BVerfGE 33, 23 - Eidesverweigerung aus Glaubensgründen


BVerfGE 33, 23 (23):

1. Der ohne Anrufung Gottes geleistete Eid hat nach der Vorstellung des Verfassungsgebers keinen religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug.
2. Eine Glaubensüberzeugung, die auch den ohne Anrufung Gottes geleisteten Zeugeneid aus religiösen Gründen ablehnt, wird durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt.
3. § 70 Abs. 1 StPO ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß als "gesetzlicher Grund", der zur Verweigerung des Eides berechtigt, auch das Grundrecht der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG in Betracht kommt.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 11. April 1972
-- 2 BvR 75/71 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Pfarrers Werner S .. -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Dr. Rudolf Monnerjahn, Bremen, Unser Lieben Frauen Kirchhof 24/25 -- gegen 1. den Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Oktober 1965 -- IV -- 186/65 (8 I KMs 6/65) -, 2. den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Juli 1966 -- 1 Ws 407/66 -.
Entscheidungsformel:
1. Der Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Oktober 1965 -- IV -- 186/65 (8 I KMs 6/65) - und der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Juli 1966 -- 1 Ws 407/66 - verletzen das

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Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die dem Beschwerdeführer erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A. -- I.
In einem Strafverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf hatte der Beschwerdeführer, ein evangelischer Pfarrer, als Zeuge ausgesagt. Unter Berufung auf sein Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit weigerte er sich, den Zeugeneid zu leisten, weil ihm nach den Worten Christi in der Bergpredigt (Matth. 5, 33-37) jedes Schwören untersagt sei. Durch Beschluß vom 28. Oktober 1965 erklärte das Landgericht Düsseldorf die Verweigerung der Eidesleistung unter Hinweis auf Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (WRV) für unberechtigt und verurteilte den Beschwerdeführer gemäß § 70 Abs. 1 StPO zu einer Ordnungsstrafe von 20 DM, ersatzweise zu zwei Tagen Haft, sowie in die durch die Weigerung verursachten Kosten.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies die hiergegen erhobene Beschwerde durch Beschluß vom 22. Juli 1966 aus folgenden Erwägungen zurück: Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gewissensgründe rechtfertigten die Verweigerung des Eides nicht, selbst wenn sie aus religiösen Gründen beachtenswert sein sollten. Die Eidesleistung durch Zeugen als eine allen Staatsbürgern auferlegte Pflicht sei Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung. Wenn Art. 136 Abs. 4 WRV bestimme, daß niemand zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden dürfe, so folge hieraus, daß jedermann im Rahmen der geltenden Gesetze verpflichtet sei, den Eid ohne religiöse Beteuerung abzulegen. Dieser Verpflichtung habe der Beschwerdeführer schuldhaft zuwidergehandelt. Der Zeugeneid sei im gerichtlichen Verfahren als Mittel der Wahrheitsfindung unverzichtbar; die Zulässigkeit

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seiner Erzwingung könne deshalb nicht von einer Gewissensentscheidung jedes Einzelnen abhängig sein.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts und Oberlandesgerichts Düsseldorf und rügt Verletzung seines in Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Zur Begründung trägt er im einzelnen vor: Nach dem eindeutigen Text der Bibel halte er jedes Schwören für unvereinbar mit dem Gebot Christi. Diese Auffassung werde im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten nun auch von einer Richtung der neueren Theologie vertreten, der er selbst angehöre. Hiernach sei jegliches Schwören als von Gott verboten zu bezeichnen, weil jeder Eid - mit welcher Formel er auch immer geleistet werde - schon als solcher eine unzulässige Verfügung über Gott und eine heidnischen Vorstellungen zuzurechnende Selbstverfluchung für den Fall des Eidbruchs darstelle. Diesen mit der christlichen Lehre unvereinbaren Charakter habe der von der Strafprozeßordnung geforderte Zeugeneid vor den staatlichen Gerichten auch in seiner sogenannten weltlichen Form nicht verloren.
Die angefochtenen Beschlüsse achteten seine Glaubensüberzeugung nicht. Der hierdurch bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG sei nicht zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter erforderlich. Die Eidesleistung könne nach den Ergebnissen der Kriminalstatistik keinesfalls als unabdingbar notwendiges Mittel der Wahrheitsfindung im Strafprozeß gelten.
III.
Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Justiz zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. Er hält sie für begründet. Die Verweigerung der Eidesleistung beruhe auf einer ernst zu nehmenden Glaubensentscheidung des Beschwerdeführers. Zwar stelle die Eidesleistung ohne religiöse Beteuerungsformel der Sache nach eine rein weltliche Bekundung der Wahrheit

