b des Gesetzes vom 26. April 1985 angefügt. Vorher wurden Teilzeitkräfte ohne Rücksicht auf den Umfang ihrer Tätigkeit bei der Bestimmung der maßgeblichen Betriebsgröße mitgezählt (vgl. BAGE 43, 80 [82 ff.]; Weigand,

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in: Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 4. Aufl. 1996, § 23 KSchG Rn. 38, jeweils m.w.N.; a.A. Wank, ZIP 1986, S. 206 [207 ff.]).
Für die Regelung aus dem Jahre 1985 waren in erster Linie beschäftigungspolitische Gründe maßgeblich (vgl. BTDrucks 10/2102, S. 17, 29). Der Gesetzgeber rechnete mit einer Vermehrung von Teilzeitarbeitsplätzen in Kleinbetrieben. Mit dem Schutzzweck der Norm sei es vereinbar, diejenigen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl unberücksichtigt zu lassen, die wegen ihrer geringfügigen Arbeitsleistung für die Betriebsgröße kaum eine Rolle spielten.
Die Kleinbetriebsklausel ist inzwischen durch Art. 1 des Arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) vom 25. September 1996 (BGBl I S. 1476) mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1996 erneut geändert worden. Danach gilt der allgemeine Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nicht mehr für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten beschäftigt werden. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer werden teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als zehn Stunden mit 0,25, nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 berücksichtigt.
II.
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war seit dem 2. Mai 1988 bei der Beklagten als Glas- und Gebäudereiniger mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens. Die Belegschaft bestand aus fünf Arbeitnehmern mit einer Arbeitszeit von mehr als zehn Wochenstunden oder mehr als 45 Monatsstunden. Weitere rund 45 Arbeitnehmer wurden in geringerem Umfang, teilweise nur mit zwei Stunden pro Woche, be

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schäftigt. Im Kündigungsschutzprozeß wurde um die Frage gestritten, ob das beanstandete Verhalten des Klägers eine Kündigung rechtfertigte.
2. Das Arbeitsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Von der Entscheidung dieser Vorfrage hänge das Ergebnis des Rechtsstreits ab. Auf der Grundlage des § 1 KSchG wäre die Kündigung sozial ungerechtfertigt und daher der Kündigungsschutzklage stattzugeben. Es fehle bereits an der erforderlichen Abmahnung. Finde das Kündigungsschutzgesetz hingegen gemäß § 23 KSchG keine Anwendung, sei die Klage abzuweisen.
Die Neuregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG verletze den allgemeinen Gleichheitssatz. Die Vorschrift führe dazu, daß ein formales Abgrenzungskriterium, die Beschäftigtenzahl, nicht durch ein neues Abgrenzungskriterium ersetzt, sondern für bestimmte Konstellationen gänzlich aufgegeben werde. Im Ergebnis könnten Betriebe beliebig viele Arbeitnehmer einstellen, ohne in den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes zu fallen. Sachliche Gründe dafür, Arbeitnehmern den gesetzlichen Kündigungsschutz vorzuenthalten, gebe es aber nur bei kleineren Betrieben.
Die für die Rechtfertigung von § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorhandenen Kriterien wie enge persönliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, verwaltungsmäßige Belastung und wirtschaftliche Belastbarkeit eines Kleinbetriebes sowie Mittelstandsförderung lägen bei einer Konstellation wie im Falle der Beklagten nicht mehr vor. Signifikante Unterschiede zu anderen Betrieben mittlerer und größerer Natur bestünden nicht. Beschäftigungspolitische Aspekte könnten die Regelung nicht rechtfertigen. Das generelle Ziel des Staates, möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen, beziehe sich nicht nur auf Teilzeitarbeitsplätze für geringfügig Beschäftigte. Zudem fehle es an der Verhältnismäßigkeit der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG hinsichtlich der dadurch entstehenden Ungleichbehandlung von Arbeitnehmergruppen. Das beschäftigungspolitische Ziel hätte verfassungskonform durch die Festlegung einer Anzahl fiktiver Vollzeitarbeitsplätze oder einer

