BVerfGE 78, 364 - Wehrdienstanrechnung


BVerfGE 78, 364 (364):

Das aus Art. 12a Abs. 2 GG folgende Gebot der Belastungsgleichheit von Wehr- und Zivildienstleistenden erheischt auch in denjenigen Fällen Beachtung, in denen der Wehrpflichtige, der sich auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG beruft, bereits einen Teil des Wehrdienstes geleistet hat.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 21. Juni 1988
-- 2 BvL 6/86 --
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob die in § 22 Satz 1 des Gesetzes über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1983 (BGBl. I S. 1221, ber. S. 1370) getroffene Regelung über die Anrechnung geleisteten Wehrdien

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stes auf den Zivildienst mit dem Grundgesetz vereinbar ist - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. März 1986 (2 A 55/85) -.
Entscheidungsformel:
§ 22 Satz 1 des Gesetzes über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer -- ZDG -- in der der Bekanntmachung vom 31. Juli 1986 (Bundesgesetzbl. I S. 1205) zugrundeliegenden Fassung ist mit Artikel 12a Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar und nichtig, als er bestimmt, daß bei gedienten Wehrpflichtigen, die nach Ableistung des Grundwehrdienstes den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern, der Grundwehrdienst im Verhältnis 1:1 auf den Zivildienst angerechnet wird.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß nach § 22 Satz 1 des Gesetzes über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer -- ZDG -- in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Juli 1986 (BGBl. I S. 1205) geleisteter Wehrdienst zeitgleich auf den Zivildienst anzurechnen ist und folglich als Kriegsdienstverweigerer anerkannte gediente Wehrpflichtige für den Zeitraum, um den die gesetzliche Dauer des Zivildienstes die des geleisteten Wehrdienstes übersteigt, zivildienstpflichtig bleiben.
I.
§ 22 Satz 1 ZDG lautet:
    Geleisteter Wehrdienst, aufgrund der Grenzschutzdienstpflicht geleisteter Grundschutzdienst und Dienst im Zivilschutzkorps werden auf den Zivildienst angerechnet.
Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG in der ihm durch Art. 2 Nr. 5 b) des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz -- KDVNG) vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 203) verliehenen Fassung -- seither unverändert -- dauert der Zivildienst

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um ein Drittel länger als der Wehrdienst. Das Bundesverfassungsgericht -- Zweiter Senat -- hat mit Urteil vom 24. April 1985 (BVerfGE 69, 1) entschieden, daß Art. 2 Nr. 5 b) KDVNG = § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
II.
1. Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben in den Jahren 1976/77 und 1981/82 jeder 15 Monate Grundwehrdienst geleistet. Der Kläger zu 1) beantragte im März 1984, der Kläger zu 2) im Oktober 1983, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Beide wurden nach persönlicher Anhörung im Verfahren nach den §§ 9 ff. des Gesetzes über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen -- KDVG -- in der Fassung des Art. 1 KDVNG -- der Kläger zu 1) im Juli, der Kläger zu 2) im Oktober 1984 -- als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Das Bundesamt für den Zivildienst berief daraufhin beide für die Dauer von je fünf Monaten zum Zivildienst ein. Den Widersprüchen blieb der Erfolg versagt. Das vorlegende Gericht ordnete antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der daraufhin erhobenen Klagen an (§ 80 Abs. 5 VwGO), wies die Gegenanträge auf Aufhebung dieser Aussetzungsbeschlüsse zurück und verband die beiden zunächst getrennt geführten Verfahren miteinander. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 22 Satz 1 ZDG mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
2. Nach der Überzeugung des vorliegenden Gerichts verletzt § 22 Satz 1 ZDG, soweit darin die Anrechnung geleisteten Wehrdienstes auf den Zivildienst geregelt ist, den Grundsatz der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit und Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG. Die gesetzliche Regelung führe dazu, daß Kriegsdienstverweigerer, die vor ihrer Anerkennung Wehrdienst geleistet hätten, im Hinblick auf den von ihnen noch zu erbringenden Restzivildienst sowohl gegenüber Kriegsdienstverweigerern, die ausschließlich Zivildienst leisten, als auch gegenüber Wehrpflichtigen, die ausschließlich Wehrdienst leisten, schlechter gestellt würden.
a) Bei der Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten komme es auf

