BVerfGE 51, 77 - Personalrat


BVerfGE 51, 77 (77):

1. Die Personalvertretungen werden zur Wahrung der Rechte und Interessen aller in der Dienststelle Beschäftigten, aber nicht zur Unterstützung der spezifischen Ziele der Koalitionen tätig. Die Wahrnehmung des Personalratsamts i.S. von § 39 Abs. 1 BremPersVG durch das Mitglied einer Gewerkschaft ist keine durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigung für seine Koalition (im Anschluß an BVerfGE 28, 314).
2. § 25 Abs. 1 BremPersVG gewährleistet für die Abwahl einzelner Personalratsmitglieder weder den Gruppenschutz noch den im Grundsatz der Verhältniswahl verankerten Minderheitenschutz.
3. Muß ein Mitglied der Personalvertretung gewärtigen, daß es während der laufenden Wahlperiode jederzeit ohne besonderen Grund abberufen werden kann, so kann es seine Aufgabe nicht unabhängig und mit der gebotenen Objektivität und Neutralität erfüllen.
4. Nach dem geltenden Bundesrahmenrecht kann ein einzelnes Personalratsmitglied während der laufenden Wahlperiode nur wegen grober Pflichtverletzung oder wegen grober Vernachlässigung seiner gesetzlichen Befugnisse und nur aufgrund einer Entscheidung eines Gerichts aus dem Personalrat entfernt werden.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 27. März 1979
- 2 BvR 1011/78 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Sozialamtmannes J ... - Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Karin Stieringer, Schwachhauser Heerstraße 361 B, Bremen - gegen a) den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen

BVerfGE 51, 77 (78):

vom 20. November 1978 - OVG PV-B 4/78 -, b) den Beschluß des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 12. Oktober 1978 - VG PV 18/1978 -, mittelbar gegen § 25 Abs.1 des Bremischen Personalvertretungsgesetzes vom 5. März 1974 (GBl. S. 131) und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsformel:
1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - Fachkammer für Personalvertretungssachen - vom 12. Oktober 1978 (VG PV 18/1978) und des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - Fachsenat für Personalvertretungssachen - vom 20. November 1978 (OVG PV-B 4/78) verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen zurückverwiesen.
2. § 25 Absatz 1 in Verbindung mit § 26 Absatz 1 Buchstabe f des Bremischen Personalvertretungsgesetzes vom 5. März 1974 (Gesetzbl. der Freien Hansestadt Bremen S. 131) ist, soweit er die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder betrifft, mit den Vorschriften des Zweiten Teils des Personalvertretungsgesetzes vom 5. August 1955 (Bundesgesetzbl. I S. 477) und des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 15. März 1974 (Bundesgesetzbl. I S. 693) unvereinbar und deshalb nichtig.
3. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist erledigt.
4. Die Freie Hansestadt Bremen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu ersetzen.
 
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der von der Gruppe der Beamten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in den Personalrat Justizvollzug des Landes Bremen gewählte Beschwerdeführer dadurch in seinen Grundrechten verletzt ist, daß die Mehrheit aller Wahlberechtigten der Dienststelle ihn aus

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dem Personalrat abberufen hat und die Verwaltungsgerichte ihm hiergegen keinen einstweiligen Rechtsschutz gewährt haben.
1. Gemäß § 25 Abs. 1 des Bremischen Personalvertretungsgesetzes vom 5. März 1974 (GBl. S. 131) - PersVG BR - können die Bediensteten auf Antrag eines Viertels der Wahlberechtigten oder einer in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaft mit absoluter Mehrheit der Wahlberechtigten in einer Personalversammlung in geheimer Abstimmung die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder oder des gesamten Personalrats beschließen. Nach § 26 Abs. 1 Buchst. f BremPersVG erlischt die Mitgliedschaft im Personalrat durch Beschluß der Personalversammlung nach § 25 Abs. 1.
2. Bei der Wahl zu dem aus 7 Vertretern der Beamten und je einem Vertreter der Angestellten und Arbeiter bestehenden Personalrat Justizvollzug des Landes Bremen entfielen in der Gruppe der Beamten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl 4 Sitze auf die Liste der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und 3 Sitz auf die Liste des Deutschen Beamtenbundes (vgl. § 15 Abs. 2 und 3 BremPersVG). Der Beschwerdeführer ist auf der Liste des Deutschen Beamtenbundes zunächst als Ersatzmitglied gewählt worden und im Januar 1978 wegen Ausscheidens eines anderen Personalratsmitglieds in den Personalrat nachgerückt. Die Amtszeit endet spätestens am 16. April 1980.
Anläßlich eines dienstlichen Gesprächs mit dem Hauptsekretär im Justizvollzugsdienst, E., am 23. August 1978 glaubte der Beschwerdeführer, bei diesem Alkoholgeruch bemerkt zu haben. Er veranlaßte eine Überprüfung, die indes negativ verlief. E. erhob gegen den Beschwerdeführer Dienstaufsichtsbeschwerde und meldete den Vorfall auch seiner Gewerkschaft. Auf Antrag von 202 Wahlberechtigten fanden daraufhin am 26., 27., 28. September und 2. Oktober 1978 Teilpersonalversammlungen statt, auf denen sich in geheimen Abstimmungen von 566 wahlberechtigten Beschäftigten 306 für die Abberufung des Beschwerdeführers aus dem Personalrat aussprachen. Der Vorsit