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Obergrenze für die nicht zu berücksichtigenden geringfügig beschäftigten Teilzeitarbeitnehmer erreicht werden können. Beschäftigungspolitische Hoffnungen des Gesetzgebers allein reichten zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht aus. Einer verfassungskonformen Auslegung stehe der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen.
III.
Zu den von der Vorlage aufgeworfenen Fragen haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, die Landesregierungen von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, das Bundesarbeitsgericht, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (früher Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden) und der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen.
1. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ist die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG durch beschäftigungspolitische Gesichtspunkte gerechtfertigt. Sie solle bestehende Einstellungshindernisse ausräumen und die Einrichtung zusätzlicher Teilzeitarbeitsplätze fördern. Das Sozialstaatsprinzip verpflichte auch zur Sorge für diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchten. Die Regelung gehe weiterhin von dem typischen Erscheinungsbild eines Kleinbetriebes aus. Dieses Bild werde durch die zusätzliche Beschäftigung von in aller Regel wenigen Arbeitnehmern mit geringem Stundenumfang nicht wesentlich verändert. Beim Sachverhalt des Ausgangsverfahrens handele es sich um einen Ausnahmefall, der die Verfassungsmäßigkeit der Norm nicht in Frage stelle.
2. Die Niedersächsische Landesregierung hat die Ergebnisse der jährlichen Mikrozensuserhebung des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik aus April 1993 vorgelegt. Daraus geht unter anderem hervor, daß der Frauenanteil in der Gruppe der geringfügig Beschäftigten deutlich überwiegt.


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3. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt teilt mit, daß von den im Betriebskataster des Landesamtes für Arbeitsschutz (Stichtag 13. Januar 1995) erfaßten 58.082 Betrieben 57,6 vom Hundert bis zu fünf Arbeitnehmer beschäftigten. Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten werde nicht erfaßt. In den nicht dem Kündigungsschutz unterfallenden Kleinbetrieben seien insgesamt 83.436 Arbeitnehmer beschäftigt, davon seien 56 vom Hundert Frauen.
4. Der Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts legt dar, der Senat habe in einem Urteil aus dem Jahre 1990 (BAGE 64, 315) die zur Prüfung gestellte Norm als verfassungsgemäß angesehen. Daran sei auch aufgrund neuerer Entwicklungen festzuhalten. Soweit im Einzelfall durch die Beschäftigung zahlreicher Teilzeitbeschäftigter mit weniger als wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden der Kündigungsschutz des § 1 KSchG unterlaufen werde, könne dem gegebenenfalls mit Mitteln des Arbeitsrechts begegnet werden.
5. Nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hat eine summarische Prüfung bei den Mitgliedsverbänden ergeben, daß eine Personalstruktur wie die des beklagten Unternehmens die Ausnahme in der deutschen Wirtschaft, auch im Einzelhandel, im Handwerk, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder im Gebäudereinigungshandwerk, sei. Der Anteil der Frauen an den geringfügig Beschäftigten liege generell über dem der Männer, hänge im übrigen sehr stark vom ausgeübten Beruf ab. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG knüpfe zwar an die geringfügige Beschäftigung an, enthalte aber keine besonderen Rechtsfolgen für gerade diese Personengruppe, so daß keine Ungleichbehandlung vorliege.
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit komme der Aufgabe des Staates, die Voraussetzungen für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zu verbessern, große Bedeutung zu. In Kleinbetrieben bestünden starke Hemmungen zur Schaffung neuer Teilzeitarbeitsplätze, wenn dadurch das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung komme. Selbst bei der Beschäftigung mehrerer geringfügig Beschäftigter könne ein Betrieb seinen Charakter als Kleinbetrieb behalten. Eine