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einer Aussage oder der Ernsthaftigkeit eines Versprechens dar. Die Auffassung, daß dem Eid als solchem ein religiöser Bezug innewohne, treffe nur historisch zu, gelte aber nicht für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in der die weltliche Form der Eidesleistung neben der religiösen Form ausdrücklich vorgesehen sei. Gleichwohl könnten nach dem Text der Bergpredigt beachtliche Glaubens- und Gewissensgründe auch gegenüber der Leistung des Eides in seiner weltlichen Form bestehen. Ob eine solche religiöse Auffassung der Sache nach zutreffe, spiele keine Rolle; entscheidend sei allein, daß Glaubens- und Gewissensgründe denkbar seien, nach denen jede Eidesleistung eine Verletzung von Gottes Gebot bedeute.
 
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Der Zeugeneid ist zwar, sofern er gemäß § 66c Abs. 2 StPO ohne Anrufung Gottes geleistet wird, nach der Wertordnung des Grundgesetzes eine rein weltliche Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage ohne religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug. Die entgegengesetzte Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers ist gleichwohl durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt. Der Beschwerdeführer war deshalb berechtigt, die Leistung des Eides zu verweigern; in der Wahrnehmung seines Grundrechts durfte er nicht durch die Verurteilung zu einer Ordnungsstrafe und zur Tragung von Kosten beeinträchtigt werden.
I.
Gesetzliche Bestimmungen, die zur Leistung eines Eides ohne Anrufung Gottes verpflichten, sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Das Grundgesetz bestimmt in Art. 140 in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV, daß niemand zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden darf. Diese als Bestandteil des Grundgesetzes fortgeltende Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung behandelt den Eid als ein vom Verfassungsgeber vor

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gefundenes Rechtsinstitut und schafft eine Modifizierung der bis zu ihrem Erlaß nach einfachem Recht (vgl. z. B. § 62 StPO in der Fassung vom 1. Februar 1877 - RGBl. S. 253 -) geltenden Eidespflicht insoweit, als sie nunmehr von Verfassungs wegen die Benutzung einer nicht religiösen Eidesform zur Wahl stellt und bestehende Eidespflichten auf diese Form des Eides begrenzt (vgl. Art. 177 WRV). In Art. 56 und 64 Abs. 2 bestimmt das Grundgesetz außerdem, daß der Bundespräsident, der Bundeskanzler und die Bundesminister bei ihrem Amtsantritt einen Eid in religiöser oder in nicht religiöser Form zu leisten haben.
Da die Verfassung als eine einheitliche Ordnung mit dem Ziel auszulegen ist, Widersprüche zwischen ihren einzelnen Regelungen zu vermeiden (vgl. BVerfGE 1, 14 [32 f.]; 19, 206 [220]), kann dem gemäß Art. 56 Satz 2 GG ohne religiöse Beteuerung geleisteten Eid nur die Bedeutung eines besonders ernsten, jedenfalls aber rein weltlichen Gelöbnisses beigelegt werden. Dieses Gelöbnis wird gesprochen und bindet nicht mehr in Ansehung der Verantwortung des Schwörenden vor Gott, sondern allein im Hinblick auf die Verantwortung vor der im Staat vereinigten Volksgesamtheit und die ihr gegenüber bestehenden Pflichten (in diesem Sinne schon Friesenhahn, Der politische Eid [1928], S. 11 f.). Läge dem Art. 56 GG das Verständnis zugrunde, daß jeder, also auch der ohne religiöse Beteuerung geleistete Eid einen religiösen Bezug habe, so stünde diese Norm im Widerspruch zu Art. 136 Abs. 4 WRV. Wenn das Grundgesetz selbst trotz der Regelung des Art. 136 Abs. 4 WRV und trotz des Gebots staatlicher Neutralität in Fragen des Glaubens und der Weltanschauung (vgl. BVerfGE 18, 385 [386]; 19, 206 [216]; 24, 236 [246]) die Leistung eines Eides (ohne religiöse Beteuerung) bindend vorschreibt, so kann dieser Eid nur den Charakter eines Versprechens ohne religiösen Bezug haben.
Diese Wertung des ohne Anrufung Gottes geleisteten Eides durch den Verfassungsgeber strahlt in einem Rechtssystem, das im ganzen unter der Herrschaft der Verfassung steht und an sie gebunden ist, auch auf andere in einfachen Gesetzen niedergelegte