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die Gültigkeit des § 22 Satz 1 ZDG an. Im Falle seiner Gültigkeit seien die Einberufungsbescheide zu Recht ergangen, die Klagen mithin unbegründet. § 22 Satz 1 ZDG sehe nach seinem eindeutigen Wortlaut eine auf einem Zeitvergleich beruhende Anrechnung des geleisteten Wehrdienstes auf den Zivildienst vor, die das Bundesamt für den Zivildienst korrekt vorgenommen habe. Hingegen seien die Klagen begründet, wenn § 22 Satz 1 ZDG unwirksam wäre. Es fehle dann eine Vorschrift, aus der sich die Dauer des Restzivildienstes ergäbe.
b) § 22 Satz 1 ZDG verstoße gegen das Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit in Gestalt der Wehrgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG), weil er dazu führe, daß gediente Kriegsdienstverweigerer stärker belastet würden als ungediente.
aa) Die qualitativen Unterschiede zwischen Wehr- und Zivildienst schlössen es aus, bei der Bemessung des von einem gedienten Wehrpflichtigen im Falle seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer noch zu leistenden Restzivildienstes allein von einem Zeitvergleich auszugehen. Der Zivildienst erfülle eine Doppelfunktion: Einerseits solle die bewußte Inkaufnahme des gegenüber dem Grundwehrdienst um ein Drittel verlängerten Zivildienstes als tragendes Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung gelten (Erkenntnisfunktion); andererseits stelle der Zivildienst nach der Neuregelung -- jedenfalls in Friedenszeiten -- eine gleichbelastende Alternative zum Wehrdienst dar (Ausgleichsfunktion). Die spürbare Verlängerung des Zivildienstes schaffe in doppelter Hinsicht einen Belastungsausgleich -- im Blick auf die mögliche Heranziehung zu Wehrübungen nach Ableistung des Grundwehrdienstes und auf die mit der Wehrdienstleistung selbst typischerweise einhergehenden Erschwernisse. Dies zeige, daß ein Kriegsdienstverweigerer, der nach einem Grundwehrdienst von 15 Monaten noch fünf Monate Zivildienst leisten müsse, stärker belastet werde als ein Kriegsdienstverweigerer, der den Zivildienst von 20 Monaten leiste. Daß der Wehrdienst im Regelfall belastender sei als der Zivildienst, treffe gediente Kriegsdienstverweigerer gleichsam doppelt. Bei gedienten Kriegsdienstverweigerern solle die Heranziehung zu weiterem Ersatzdienst im wesentlichen nur noch den Fortfall der

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Ungewißheit ausgleichen, zu weiteren Wehrdienstleistungen herangezogen zu werden. Dem müsse der Gesetzgeber Rechnung tragen, indem er entscheide, zu welchen Anteilen die Verlängerung des Zivildienstes zum Ausgleich beider Belastungsmomente diene. Sei der Gesetzgeber bei der Verlängerung des Zivildienstes (§ 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG) von einem qualitativen Belastungsvergleich zwischen Wehr- und Zivildienst ausgegangen, so könne die Anrechnungsregelung des § 22 Satz 1 ZDG nicht auf einen bloßen Zeitvergleich verengt werden. Er habe es versäumt, diese Vorschrift derjenigen des § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG konzeptionell anzupassen.
bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung gedienter und ungedienter Kriegsdienstverweigerer finde auch in Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG keine Stütze. Zwar bilde danach die rechtlich zulässige Dauer des Wehrdienstes -- bei Mannschaftsdienstgraden derzeit 24 Monate -- die zeitliche Obergrenze für die Dauer des Ersatzdienstes. Dabei handele es sich jedoch um einen Rahmen, innerhalb dessen das eigentliche normative Ziel der Regelung, ein Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Zivildienstleistenden sicherzustellen, zu verwirklichen sei. Eine Vorschrift, deren Ziel in der Sicherstellung einer Pflichtengleichheit zwischen Wehr- und Zivildienstleistenden bestehe, könne aber keine Ungleichbehandlungen unter den Zivildienstleistenden rechtfertigen. Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG gestatte es dem Gesetzgeber nicht, den abstrakten Zeitrahmen, der ihm für die Festlegung der Dauer des Ersatzdienstes zur Verfügung stehe, für einzelne Gruppen von Kriegsdienstverweigerern unterschiedlich auszuschöpfen.
cc) Auch die vergleichsweise späte Stellung des Antrags auf Kriegsdienstverweigerung rechtfertige die Schlechterstellung der gedienten Kriegsdienstverweigerer nicht. Diesem Umstand werde bereits durch das in diesem Falle zur Anwendung gelangende Verfahren der §§ 9 ff. KDVG Rechnung getragen, in dem die Echtheit der getroffenen Gewissensentscheidung zu prüfen sei. Das Maß der aus einer Kriegsdienstverweigerung erwachsenden Beeinträchtigung der militärischen Landesverteidigung sei kein zulässiger Gesichtspunkt für die Bemessung der Dauer des Zivildienstes.
dd) Ebensowenig werde die Regelung des § 22 Satz 1 ZDG durch

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die Befugnis des Gesetzgebers zur typisierenden Ordnung von Massenerscheinungen gerechtfertigt. Die durch § 22 Satz 1 ZDG verursachten Ungerechtigkeiten seien unschwer dadurch vermeidbar, daß der Gesetzgeber festlege, zu welchem Anteil der verlängerte Zivildienst einerseits die besonderen Erschwernisse des Wehrdienstes und andererseits die Ungewißheit über die Einberufung zu weiteren Wehrdienstleistungen nach Abschluß des Grundwehrdienstes ausgleiche.
c) § 22 Satz 1 ZDG verstoße ferner gegen Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG, weil er zur Folge habe, daß gediente Kriegsdienstverweigerer stärker belastet würden als Wehrpflichtige, die ausschließlich Wehrdienst leisteten. Eben dies widerstreite der genannten Verfassungsnorm, die auf Belastungsgleichheit ziele. Da jedoch nach der Verlängerung des Zivildienstes im wesentlichen Lastengleichheit zwischen nur Wehr- und nur Zivildienstleistenden bestehe, bedeute die Schlechterstellung der gedienten im Vergleich zu den ungedienten Kriegsdienstverweigerern zugleich auch eine Mehrbelastung im Verhältnis zu denjenigen Wehrpflichtigen, die ausschließlich Wehrdienst leisteten.
III.
Von den Verfassungsorganen, denen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, hat die Bundesregierung erklärt, sie sehe im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1985 (BVerfGE 69, 1) und dessen Beschluß vom 12. Juli 1985 -- 2 BvQ 5/85 -- von einer Äußerung ab. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Äußerung des 8. Revisionssenats übersandt, der mitteilt, er habe die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Satz 1 ZDG in seinem Beschluß vom 29. August 1985 bejaht und halte an dieser Ansicht fest.
 


BVerfGE 78, 364 (370):

B.
Die Vorlage ist zulässig und begründet. § 22 Satz 1 ZDG ist mit Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG insoweit unvereinbar und nichtig, als er bestimmt, daß bei gedienten Wehrpflichtigen, die nach Ableistung des Grundwehrdienstes den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern, der Grundwehrdienst im Verhältnis 1:1 auf den Zivildienst angerechnet wird.
I.
Das Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, ist durch Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG demjenigen eingeräumt und vorbehalten, der sich aus Gewissensgründen außerstande sieht, diesen Dienst zu leisten. Daraus folgt die Verpflichtung des Gesetzgebers, Vorsorge zu treffen, daß nur derjenige von der Erfüllung der Wehrpflicht als einer gemeinschaftsbezogenen Pflicht hohen Ranges freigestellt wird, der nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen hat (vgl. BVerfGE 69, 1 [23 ff.]). Auf dieser Grundlage hat der Gesetzgeber einen gegenüber dem Grundwehrdienst um ein Drittel verlängerten Zivildienst vorgesehen (§ 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG), dessen Inkaufnahme durch den Kriegsdienstverweigerer als das tragende Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung gelten soll.
Nach Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG bildet die Dauer des Wehrdienstes eine selbständige zeitliche Obergrenze für die Dauer des Ersatzdienstes. Die Vorschrift untersagt jedenfalls solche gesetzliche Regelungen, nach denen die Dauer des Zivildienstes die rechtlich zulässige Höchstdauer des Wehrdienstes (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 a Abs. 3, 6 WPflG) überstiege. Sie verpflichtet indessen den Gesetzgeber nicht, innerhalb der rechtlich zulässigen Höchstdauer des Wehrdienstes eine Zivildienstzeit vorzusehen, die genau der tatsächlichen Dauer des Wehrdienstes entspricht. Vielmehr darf der Gesetzgeber die Dauer des Zivildienstes anhand eines Zeitrahmens festlegen, den er abstrakt, das heißt auf der Grundlage der rechtlich zulässigen Dauer des Wehrdienstes und damit losgelöst vom tatsächlich geleisteten Wehrdienst, bemißt. Um dem normativen Ziel

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des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG zu genügen, hat der Gesetzgeber allerdings ein Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Ersatzdienstleistenden sicherzustellen; der Ersatzdienstleistende darf im Vergleich zum Wehrdienstleistenden weder besser noch schlechter gestellt werden (vgl. BVerfGE a.a.O., S. 28 ff.).
Im Blick auf diese beiden verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der Senat § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG für mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen, weil der Wehrdienst im Vergleich zum Zivildienst für den Pflichtigen eine Reihe zusätzlicher Belastungen mit sich bringe, die sich aus den vorgegebenen Unterschieden zwischen den beiden Diensten ergeben (vgl. BVerfGE a.a.O., S. 30 f., 33).
Das aus Art. 12 a Abs. 2 GG folgende Gebot der Belastungsgleichheit von Wehr- und Zivildienstleistenden erheischt auch in denjenigen Fällen Beachtung, in denen der Wehrpflichtige, der sich auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG beruft, bereits einen Teil des Wehrdienstes geleistet hat. Doch muß der Gesetzgeber auch in diesen Fällen die zuständigen Behörden in den Stand setzen, zu ihrer Überzeugung hinreichend sicher zu erkennen, daß die Kriegsdienstverweigerung auf der nach Art. 4 Abs. 3 GG zu fordernden Gewissensentscheidung beruht.
II.
1. a) Wird einem Wehrpflichtigen, der den Grundwehrdienst in vollem Umfang geleistet -- und möglicherweise noch darüber hinausgehende Leistungen im Wehrdienst erbracht -- hat, im Falle einer Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG auferlegt, die volle an der vom Gesetz festgelegten Gesamtdauer des Zivildienstes noch fehlende Zeit nachzudienen, ist dem aus Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Gebot der Belastungsgleichheit nicht mehr Genüge getan. Der Wehrpflichtige hat sich in diesem Falle während des wesentlichen Teils des in Betracht kommenden Zeitraums in jener stärker belastenden Lebenssituation befunden, die der Wehrdienst typischerweise gegenüber dem Zivildienst für den Pflichtigen mit sich bringt. Zu Recht ist daher das vorlegende Gericht der Auffassung, daß § 22 Satz 1 ZDG in den dem Ausgangs

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verfahren zugrundeliegenden Fällen zu einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren ungleichen Belastung gedienter und ungedienter Kriegsdienstverweigerer wie auch gedienter Kriegsdienstverweigerer und derjenigen Wehrpflichtigen führt, die ausschließlich Wehrdienst leisten. Der Gesetzgeber ist dementsprechend gehalten, bei der Anrechnung des bereits in vollem Umfang geleisteten Grundwehrdienstes auf den Zivildienst dem geleisteten Wehrdienst ein über seine zeitliche Dauer hinausgehendes Gewicht einzuräumen; dem Wehrpflichtigen ist bei der zeitlichen Bemessung des von ihm noch zu erbringenden Zivildienstes eine im Vergleich zu der sich aus der derzeitigen Fassung des § 22 Satz 1 ZDG ergebenden Dauer spürbare Entlastung zu gewähren.
b) Allerdings muß, wie dargelegt, der Gesetzgeber auch in Fällen dieser Art sicherstellen, daß nur solche Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Gewißheit angenommen werden kann, daß die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG in ihrer Person vorliegen. Dem verlängerten Zivildienst kommt die Funktion eines tragenden Indizes für das Vorliegen der Gewissensentscheidung zu; er bildet nach dem Willen des Gesetzgebers die eigentliche, freilich nicht die einzige "Probe auf das Gewissen", zu der ergänzend ein -- je nach den gegebenen Umständen unterschiedlich ausgestaltetes -- Anerkennungsverfahren hinzutritt. Auch beim gedienten Wehrpflichtigen, der nach Abschluß des Grundwehrdienstes den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, muß daher die Indizfunktion, die der verlängerte Zivildienst entfaltet, im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen erhalten bleiben. Sie ist allerdings unvermeidlich durch die gebotene Verkürzung der noch abzuleistenden (nachzudienenden) Zivildienstzeit in ihrer Bedeutung gemindert. Diesen Umstand haben die Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung in dem Verfahren nach §§ 9 ff. KDVG in angemessener Weise zu berücksichtigen. Das Anerkennungsverfahren gewinnt in Fällen der hier vorliegenden Art in der Verbindung mit dem Zivildienst für die Feststellung der Gewissensentscheidung des Kriegsdienstverweigerers in dem Maße an Bedeutung, in dem sich die Dauer des noch zu leistenden Zivildienstes verkürzt. Denn beide Elemente

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vermögen nach der dem Kriegsdienstverweigerungs- Neuordnungsgesetz zugrundeliegenden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Konzeption nur in ihrem Zusammenwirken mit hinreichender Sicherheit zu gewährleisten, daß lediglich diejenigen Wehrpflichtigen vom Wehrdienst freigestellt werden, deren Kriegsdienstverweigerung auf einer Gewissensentscheidung beruht.
2. Daß § 22 Satz 1 ZDG in Fällen, in denen der Wehrpflichtige den Kriegsdienst während der Ableistung des Grundwehrdienstes verweigert, nur eine zeitgleiche Anrechnung des geleisteten Wehrdienstes auf den Zivildienst vorsieht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der Gesetzgeber hält sich innerhalb des Entscheidungsspielraums, der ihm bei der Gewichtung der Besonderheiten des Wehrdienstes (vgl. BVerfGE 69, 1 [30 f.]) zusteht, wenn er den Grundwehrdienst als ein einheitliches Ausbildungs- und Pflichtenverhältnis wertet und ihn demgemäß auch nur als eine Einheit in den ihm nach Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG obliegenden Belastungsvergleich einbringt. Für die Behandlung des Grundwehrdienstes als Einheit spricht, daß der Wehrdienstleistende gerade auch während der verschiedenen Phasen des Grundwehrdienstes durchaus verschiedenartigen und im Einzelfall unterschiedlichen -- auch subjektiv verschieden erfahrenen -- Belastungen unterliegt, der Gesetzgeber somit, müßte er dem bei der Gewichtung von Teilen des Grundwehrdienstes Rechnung tragen, vor eine schwer lösbare Aufgabe gestellt würde. Auf der anderen Seite ist eine solche Regelung noch nicht dazu angetan, den Kriegsdienstverweigerer von der Ausübung seines Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG abzuschrecken und einen unzulässigen Druck auf sein Gewissen auszuüben (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 32 f.).
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