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atypische Personalstruktur und Mißbrauch in Einzelfällen führten nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.
6. Nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist die Personalstruktur des beklagten Unternehmens für das Gebäudereiniger-Handwerk atypisch. In der Regel würden in den Betrieben des Reinigungsgewerbes Vollzeit- und Teilzeitkräfte in annähernd gleichem Umfang beschäftigt. Insgesamt seien im Handwerk verhältnismäßig wenige geringfügig Beschäftigte tätig.
7. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks trägt vor, die durchschnittliche Personalstruktur in den Betrieben des Gebäudereiniger-Handwerks sei durch ein Verhältnis von eins zu eins zwischen Arbeitnehmern unterhalb und oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze gekennzeichnet. Die Personalstruktur des im Ausgangsverfahren beklagten Handwerksbetriebes sei atypisch.
Eine Erhebung zur Personalstruktur von Kleinbetrieben liege für das Gebäudereiniger-Handwerk nicht vor. Nach allgemeinen Erfahrungen steige der Anteil männlicher Beschäftigter mit abnehmender Betriebsgröße. Kleine Betriebe seien im verstärkten Maße auf Facharbeiter (Gesellen und Meister) angewiesen. Der Frauenanteil bei Facharbeitern betrage rund 20 vom Hundert.
8. Der Deutsche Gewerkschaftsbund führt aus, Vollzeitarbeitsverhältnisse würden nur noch von einer Minderheit der abhängig Beschäftigten wahrgenommen. Der Anteil der Beschäftigten, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterlägen, nehme zu. Im Produktions- und vor allem im Dienstleistungsbereich seien durch intensivere Arbeitsweisen höchst wettbewerbsfähige und kapitalintensive Kleinbetriebe entstanden. In einigen Sektoren - Werbeagenturen, Datenverarbeitung und Softwareberatungen - arbeiteten drei Millionen Beschäftigte in Kleinstbetrieben, die einen Anteil von 98 vom Hundert der Arbeitsstätten dieses Sektors ausmachten. Hier seien die größten Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen.
Die Kleinbetriebsklausel sei insgesamt verfassungswidrig. Der Gesetzgeber sei erkennbar davon ausgegangen, daß das Gepräge eines Kleinunternehmens auch in den Betrieben, in denen Satz 3 des Absatzes 1 Anwendung finde, noch erhalten bleibe. Dies sei aber nach dem tatsächlichen Befund nicht der Fall. § 23 Abs. 1 Satz 3

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KSchG verstoße gegen das Übermaßverbot. Die Arbeitsrechtsordnung kenne weniger belastende, aber gleich wirksame Mittel, Besonderheiten wie Betriebsgröße, Qualität und Belastbarkeit der persönlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung zu berücksichtigen. Die Schwellenwerte in § 23 Abs. 1 KSchG verfehlten den gesetzgeberischen Zweck und führten auf der Arbeitnehmerseite zu tiefgreifenden Rechtsbeschränkungen.
9. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt legt dar, die Personalstruktur des beklagten Gebäudereinigungsunternehmens sei durchaus branchentypisch. Die völlige Nichtberücksichtigung geringfügig Beschäftigter im Rahmen des § 23 KSchG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein hinreichender sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der betreffenden Arbeitnehmergruppen in Betrieben bestimmter Größenordnung durch § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG sei nicht vorhanden.
10. Der Deutsche Juristinnenbund hält § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG für verfassungswidrig. Eine persönliche Bindung an den Betriebsinhaber sei bei Betrieben mit 45 Teilzeitkräften nicht mehr gegeben. Betriebe dieser Größenordnung könnten auch wirtschaftlich nicht mehr als Kleinbetriebe gelten. Die beschäftigungspolitischen Ziele des Gesetzes ließen sich ebensogut durch eine Regelung erfüllen, die auf das Gesamtarbeitszeitvolumen des Betriebes abstelle. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG verletze auch Art. 3 Abs. 3 GG. Der Frauenanteil an den geringfügig Beschäftigten liege weit über dem Durchschnitt. Frauen würden so erheblich häufiger als Männer durch den benachteiligenden Ausschluß vom allgemeinen Kündigungsschutz betroffen.
 
B.
Die zur Prüfung gestellte Norm ist bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
1. Vorrangiger Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung von § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG ist Art. 3 Abs. 1 GG. Durch die Klein