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Eidespflichten aus. Deshalb haben die ohne religiöse Beteuerung geleisteten Eide, also auch der Zeugeneid (§ 66c Abs. 2 StPO, § 481 Abs. 2 ZPO), nach der Vorstellung des Gesetzgebers keinerlei religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug mehr; sie stellen keine "religiöse Eidesform" im Sinne des Art. 136 Abs. 4 WRV dar. Mit dem überkommenen Eid früherer Jahrhunderte haben sie nach der normierten Absicht des Gesetzgebers nur noch den Namen gemein.
II.
Der Beschwerdeführer wird in seiner Glaubensüberzeugung, die sich dieser Wertung der Verfassung und des einfachen Gesetzes verschließt und den heutigen Eid auch in seiner nicht religiösen Form weiterhin als eine religiös bezogene und nach dem Wortlaut der Bergpredigt von Gott verbotene Handlung ansieht, durch das Grundrecht der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG geschützt. Er verweigert die Leistung des Eides als Zeuge nicht ohne "gesetzlichen Grund" im Sinne des § 70 Abs. 1 StPO und darf deshalb nicht - auch nicht mittelbar durch Verhängung einer Ordnungsstrafe - daran gehindert werden, sich dem Gebot seines Glaubens gemäß zu verhalten.
1. Die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen einen Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht (BVerfGE 12, 1 [3]). Hierzu gehört nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (BVerfGE 32, 98 [106]). Aus dem für den Staat verbindlichen Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität (BVerfGE 18, 385 [386]; 19, 206 [216]; 24, 236 [246]) und dem Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse (BVerfGE 19, 1 [8]; 24, 236 [246]) folgt, daß die zahlenmäßige Stärke oder soziale Relevanz einer bestimmten Glaubenshaltung keine Rolle spielen kann. Als spezifischer Ausdruck der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten

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Menschenwürde schützt Art. 4 Abs. 1 GG gerade auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung, die von den Lehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften abweicht. Dem Staat ist es verwehrt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren (BVerfGE 19, 206 [216]) oder den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten (BVerfGE 12, 1 [4]).
Das vom Grundgesetz gewährleistete Recht der Glaubensfreiheit wird weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Güterabwägungsklausel relativiert. Seine Grenzen dürfen nur von der Verfassung selbst, d. h. nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems gezogen werden (BVerfGE 12, 1 [4]; 32, 98 [108]). Insbesondere schließt die enge Beziehung der Glaubensfreiheit zur Menschenwürde als dem obersten Wert im System der Grundrechte es aus, Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, ohne weiteres den Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten - unabhängig von seiner glaubensmäßigen Motivierung - vorsieht (BVerfGE 32, 98 [108]). Kennzeichnend für einen Staat, der die Menschenwürde zum obersten Verfassungswert erklärt und der Glaubens- und Gewissensfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt und unverwirkbar garantiert, ist vielmehr, daß er auch Außenseitern und Sektierern die ungestörte Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß ihren subjektiven Glaubensüberzeugungen gestattet, solange sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte anderer erwachsen.
2. a) Der Beschwerdeführer weigert sich aufgrund einer aus der Bibel abgeleiteten, eigenen Glaubensüberzeugung, den Zeugeneid zu leisten. Er trägt vor, daß nach seiner Glaubenserkenntnis jeder Eid durch göttlichen Spruch verboten sei; schon der Akt des Schwörens als solcher stelle aus seiner Sicht eine mit der christlichen Lehre unvereinbare, magischen Vorstellungen zugehörige Selbstverfluchung für den Fall des Eidbruchs dar. Diese Glaubens