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zende des Personalrats teilte dem Beschwerdeführer am 2. Oktober 1978 mit, daß er mit sofortiger Wirkung aus dem Personalrat ausgeschieden sei.
Der Beschwerdeführer hat bei der Fachkammer für Personalvertretungssachen des Verwaltungsgerichts Bremen beantragt festzustellen, daß er nicht wirksam aus dem Personalrat abberufen worden sei. Hierüber ist noch keine Entscheidung ergangen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnen, daß er bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin als Mitglied des Personalrats anzusehen sei. Er machte geltend, daß seine Abberufung aus dem Personalrat wegen Unvereinbarkeit des § 25 Abs. 1 BremPersVG mit den Rahmenvorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) - BPersVG - offensichtlich ungültig sei und ihm im Hinblick auf die begrenzte Amtszeit und die zu erwartende Dauer des Hauptverfahrens ein nicht wiedergutzumachender Rechtsverlust drohe.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 12. Oktober 1978 den Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Bremen mit Beschluß vom 20. November 1978 zurückgewiesen. In den Gründen seiner Entscheidung hat es ausgeführt: Dem Beschwerdeführer stehe weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund zur Seite. § 25 Abs. 1 Brem- PersVG sei geltendes Recht. Die rahmenrechtliche Regelung des § 102 Abs. 2 BPersVG sei schon nach ihrem Wortlaut nicht abschließend und lasse landesrechtliche Bestimmungen über eine Abberufung von Personalratsmitgliedern durch Mehrheitsbeschluß der Personalversammlung zu. Eine solche Regelung solle gewährleisten, daß jedes Mitglied des Personalrats nur so lange im Amt sei, wie es vom Vertrauen der Mehrheit der Wahlberechtigten getragen werde. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Abberufung aus dem Personalrat seien hier erfüllt. Auf ein pflichtwidriges Verhalten des abgewählten Personalratsmitglieds komme es nicht an. Eine Verletzung von Ver

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fahrensvorschriften, die das Ergebnis der Abstimmungen hätte beeinflussen können, sei nicht glaubhaft. Die Abberufung werde sofort wirksam. Der Feststellungsantrag im Hauptverfahren habe keine aufschiebende Wirkung. Selbst wenn im übrigen der geltend gemachte Feststellungsanspruch bestünde, sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, daß es vorerst bei dem durch die Abwahl geschaffenen Zustand verbleibe.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts Bremen im Eilverfahren und - mittelbar - gegen § 25 Abs. 1 BremPersVG. Er rügt Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 9 Abs. 3 GG. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend: Seine Abberufung aus dem Personalrat sei auf der Grundlage einer mit Bundesrecht unvereinbaren und deshalb nichtigen Vorschrift des Landesrechts erfolgt. Sie greife rechtswidrig in seine allgemeine Handlungsfreiheit ein. Die jederzeit ohne besonderen Anlaß durch Mehrheitsvotum der Personalversammlung mögliche Abwahl einzelner Mitglieder aus dem Personalrat widerspreche den im Bundesrahmenrecht verankerten Grundsätzen der Verhältniswahl und des Minderheiten- und Gruppenschutzes, dem Verbot der Behinderung von Personalratsmitgliedern sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Könnten die als Vertreter einer Gruppe im Wege der Verhältniswahl berufenen Mandatsträger durch die absolute Mehrheit aller Wahlberechtigten wieder abgewählt werden, so hebe dies den durch die Grundsätze der Verhältnis- und Gruppenwahl gesicherten Minderheitenschutz auf. Eine Regelung dieser Art lasse sich auch mit dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie nicht in Einklang bringen, wonach gewählte Mandatsträger für die Dauer ihrer Amtszeit persönlich unabhängig und in ihren Entscheidungen frei und nur ihrem Gewissen unterworfen sein müßten; sie sei Ausdruck eines "volksdemokratischen Rätesystems". § 25 Abs. 1 BremPersVG entspreche schließlich nicht rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, weil die notwendigen Verfahrensregeln, z. B. über

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Wahlbeteiligung und Wahlverfahren, im Gesetz fehlten. Diese Regelungslücke könne nicht von den Gerichten geschlossen werden. Mithin sei ihm durch die Abberufung aus dem Personalrat und die Verweigerung des einstweiligen Rechtsschutzes ein Nachteil auferlegt worden, der in der verfassungsmäßigen Ordnung keine Grundlage finde.
Auch in seinem durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Recht, an der verfassungsrechtliche geschützten Tätigkeit seiner Koalition teilzunehmen, werde er beeinträchtigt. Diese Betätigungsfreiheit werde in ihrem Kern getroffen, wenn ein im Wege der Verhältniswahl in den Personalrat gewähltes Gewerkschaftsmitglied von der Mehrheit der wahlberechtigten Beschäftigten ohne sachlichen Grund jederzeit wieder abberufen werden könne.
Wegen des durch Ablauf der Amtszeit drohenden endgültigen Rechtsverlusts beantragt der Beschwerdeführer, im Wege einer einstweiligen Anordnung festzustellen, daß er bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, hilfsweise bis zur Entscheidung in der Hauptsache, weiterhin als Mitglied des Personalrats anzusehen ist.
4. Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Bremische Bürgerschaft, der Senat der Freien Hansestadt Bremen und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.
a) Für die Bundesregierung hat der Bundesminister des Innern nur zu der Frage Stellung genommen, ob § 25 Abs. 1 BremPersVG mit den Rahmenvorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes im Einklang steht. Er hält die landesrechtliche Vorschrift, die weder im Bundespersonalvertretungsgesetz noch in einem der Landespersonalvertretungsgesetze eine Entsprechung finde, für unvereinbar mit §§ 102 Abs. 2, 98 Abs. 1 und 2 und 107 BPersVG.
Die Rahmenregelung des § 102 Abs. 2 BPersVG sehe die Möglichkeit vor, ein durch Wahl erlangtes, zeitlich begrenztes Mandat bei grober Pflichtverletzung im Wege gerichtlicher Ent