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betriebsklausel werden die davon betroffenen Arbeitnehmer gegenüber anderen, die in größeren Betrieben arbeiten, benachteiligt. Die Benachteiligung ist durch die besondere Interessenlage der Arbeitgeber in kleineren Betrieben gerechtfertigt. Das wird in dem heute im Verfahren 1 BvL 15/87 (BVerfGE 97, 169 [169]) ergangenen Normenkontrollbeschluß im einzelnen dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
2. Die Regelung des Satzes 3 hat zur Folge, daß Betriebe mit einer beliebig großen Zahl von Arbeitnehmern vom gesetzlichen Kündigungsschutz freigestellt sind, solange sie nicht mehr als fünf Vollzeitarbeitskräfte und darüber hinaus ausschließlich Teilzeitkräfte beschäftigen, die weniger als zehn Wochenstunden oder 45 Stunden im Monat arbeiten (im folgenden: Viertelteilzeitkräfte). Der Ausgangsfall zeigt, daß in bestimmten Dienstleistungsbranchen eine Personalstruktur möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, die eine Beschäftigung von rund 50 Personen erlaubt, ohne die Grenze des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG zu überschreiten.
3. Bei einer solchen Betriebsgröße liegen die Gründe, die die Benachteiligung der Arbeitnehmer rechtfertigen, nicht mehr vor. Ein besonderes, auf enge persönliche Zusammenarbeit gestütztes Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht bei so großen Betrieben nicht. Sie haben insbesondere im Hinblick auf Organisationsstruktur und Verwaltungskraft mit dem typischen Kleinbetrieb wenig gemein. Allgemeine arbeitsmarktpolitische Erwägungen können eine ungleiche Behandlung von Arbeitnehmern in Kleinbetrieben nicht rechtfertigen, weil es sich dabei nicht um Erwägungen handelt, die sich spezifisch auf solche Betriebe beziehen. Vor Art. 3 Abs. 1 GG könnte die Regelung deshalb nur standhalten, wenn der Gesetzgeber Betriebe in der Größenordnung der Beklagten des Ausgangsverfahrens als atypisch vernachlässigen könnte. Das ist nicht der Fall.
4. a) Jede gesetzliche Regelung muß generalisieren. Der Gesetzgeber kann die Vielfalt der Fälle, die er mit seiner Regelung erfaßt, nicht im vorhinein erkennen und muß sich deswegen mit Einschätzungen zufriedengeben. Er darf Rechtsfolgen an ein typisches Er

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scheinungsbild des Regelungsgegenstands knüpfen und dabei in Kauf nehmen, daß er nicht jeder Besonderheit gerecht wird. Außerdem hat er die Verständlichkeit und Praktikabilität seiner Normen zu bedenken und darf deswegen von Differenzierungen absehen, die diesem Ziel entgegenstehen. Dies betrifft vor allem die Regelung von Massenerscheinungen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Sachgesetzlichkeiten und die damit begründeten Randunschärfen normativer Regelungen in ständiger Rechtsprechung anerkannt (vgl. BVerfGE 11, 245 [254]; st. Rspr.; zuletzt BVerfGE 89, 15 [24]).
b) Die Öffnung der Kleinbetriebsklausel durch § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG in der hier maßgeblichen Fassung läßt sich durch diese Gesichtspunkte jedoch nicht rechtfertigen. Zwar steht dem Gesetzgeber bei der Abgrenzung des betrieblichen Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes ein weiter Typisierungsspielraum zu. Angesichts der Fülle der Erscheinungsformen kleinerer Betriebe und Verwaltungen ist es unmöglich, den betrieblichen Geltungsbereich des Gesetzes anders als durch pauschale Begriffsbildung zu umschreiben. Arbeitgeberseitige Kündigungen sind zudem Massenerscheinungen, für deren Abwicklung den Betrieben und Arbeitsgerichten handhabbare Regelungen zur Verfügung gestellt werden müssen.
Mit der zur Prüfung gestellten Regelung hat der Gesetzgeber seine Typisierungsbefugnis jedoch überschritten. Ein Sachgesichtspunkt, der es zu rechtfertigen vermöchte, bei Betrieben, die überwiegend Teilzeitkräfte beschäftigen, auf eine am Arbeitsvolumen orientierte Größenbestimmung gänzlich zu verzichten, ist nicht erkennbar. Eine Berücksichtigung der Teilzeitkräfte bei der Festlegung der maßgeblichen Betriebsgröße war vielmehr ohne weiteres möglich, ohne daß auf eine zahlenmäßige Beschränkung verzichtet werden müßte. Ebensowenig lassen sich Gründe der Vereinfachung oder Praktikabilität für die Regelung ins Feld führen. Die Bestimmung des betrieblichen Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes anhand einer bestimmten Beschäftigtenzahl und des Umfangs ihrer Tätigkeit bereitet weder den Betrieben noch den Gerichten besondere Schwierigkeiten.


