BVerfGE 55, 159 - Falknerjagdschein


BVerfGE 55, 159 (159):

Die Regelung des Bundesjagdgesetzes (§ 15 Abs. 7 Satz 1 BJagdG in Verbindung mit § 15 Abs. 5 Satz 1 BJagdG), wonach Bewerber um den Falknerjagdschein waffentechnische und waffenrechtliche Kenntnisse nachweisen und eine Schießprüfung ablegen müssen, verletzt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 5. November 1980
-- 1 BvR 290/78 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn K... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Dietrich Böhme, Kaiserstraße 29, Gummersbach 1 -- gegen Art. 1 Nr. 8 Buchst. C und d des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes vom 28. September 1976 (BGBl. I S. 2841).
Entscheidungsformel:
1. § 15 Absatz 7 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 des Bundesjagdgesetzes in der Fassung des Artikels 1 Nummer 8 Buchstaben c und d des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes vom 28. September 1976 (Bundesgesetzbl. I S. 2841) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar und nichtig, soweit die erste Erteilung eines Falknerjagdscheins davon abhängig ist, daß der Bewerber im Rahmen der Jägerprüfung

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eine Schießprüfung ablegen und ausreichende Kenntnisse des Waffenrechts, der Waffentechnik und der Führung von Jagdwaffen (einschließlich Faustfeuerwaffen) nachweisen muß.
2. § 15 Absatz 7 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 des Bundesjagdgesetzes in der Fassung des Artikels 1 Nummer 8 Buchstaben c und d des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes vom 28. September 1976 (Bundesgesetzbl. I S. 2841) verletzt in dem sich aus Nummer 1 ergebenden Umfang das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
3. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine Verschärfung der Vorschriften über die Erteilung des Falknerjagdscheins, soweit diese vom Bestehen einer Schießprüfung und von waffenkundlichen Kenntnissen abhängig gemacht wird.
I.
Das Jagdwesen ist durch ein Rahmengesetz des Bundes (Art. 75 Nr. 3 GG) und durch Ländergesetze geregelt. Nach der bis zum 31. März 1977 geltenden Fassung des Bundesjagdgesetzes -- BJagdG -- vom 30. März 1961 (BGBl. I S. 304) war für die Ausübung der Beizjagd entweder ein Jagdschein oder ein Falknerjagdschein erforderlich (§ 15 Abs. 1 BJagdG a.F.). Die erste Erteilung eines Jagdscheins wurde davon abhängig gemacht, daß der Bewerber eine Jägerprüfung bestanden hatte. Der Falknerjagdschein wurde dagegen ohne Prüfung erteilt (§ 15 Abs. 5 BJagdG a.F.). Durch Art. 1 Nr. 8 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes vom 28. September 1976 (BGBl. I S. 2841) erhielt § 15 BJagdG folgende neue Fassung, die am 1. April 1977 in Kraft getreten ist:


    BVerfGE 55, 159 (161):

    (1) Wer die Jagd ausübt, muß einen auf seinen Namen lautenden Jagdschein mit sich führen und diesen auf Verlangen den Polizeibeamten sowie den Jagdschutzberechtigten (§ 25) vorzeigen.
    ...
    Wer die Jagd mit Greifen oder Falken (Beizjagd) ausüben will, muß einen auf seinen Namen lautenden Falknerjagdschein mit sich führen.
    (2) bis (4) ...
    (5) Die erste Erteilung eines Jagdscheines ist davon abhängig, daß der Bewerber im Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes vom 2. Mai 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 1037) eine Jägerprüfung bestanden hat, die aus einem schriftlichen und einem mündlich-praktischen Teil und einer Schießprüfung bestehen soll; er muß in der Jägerprüfung ausreichende Kenntnisse der Tierarten, der Wildbiologie, der Wildhege, des Jagdbetriebes, der Wildschadensverhütung, des Land- und Waldbaues, des Waffenrechts, der Waffentechnik, der Führung von Jagdwaffen (einschließlich Faustfeuerwaffen), der Führung von Jagdhunden, in der Behandlung des erlegten Wildes unter besonderer Berücksichtigung der hygienisch erforderlichen Maßnahmen, in der Beurteilung der gesundheitlich unbedenklichen Beschaffenheit des Wildbrets, insbesondere auch hinsichtlich seiner Verwendung als Lebensmittel, und im Jagd-, Tierschutz- sowie Naturschutz- und Landschaftspflegerecht nachweisen; mangelhafte Leistungen in der Schießprüfung sind durch Leistungen in anderen Prüfungsteilen nicht ausgleichbar. Die Länder können die Zulassung zur Jägerprüfung insbesondere vom Nachweis einer theoretischen und praktischen Ausbildung abhängig machen. Für Bewerber, die vor dem 1. April 1953 einen Jahresjagdschein besessen haben, entfällt die Jägerprüfung.
    (6) ...
    (7) Die erste Erteilung eines Falknerjagdscheines ist davon abhängig, daß der Bewerber im Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes zusätzlich zur Jägerprüfung eine Falknerprüfung bestanden hat; er muß darin ausreichende Kenntnisse des Haltens, der Pflege und des Abtragens von Beizvögeln, des Greifvogelschutzes sowie der Beizjagd nachweisen. Für Bewerber, die vor dem 1. April 1977 mindestens fünf Falknerjagdscheine besessen haben, entfällt die Jägerprüfung; gleiches gilt für Bewerber, die vor diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahresjagdscheine besessen und während deren Geltungsdauer die Beizjagd ausgeübt haben. Das Nähere hinsichtlich der Erteilung des Falknerjagdscheines regeln die Länder.