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scheidung vorzeitig zu beenden. Bei Berücksichtigung des den Ländern durch Bundesrecht vorgegebenen umfassenden Schutzes der Personalvertretungen und ihrer Mitglieder vor Behinderungen und Benachteiligungen (§§ 99 Abs. 1, 107 BPersVG), vor Versetzungen und Abordnungen gegen deren Willen (§ 99 Abs. 2 BPersVG) und vor Kündigungen (§§ 108 Abs. 1, 114 Nr. IV BPersVG) sei diese Bestimmung als abschließende Ausnahmevorschrift zu werten. Hätte der Bundesgesetzgeber den Ländern freistellen wollen, daneben noch zusätzliche Bestimmungen über eine Abwahl von Personalratsmitgliedern ohne das Erfordernis einer besonderen Begründung und ohne die Sicherungen eines gerichtlichen Verfahrens zu erlassen, so wäre die Rahmenvorschrift des § 102 Abs. 2 BPersVG ohne innere Logik und überdies auch überflüssig.
Das rahmenrechtliche Gebot der Verhältniswahl gemäß § 98 Abs. 1 BPersVG sichere auch solchen Wahlvorschlägen, die nicht die Mehrheit der Stimmen der Wahlberechtigten auf sich vereinigen könnten, eine Vertretung im Personalrat. Das nach dem Prinzip der Mehrheitswahl ausgestaltete Verfahren gemäß § 25 Abs. 1 BremPersVG könne unter Umständen bis zur Erschöpfung der in der Minderheit gebliebenen Wahlvorschlagslisten wiederholt werden. Dadurch würde der mit dem Verhältniswahlsystem bezweckte Minderheitenschutz im Ergebnis aufgehoben. § 98 Abs. 2 BPersVG schreibe grundsätzlich getrennte Wahlgänge in den Gruppen der Beamten, Angestellten und Arbeiter vor, sofern nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten jeder Gruppe in getrennter geheimer Abstimmung die gemeinsame Wahl beschließe. Damit werde gewährleistet, daß auch zahlenmäßig kleine Gruppen in der Personalvertretung repräsentiert seien. Dieser Schutz kleinerer Gruppen könne mit Hilfe des Abwahlverfahrens ebenfalls zunichte gemacht werden. Sofern § 25 Abs. 1 BremPersVG sicherstellen solle, daß jedes Personalratsmitglied für die gesamte Dauer seines Amtes vom Vertrauen der Mehrheit aller Wahlberechtigten abhänge, stehe gerade diese Zweckbestimmung im Widerspruch zum rahmenrechtlich vor

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geschriebenen Prinzip der Gruppenwahl. Hiernach bedürften Personalratsmitglieder zur Erlangung ihres Mandats nur des Vertrauens der wahlberechtigten Angehörigen ihrer Gruppe.
Schließlich könnten Personalratsmitglieder, die jederzeit und ohne Vorliegen schwerwiegender Gründe abwählbar seien und sich deshalb in ihrer Stellung ständig bedroht fühlen müßten, ihr Mandat nicht unbefangen wahrnehmen. Dies sei mit dem für die Personalvertretungen in den Ländern unmittelbar geltenden Behinderungsverbot nach § 107 BPersVG unvereinbar.
b) Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft hat mitgeteilt, daß unter den Fraktionen unterschiedliche Auffassungen bestünden; von einer Stellungnahme werde deshalb abgesehen.
c) Für den Senat der Freien Hansestadt Bremen hat sich dessen Präsident geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerde wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs für unzulässig. Dem Beschwerdeführer gehe es in erster Linie um die Feststellung, daß ihm die Mitgliedschaft im Personalrat nicht wirksam entzogen worden sei. Er müsse deshalb zunächst die Erledigung des Hauptverfahrens bei den Verwaltungsgerichten abwarten.
In sachlicher Hinsicht stimmt er mit der vom Oberverwaltungsgericht Bremen vertretenen Auffassung überein.
d) Der Personalrat Justizvollzug des Landes Bremen hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. § 25 Abs. 1 PersVG BR sei bei verfassungskonformer und rahmenrechtskonformer Auslegung sowohl mit den Grundprinzipien der demokratischen Ordnung als auch mit dem rahmenrechtlichen Bestimmungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes vereinbar.
Das Prinzip der repräsentativen Demokratie schließe nicht aus, daß in einzelnen Bereichen demokratische Entscheidungen unmittelbar durch direkte Abstimmungen verwirklicht würden. Insbesondere seien Abwahlregelungen der geltenden Rechtsordnung nicht fremd.
§ 102 Abs. 2 BPersVG schaffe keinen Bestandsschutz für Personalräte oder deren einzelne Mitglieder. Der Bundesgesetzgeber habe im Jahre 1974 in Kenntnis der in Bremen seit 1957 gelten

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den Regelung den § 88 des Personalvertretungsgesetzes von 1955 unverändert als § 102 in das neue Bundesgesetz übernommen. Hätte er den Ausschluß aus dem Personalrat durch gerichtliche Entscheidung als abschließende Regelung gemeint, so wäre eine Klarstellung geboten gewesen. Im Gegensatz zu einer Abberufung in einem gerichtlichen Verfahren könne eine Abwahl durch Mißtrauensvotum der Wahlberechtigten auch dann sachgerecht sein, wenn für sie keine Gründe angegeben werden müßten.
Mit der Abwahl nach § 25 Abs. 1 BremPersVG könne zwar der im Verhältniswahlprinzip verankerte Minderheitenschutz - etwa durch Abberufung aller Vertreter eines in der Minderheit gebliebenen Wahlvorschlages - unterlaufen werden. Ein derartiger Mißbrauch zu dem Zweck, die Minderheit aus dem Personalrat auszuschalten, sei aber durch Anrufung der Gerichte zu korrigieren. Die bloße Möglichkeit mißbräuchlicher Ausnutzung der Abwahlbefugnis mache die Norm nicht unwirksam. Selbst wenn die Abberufung das Gruppenwahlergebnis nicht umkehren dürfe und bei rahmenrechtskonformer Auslegung des § 25 Abs. 1 BremPersVG deshalb an der Abwahl nur die Mitglieder derjenigen Gruppe teilnehmen dürften, der das abzuwählende Personalratsmitglied angehöre, sei der Beschwerdeführer hier durch das von diesem Grundsatz abweichende Verfahren nicht in seinen Grundrechten verletzt. Bei Abzug aller von den Angestellten und Arbeitern abgegebenen Stimmen ergebe sich, daß auch die absolute Mehrheit der - jedenfalls stimmberechtigten - Beamten sich für die Abwahl ausgesprochen habe und die Abberufung mithin nicht auf der Teilnahme der Angestellten und Arbeiter an den Abstimmungen beruhe.
Schließlich stelle die Entziehung des Vertrauens durch die Wahlberechtigten keine Behinderung des Personalratsmitglieds dar.
5. Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mitgeteilt, daß § 25 Abs. 1 BremPersVG in der Rechtsprechung dieses Gerichts noch nicht angewandt worden sei; es stünden auch keine damit zusammenhängenden Rechtsfragen zur Entscheidung an.


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II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Letztinstanzliche Entscheidungen in vorläufigen (summarischen) Rechtsschutzverfahren können selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl. BVerfGE 35, 382 [397]; 39, 276 [291]; 42, 163 [167]). Der Rechtsweg in dem gegenüber dem Verfahren in der Hauptsache eigenständigen Verfahren der einstweiligen Verfügung ist hier erschöpft. Gemäß § 70 Abs. 2 BremPersVG i.V.m. §§ 85 Abs. 2, 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts die Rechtsbeschwerde nicht statthaft.
2. Der Beschwerdeführer kann geltend machen, daß die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen, die den beantragten einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofort wirksame Abwahl aus dem Personalrat abgelehnt haben, ihn in seiner grundrechtlich geschützten persönlichen Freiheitssphäre verletzen. Er genießt als gewähltes Mitglied des Personalrats Schutz gegen von außen kommende rechtswidrige Eingriffe in seine Stellung sowie gegen gerichtliche Entscheidungen, die ihm Rechtsschutz gegen solche Eingriffe unter Verkennung seiner Grundrechte versagen und ihn dadurch in der Wahrnehmung seines Mandats ungerechtfertigt beeinträchtigen.
Die Personalvertretung ist innerhalb der Dienststelle Repräsentantin der Gesamtheit der Beschäftigten; sie hat die Aufgabe, die Beteiligung der Beschäftigten an der Regelung des Dienstes und der Dienst- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen und die Interessen der Bediensteten zu vertreten, soweit sie von der Tätigkeit in der Dienststelle berührt werden (vgl. BVerfGE 28, 314 [322]). Sie hat damit zwar auch die Stellung einer in den organisatorischen Aufbau der öffentlichen Verwaltung eingebetteten Institution, die an der internen Willensbildung mitwirkt. Sie ist jedoch keine Behörde oder sonstige unselbständige Stelle der Exekutive, die ausschließlich öffentliche Aufgaben erfüllt. Nach Maßgabe der ihr durch Gesetz übertragenen Befugnisse ist sie als gewähltes Repräsentationsorgan zur Mitbestimmung und

BVerfGE 51, 77 (87):

Mitwirkung in innerdienstlichen, persönlichen und sozialen Angelegenheiten der Beschäftigten berufen (vgl. hierzu näher Dietz- Richardi, Bundespersonalvertretungsgesetz, 1. Band (2. Aufl. 1978), § 1 Rdnr. 50 ff.; Grabendorff-Windscheid-Ilbertz, Bundespersonalvertretungsgesetz (4. Aufl. 1977), § 1 Rdnr. 26 ff.). Zu ihren Aufgaben gehört die Wahrung von Rechten der Beschäftigten gegenüber dem Straat als Dienstherrn (vgl. etwa §§ 67, 68, 105 BPersVG). Damit ist sie den vom Staat jedenfalls distanzierten, dem Lebensbereich der Bürger zugeordneten und der Verwirklichung individueller Grundrechte dienenden Einrichtungen zumindest nahegerückt (vgl. BVerfGE 21, 362 [373 f.]; 45, 63 [79]). Inwieweit sich hieraus Folgerungen für die Grundrechtsfähigkeit der Personalvertretung als solcher ziehen lassen, kann hier offenbleiben (vgl. BVerfGE 28, 314 [323 f.]; Dietz-Richardi, a.a.O. Rdnr. 56 f.). Die Mitgliedschaft im Personalrat, die nicht durch Verleihung seitens des Staates, sondern durch die Wahlentscheidung der Beschäftigten erlangt wird und ohne Bindung an Weisungen und Aufträge in persönlicher Unabhängigkeit eigenverantwortlich als Ehrenamt (§ 39 Abs. 1 BremPersVG; § 100 Abs. 1 BPersVG) wahrzunehmen ist, gehört jedenfalls auch zur persönlichen Rechtsstellung der einzelnen Personalratsmitglieder gegenüber dem Staat (vgl. BVerfGE 15, 298 [302]). Die vorzeitige Abberufung aus einem solchen Ehrenamt bedeutet einen rechtlichen Nachteil, gegen den unter Berufung auf seine durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend geschützte Rechtsstellung sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann wenden kann, wenn er geltend macht, in dieser Rechtsstellung durch eine Maßnahme verletzt zu sein, die auf einer nichtigen Gesetzesvorschrift beruht.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Allerdings ist Art. 9 Abs. 3 GG nicht verletzt. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit sichert dem Einzelnen auch das Recht, an der spezifischen Tätigkeit der Koalition in dem Be

BVerfGE 51, 77 (88):

reich teilzunehmen, der für die Koalition verfassungsrechtlich geschützt ist (vgl. BVerfGE 19, 303 [312]; 28, 295 [304]). Die Wahrnehmung des Personalratsamts im Sinne von § 39 Abs. 1 BremPersVG durch das Mitglied einer Gewerkschaft ist indessen keine Betätigung für seine Koalition (vgl. BVerfGE 28, 314 [323]).
Zwar schützt Art. 9 Abs. 3 GG einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung auch im Personalvertretungswesen (vgl. BVerfGE 19, 303 [319, 321]; 28, 295 [305]). Hierzu gehört insbesondere die Werbung vor Personalratswahlen. Das Gesetz geht davon aus, daß zumindest in den größeren Dienststellen und Verwaltungen die Wahlbewerber überwiegend auf Wahlvorschlagslisten bestimmter Gewerkschaften kandidieren und gewählt werden (vgl. BVerfGE 19, 303 [312 f., 320]). Sie werden durch die Wahrnehmung von Aufgaben der Personalvertretung in der Betätigung für ihre Gewerkschaft auch in der Dienststelle nicht beschränkt (vgl. § 67 Abs. 2 BPersVG). Auch im übrigen sind den Gewerkschaften wichtige Befugnisse in bezug auf die Personalvertretung eingeräumt (vgl. BVerfGE 19, 303 [312 f.]). Auf der anderen Seite ist der Personalrat und auch jedes seiner Mitglieder - einmal gewählt - Repräsentant aller Beschäftigten, auch soweit diese nicht oder in anderen Gewerkschaften organisiert sind (vgl. BVerfGE 28, 295 [308]). Die Mitglieder der Personalvertretungen haben sich so zu verhalten, daß das Vertrauen der Beschäftigten in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung nicht beeinträchtigt wird; sie müssen jede Bevorzugung und Benachteiligung von Beschäftigten wegen ihrer gewerkschaftlichen Einstellung unterlassen und sich für die Wahrung der Vereinigungsfreiheit der Beschäftigten einsetzen (§§ 67 Abs. 1 und 3, 105 BPersVG). Wenn sie daneben für die Ziele ihrer Gewerkschaft arbeiten, so geschieht dies in Ausübung des ihnen weiterhin zustehenden persönlichen Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG, nicht hingegen in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Personalrats (vgl. BVerfGE 28, 295 [307 f.]; 28, 314 [323]).


BVerfGE 51, 77 (89):

Die Aufgaben der Koalition werden durch das Personalvertretungsrecht nicht berührt (§§ 2 Abs. 3, 96 BPersVG). Art. 9 Abs. 3 GG schließt zwar Regelungen über die Beteiligung von gewählten Vertretungen der Belegschaft an der Regelung von innerdienstlichen, persönlichen und sozialen Angelegenheiten der Beschäftigten nicht aus (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 u. a. -, EuGRZ 1979, S. 121 [142]). Dies bedeutet aber nicht, daß die Einrichtung solcher Vertretungen und ihre Tätigkeit für die Belange der Beschäftigten sowie die Rechtsstellung der einzelnen Mitglieder der Vertretung ihrerseits in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG einbezogen sind. Die Personalvertretungen werden zur Wahrung der Rechte und Interessen aller in der Dienststelle Beschäftigten, aber nicht zur Unterstützung der spezifischen Ziele der Koalitionen tätig (vgl. BVerfGE 28, 314 [323]).
2. Die Abberufung aus dem Personalrat und die Versagung des hiergegen beantragten einstweiligen Rechtsschutzes durch die angegriffenen Entscheidungen greifen ohne rechtfertigenden Grund in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Rechtssphäre des Beschwerdeführers ein; denn § 25 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. f BremPersVG ist insoweit, als er die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder durch Beschluß der absoluten Mehrheit der Wahlberechtigten zuläßt, mit dem Bundesrahmenrecht unvereinbar und deshalb nichtig.
a) Das Bremische Personalvertretungsgesetz vom 5. März 1974 ist nach seinem § 74 Abs. 1 am Tage nach seiner Verkündung, also am 20. März 1974, in Kraft getreten. Das Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. März 1974 ist erst seit dem 1. April 1974 in Kraft (§ 119 BPersVG). Bis dahin galt noch das Personalvertretungsgesetz vom 5. August 1955 (BGBl. I S. 477) - PersVG 1955 -. Es enthielt, ebenso wie das zur Zeit geltende Bundespersonalvertretungsgesetz, in seinem Zweiten Teil (§§ 82-95) Vorschriften über die Personalvertretun

BVerfGE 51, 77 (90):

gen in den Ländern. § 88 PersVG 1955 lautete - wortgleich mit § 102 BPersVG - wie folgt:
    (1) Die Personalvertretungen sind in angemessenen Zeitabständen neu zu wählen.
    (2) Die Personalvertretungen können wegen grober Vernachlässigung ihrer gesetzlichen Befugnisse oder wegen grober Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten durch gerichtliche Entscheidung aufgelöst werden. Das gleiche gilt für den Ausschluß einzelner Mitglieder.
Dieser Regelung, die sich auf die Rahmengesetzgebungszuständigkeit des Bundes gemäß Art. 75 Nr. 1 GG stützt (vgl. BVerfGE 7, 120 [127]), widerspricht § 25 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. f BremPersVG jedenfalls insoweit, als er die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder regelt. In dem bezeichneten Umfang ist die landesrechtliche Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit den Vorschriften des Zweiten Teils des Personalvertretungsgesetzes 1955 von vornherein nicht wirksam geworden (Art. 31 GG) und auch mit den Bestimmungen des Zweiten Teils des Bundespersonalvertretungsgesetzes von 1974 unvereinbar.
§ 102 Abs. 2 BPersVG (§ 88 Abs. 2 PersVG 1955) scheint nach seinem Wortlaut und für sich gesehen Regelungen in den Ländern über eine Beendigung des Mandats durch Abwahl zuzulassen, sofern nur sichergestellt ist, daß für den Fall der groben Vernachlässigung der gesetzlichen Befugnisse oder der groben Verletzung der gesetzlichen Pflichten der Ausschluß einzelner Personalratsmitglieder durch gerichtliche Entscheidung erfolgen kann (so auch Fischer-Goeres in: Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band V, Teil 1, § 28 Rdnr. 53; Grabendorff-Windscheid-Ilbertz, § 102 Rdnr. 4; a.A. aber Dietz-Richardi, 2. Band (2. Aufl. 1978), § 102 Rdnr. 6; Fitting- Heyer-Lorenzen, Personalvertretungsgesetz (3. Aufl. 1964), § 88 Rdnr. 2). Die Norm muß jedoch im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen des Bundesrahmenrechts und den darin niedergelegten tragenden Grundprinzipien des

BVerfGE 51, 77 (91):

Personalvertretungsrechts in Bund und Ländern ausgelegt werden.
Nach § 98 Abs. 1 BPersVG (§ 84 Abs. 1 PersVG 1955) werden die Personalvertretungen in geheimer und unmittelbarer Wahl und bei Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Beamte, Angestellte und Arbeiter wählen die Vertreter ihrer Gruppe nach § 98 Abs. 2 BPersVG (§ 84 Abs. 2 PersVG 1955) in getrennten Wahlgängen, sofern nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten jeder Gruppe in getrennter geheimer Abstimmung die gemeinsame Wahl beschließt. Über Angelegenheiten, die nur die Angehörigen einer Gruppe betreffen, kann die Personalvertretung nicht gegen den Willen dieser Gruppe beschließen (§ 98 Abs. 3 BPersVG; § 84 Abs. 3 PersVG 1955). In diesen Vorschriften kommt das für das Personalvertretungsrecht in Bund und Ländern gleichermaßen verbindliche Gruppenprinzip zum Ausdruck. § 25 Abs. 1 BremPersVG gewährleistet für die Abwahl einzelner Personalratsmitglieder weder den Gruppenschutz noch den im Grundsatz der Verhältniswahl verankerten Minderheitenschutz. Die Abberufung als actus contrarius zur Wahl soll vielmehr wirksam sein, wenn sich die absolute "Mehrheit der Wahlberechtigten" für sie ausspricht. Insoweit ist die Vorschrift angesichts ihres klaren Wortlauts keiner "bundesrechtskonformen" Auslegung zugänglich (vgl. BVerfGE 18, 97 [111]). Jedes Personalratsmitglied soll nur so lange sein Mandat behalten, wie es das Vertrauen der Mehrheit aller Beschäftigten genießt. Der Fortbestand des durch die Wahl erlangten Mandats ist damit auch vom Willen solcher Beschäftigter abhängig, welche die Wahl nicht mitgetragen haben. Dies ist mit den den Ländern rahmenrechtlich vorgegebenen Wahlrechtsgrundsätzen unvereinbar.
Die Personalvertretungen, aber auch ihre einzelnen Mitglieder, haben darauf hinzuwirken, daß die zugunsten der Beschäftigten geltenden Vorschriften und Bestimmungen durchgeführt werden (§ 103 BPersVG; § 89 PersVG 1955). Sie haben für eine