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5. Die Regelung erlaubt jedoch eine einschränkende Auslegung, in der sie vor Art. 3 Abs. 1 GG standhält. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber bei komplexen Sachverhalten häufig eine gewisse Zeit benötigt, um Erfahrungswerte für eine völlig sachangemessene Regelung zu finden, und daß er inzwischen auf der Grundlage neuerer Einsichten eine Neuregelung getroffen hat (vgl. BVerfGE 33, 171 [189 f.]).
Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG läßt allerdings eine einschränkende Auslegung nicht zu. Darauf weist das vorlegende Gericht zutreffend hin. Eine Auslegung gegen den Wortlaut einer Norm ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn andere Indizien deutlich belegen, daß ihr Sinn im Text unzureichend Ausdruck gefunden hat. So liegt es hier. Der Gesetzgeber war erkennbar davon ausgegangen, daß der Einstellung von Viertelteilzeitkräften in einem Kleinbetrieb durch arbeitstechnische Gegebenheiten enge Grenzen gezogen seien. Jedenfalls hatte er nicht bedacht, daß unter die von ihm geschaffene Regelung auch Betriebe fallen könnten, deren Geschäftstätigkeit es ermöglicht, bei wenigen Vollzeitkräften eine große Zahl von Viertelteilzeitkräften oder geringfügig Beschäftigten einzustellen. Eine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts wird auch durch Sinn und Zweck der Regelung nahegelegt. Sie soll eine spezifische Gruppe von Arbeitgebern vor den Folgen des gesetzlichen Kündigungsschutzes bewahren, weil ihre Unternehmen dadurch in mehreren Hinsichten überfordert wären. Bei Unternehmen von der Größenordnung der Beklagten des Ausgangsverfahrens wird dieser Schutzzweck, wie bereits dargelegt wurde, verfehlt. Ausschlaggebend ist schließlich, daß der Gesetzgeber selbst inzwischen eine Grenzziehung vorgenommen hat, die seinen von Anfang an gehegten Vorstellungen entsprechen dürfte. Damit ist zugleich ein Anhaltspunkt dafür gegeben, wie die maßgebliche Beschäftigtenzahl zu ermitteln ist. Die Anwendung der Norm kann danach im Wege teleologischer Reduktion auf Fälle beschränkt werden, in denen unter Zugrundelegung der Anrechnungsmodalität des Satzes 3 in der seit dem 1. Oktober 1996 geltenden Neufassung von § 23 Abs. 1 KSchG ein Kleinbetrieb vorliegt (vgl. oben unter A I 2). In dieser Auslegung ist sie mit Art. 3 Abs. 1

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GG vereinbar (vgl. dazu den heute ergangenen Beschluß in der Sache 1 BvL 15/87 = BVerfGE 97, 169 [183]).
II.
Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG durch die zur Prüfung gestellte Norm kann nicht festgestellt werden.
1. Diese Grundrechtsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz durch konkrete Diskriminierungsverbote. Die darin genannten Merkmale dürfen nicht als Anknüpfungspunkt für differenzierende Regelungen herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn die Regelung nicht auf eine Ungleichbehandlung abzielt, sondern andere Zwecke verfolgt (vgl. BVerfGE 85, 191 [206]).
2. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG kommt in Betracht, weil die zur Prüfung gestellte Norm an das Merkmal einer Teilzeitbeschäftigung anknüpft und damit eine Gruppe von Arbeitnehmern erfaßt, in der Frauen bekanntermaßen überrepräsentiert sind. Die Regelung differenziert jedoch nicht zwischen (bestimmten) Teilzeitbeschäftigten einerseits und Vollzeitkräften andererseits, sondern zwischen größeren und kleineren Betrieben. Daß in Kleinbetrieben insgesamt deutlich mehr Teilzeitkräfte als Vollzeitkräfte und damit vergleichsweise mehr Frauen beschäftigt wurden, ist nicht erkennbar.
Seidl, Grimm, Kühling, Seibert, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner