BVerfGE 44, 353 - Durchsuchung Drogenberatungsstelle


BVerfGE 44, 353 (353):

1. Das Grundrecht des Trägers einer im Sinne des § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB öffentlich-rechtlich anerkannten Suchtkrankenberatungsstelle aus Art. 2 Abs. 1 GG und die Grundrechte ihrer Klienten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind verletzt, wenn durch die Beschlagnahme von Klientenakten die Belange der Gesundheitsfürsorge in einem solchen Maße beeinträchtigt werden, daß der

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durch den Eingriff verursachte Schaden außer Verhältnis zu dem mit der Beschlagnahme angestrebten und erreichbaren Erfolg steht.
2. Die Beschlagnahme solcher Akten verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie sich lediglich auf den allgemeinen Verdacht stützt, daß sich Klienten der Beratungsstelle durch Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln strafbar gemacht und solche Mittel illegal bezogen haben.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 24. Mai 1977
- 2 BvR 988/75 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Caritasverbandes für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land e.V., vertreten durch Pfarrer Josef G .. und Pfarrer Ferdinand L..., 2. des Pfarrers G..., 3. des Professors Dipl.-Psych. G..., 4. der Frau G..., der Frau K..., 6. der Frau K..., 7. des Herrn R... - Bevollmächtigter: Prof. Dr. Karl Peters, Kleinmannstraße 2/3, Münster i.W. - gegen a) den Beschluß des Landgerichts Aachen vom 7. November 1975 - 15 Qs 32/75 -, b) den Beschluß des Amtsgerichts Aachen vom 29. Oktober 1975 - 41 Gs 3446/75 -, c) den Beschluß des Amtsgerichts Aachen vom 16. Oktober 1975 - 41 Gs 3313/75 - und die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsformel:
1. Der Beschluß des Amtsgerichts Aachen vom 16. Oktober 1975 - 41 Gs 3313/75 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Artikel 13 Absatz 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
2. Der Beschluß des Amtsgerichts Aachen vom 29. Oktober 1975 - 41 Gs 3446/75 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes und die Grundrechte der Beschwerdeführer zu 4) bis 7) aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Soweit das Landgericht Aachen die Beschwerde gegen diese Entscheidung verworfen hat, verletzt auch sein Beschluß vom 7. November 1975 - 15 Qs 32/75 - die genannten Grundrechte; er wird aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung

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über die Kosten des Beschwerdeverfahrens 15 Qs 32/75 an das Landgericht Aachen zurückverwiesen.
3. Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden verworfen.
4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern zu 1) und 4) bis 7) die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Durchsuchung von Räumen einer Drogenberatungsstelle der Caritas und die Beschlagnahme dort vorgefundener Unterlagen im Rahmen eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens.
I.
1. Der Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land e. V. (Beschwerdeführer zu 1), dessen Erster Vorsitzender Pfarrer G ... ist (Beschwerdeführer zu 2) unterhält in Aachen eine Suchtkrankenberatungsstelle, die von Professor G. geleitet wird (Beschwerdeführer zu 3). Die Beratungsstelle ist von Bund und Land als Modelleinrichtung anerkannt und erhält Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln (vgl. Gemeinsamer Runderlaß der zuständigen Minister des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1973 [MBl. NW S. 167]). Ihr Mitarbeiterbestand umfaßte 1975 25 Personen, darunter als hauptamtliche Mitarbeiter 2 Diplompsychologen und 5 Sozialarbeiter. Sie verfügt über eine "Teestube" und weitere Räumlichkeiten. Ihr Ziel ist es, einerseits dem Drogenmißbrauch vorzubeugen, andererseits die bereits Abhängigen von ihrer Sucht zu befreien. Dazu bietet sie eine Reihe von Hilfen an, zu denen vor allem ambulante Beratung und Behandlung gehören. Die "Teestube" dient als Kontaktzentrum, in dem sich Jugendliche an mehreren Abenden der Woche treffen und Mitarbeitern der Beratungsstelle begegnen. Auf diese Weise soll der Weg zur Beratung und Behandlung geebnet werden. Die Beratungsstelle legt für jeden Klienten eine Akte an, die Aufzeichnungen des Beraters über Ge

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spräche, Tests und therapeutische Maßnahmen, aber auch eigene Äußerungen des Klienten enthält. Ein vom Klienten auszufüllender "Problemfragebogen" verlangt Angaben über eine Vielzahl persönlicher Umstände. Für alle Angaben sichert die Beratungsstelle dem Klienten Vertraulichkeit und Verschwiegenheit zu.
2. Die Staatsanwaltschaft Aachen erhielt Anfang 1975 mehrere Hinweise, die im Zusammenhang mit dem Verdacht strafbaren Rauschgifthandels die Drogenberatungsstelle ins Blickfeld rückten. Insbesondere ergab sich aus dem Jahresbericht der Beratungsstelle für 1974, daß Drogenhändler immer wieder versuchten, in der "Teestube" Rauschgift abzusetzen. Daraufhin ließ der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft den Jahresbericht unter der Bezeichnung "Betr. Drogenberatungsstelle" ins Allgemeine Register eintragen, verschaffte sich einen Überblick über die in Nordrhein-Westfalen vorhandenen Drogenberatungsstellen und bat andere Staatsanwaltschaften um Mitteilung ihrer Erfahrungen.
Am 2. Oktober 1975 gestand der Erwerbslose S ... bei der Kriminalpolizei, in Aachen wiederholt Heroin verkauft und seine Geschäfte auch am Eingang der zur Drogenberatungsstelle gehörenden "Teestube" abgewickelt zu haben. Kurz darauf wurde der Vorgang "Betr. Drogenberatungsstelle" in das Register für Strafsachen eingetragen; das auf dem Aktendeckel verzeichnete Rubrum erfuhr jedoch zunächst keine Änderung.
a) Am 16. Oktober 1975 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akten dem Amtsgericht mit dem Antrag, "gemäß §§ 102, 103, 105 StPO" die Durchsuchung der Drogenberatungsstelle anzuordnen. Nach dem Ermittlungsergebnis sei zu vermuten, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Bei der Beratungsstelle gebe es anscheinend eine "Kartei" über Drogenabhängige, die sich durch Drogenerwerb strafbar machten. Außerdem seien Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß in der Beratungsstelle selbst Drogenhandel betrieben werde. Das folge insbesondere aus den Angaben des S ... Da

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her stehe im Fall der Durchsuchung zu erwarten, daß Rauschgifthändler ermittelt würden.
Daraufhin erließ das Amtsgericht Aachen am 16. Oktober 1975 folgenden Beschluß:
    "In dem Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der Drogenberatungsstelle in Aachen, Pontstr. 85 wegen Verdachts des BTM-Vergehens wird gemäß §§ 102, 103, 105 StPO die Durchsuchung der Räume der Drogenberatungsstelle in Aachen, Pontstr. 85 angeordnet, da zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird".
Am Abend des 24. Oktober 1975 fand die Durchsuchung statt. Sie begann um 20 Uhr und endete zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach 21 Uhr. Gleichzeitig wurde eine polizeiliche Razzia vorgenommen. An diesen Maßnahmen beteiligten sich 3 Staatsanwälte und 50 Polizeibeamte. Das Haus Pontstraße 85 wurde von der Straße her abgeriegelt. Polizeibeamte unterzogen die in der "Teestube" Anwesenden einer Identitätskontrolle und untersuchten ihre Kleidung und Habe. Dabei wurden geringe Mengen an Rauschgift und einige zugehörige Gerätschaften sichergestellt. Diese Funde gaben Anlaß zur Einleitung von 7 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Durchsuchung der weiteren Räume führte zur Sicherstellung von 2 Karteikästen mit Klientennamen und 250 Schnellheftern mit Klientenakten.
b) Am 27. Oktober 1975 machte der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft aktenkundig, daß sich "weitere begründete Anhaltspunkte für strafbare Handlungen durch Verantwortliche der Drogenberatung" nicht ergeben hätten. Dagegen sei der Tatverdacht gegen S ... hinreichend konkretisiert. Der Verdacht gegen die "weiteren Beschuldigten" ergebe sich aus den sichergestellten Unterlagen der Beratungsstelle. Gleichzeitig wurde die