BVerfGE 51, 77 (92):

sachliche und gerechte Behandlung der Angelegenheiten der Beschäftigten zu sorgen und dürfen keinen Beschäftigten aus unsachlichen Gründen, insbesondere nicht wegen seiner politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung, bevorzugen oder benachteiligen (§ 105 Satz 1 und 2 BPersVG; § 91 PersVG 1955). Diesen Pflichten kann ein Personalratsmitglied nur dann in vollem Umfang gerecht werden, wenn es sein Amt nicht als einseitige Interessenvertretung auffaßt, sondern in persönlicher Unabhängigkeit ohne Bindung an Weisungen und Aufträge ausübt. Hierfür genießt es besonderen Schutz durch das Behinderungsverbot (§§ 99, 107 BPersVG; § 85 PersVG 1955). Muß ein Mitglied der Personalvertretung gewärtigen, daß es während der laufenden Wahlperiode jederzeit ohne besonderen Grund abberufen werden kann, so kann es seine Aufgabe nicht unabhängig und mit der gebotenen Objektivität und Neutralität erfüllen. Die Möglichkeit der Abberufung einzelner Personalratsmitglieder durch Mehrheitsbeschluß der Personalversammlung läßt sich auch insoweit mit dem Bundesrahmenrecht nicht in Einklang bringen.
Die historische Entwicklung, die zu dem heute geltenden Personalvertretungsrecht geführt hat, bestätigt diese Auslegung (vgl. BVerfGE 1, 299 [312]). Im Entwurf eines Gesetzes über Betriebsräte (vgl. Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 1919/20, Anlage Nr. 928) war zunächst auch eine Regelung enthalten über das Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat aufgrund einer geheimen Abstimmung derjenigen Gruppe der Betriebsversammlung, welcher der Gewählte angehört; erforderlich war außerdem eine besonders qualifizierte Mehrheit (vgl. § 26 Abs. 1 des Entwurfs). Bereits in der ersten Beratung des Gesetzentwurfs wurden hiergegen Bedenken erhoben, weil eine solche vorzeitige Abberufung durch Mißtrauensvotum der Belegschaft vernünftige Arbeiter davon abhalten könne, überhaupt ein Betriebsratsamt zu übernehmen, und die Betriebsratsmitglieder zu "geschobenen Kreaturen" mache, die im Konfliktsfall nicht mehr die Interessen der

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gesamten Belegschaft oder des Betriebes wahrnehmen könnten (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung, 85. Sitzung am 21. August 1919, S. 2727 D; 2735 C, 2746 B). Die Bestimmung wurde in den Beratungen des Ausschusses für soziale Angelegenheiten gestrichen (vgl. Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 1838, S. 1909 f., 1951). § 39 Abs. 2 des Betriebsrätegesetzes vom 4. Februar 1920 (RGBl. S. 147) sah lediglich vor, daß der Bezirkswirtschaftsrat oder, solange ein solcher nicht bestand, der Schlichtungsausschuß auf Antrag des Arbeitgebers oder von mindestens einem Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer das Erlöschen der Mitgliedschaft eines Vertreters im Betriebsrat wegen gröblicher Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beschließen konnte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952 (BGBl. I S. 681) - BetrVG 1952 - sah von vornherein die Auflösung des Betriebsrats und die Enthebung einzelner Betriebsratsmitglieder nur wegen grober Pflichtverletzung durch Beschluß des Arbeitsgerichts vor. Die in manchen nach 1945 erlassenen Landesgesetzen vorgesehene Enthebung des Betriebsrats durch Abstimmung der Belegschaft wurde bewußt nicht übernommen, weil die Beunruhigung der sachlichen Betriebsratstätigkeit durch derartige, oft voreilige Abstimmungen vermieden werden sollte (vgl. BTDrucks. I/1546, S. 9 f., 45). Im Ausschuß für Arbeit wurde eine Abberufung einzelner Betriebsratsmitglieder durch Mißtrauensvotum auch deswegen für bedenklich angesehen, weil die Mehrheit der Arbeitnehmer auf diesem Wege Vertreter von Minderheiten ausschalten könnte (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT- Drucks. I/3585, S. 6). Der Entwurf des Personalvertretungsgesetzes enthielt im Ersten Teil als § 25 eine an § 23 BetrVG 1952 angelehnte Vorschrift. In der Begründung des Entwurfs heißt es hierzu, die Feststellung der Voraussetzungen für den Ausschluß eines Personalratsmitglieds müsse durch ein Gericht erfolgen (vgl. BTDrucks. II/160, S. 5, 16 [zu § 25]). § 25

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sollte zunächst auch für die Gesetzgebung in den Ländern als Rahmenvorschrift gelten (vgl. § 82 Abs. 2 des Entwurfs). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Rahmenregelung wurde aber als zu weitgehend angesehen (vgl. den Schriftlichen Bericht des Unterausschusses Personalvertretung, BT- Drucks. II/1189, S. 12). Der Unterausschuß hat statt dessen einzeln ausformulierte Rahmenvorschriften beschlossen (a.a.O. S. 27 ff.), darunter einen § 88, der mit Ausnahme eines hier nicht einschlägigen und im Vermittlungsausschuß gestrichenen Absatzes 3 (vgl. BTDrucks. II/1605, S. 3) dem § 88 PersVG 1955 entspricht und heute unverändert als § 102 BPersVG gilt.
Diese Entwicklung spricht eindeutig dagegen, daß der Bundesgesetzgeber den Ländern die mit der bisherigen Rechtstradition und den Grundprinzipien des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts nicht in Einklang zu bringende Befugnis belassen haben könnte, in ihrem Bereich die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder durch Mißtrauensvotum der Mehrheit aller wahlberechtigten Beschäftigten vorzusehen. Nachdem die in § 17 Abs. 1 des Schleswig-Holsteinischen Personalvertretungsgesetzes i.d.F. vom 14. November 1969 (GVBl. S. 225) noch vorgesehene Möglichkeit, den Ausschluß eines Mitglieds der Gruppenvertretung mit Zwei-Drittel Mehrheit der wahlberechtigten Gruppenmitglieder zu beschließen, in § 23 des Schleswig- Holsteinischen Personalvertretungsgesetzes vom 17. Januar 1974 (GVBl. S. 3) nicht mehr enthalten ist, findet § 25 Abs. 1 BremPersVG in keinem anderen Landesgesetz eine Entsprechung.
§ 25 Abs. 1 BremPersVG knüpft an § 24 des Bremischen Betriebsrätegesetzes vom 10. Januar 1949 (GBl. S. 7) an. Dort war die Abberufung einzelner Betriebsratsmitglieder durch Mehrheitsbeschluß der Belegschaft wegen grober Pflichtverletzung vorgesehen. Die Vorschrift ist Ausdruck des Rätegedankens und rückt das Mandat des Personalrats in die Nähe des imperativen Mandats. Politische Vorstellungen dieser Art haben jedoch in das Personalvertretungsrecht des Bundes keinen Ein

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gang gefunden. Ihm liegt nach seinem Gesamtzusammenhang vielmehr die Idee der Repräsentation zugrunde. Aus alledem folgt, daß ein einzelnes Personalratsmitglied während der laufenden Wahlperiode nur wegen grober Pflichtverletzung oder wegen grober Vernachlässigung seiner gesetzlichen Befugnisse und nur aufgrund einer Entscheidung eines Gerichts aus dem Personalrat entfernt werden kann, § 102 Abs. 2 BPersVG (§ 88 Abs. 2 PersVG 1955) also insoweit für die Länder abschließenden Charakter hat.
Mit diesem Inhalt hält sich die Norm innerhalb der dem Rahmengesetzgeber gezogenen Grenzen. Die Rahmenvorschriften des Bundes verlieren nicht den Charakter einer insgesamt auf Ausfüllung durch den Landesgesetzgeber angelegten Regelung (vgl. BVerfGE 4, 115 [129 f.]; 9, 268 [288]; 43, 291 [343]).
b) Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf der Anwendung des jedenfalls teilweise mit Bundesrecht unvereinbaren und deshalb nichtigen § 25 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. f Brem- PersVG. Sie belasten den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend geschützten persönlichen Handlungs- und Entfaltungsfreiheit mit einem Nachteil, der nicht in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung begründet ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [36 ff.]; 7, 111 [119]; 9, 83 [88]; 42, 20 [27 f.]).
Die Fachgerichte haben gemäß § 70 Abs. 1 BremPersVG den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Kontrolle der Abberufung aus dem Personalrat und nach § 70 Abs. 2 Brem- PersVG i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG auch den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung als zulässig angesehen. Sie haben dem Hauptantrag keine aufschiebende Wirkung in bezug auf die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers im Personalrat beigemessen. Insoweit handelt es sich um die Anwendung von Vorschriften des einfachen Rechts, die der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen ist. Die Versagung des beantragten einstweiligen Rechtsschutzes geht aber zu Unrecht davon aus, daß § 25 Abs. 1 BremPersVG geltendes Recht

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sei und die Abberufung einzelner Personalratsmitglieder erlaube und daß dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf vorläufige Sicherung seiner Mitgliedschaft im Personalrat zustehe. Insoweit verkennen die angegriffenen Entscheidungen Gewicht und Bedeutung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG.
IV.
1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts Bremen waren aufzuheben; die Sache mußte an das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen zurückverwiesen werden. Die aufgehobenen Entscheidungen beruhen auf einer mit Bundesrecht unvereinbaren, nach Art. 31 GG nichtigen und in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG eingreifenden Norm des Landesrechts. § 25 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. f BremPersVG war deshalb gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG insoweit für nichtig zu erklären, als in diesen Vorschriften das Erlöschen der Mitgliedschaft eines einzelnen Personalratsmitglieds im Personalrat durch Abberufung geregelt ist. Ob die in § 25 Abs. 1 BremPersVG geregelte Abberufung des gesamten Personalrats durch die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten ebenfalls mit Bundesrecht unvereinbar ist, ist nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung in diesem Verfahren.
2. Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist die Freie Hansestadt Bremen, der die erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.
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