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In der Begründung des Regierungsentwurfs wird in bezug auf den Falknerjagdschein ausgeführt (BTDrucks. 7/4285, S. 13, zu Art. 1 Nr. 5, Buchst. c, 2. Abs.):
    Erstmals wird durch den neuen Absatz 7 als Voraussetzung für den Erwerb des Falknerjagdscheines die Ablegung einer Jägerprüfung eingeführt. Eine solche Regelung ist notwendig, weil die Beizjagd eine Art der Jagdausübung ist, die bis auf wenige Ausnahmen dieselben Kenntnisse und Fertigkeiten wie die Jagd mit der Waffe erfordert. Die Jägerprüfung allein reicht als Nachweis der Befähigung zur Ausübung der Falknerei jedoch nicht aus, da diese darüber hinaus spezielle Kenntnisse im Greifvogelschutz, in der Beizvogelhaltung und der Abrichtung der Beizvögel erfordert.
Falknerjagdscheinbewerber können von der Schießprüfung, die Teil der Jägerprüfung ist -- von den Übergangsvorschriften (§ 15 Abs. 7 Satz 2 BJagdG) und der Sonderregelung für Ausländer und die Mitglieder der Ständigen Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik (§ 15 Abs. 6 BJagdG) abgesehen -- nicht befreit werden.
Im Land Nordrhein-Westfalen hat der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgrund von Ermächtigungen nach § 17 Abs. 2 und 4 des Landesjagdgesetzes (i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. Juli 1978 [GVBl. S. 318]) eine Verordnung über die Jägerprüfung -- Jägerprüfungsordnung -- vom 26. Oktober 1977 (GVBl. S. 382) und eine Verordnung über die Falknerprüfung -- Falknerprüfungsordnung -- vom 11. Juli 1978 (GVBl. S. 315) erlassen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Jägerprüfungsordnung ist die Schießprüfung Teil der Jägerprüfung. Ausnahmen für Falknerjagdscheinbewerber sind in den landesrechtlichen Regelungen ebenfalls nicht enthalten.
II.
1. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz in Nordrhein- Westfalen. Er hat von der unteren Jagdbehörde erstmalig am 3. November 1971 einen Falknerjagdschein erhalten. Dieser ist einmal bis zum 31. März 1977 verlängert worden. Nach In

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krafttreten des § 15 Abs. 7 BJagdG wurde er aufgrund von Verwaltungsanweisungen des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen nochmals bis zum 31. März 1978 verlängert.
2. Der Beschwerdeführer hat unmittelbar gegen Art. 1 Nr. 8 des Zweiten Änderungsgesetzes Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er sieht eine Grundrechtsverletzung darin, daß nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BJagdG die Erteilung eines Falknerjagdscheins vom Bestehen der Jägerprüfung mit Schießprüfung abhängig gemacht wird. Er werde durch die angefochtene Vorschrift unmittelbar in seinen Rechten verletzt, da nach dieser Bestimmung für ihn die weitere Jagdausübung mit einem Greifvogel ohne vorherige Jägerprüfung nicht mehr zulässig sei. Jäger mit der Waffe müßten eine Schießprüfung ablegen und in der Waffenkunde erfahren sein, weil ihre Waffe gefährlich sei und es beim Umgang damit immer wieder zur Tötung von Menschen komme. Falkner benötigten bei der Beizjagd dagegen keine Schußwaffen und könnten solche auch nicht anwenden, weil der Schußlärm die Beizvögel "verschrecken" würde.
Für die Gesetzesänderung lasse sich kein einleuchtender Grund finden. Wenn der Gesetzgeber die Zahl der Falkner im Interesse des Greifvogelschutzes einschränken wolle, so könne er den Sachkundenachweis auf dem Gebiet der Falknerei und der Beizjagd durch strenge Prüfungsbestimmungen verstärken. Es sei aber nicht gerechtfertigt, völlig sachfremde Barrieren gegen die Ausübung der Beizjagd zu errichten.
III.
1. Zu der Verfassungsbeschwerde hat namens der Bundesregierung der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Stellung genommen:
Die Neuregelung der Falknerei durch § 15 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 7 BJagdG halte sich im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG und verletze auch nicht den Gleichheitssatz. Wegen der früher geringen Bedeutung sei die Ausübung der Falknerei zunächst nicht

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von dem Bestehen einer Prüfung abhängig gemacht worden. Mit wachsendem Wohlstand und steigender Freizeit habe das Halten von Beizvögeln und die Falknerei in einem für den Bestand der dafür in Betracht kommenden Federwildarten nicht länger vertretbaren Ausmaß zugenommen. Der Gesetzgeber habe vor der Alternative gestanden, das Halten von Beizvögeln und die Falknerei zu verbieten oder die Anforderungen an die Ausübung der Falknerei zu verschärfen. Er habe sich dafür entschieden, die Falknerei entsprechend ihrer Bedeutung in die allgemeine Jagdausübung einzubinden und den dafür geltenden Voraussetzungen zu unterstellen.
Das Bundesjagdgesetz sehe die Jagd als einen einheitlichen umfassenden Komplex an und gehe von einem ganzheitlichen Bild des Jägers aus. Der Jagdschein, der aufgrund der Jägerprüfung erteilt werde, berechtige grundsätzlich zu jeder Art der Jagdausübung. Eine Differenzierung der Jägerprüfung nach Wild- oder Jagdarten sei grundsätzlich nicht vorgesehen. Die umfassende Prüfungspflicht sei sachlich gerechtfertigt. Der Jäger habe aufgrund seiner Tätigkeit eine erhebliche Verantwortung für Natur und Landschaft. Nur bei gründlicher Ausbildung könne er dem als Einheit zu betrachtenden Naturhaushalt voll gerecht werden und eine ordnungsgemäße Hege im Sinne von § 1 Abs. 2 BJagdG gewährleisten. Eine Befreiung der Falkner von dem Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten sei nicht vorgesehen. Es sei allerdings auch nicht bekanntgeworden, daß das Fehlen der nach altem Recht nicht erforderlichen Schießprüfung zu Mißständen geführt habe.
2. Der Deutsche Falkenorden hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet; bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren habe er der doppelten Prüfungspflicht für Falkner zugestimmt, um das sonst drohende Verbot der Falknerei zu vermeiden. Dagegen sieht die Europäische Falkner Union die Verfassungsbeschwerde aus den von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Gründen für begründet an.
 


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B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
§ 15 Abs. 7 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 1 des Bundesjagdgesetzes ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar, soweit die erste Erteilung eines Falknerjagdscheins davon abhängig ist, daß der Bewerber im Rahmen der Jägerprüfung eine Schießprüfung ablegen und ausreichende Kenntnisse des Waffenrechts, der Waffentechnik und der Führung von Jagdwaffen (einschließlich Faustfeuerwaffen) nachweisen muß.
I.
Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet jedem die allgemeine Handlungsfreiheit, soweit er nicht Rechte anderer verletzt, gegen das Sittengesetz oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt; zu dieser gehört jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht (BVerfGE 6, 32 [37 f.]).
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Norm schränkt in verfassungswidriger Weise die Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG ein, weil das Verbot, die Beizjagd ohne den Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten auszuüben, dem Rechtsstaatsprinzip widerspricht; sie gehört demgemäß nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung.
1. Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verlangt, wenn es in Verbindung mit der allgemeinen Freiheitsvermutung in Art. 2 Abs. 1 GG zugunsten des Bürgers gesehen wird, daß der Einzelne vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt bewahrt bleibt. Ist ein gesetzlicher Eingriff unerläßlich, so müssen die Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein und dürfen den Einzelnen nicht übermäßig belasten (BVerfGE 17, 306 [313 f.]).
2. Der von den Falknern geforderte Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten ist zur Erreichung des gesetzgeberischen

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Ziels unangemessen. Zweck der gesetzgeberischen Regelung ist es, den Bestand der für die Falknerei in Betracht kommenden Federwildarten zu erhalten und Mißständen bei der Haltung von Greifvögeln zu begegnen. Um dieses Ziel zu erreichen, konnten erhöhte Anforderungen an die Befähigung der Falkner gestellt werden. Der Gesetzgeber hat diesen Weg einer Auslese durch verschärfte Anforderungen gewählt. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, zumal es sich gegenüber einem vollständigen Verbot der Beizjagd um das mildere Mittel handelt. Der Mangel der getroffenen Regelung liegt jedoch darin, daß der geforderte Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten weder mit der Greifvogelhaltung noch mit der Ausübung der Beizjagd in sachlichem Zusammenhang steht. Die Nachweispflicht mag zwar bewirken, daß weniger Personen Greifvögel halten und die Beizjagd ausüben, dient aber nicht der vom Gesetzgeber gewollten sachgerechten Ausführung dieser Tätigkeiten. Es verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn für eine Erlaubnis Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Bezug zu der geplanten Tätigkeit stehen (vgl. BVerfGE 34, 71 [78 ff.]).
Waffentechnische Kenntnisse und Fähigkeiten sind für die Ausübung der Beizjagd nicht erforderlich. Die Besonderheit dieser Jagdart besteht gerade darin, daß keine Schußwaffe verwendet, sondern ein Greifvogel als "Waffe" eingesetzt wird (vgl. Brüll, Die Beizjagd, 3. Aufl., 1979, S. 11). Auch zum Erlegen der von dem Greifvogel geschlagenen Beute wird keine Schußwaffe benutzt. Soweit der Greifvogel das Beutetier nicht selber tötet, wird es von dem Falkner "abgefangen", d.h. der Falkner tötet das von dem Greifvogel festgehaltene ("gebundene") Beutetier durch einen Stich mit dem Falknermesser. Der Beschwerdeführer hat unwidersprochen vorgetragen, daß auf der Beizjagd nicht geschossen werden dürfe, weil der Greifvogel durch einen Schuß "verschreckt", dann "verstreichen" und nicht mehr zum Falkner zurückkehren würde.
Die getroffene Regelung hielt der Gesetzgeber für notwendig, "weil die Beizjagd eine Art der Jagdausübung ist, die bis auf

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wenige Ausnahmen dieselben Kenntnisse und Fertigkeiten wie die Jagd mit der Waffe erfordert" (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks. 7/4285, S. 13, zu Art. 1 Nr. 5, Buchst. c). Ob dies hinsichtlich der übrigen Anforderungen der Jägerprüfung zutrifft, bedarf hier keiner Beurteilung. Jedenfalls ist die Tatsache, daß bei der Beizjagd Schußwaffen nicht zum Einsatz kommen, eine der "wenigen Ausnahmen", durch die sich Beizjagd und allgemeine Jagd unterscheiden. Es handelt sich dabei nicht um eine zu vernachlässigende Nebensache, sondern um den Umstand, der die Beizjagd entscheidend prägt. Dieser durfte deshalb bei der Regelung der Erlaubnis für die Jagdausübung nicht außer Betracht bleiben.
3. Die den Falknern auferlegte Pflicht, waffentechnische Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der Jägerprüfung nachzuweisen, kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß das Bundesjagdrecht grundsätzlich keine Differenzierung der Jägerprüfung nach Wild- oder Jagdart vorsieht (vgl. § 15 Abs. 5 BJagdG). Zwar mag eine solche einheitliche Lösung -- etwa aus Vereinfachungsgründen oder im Hinblick auf die geringe Zahl der Falkner -- verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich sein. Der Gesetzgeber hat aber selbst anerkannt, daß Ausnahmen von diesem Grundsatz ohne Schwierigkeiten möglich sind; denn er verlangt von den Falknern zusätzlich zu der Jägerprüfung das Bestehen der Falknerprüfung. Der Gesetzgeber knüpft dabei an die besondere Art der Jagdausübung bei Falknern an. Wenn diese schon zum Anlaß für eine von den allgemeinen Vorschriften über die Erteilung des Jagdscheins abweichende Regelung genommen wird, ist kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich, warum im Verhältnis zur Jägerprüfung nur die zusätzlich erforderlichen, jedoch nicht die nicht benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten zum Gegenstand der die Falkner betreffenden besonderen Vorschriften gemacht worden sind. Ebenso wie der Gesetzgeber berücksichtigt hat, daß die Jägerprüfung allein als Nachweis der Befähigung zur Ausübung der Falknerei nicht ausreicht, da diese darüber hinaus spezielle

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Kenntnisse im Greifvogelschutz, in der Beizvogelhaltung und der Abrichtung der Beizvögel erfordert (BTDrucks. 7/4285, a.a.O.; § 15 Abs. 7 Satz 1 BJagdG) -- diese Kenntnisse betreffen die "Waffe" des Falkners --, hätte er umgekehrt auch berücksichtigen müssen, daß die Anforderungen der Jägerprüfung hinsichtlich der waffentechnischen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Bereich der Beizjagd nicht geboten sind.
4. Soweit der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in seiner Stellungnahme noch darauf hinweist, daß wegen der zeitlich und gegenständlich beschränkten Jagdfähigkeit von Greifvögeln ein Teil des zu bejagenden Wildes mit der Waffe erlegt werden müsse, hat dies mit der ordnungsmäßigen Ausübung der Beizjagd nichts zu tun, sondern betrifft die Frage, ob in einem Jagdbezirk die Bejagung des Wildbestands sichergestellt ist, wenn der Jagdausübungsberechtigte nur die Beizjagd betreibt. In dieser Hinsicht hat der Gesetzgeber dadurch Vorkehrungen getroffen, daß Pächter der Ausübung des Jagdrechts nur sein darf, "wer einen Jahresjagdschein besitzt" (der die Jägerprüfung voraussetzt) "und schon vorher einen solchen während dreier Jahre in Deutschland besessen hat" (§ 11 Abs. 5 BJagdG). Danach kann Jagdpächter nur ein Jäger mit der Waffe sein. Ein von der Schießprüfung freigestellter Falkner könnte daher nur als Jagdgast mit Erlaubnis des Jagdausübungsberechtigten die Beizjagd ausüben (vgl. Mitzschke/Schäfer, BJagdG, 3. Aufl., 1971, § 11 Anm. 10 Buchst. a). Es bleibt Sache des Jagdausübungsberechtigten, die Bejagung in seinem Bezirk im übrigen zu besorgen.
In dieser Hinsicht befinden sich die Falkner in keiner anderen Lage als der weit überwiegende Teil der gesamten Jägerschaft. Jagdbezirke sind nur in beschränkter Zahl vorhanden; zudem ist die Unterhaltung der Jagd mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden. Die Zahl der Besitzer eines Eigenjagdbezirks oder einer Jagdpacht hält sich nach den Angaben der Länder zwischen 0 v. H. (Bremen) und 29,7 v. H. (Bayern) aller Inhaber eines Jagdscheins.


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Schließlich ist die Regelung über die Erteilung des Falknerjagdscheins auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität (vgl. BVerfGE 17, 337 [354]) zu rechtfertigen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, daß die Befreiung der Falkner von dem Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten zu einem nicht tragbaren Verwaltungsaufwand führen könnte. Zum einen hat der Gesetzgeber ohnehin für die Falkner außer der Jägerprüfung noch die zusätzliche Falknerprüfung vorgeschrieben und damit den Weg eines für alle Jäger einheitlichen Befähigungsnachweises für diesen Personenkreis verlassen. Zum anderen können die Falkner auch dann im Rahmen der Jägerprüfung ohne besonderen zusätzlichen Verwaltungsaufwand die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen, wenn sie von der Beantwortung der Prüfungsaufgaben, die dem Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten dienen, und der praktischen Schießprüfung freigestellt werden. Weiterhin bedarf es keiner besonderen Prüfung durch die Verwaltungsbehörde in jedem Einzelfall, mit welchem Jagdschein welches Revier gepachtet werden kann, wie der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten meint, solange der Gesetzgeber an der insoweit bestehenden Regelung des § 11 Abs. 5 BJagdG festhält. Auch die Überwachung der Einhaltung der jagdrechtlichen Bestimmungen wird nicht zusätzlich erschwert. Die Befugnis zur Ausübung der Jagd mit der Waffe muß durch den Jagdschein, zur Ausübung der Beizjagd durch den Falknerjagdschein nachgewiesen werden (§ 15 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BJagdG). Unter welchen Voraussetzungen diese Scheine zu erteilen sind, ist bei der Kontrolle vor Ort unerheblich.
II.
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 15 Abs. 7 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 1 BJagdG, mit der die Grundrechtsverletzung vermieden werden könnte (vgl. dazu BVerfGE 49, 148 [157]), ist nicht möglich. Zwar würde der erste Teilsatz des Abs. 5 Satz 1 der Vorschrift, wonach die Jägerprüfung