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Verfahrensbezeichnung geändert; sie lautete von nun an "gegen S. u. a. wegen BTM-Vergehens".
Am 29. Oktober 1975 gab der Staatsanwalt die 2 Karteikästen und 119 Schnellhefter frei. Zugleich beantragte er bei dem Amtsgericht, die Beschlagnahme der übrigen Schnellhefter anzuordnen. Die Schriftstücke beträfen "drogenabhängige Personen, die sich jeweils fortgesetzt handelnd eines Betäubungsmittelvergehens in Form des Erwerbs schuldig gemacht haben dürften".
Daraufhin erließ das Amtsgericht Aachen am 29. Oktober 1975 folgenden Beschluß:
    "In dem Ermittlungsverfahren gegen ... S.... und andere wegen BTM-Vergehens wird gemäß §§ 94, 98 StPO die Beschlagnahme der beigefügten 130 Schnellhefter, ..., angeordnet. Die Beschlagnahme ist zulässig, da sich aus den Schriftstücken ergibt, daß die in ihnen bezeichneten Personen sich fortgesetzt handelnd eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht haben dürften".
Von den beschlagnahmten Schnellheftern betrafen 4 die Klienten G ..., K ..., K ... und R ... (Beschwerdeführer zu 4) bis 7). Aufgrund der Hinweise, die sich aus den beschlagnahmten Akten ergaben, leitete die Staatsanwaltschaft gegen 35 Klienten, darunter auch G ... und K ... Ermittlungsverfahren wegen strafbaren Rauschgifterwerbs ein. Danach gab sie die durchgesehenen und teilweise fotokopierten Akten frei. Auf ihren Antrag hob das Amtsgericht Aachen durch Beschluß vom 3. November 1975 die Beschlagnahmeanordnung wieder auf.
c) "Gegen den die Durchsuchung der Drogenberatungsstelle in Aachen anordnenden Beschluß des Amtsgerichts ... und gegen den Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichts" legte Pfarrer G ... als Erster Vorsitzender des Caritasverbandes Beschwerde ein, mit der er beantragte, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben, die Verwertung der beschlagnahmten Unterlagen für unzulässig zu erklären und die Herausgabe oder

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Vernichtung von Ablichtungen oder Abschriften dieser Unterlagen anzuordnen bzw. die Herausgabepflicht der Staatsanwaltschaft festzustellen. Das Landgericht verwarf die Beschwerde durch Beschluß vom 7. November 1975 und überbürdete dem Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen. Zur Begründung führte es aus:
Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbefehl sei unzulässig, da die Durchsuchung bereits stattgefunden habe. Die Beschwerde gegen die Beschlagnahmeanordnung sei unbegründet, die Beschlagnahme rechtmäßig. Die beschlagnahmten Unterlagen könnten im Verfahren gegen die Drogenkonsumenten als Beweismittel von Bedeutung sein, weil sie Angaben über Drogengenuß und -erwerb enthielten.
Ein Beschlagnahmeverbot greife nicht ein. Insbesondere seien die Klientenakten nicht nach § 97 in Verbindung mit § 53 StPO von der Beschlagnahme freigestellt. Denn die Mitarbeiter der Beratungsstelle gehörten nicht zum Kreis der Personen, denen im Strafprozeß ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Die erschöpfende Aufzählung der Berechtigten in § 53 StPO lasse eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift nicht zu.
Auch unmittelbar aus der Verfassung ergebe sich hier kein Beschlagnahmeverbot. Die Aktenbeschlagnahme verletze die betroffenen Klienten nicht in ihren Grundrechten. Art. 1 und 2 GG verbürgten zwar den Schutz der Intimsphäre; jedoch müsse jedermann als gemeinschaftsgebundener Bürger solche staatlichen Maßnahmen hinnehmen, die - unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots - im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit getroffen würden (BVerfGE 33, 367 [377]). Nach diesen Maßstäben sei die Beschlagnahme rechtmäßig. Die Allgemeinheit habe ein schutzwürdiges Interesse an der Verfolgung von Rauschgiftvergehen, insbesondere an der Ermittlung und Bestrafung der Händler. Die Aufklärung dieser Straftaten begegne in der Regel erheblichen Schwierigkeiten. Hinweise auf Händler seien erfahrungsgemäß meist nur durch

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Konsumenten zu erlangen. Ohne Ermittlung der Konsumenten sei die Bekämpfung der schweren Rauschgiftkriminalität weitgehend in Frage gestellt. Nicht zuletzt deshalb stehe die "strafrechtliche Verfolgung des Rauschgiftkonsums" mit der Verfassung in Einklang. Mitteilungen, die Konsumenten über ihren Drogenverbrauch machten, seien stets zugleich Äußerungen über von ihnen begangene Straftaten. Es bestehe kein Anlaß, solche Mitteilungen allgemein der geschützten Intimsphäre zuzuordnen. Insbesondere sei es nicht von Verfassungs wegen geboten, generell ein Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Beratungsstellen und ein entsprechendes Verbot der Beschlagnahme ihrer Unterlagen anzunehmen. Das gehe schon deshalb nicht an, weil - wie auch der vorliegende Fall wieder zeige - der Rauschgifthandel in einer zur Beratungsstelle gehörenden "Teestube" nicht zu verhindern sei und diese - ungewollt - sogar einen Anziehungspunkt für Händler darstellen könne. Nur die Strafverfolgungsbehörden seien imstande, gegen diese Gefahren ausreichenden Schutz zu bieten.
II.
Die am 30. November 1975 eingegangenen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen den Durchsuchungsbefehl und die Beschlagnahmeanordnung sowie die sie bestätigende Entscheidung des Landgerichts. Sie gelten außerdem der polizeilichen Razzia, die - wie die Beschwerdeführer meinen - "unter dem Schutz und der Decke" des Durchsuchungsbefehls durchgeführt worden sei, sowie der Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung. Die Beschwerdeführer beantragen, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die beschlagnahmten Unterlagen "nicht auszuwerten sowie die angefertigten Kopien und die in ihrer Verwertung angelegten Akten zu vernichten".
Außerdem haben die Beschwerdeführer den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt, später jedoch erklärt, daß dieser Antrag bis auf weiteres ruhen solle.
In der Sache machen sie geltend, der Durchsuchungsbefehl

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verstoße gegen Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, da sein Inhalt nicht hinreichend bestimmt sei (BVerfGE 42, 212). Dies gelte insbesondere für die Bezeichnung der Beschuldigten, des Tatvorwurfs und der gesuchten Beweismittel. Auch habe gegen Mitarbeiter der Beratungsstelle kein Tatverdacht bestanden. Darüber hinaus widerspreche es dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), daß weder dem Bischof noch dem Verband noch seinen Mitarbeitern Gelegenheit zu vorheriger Äußerung gegeben worden sei.
Die Durchsuchung selbst habe sich, was den Zeitpunkt ihrer Durchführung angehe, nicht innerhalb der Grenzen gehalten, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ziehe. Sie habe entgegen § 104 StPO erst so spät begonnen, daß mit ihrem Abschluß vor Anbruch der Nacht (21 Uhr) nicht zu rechnen gewesen sei.
Auch die Razzia sei unter Verstoß gegen jenen Grundsatz durchgeführt worden. Das große Polizeiaufgebot und die Straßenabsperrung hätten den unzutreffenden Eindruck erweckt, als gehe es um die Aufklärung schwerer Straftaten.
Das Amtsgericht hätte die Beschlagnahme nicht anordnen dürfen, ohne zuvor eine Stellungnahme des Caritasverbandes einzuholen, dessen Anhörungsrecht sich schon aus § 96 und § 33 Abs. 3 StPO ergebe. Sie beeinträchtige die Beschwerdeführer, insbesondere den Verband und seine Mitarbeiter, in ihrer Gewissens- und Religionsfreiheit. Es liege nahe, den Mitarbeitern der Beratungsstelle unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 GG ein Zeugnisverweigerungsrecht zu gewähren, das zugleich Schutz gegen Durchsuchungen und Beschlagnahmen biete. Jedenfalls aber sei die Drogenberatung des Caritasverbandes als "Religionsausübung" im Sinne des Art. 4 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Die Beratungsstelle nehme eine kirchliche Aufgabe wahr. Sie werde im Auftrag des Bischofs tätig und erfülle dessen caritative Pflichten. Seit jeher sei die Liebestätigkeit ein zentrales Anliegen der Kirche. Der Schutz der Religionsausübung beschränke sich nicht auf den kultischen Bereich. Betende und wirkende Kirche seien eine untrennbare Einheit. Die Beschlag

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nahme treffe die caritative Verbandstätigkeit in ihrem Kern und beeinträchtige damit den religiösen Vollzug. Darüber hinaus verletze die Maßnahme sowohl die Mitarbeiter der Beratungsstelle als auch deren Klienten in ihrem Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Die Mitarbeiter legten in die Arbeit am Suchtkranken ihre persönlichen Kräfte hinein. Die Klienten vertrauten sich ihnen an, um Hilfe zu finden. Aus den Klientenakten seien ihre Gespräche mit den Beratern, die Tests, ihre eigenen Angaben und die angewendeten Therapien ersichtlich. Diese Umstände bedürften der Geheimhaltung.
Auch aus den Vorschriften der Strafprozeßordnung ergebe sich im vorliegenden Fall ein Beschlagnahmeverbot. Der Schutz, der den Beratungs- und Begutachtungsstellen auf dem Gebiete der Schwangerenhilfe gewährt werde (§§ 97 Abs. 2 Satz 2, 53 Abs. 1 Nr. 3 a StPO), müsse den anerkannten Suchtkrankenberatungsstellen gleichfalls zugute kommen; denn hier wie dort sei Hilfe nur bei völliger Vertraulichkeit möglich. Noch unter anderen Gesichtspunkten stehe den Mitarbeitern solcher Beratungsstellen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, das zu einer entsprechenden Beschränkung der Beschlagnahme führe (§ 97 StPO). Als Berufsgehilfen des Bischofs, des dem Verband vorstehenden Geistlichen und der jeweils behandelnden Ärzte hätten sie teil an deren Befugnis, die Aussage zu verweigern (§ 53 a StPO). Außerdem sei ihnen für den Bereich der ambulanten Behandlung ihrer Klienten analog § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein selbständiges Zeugnisverweigerungsrecht zuzuerkennen, da sie - ebenso wie Ärzte - therapeutische Aufgaben erfüllten, die sich ohne Verschwiegenheit nicht bewältigen ließen.
Schließlich verstoße die Beschlagnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie beruhe auf einer fehlerhaften Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen. Beachtung verlangten nicht nur die Belange der Strafrechtspflege, sondern auch die nach dem Sozialstaatsgedanken notwendige Hilfe für Suchtkranke und Suchtgefährdete. Dem Interesse an der Aufklä

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rung von Rauschgiftdelikten stehe das Anliegen gegenüber, die mühsam aufgebauten Vertrauensverhältnisse zwischen den Beratern und ihren Klienten zu erhalten, um die Heilungschancen zu wahren. Hier hätten die Belange der Strafverfolgung zurücktreten müssen, zumal kein Verdacht gegen Verantwortliche der Drogenberatung bestanden habe und nicht zu erwarten gewesen sei, in den beschlagnahmten Unterlagen die Namen von Rauschgifthändlern zu finden.
III.
1. Der Bundesminister der Justiz hat wie folgt Stellung genommen:
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden unterliege keinen Bedenken; eine Ausnahme gelte nur für den Ersten Vorsitzenden des Caritasverbandes, der nicht in eigenen Rechten betroffen sei.
Was die Begründetheit der Verfassungsbeschwerden angehe, so verstoße der Durchsuchungsbefehl gegen Art. 13 GG, weil sein Inhalt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge (BVerfGE 42, 212). Die Beschlagnahme sei strafprozeßrechtlich nicht verboten gewesen. Die Beschlagnahmebeschränkung des § 97 StPO setze ein Zeugnisverweigerungsrecht voraus. Ein solches Recht stehe den Mitarbeitern der Beratungsstelle nicht zu; sie gehörten nicht zu den in § 53 StPO genannten Personen. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift verbiete sich wegen ihres Ausnahmecharakters. Die Mitarbeiter seien auch keine Berufsgehilfen im Sinne des § 53 a StPO. Ebensowenig komme ein unmittelbar aus der Verfassung abzuleitendes Zeugnisverweigerungsrecht in Betracht.
Bei der Prüfung, ob die Beschlagnahme dem Übermaßverbot widerstreite, bedürfe es einer Abwägung zwischen dem Interesse an einer wirksamen Strafrechtspflege und den Belangen der Suchtkrankenhilfe. Diese Hilfe diene ebenfalls der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs. Sie sei Aufgabe des Sozialstaats. Deshalb hätten die Strafverfolgungsorgane darauf zu achten, daß eine erfolgversprechende Ermittlungsmaßnahme nicht

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andererseits unverhältnismäßigen Schaden anrichte, indem sie die Arbeit einer Beratungsstelle störe oder gar unmöglich mache. Die Beratung Drogenabhängiger lasse eine Vertrauensbeziehung entstehen, innerhalb derer die Klienten erwarteten, daß die Tatsachen aus ihrer Privatsphäre Dritten nicht zugänglich würden. Es sei nicht ausgeschlossen, daß die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte angesichts aller Umstände des Falles hier zur Annahme eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot führe.
2. Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerden für teilweise unzulässig, im übrigen für unbegründet.
Soweit sie sich gegen die polizeiliche Razzia richteten, hätten die Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschritten. Was die übrigen Maßnahmen angehe, so sei nur der Caritasverband unmittelbar in eigenen Rechten betroffen. Die anderen Beschwerdeführer hätten sich am strafprozessualen Beschwerdeverfahren nicht beteiligt; bei ihnen fehle es jedenfalls an der Erschöpfung des Rechtswegs.
Die Verfassungsbeschwerde des Caritasverbandes sei unbegründet.
Die Durchsuchung verstoße nicht gegen Art. 13 GG. Sie beruhe auf richterlicher Anordnung, sei prozeßordnungsgemäß durchgeführt worden und habe keiner ins einzelne gehenden Begründung im Durchsuchungsbefehl bedurft. Daß bei der Durchsuchung einer Beratungsstelle und der Beschlagnahme ihrer Unterlagen den ermittelnden Staatsanwälten Tatsachen aus der Intimsphäre einzelner Bürger bekannt würden, begründe noch keinen Verfassungsverstoß. Darin liege im Vergleich zu anderen strafprozessualen Maßnahmen nichts Außergewöhnliches. Das Grundrecht der freien Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) sei nicht verletzt. Es bewahre die Beratungsstelle zwar vor Störungen durch staatlichen Einfluß, stelle sie aber nicht außerhalb des Geltungsanspruchs der Strafgesetze. Die im Randbereich der Religionsausübung angesiedelte Drogenberatung genieße verfassungsrechtlich einen geringeren Schutz als der Gottesdienst im engeren Sinne.


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Die angegriffenen Maßnahmen hielten sich im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Abzuwägen sei zwischen dem kirchlichen Interesse an wirksamer Betreuung der Drogenabhängigen einerseits und den Bedürfnissen einer geordneten Strafrechtspflege andererseits. Der hohe Wert der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten und staatlich anerkannten Drogenberatung des Caritasverbandes stehe außer Frage. Auf der anderen Seite sei die Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten ein wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens. Der ansteigenden Rauschgiftkriminalität könne nur durch entschiedene Verfolgung der Rauschgifthändler begegnet werden. Allein die Durchsuchung habe die Möglichkeit eröffnet, in der Beratungsstelle tätigen Händlern das Handwerk zu legen; die Beschlagnahme sei das einzige Mittel gewesen, den entsprechenden Verdacht zu überprüfen.
3. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
4. Für die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e. V. hat sich als Sprecher ihres wissenschaftlichen Kuratoriums Professor Dr. G ... geäußert. Er vertritt die Auffassung, daß im vorliegenden Fall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grob mißachtet worden sei.
Die therapeutische Behandlung Drogenabhängiger setze - angesichts der vielschichtigen Motivation für den Drogenkonsum - voraus, daß der Berater in den Persönlichkeitsbereich, auch in die Intimsphäre des Klienten eindringe. Dazu bedürfe es der Zusicherung voller Vertraulichkeit, ohne die eine Drogenberatungsstelle ihre Aufgaben nicht wahrnehmen könne. Der Absicherung dieser Vertrauensbeziehung komme grundsätzliche Bedeutung zu. Die gesamte Therapie der Suchtgefährdeten, Drogenabhängigen und Rehabilitanden wäre in hohem Maße gefährdet, wenn Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art üblich oder gar zur Regel würden.
 


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B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit der Beschwerdeführer zu 1) den Durchsuchungsbefehl angreift und die Beschwerdeführer zu 1) und 4) - 7) sich gegen die Beschlagnahmeanordnung sowie deren Bestätigung durch das Landgericht wenden. Soweit die Verfassungsbeschwerden der polizeilichen Razzia und der Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung gelten, bestehen gegen ihre Zulässigkeit erhebliche Bedenken, denen der Senat jedoch nicht nachzugehen brauchte, weil insoweit jedenfalls die Verfassungsbeschwerden offensichtlich unbegründet sind. Im übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.
I.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) ist hinsichtlich aller von ihm angegriffenen Entscheidungen und Maßnahmen beschwerdebefugt. Durchsuchung und Razzia greifen in sein Hausrecht ein; die Beschlagnahme betrifft Unterlagen, die in seinem Eigentum stehen.
2. Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) sind nicht beschwerdebefugt. Die angegriffenen Entscheidungen und Maßnahmen berühren sie lediglich in ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Caritasverbandes bzw. als Leiter der Drogenberatungsstelle. Sie betreffen sie also nur mittelbar, nämlich in jenem Bereich, in dem sie als Organ bzw. Angestellter des Verbandes tätig werden, und sind damit nicht geeignet, sie in ihren eigenen Rechten zu beeinträchtigen.
3. Die Beschwerdeführer zu 4) - 7) sind durch die Beschlagnahme in ihrer rechtlich geschützten Intim- und Privatsphäre betroffen und daher insoweit beschwerdebefugt. Hingegen fehlt ihnen die Befugnis zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Anordnung und Durchführung der Durchsuchung und die polizeiliche Razzia wenden. Diese Maßnahmen griffen noch nicht unmittelbar in ihre geschützten Rechtspositionen ein, sondern bereiteten den sie betreffenden Eingriff erst vor. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Be

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schwerdeführer zu 4) - 7) sich im Zeitpunkt der Razzia in den Räumen der Drogenberatungsstelle aufgehalten haben.
II.
Das Interesse der Beschwerdeführer zu 1 und 4) - 7), die Verfassungswidrigkeit der Beschlagnahmeentscheidungen festgestellt zu wissen, ist nicht dadurch entfallen, daß das Amtsgericht die Beschlagnahmeanordnung mit Beschluß vom 3. November 1975 selbst aufgehoben hat und die beschlagnahmten Unterlagen dem Caritasverband wieder ausgehändigt worden sind. Das schutzwürdige Interesse des Caritasverbandes erschöpft sich nicht darin, die seiner Verfügungsgewalt zeitweilig entzogenen Akten zurückzuerhalten, sondern es richtet sich zugleich darauf, deren Verwertung im Strafverfahren zu verhindern, damit die Belange der Suchtkrankenberatung gewahrt bleiben. Ebensowenig ist den Beschwerdeführern zu 4) - 7) damit gedient, den Gewahrsam des Caritasverbandes an den beschlagnahmten Unterlagen wiederhergestellt zu wissen; ihnen ging es vielmehr von vornherein darum, gerichtlich klären zu lassen, ob sie einen derartigen Eingriff in ihre Privatsphäre, wie ihn die Beschlagnahme darstellt, hinnehmen müssen.
Das Interesse der Beschwerdeführer an der begehrten Feststellung wäre allerdings entfallen, wenn das Amtsgericht die Beschlagnahme für rechtswidrig erklärt hätte. Das ist indessen nicht geschehen. Das Gericht hat die Beschlagnahme lediglich deshalb aufgehoben, weil die beschlagnahmten Unterlagen nach Auswertung durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr benötigt wurden. Der Aufhebungsbeschluß hindert mithin die Strafverfolgungsbehörden nicht, den gedanklichen Inhalt der Akten zu verwerten.
III.
Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerden (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) ist gewahrt. Dies gilt auch, soweit der Beschwerdeführer zu 1) den Durchsuchungsbeschluß angreift. Zwar ist zwischen der Bekanntgabe dieser Entscheidung anläß

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lich der Durchsuchung vom 24. Oktober 1975 und dem Eingang der Verfassungsbeschwerde am 30. November 1975 mehr als ein Monat verstrichen. Der landgerichtliche Beschluß vom 7. November 1975, der auf die jedenfalls nicht offensichtlich unzulässige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2) als Erstem Vorsitzenden des Caritasverbandes ergangen ist, hat indessen die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erneut in Lauf gesetzt (vgl. BVerfGE 5, 17 [19 f.]; 28, 88 [95]).
IV.
1. Soweit der Beschwerdeführer zu 1) die Durchsuchung wegen der dafür gewählten Tageszeit beanstandet, dürfte der Rechtsweg nicht erschöpft sein (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Es liegt nahe anzunehmen, daß der Beschwerdeführer die Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung durch Stellung eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung (§§ 23 ff. EGGVG) der richterlichen Überprüfung hätte zuführen können. Einen solchen Antrag hat er jedoch nicht gestellt.
Der Beschwerdeführer zu 1) hat die beanstandete Durchsuchungsmodalität auch nicht mit der strafprozessualen Beschwerde (§ 304 StPO) angefochten. Die Begründung der seinerzeit von Pfarrer G ... als Ersten Vorsitzenden des Caritasverbandes erhobenen Beschwerde läßt nicht erkennen, daß der Beschwerdeführer eine richterliche Überprüfung auch der Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung begehrte. Das hat auch die Strafkammer nicht angenommen.
Der Gesichtspunkt fehlender Rechtswegerschöpfung würde allerdings nicht durchgreifen, wenn zwar die beanstandete Durchsuchungsmodalität mit der strafprozessualen Beschwerde anfechtbar, die Einlegung dieses Rechtsmittels dem Beschwerdeführer zu 1) aber unzumutbar wäre, weil das Landgericht sie im Hinblick auf den Abschluß der Durchsuchung voraussichtlich als "prozessual überholt" und daher unzulässig behandeln würde. Das bedarf indessen keiner näheren Erörterung; denn die gegen die Wahl des Zeitpunktes der Durch