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aus einem schriftlichen und einem mündlich-praktischen Teil und einer Schießprüfung bestehen soll, für sich allein auch eine Auslegung dahin zulassen, daß Ausnahmen von der Schießprüfung gestattet werden könnten. Dem stehen aber der zweite und dritte Teilsatz entgegen, wonach ausreichende Kenntnisse des Waffenrechts, der Waffentechnik und der Führung von Jagdwaffen (einschließlich Faustfeuerwaffen) nachgewiesen werden müssen und mangelhafte Leistungen in der Schießprüfung durch Leistungen in anderen Prüfungsteilen nicht ausgeglichen werden können.
Insbesondere aus dem zweiten Teilsatz folgt, daß der Gesetzgeber auf den Nachweis von Kenntnissen in der Führung von Jagdwaffen in keinem Fall verzichten wollte. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Im Regierungsentwurf war folgende Fassung vorgesehen (BTDrucks. 7/ 4285, S. 5, unter Nr. 5, Buchst. b):
    (5) Die erste Erteilung eines Jagdscheines ist davon abhängig, daß der Bewerber ... eine Jägerprüfung bestanden hat, die aus einem schriftlichen, mündlichen und einem praktischen Teil besteht; er muß darin ausreichende Kenntnisse ... des Waffenrechts, der Waffentechnik, der Führung von Jagdwaffen ... nachweisen ... .
Zu der späteren Gesetzesfassung kam es aufgrund der Stellungnahme des Bundesrats zu dem Regierungsentwurf. Die Umwandlung des ersten Teilsatzes des Satzes 1 des § 15 Abs. 5 BJagdG in eine Sollvorschrift wurde damit begründet, daß dadurch dem Rahmencharakter der Regelung besser Rechnung betragen werde; auf die Ablegung einer Schießprüfung, die die Fassung des Entwurfs nicht zwingend vorschreibe, dürfe aus Sicherheitsgründen nicht verzichtet werden (vgl. BTDrucks. 7/ 4285, S. 18, unter Nr. 6; Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Siebten Deutschen Bundestages, BTDrucks. 7/5471, S. 4, zu Nr. 5). Eine Auslegung, nach der Bewerber um den Falknerjagdschein von dem Nachweis waffentechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten

BVerfGE 55, 159 (171):

freigestellt würden, wäre somit weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar.
III.
Die Grundrechtsverletzung kann unmittelbar durch eine -- teilweise -- Nichtigerklärung des § 15 Abs. 7 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 1 BJagdG beseitigt werden, da die Vorschrift auch nach Erklärung der Teilnichtigkeit sinnvoll anwendbar bleibt (vgl. BVerfGE 53, 1 [23 f.]). Bewerber um den Falknerjagdschein haben dann die Jägerprüfung mit Ausnahme des Nachweises ausreichender Kenntnisse des Waffenrechts, der Waffentechnik und der Führung von Jagdwaffen (einschließlich Faustfeuerwaffen) und der Schießprüfung sowie zusätzlich die Falknerprüfung zu bestehen. Damit wird sowohl dem gesetzgeberischen Anliegen einer Beschränkung der Berechtigten als auch dem Interesse der Falkner Rechnung getragen, die Befugnis zur Ausübung der Beizjagd ohne Nachweis der nicht benötigten Kenntnisse der Jagdwaffen und deren Handhabung erlangen zu können.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
Dr. Benda, Dr. Böhmer, Dr. Faller, Dr. Simon, Dr. Hesse, Dr. Niemeyer, Dr. Heußner