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suchung gerichteten Verfassungsbeschwerden sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls offensichtlich unbegründet (§ 24 BVerfGG).
Art. 13 Abs. 2 GG, der für jede Durchsuchung die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form verlangt, ist nicht verletzt. Die Vorschrift für nächtliche Haussuchungen (§ 104 StPO) brauchte nicht beachtet zu werden. Die Durchsuchung hatte bereits vor Anbruch der Nacht (21 Uhr, § 104 Abs. 3 StPO), nämlich um 20 Uhr, begonnen und durfte in die Nachtzeit hinein fortgesetzt werden. Zwar entspricht es - soweit nicht § 104 Abs. 2 StPO eingreift - dem Sinn des Gesetzes, die Durchsuchung so rechtzeitig zu beginnen, daß mit ihrer Beendigung noch vor Anbruch der Nacht zu rechnen ist. Das war aber hier auch geschehen; denn es konnte erwartet werden, daß die Durchsuchung nicht länger als eine Stunde dauern werde. Daß sich diese Erwartung nicht erfüllt hat, ist ohne Belang.
2. Der Senat neigt der Auffassung zu, daß die Verfassungsbeschwerden auch insoweit wegen fehlender Erschöpfung des Rechtsweges unzulässig sind, als sie sich gegen die polizeiliche Razzia richten. Es kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer zu 1) insoweit den Verwaltungsrechtsweg hätte beschreiten oder - was im Hinblick auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1974 (BVerwG I C 26.72 und BVerwG I C 11.73 [= BVerwGE 47, 255]) nahe liegt - Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§§ 23 ff. EGGVG) hätte stellen können; denn er hat keine der in Betracht kommenden Möglichkeiten genutzt. Nur wenn die Razzia mit der Beschwerde nach § 304 StPO anfechtbar wäre - auch hiervon hat der Beschwerdeführer zu 1) keinen Gebrauch gemacht -, könnte der Gesichtspunkt mangelnder Rechtswegerschöpfung zurücktreten; insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zu den Verfassungsbeschwerden gegen die Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung verwiesen.
Die Frage, welchen der in Betracht kommenden Rechtswege der Beschwerdeführer zu 1) hätte beschreiten können, bedarf

BVerfGE 44, 353 (370):

hier indessen ebenfalls keiner Entscheidung, weil seine Verfassungsbeschwerde - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch insoweit offensichtlich unbegründet ist, als sie der polizeilichen Razzia gilt (§ 24 BVerfGG). Besteht der konkrete Verdacht, daß in den Räumen einer Drogenberatungsstelle mit Rauschgift gehandelt wird, so begegnet die Durchführung einer Razzia mit dem Ziel, in jenen Räumen illegale Rauschgifthändler zu ermitteln, keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken. Im vorliegenden Fall bestand ein solcher Verdacht; denn die Beratungsstelle des Caritasverbandes hatte in ihrem Jahresbericht für 1974 selbst darauf hingewiesen, daß immer wieder Drogenhändler versuchten, in der "Teestube" Rauschgift abzusetzen.
Ebensowenig bietet die Art und Weise, wie die Razzia durchgeführt worden ist, Anlaß zu Beanstandungen. Der von den Beschwerdeführern gerügte Umfang des Polizeiaufgebots und die vorübergehende Straßenabsperrung waren im Hinblick auf das mit der Razzia verfolgte Ziel ersichtlich angemessen.
3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 4) - 7) gegen die Beschlagnahmeentscheidungen richten, steht ihrer Zulässigkeit nicht der Gesichtspunkt mangelnder Rechtswegerschöpfung entgegen. Ob ihnen im Hinblick auf den Beschluß des Landgerichts vom 7. November 1975, der auf die Beschwerde des Caritasverbandes ergangen ist, die Einlegung eigener Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmeanordnung noch zumutbar war (vgl. BVerfGE 38, 105 [110]), kann dahinstehen. Der Erschöpfung des Rechtsweges bedurfte es hier jedenfalls deshalb nicht, weil die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 4) - 7) von allgemeiner Bedeutung sind (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
 
C.
Die in dem vorbezeichneten Umfang zulässigen Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie nicht der polizeilichen Razzia und der Wahl des Zeitpunktes der Durchsuchung gelten, begründet.


BVerfGE 44, 353 (371):

I.
Der Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 16. Oktober 1975 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) kann als eingetragener Verein Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG sein. Für ihn gilt insoweit nichts anderes als für eine Kommanditgesellschaft (vgl. BVerfGE 42, 212 [219]). Die Räume der Beratungsstelle haben teil am Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG; der dort verwendete Begriff der "Wohnung" umfaßt auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (BVerfGE 32, 54 [69 ff.]; 42, 212 [219]).
2. Ein auf § 102 StPO gestützter schriftlicher Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen läßt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (BVerfGE 42, 212 [220]). Dieser Rechtssatz findet auch im vorliegenden Falle Anwendung. Zwar hat das Amtsgericht den angegriffenen Durchsuchungsbeschluß sowohl auf § 102 StPO als auch auf § 103 StPO gestützt. Die inhaltlichen Anforderungen, welche der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit an einen unter den Voraussetzungen des § 103 StPO ergehenden Durchsuchungsbefehl stellt, können indessen nicht geringer sein als diejenigen, denen eine Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO genügen muß; denn es wäre widersinnig, bei Eingriffen in die Rechtspositionen Unverdächtiger insoweit einen weniger strengen Maßstab anzulegen als bei Eingriffen in die Rechtspositionen Verdächtiger.
3. Der angegriffene Durchsuchungsbefehl genügt den danach zu beachtenden rechtsstaatlichen Mindesterfordernissen nicht. Er läßt nicht nur eine konkrete Beschreibung des Tatvorwurfs, sondern auch Angaben über die Beweismittel, denen die Durch

BVerfGE 44, 353 (372):

suchung galt, vermissen, obwohl die fehlenden Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich gewesen wären und den Zwecken der Strafverfolgung keinen Abbruch getan hätten. Sonstige, außerhalb des Durchsuchungsbefehls liegende Umstände, die ausnahmsweise geeignet sein könnten, die rechtsstaatlichen Funktionen zu übernehmen, die der Inhalt einer solchen Anordnung in der Regel zu erfüllen hat (vgl. BVerfGE 20, 162 [227 f.]; 42, 212 [222]), sind hier nicht ersichtlich.
II.
Die amtsgerichtliche Beschlagnahmeanordnung vom 29. Oktober 1975 und die sie bestätigende Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und die Beschwerdeführer zu 4) - 7) in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; sie verstoßen in bezug auf diese Grundrechte gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
1. a) Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet dem Beschwerdeführer zu 1) als eingetragenem Verein den Schutz seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 29, 260 [265 f.]). Dieser umfaßt nicht nur die Einrichtung einer Suchtkrankenberatungsstelle, sondern auch deren bestimmungsgemäßes Wirken im Rahmen der Gesetze.
b) Den Klienten der Beratungsstelle, zu denen auch die Beschwerdeführer zu 4) - 7) zählen, steht das Grundrecht auf Achtung ihrer Intim- und Privatsphäre zu (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Die Klientenakten der Beratungsstelle mit den Aufzeichnungen des Beraters über Gespräche, Tests, therapeutische Maßnahmen und den eigenen schriftlichen Äußerungen des Ratsuchenden betreffen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Klienten. Sie nehmen damit - ähnlich wie ärztliche Karteikarten (Krankenblätter) - teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1

BVerfGE 44, 353 (373):

GG dem einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt (vgl. BVerfGE 32, 373 [379]).
c) Freilich sind staatliche Eingriffe in den Schutzbereich jener Grundrechte nicht schlechthin ausgeschlossen. Bedeutung und Tragweite des durch sie gewährleisteten Schutzes können nicht losgelöst von anderen, gleichfalls schutzwürdigen Interessen bestimmt werden. Den verfassungsrechtlichen Maßstab, mit dessen Hilfe sich eine sachgerechte Gewichtung jener zu wahrenden Belange treffen läßt, bietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er zieht sowohl im Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch im spezielleren Bereich der Privatsphäre des Einzelnen (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) den staatlichen Eingriffen Grenzen und bestimmt damit zugleich die Reichweite der genannten Grundrechte (BVerfGE 32, 373 [379]; 34, 238 [246]). Diese Grenzen sind durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln. Führt diese zu dem Ergebnis, daß die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Dem läßt sich, soweit ein Eingriff in Form einer strafprozessualen Beschlagnahme in Frage steht, nicht entgegenhalten, die Staatsanwaltschaft sei nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten bei zureichendem Tatverdacht einzuschreiten und dabei im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auch von den ihr zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Zwangsmitteln Gebrauch zu machen; denn auch hierbei ist der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
2. Die angegriffenen Beschlagnahmeentscheidungen lassen eine verfassungsrechtlich zutreffende Gewichtung der zu berücksichtigenden Belange vermissen.
a) Bei der gebotenen Abwägung steht auf der einen Seite das

BVerfGE 44, 353 (374):

Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, zu deren Aufgaben auch die Verfolgung und Ahndung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz gehört und deren Organe dabei im Rahmen der Besonderheiten des jeweiligen Falles auf die Inanspruchnahme der ihnen durch die Strafprozeßordnung zur Verfügung gestellten Zwangsmittel angewiesen sind.
aa) Das Interesse an einer leistungsfähigen Strafjustiz gehört in den Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die Gerechtigkeit nicht verwirklicht werden kann. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht deshalb die Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 33, 367 [383]; 38, 105 [115 f.]; 38, 312 [321]; 39, 156 [163]; 41, 246 [250]).
bb) Die Bekämpfung der von den Drogen ausgehenden Suchtgefahren ist eine öffentliche Aufgabe von großer Bedeutung. Ihrer Erfüllung dient die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen unter den im Betäubungsmittelgesetz vorgesehenen Voraussetzungen.
cc) Die Strafverfolgungsbehörden bedürfen zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs verfahrensrechtlicher Zwangsmittel, zu denen das Rechtsinstitut der Beschlagnahme gehört. Der Verzicht auf den Einsatz dieses Zwangsmittels kann im Einzelfall bewirken, daß die Aufklärung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz scheitert.
b) Auf der anderen Seite sind die Belange der ebenfalls im Gemeinwohlinteresse erforderlichen Gesundheitsfürsorge zu berücksichtigen, zu deren Aufgaben die wirksame Hilfe für Suchtkranke und Suchtgefährdete zählt und deren Interesse darauf

BVerfGE 44, 353 (375):

gerichtet ist, die Arbeit einer Drogenberatungsstelle gewährleistet und von störenden Einflüssen freigehalten zu wissen.
aa) Die Belange der Gesundheitsfürsorge finden ihren verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Fürsorge für Hilfsbedürftige gehört zu den selbstverständlichen Pflichten eines Sozialstaats (BVerfGE 40, 121 [133]; 43, 13 [19]). Dies schließt notwendig die soziale Hilfe für Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert sind. Die staatliche Gemeinschaft muß ihnen jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern und sich darüber hinaus bemühen, sie - soweit möglich - in die Gesellschaft einzugliedern, ihre angemessene Betreuung zu fördern sowie die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu schaffen (BVerfGE 40, 121 [133]).
bb) Die Hilfsmaßnahmen für Suchtkranke und Suchtgefährdete im Rahmen der Gesundheitsfürsorge dienen ebenso wie die erörterten strafrechtlichen Sanktionen dem Zweck der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs. Sie umfassen alle sozialen Angebote und Leistungen, deren freiwillige Annahme den Suchtkranken oder Suchtgefährdeten befähigen soll, sich - mit Unterstützung der Gesellschaft - vom Drogenmißbrauch zu lösen. Suchtgefährdete müssen durch vorbeugende Maßnahmen davor bewahrt werden, suchtkrank zu werden. Suchtkranke bedürfen - im äußersten Fall - zunächst klinischer Entgiftung, sodann einer Entziehungs- oder Entwöhnungsbehandlung und anschließender Betreuung, die zur sozialen Wiedereingliederung führt. In diesem Bereich sind sowohl staatliche Stellen als auch organisierte Kräfte der freien Gesellschaft tätig. Für das Gewicht des öffentlichen Interesses an solchen Hilfsmaßnahmen ist es unerheblich, von welchen dieser Stellen sie erbracht werden.
cc) Die Belange der Gesundheitsfürsorge verdichten sich im Bereich der Hilfsmaßnahmen für Suchtkranke und Suchtgefährdete zum Interesse an der Einrichtung von Drogenberatungs

BVerfGE 44, 353 (376):

stellen und am Schutz ihrer Tätigkeit. Unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit solcher Stellen ist die Bildung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Klienten. Dies gilt sowohl für die Anbahnung der Berater-Klienten-Beziehung als auch für deren Aufrechterhaltung. Muß der Klient damit rechnen, daß seine während der Beratung gemachten Äußerungen und die dabei mitgeteilten Tatsachen aus seinem persönlichen Lebensbereich - einschließlich des Eingeständnisses strafbarer Handlungen: des Erwerbs und Besitzes von Drogen - Dritten zugänglich werden, so wird er regelmäßig gar nicht erst bereit sein, von der Möglichkeit, sich beraten zu lassen, Gebrauch zu machen. Darüber hinaus kann er vom Berater wirksame Hilfe zumeist nur erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und ihn zum Mitwisser von Angelegenheiten seines privaten Lebensbereichs macht. Das ist vor allem im Hinblick auf die Ursachen und Motive notwendig, die für den Drogenmißbrauch bestimmend sind und die oft in tieferen Schichten der Persönlichkeit wurzeln. Demgemäß sichert auch die Drogenberatungsstelle des Caritasverbandes in Aachen ihren Klienten ausdrücklich Vertraulichkeit und Verschwiegenheit zu. Die grundsätzliche Wahrung des Geheimhaltungsinteresses der Klienten ist Vorbedingung des Vertrauens, das sie um ihrer selbst willen dem Berater entgegenbringen müssen, und damit zugleich Grundlage für die funktionsgerechte Tätigkeit der Beratungsstelle, deren Beistand die Klienten brauchen. Die für die Arbeit einer solchen Stelle notwendige Vertrauensbasis ist folglich im Regelfall zerstört, sobald Strafverfolgungsorgane Klientenakten beschlagnahmen. Eine solche Zwangsmaßnahme gefährdet zugleich das Wirken anderer, nicht unmittelbar betroffener Beratungsstellen.
c) Für die zutreffende Gewichtung der danach gegeneinander abzuwägenden Belange bedarf es zunächst der Hervorhebung folgender allgemeiner Gesichtspunkte:
aa) Die Beschlagnahme von Klientenakten einer Suchtkrankenberatungsstelle ist zwar ein taugliches Mittel zur Aufklärung von Betäubungsmittelvergehen. Aber es ist nur eines der In

BVerfGE 44, 353 (377):

strumente, die den Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung solcher Straftaten zur Verfügung stehen.
bb) Diese Aktenbeschlagnahme verspricht - bei genereller Betrachtung - kaum nennenswerte Beweisergebnisse, soweit es um die Ermittlung und Verfolgung illegaler Rauschgifthändler geht. Zwar muß es, wo Drogenabhängige sind, auch Händler geben. Die Hoffnung, durch Einsichtnahme in die Klientenakten auf die Spur von Händlern zu stoßen, ist jedoch von vornherein gering; denn Drogenabhängige sind - sofern sie dazu überhaupt imstande sind - regelmäßig nicht bereit, gegenüber der Beratungsstelle ihre Bezugsquellen anzugeben.
cc) Die Beschlagnahme von Klientenakten bietet in der Regel nur insoweit Aussicht auf Ermittlungserfolge, als es sich um die Aufklärung von Straftaten der Klienten selbst handelt, die sich des verbotenen Erwerbs und Besitzes von Rauschgift schuldig gemacht haben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Strafverfolgungsbelange innerhalb des Bereichs der Aufklärung und Ahndung von Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz ein unterschiedliches Gewicht haben. Die schärfste Strafdrohung gilt den illegalen Händlern, während die strafgesetzlichen Sanktionen den Drogenverbraucher nicht mit vergleichbarer Härte treffen (vgl. einerseits Absatz 4, andererseits Absatz 5 des § 11 BTMG). Die Interessen der Strafverfolgung wiegen mithin schwerer, soweit die Bekämpfung illegaler Händler in Rede steht, hingegen leichter, soweit es darum geht, den staatlichen Strafanspruch gegenüber Drogenverbrauchern zur Geltung zu bringen.
dd) Das geltende Recht schützt das Vertrauen der Klienten auf die Geheimhaltung der Angaben, die sie im Rahmen des Beratungsverhältnisses gemacht haben. Das folgt aus § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der Mitarbeiter von Suchtkrankenberatungsstellen einem strafbewehrten Schweigegebot unterwirft. Indem dieser Tatbestand von der Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung solcher Stellen ausgeht, setzt er ihre Existenzberechtigung voraus. Das öffentliche Interesse an der Unterhaltung von

BVerfGE 44, 353 (378):

Drogenberatungsstellen kommt auch darin zum Ausdruck, daß Bund, Länder und kommunale Gebietskörperschaften beträchtliche Mittel aufwenden, um die Arbeit solcher Stellen zu fördern.
d) Aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten ergibt sich, daß die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege im Bereich der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs das öffentliche Interesse an der Suchtkrankenberatung nicht generell überwiegen. Wäre die Beschlagnahme von Klientenakten einer Suchtkrankenberatungsstelle unter den in der Strafprozeßordnung normierten Voraussetzungen stets zulässig, so würde dies im Regelfall die für die Arbeit der betroffenen Stelle notwendige Vertrauensbasis zerstören und zugleich die Tätigkeit aller anderen Beratungsstellen gefährden. Dies kann im Interesse einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge auf dem Gebiet der Suchtkrankenberatung nicht hingenommen werden.
Auf der anderen Seite sind die genannten Umstände aber auch nicht geeignet, in jenem Bereich den generellen Vorrang gesundheitsfürsorgerischer Belange vor den Interessen der Strafrechtspflege zu begründen. Nicht jede Suchtkrankenberatungsstelle erscheint des verfassungsrechtlichen Schutzes vor der Beschlagnahme ihrer Klientenakten würdig, und sie kann dieses Privileg nicht ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles in Anspruch nehmen. Vielmehr erfordern bei der Beantwortung der Frage, ob Klientenakten einer solchen Beratungsstelle der Beschlagnahme unterliegen, neben jenen allgemeinen Gesichtspunkten auch fallspezifische Umstände Beachtung, die geeignet sein können, im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung von Fall zu Fall den einen oder anderen Belangen ein Übergewicht zu verleihen. Eine Verletzung von Grundrechten der Betroffenen kann in diesem Zusammenhang aber nur dann angenommen werden, wenn durch die Beschlagnahme der Klientenakten die gesundheitsfürsorgerischen Belange in einem solchen Maße beeinträchtigt werden, daß der durch den Eingriff verursachte Schaden außer Verhältnis zu dem mit der Beschlagnahme angestrebten und erreichbaren Erfolg stehen wird.

BVerfGE 44, 353 (379):

Welche Umstände dabei im einzelnen zu berücksichtigen sind und welches Gewicht ihnen jeweils beizumessen ist, läßt sich nicht für alle denkbaren Sachverhalte abschließend festlegen. Zur Entscheidung des vorliegenden Falles genügen folgende Erwägungen:
aa) Schutz gegen die Beschlagnahme ihrer Klientenakten verdienen nur solche Beratungsstellen, die im Sinne des § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB öffentlich-rechtlich anerkannt sind. Denn ohne eine solche Anerkennung bestünde die Gefahr, daß unter dem Deckmantel von Beratungsstellen Organisationen gegründet würden, denen es lediglich darauf ankäme, den Beschlagnahmeschutz in Anspruch zu nehmen, um ein bestimmtes Wissen dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane entziehen zu können.
bb) Aber auch die Beschlagnahme von Klientenakten einer öffentlich-rechtlich anerkannten Drogenberatungsstelle ist nicht schlechthin verfassungswidrig. Nur eine solche Beratungsstelle kann den Beschlagnahmeschutz für sich in Anspruch nehmen, die alle zumutbaren Vorkehrungen dagegen getroffen hat, daß sie selbst oder ihre Mitarbeiter in den Verdacht geraten, am Drogenhandel beteiligt zu sein oder ihn zu dulden. Dies erfordert insbesondere eine sorgfältige Auswahl und Überwachung der Mitarbeiter durch den Träger der Beratungsstelle.
Es besteht die Möglichkeit, daß sich eine anerkannte Drogenberatungsstelle - zunächst ohne Wissen des Trägers - zu einer Verteilungsstelle für Rauschgift entwickelt und einer Bande illegaler Händler als Organisationszentrum dient, wobei die angeblichen Klientenakten in Wahrheit die Buchführung darüber enthalten, welche Drogenmenge der Zwischenhändler von der Zentrale erhalten hat und mit ihr abrechnen muß. Auch können sich im Einzelfall Anhaltspunkte dafür ergeben, daß eine bestimmte Klientenakte Aufschluß über ein größeres Rauschgiftgeschäft gibt oder Hinweise für die Begehung eines Kapitalverbrechens liefert. In solchen und vergleichbaren Fällen, die sich einer erschöpfenden Aufzählung entziehen, steht der Beschlagnahme ein verfassungsrechtliches Hindernis nicht entgegen.


BVerfGE 44, 353 (380):

Anders muß aber die verfassungsrechtliche Wertung dort ausfallen, wo die Beschlagnahme der Klientenakten lediglich dazu dienen soll, die Klienten des strafbaren Erwerbs und Besitzes von Rauschgift zu überführen und - ohne weitere Anhaltspunkte - den von ihnen zu ihren Lieferanten führenden Weg sichtbar zu machen. Der Verdacht, daß Klienten einer Beratungsstelle solche Straftaten begangen haben und von irgendwelchen Händlern beliefert worden sind, ist bereits mit der bloßen Tatsache gegeben, daß die Drogenberatungsstelle  existiert und  funktioniert.  Er gründet sich auf die Überlegung, daß es da, wo es Drogenberatungsstellen gibt, auch Drogenabhängige geben muß und daß dort, wo Drogenabhängige sind, auch Händler vorhanden sein müssen, die ihnen das Rauschgift verschafft haben. Ein derartiger bloßer "Betriebsverdacht" kann, soll nicht das Beratungswesen in der Suchtkrankenhilfe insgesamt der Zerstörung anheimfallen, in keinem Fall ausreichen, die Beschlagnahme von Klientenakten einer öffentlich- rechtlichen Beratungsstelle vor der Verfassung zu rechtfertigen.
cc) Demgemäß verletzt die Beschlagnahme von Klientenakten einer im Sinne des § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB öffentlich- rechtlich anerkannten Suchtkrankenberatungsstelle den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie sich lediglich auf den allgemeinen Verdacht stützt, daß sich Klienten der Beratungsstelle durch Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln strafbar gemacht und solche Mittel illegal bezogen haben.
3. Danach hat die Beschlagnahme der Klientenakten hier vor der Verfassung keinen Bestand; denn der mit dem Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführer verbundene schwere Nachteil steht außer Verhältnis zu dem mit der Beschlagnahme angestrebten und erreichbaren Erfolg.
a) Dem Erfordernis öffentlich-rechtlicher Anerkennung ist mit der Anerkennung der Drogenberatungsstelle des Caritasverbandes durch die katholische Kirche genügt (vgl. Schönke- Schröder, StGB, 18. Aufl. 1976, § 203 Rdnr. 38).
b) Die Beschlagnahme der Klientenakten gründet sich im

BVerfGE 44, 353 (381):

vorliegenden Fall nur auf den allgemeinen Verdacht, daß sich die Klienten der Beratungsstelle durch Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln strafbar gemacht und solche Mittel von illegalen Händlern bezogen haben.
Wenn das Amtsgericht in seiner Beschlagnahmeanordnung die Maßnahme für zulässig erklärt hat, "da sich aus den Schriftstücken ergibt, daß die in ihnen bezeichneten Personen sich fortgesetzt handelnd eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht haben dürften", so hatte es dabei offenbar nur im Blick, daß die Klientel einer Drogenberatungsstelle aus Drogenabhängigen besteht, die - weil sie drogenabhängig sind - Betäubungsmittel erwerben und besitzen.
Auch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts bleibt im Rahmen dieses schon aus der Existenz einer funktionierenden Beratungsstelle ableitbaren Verdachts. Das zeigt sich in der Begründung, die darauf abstellt, die beschlagnahmten Unterlagen könnten im Verfahren gegen die Drogenkonsumenten als Beweismittel von Bedeutung sein, weil sie auch Angaben über Drogengenuß und -erwerb enthielten. Dies trifft indessen keineswegs nur auf die Aachener Beratungsstelle des Caritasverbandes zu, sondern gilt für die Klientenakten jeder Drogenberatungsstelle. Auf der gleichen Ebene liegt die Feststellung der Strafkammer, Mitteilungen der Drogenkonsumenten über ihren Drogenverbrauch seien stets zugleich Äußerungen über von ihnen begangene Straftaten.
Auch soweit die Strafverfolgung illegaler Händler in Frage kommt, beschränkt sich das Landgericht auf Annahmen, die - als Erfahrungssätze bezeichnet - den Bereich des Generell- Abstrakten nicht verlassen. Die allgemeine Überlegung, daß ohne eine Ermittlung auch der Konsumenten eine wirksame Bekämpfung der schweren Rauschgiftkriminalität weitgehend in Frage gestellt sei, mag richtig sein oder falsch: Über die Erkenntnis, daß dort, wo Drogenkonsumenten sind, auch Drogenlieferanten vorhanden sein müssen, geht ihr Wert nicht hinaus. Der solchermaßen abgeleitete Verdacht gegen die Händler,

BVerfGE 44, 353 (382):

welche die Klienten einer Drogenberatungsstelle beliefern, ist in dieser Form immer gegeben, ohne daß es hierzu irgendwelcher Ermittlungen bedürfte. Er gehört notwendigerweise zum Erscheinungsbild aller Beratungsstellen, denen es überhaupt gelingt, den zu betreuenden Kreis der Suchtkranken zu erreichen. Vermeiden ließe es sich nur, sofern die jeweilige Suchtkrankenberatungsstelle aufhörte, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Wenn das Landgericht schließlich darauf verweist, daß der Rauschgifthandel in einer der Beratungsstelle angeschlossenen "Teestube" nicht zu verhindern sei und diese - ungewollt - sogar einen Anziehungspunkt für Drogenhändler darstellen könne, so hebt es auch damit nur einen Umstand hervor, der allgemein zum "Betriebsrisiko" jeder Beratungsstelle gehört, die über eine "Teestube" oder ein sonstiges Kontaktzentrum verfügt.
Die angegriffenen Beschlagnahmebeschlüsse enthalten auch keinen Hinweis darauf, daß - nach Auffassung des Amts- oder Landgerichts - Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle selbst strafbarer Handlungen verdächtig seien und etwa ein solcher Verdacht die Beschlagnahme der Klientenakten rechtfertigen solle. Schon die Staatsanwaltschaft hat ihren Beschlagnahmeantrag allein damit begründet, daß sich die zu beschlagnahmenden Unterlagen auf "drogenabhängige Personen" bezögen. Sie hat auch zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen, zwischen dem - nach ihrer Meinung zunächst gegebenen, aber noch vor Stellung des Beschlagnahmeantrags wieder entfallenen Verdacht gegen "Verantwortliche" der Drogenberatungsstelle einerseits und den Klientenakten andererseits einen Beweiszusammenhang herzustellen. Im übrigen hätte die Einsichtnahme in die Klientenakten hier ohnehin schwerlich einen Aufschluß in dieser Richtung versprochen. Denn es war kaum zu erwarten, daß die "Verantwortlichen" der Drogenberatungsstelle sich dieser Akten bedient hätten, um darin schriftliche Geständnisse ihrer eigenen Straftaten abzulegen.
4. Verletzen danach die angegriffenen Beschlagnahmeentscheidungen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht

BVerfGE 44, 353 (383):

der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Beschwerdeführer zu 4) - 7) in ihren Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG), so bedarf keiner Entscheidung mehr, ob sie außerdem noch gegen weitere Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen.
 
D. - I.
1. Soweit die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerden Erfolg haben, beschränkt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Feststellung einer Verletzung des Grundgesetzes. Dies gilt zunächst für den Durchsuchungsbefehl, weil die Durchsuchung abgeschlossen ist und deshalb für die Aufhebung ihrer Anordnung kein Raum bleibt (BVerfGE 42, 212 [222]). Aber auch hinsichtlich der Beschlagnahmeanordnung kommt, nachdem bereits das Amtsgericht selbst den Beschlagnahmebeschluß aufgehoben hat, nur noch ein Feststellungsausspruch in Betracht.
2. Hingegen ist die Beschlagnahmeentscheidung des Landgerichts aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Da jedoch eine Sachentscheidung im Ausgangsverfahren nicht mehr zu treffen ist, kann sich die Zurückverweisung nur auf die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beziehen (vgl. BVerfGE 35, 202 [244 f.]).
II.
Den Anträgen der Beschwerdeführer, die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptsacheentscheidung zu verpflichten, die beschlagnahmten Unterlagen "nicht auszuwerten sowie die angefertigten Kopien und die in ihrer Verwertung angelegten Akten zu vernichten", kann nicht entsprochen werden.
1. Aus der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Beschlagnahmeanordnung folgt hier - ohne daß es hierüber eines gesonderten Ausspruchs bedürfte - unmittelbar, daß die beschlagnahmten Klientenakten nicht verwertet werden dürfen. Sie unterliegen einem Beweisverwertungsverbot. Dieses schließt

BVerfGE 44, 353 (384):

jede Verwendung der Akten und des in ihnen verkörperten gedanklichen Inhalts zu Beweiszwecken im Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen die Klienten der Drogenberatungsstelle aus.
2. Ebenso erübrigt es sich, im Entscheidungsausspruch eine Bestimmung über das Schicksal der aus den Klientenakten gefertigten Fotokopien zu treffen. Diese sind entweder dem Beschwerdeführer zu 1) zu übergeben oder zu vernichten (vgl. BVerfGE 20, 162 [174]).
3. Zu Unrecht begehren die Beschwerdeführer neben der Vernichtung der aus den Klientenakten gefertigten Fotokopien auch die Vernichtung der behördlichen Akten, die "in Verwertung" der beschlagnahmten Unterlagen angelegt worden sind. Über die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, die im Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen stehen, können die Beschwerdeführer nicht verfügen. Der Bereich ihrer rechtlich geschützten Interessen wird durch das weitere Schicksal dieser Akten - mit Ausnahme der erwähnten Fotokopien - nicht berührt.
III.
Die Anträge der Beschwerdeführer auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung werden mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos.
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der den Beschwerdeführern zu 1) und 4)-7) erwachsenen notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist das Land Nordrhein-Westfalen, dem die erfolgreich gerügten Grundrechtsverletzungen zuzurechnen sind.
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