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haltung findet im Wortlaut der Bibel (Matth. 5, 33-37) eine gewisse Stütze und wird auch von einer Richtung der neueren Theologie vertreten (Nachweise bei Hildburg Bethke: Eid, Gewissen, Treuepflicht [1965], insbesondere Gollwitzer S. 7; Fürst S. 68 ff.; Bauernfeind S. 79 ff.). Schon deshalb kann sie im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 GG nicht unberücksichtigt bleiben. Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen.
b) Die Eidesverweigerung des Beschwerdeführers verläßt den staatlichem Zugriff prinzipiell verschlossenen, inneren Glaubensbereich und gerät in Konflikt mit einer Pflicht, welche die staatliche Gemeinschaft grundsätzlich allen Bürgern im Interesse einer wirksamen Rechtspflege auferlegt hat. Der Gesetzgeber sieht insbesondere im Strafverfahren den Zeugeneid als ein im Regelfall unentbehrliches Mittel der Wahrheitsfindung an und geht deshalb - im Gegensatz zu anderen Prozeßgesetzen (vgl. etwa § 391 ZPO) - in §§ 59 ff. StPO vom Grundsatz der obligatorischen Zeugenvereidigung aus.
Fordert das einfache Recht hiernach zwar - für sich betrachtet - vom Beschwerdeführer die Leistung des Zeugeneides, so unterliegt doch das übergeordnete Grundrecht des Beschwerdeführers, den Eid gemäß seiner Glaubenserkenntnis verweigern zu dürfen und nicht durch eine Ordnungsstrafe mittelbar zu einem dieser Erkenntnis widersprechenden Tun angehalten zu werden, keiner aus dem Wertsystem des Grundgesetzes selbst abzuleitenden Begrenzung.
Eine solche Begrenzung folgt insbesondere nicht aus Art. 136 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG. Das Verhältnis, in dem diese aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommene Bestimmung heute zum Grundrecht der Glaubensfreiheit steht, rechtfertigt nicht den im angefochtenen Beschluß des Oberlandesgerichts zu Art. 136 Abs. 4 WRV gezogenen Umkehrschluß, jedermann dürfe im Rahmen der geltenden Gesetze zur Benutzung einer nicht religiösen Eidesform gezwungen werden. Der Grundgesetzgeber hat die Glaubens- und Gewissensfrei

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heit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung gelöst und ohne jeden Gesetzesvorbehalt in den an der Spitze der Verfassung stehenden Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte aufgenommen (vgl. BVerfGE 19, 206 [219 f.]; 24, 236 [246]). Art. 136 WRV ist deshalb im Lichte der gegenüber früher (vgl. Art. 135 WRV) erheblich verstärkten Tragweite des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit auszulegen; er wird nach Bedeutung und innerem Gewicht im Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung von Art. 4 Abs. 1 GG überlagert (vgl. auch Herzog in Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 4, Nr. 117; Bahlmann, Der Eideszwang als verfassungsrechtliches Problem, in Festschrift für Adolf Arndt, S. 37 [47 ff.]). Welche staatsbürgerlichen Pflichten im Sinne des Art. 136 Abs. 1 WRV gegenüber dem Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 GG mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden dürfen, läßt sich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nur nach Maßgabe der in Art. 4 Abs. 1 GG getroffenen Wertentscheidung feststellen.
Ein verfassungssystematisches, den Gewährleistungsbereich des Art. 4 Abs. 1 GG begrenzendes Hindernis, das beim Zeugeneid die Hinnahme der Glaubensentscheidung des Beschwerdeführers ausschließen könnte, läßt sich auch nicht daraus entnehmen, daß die Art. 56, 64 Abs. 2 GG den Bundespräsidenten und andere Verfassungsorgane verpflichten, einen Amtseid zu leisten. Diese Verpflichtungen erwachsen aus dem freiwillig gefaßten Entschluß, die Wahl in das Amt eines Verfassungsorgans anzunehmen, in dem der Staat in besonders ausgeprägter Weise unmittelbar zu repräsentieren ist und das deshalb grundsätzlich die vollkommene Identifizierung des Gewählten mit den in der Verfassung niedergelegten Wertungen voraussetzt. Hingegen ist jedermann verpflichtet, vor Gericht als Zeuge auszusagen und nach Maßgabe der Gesetze die Wahrheit seiner Aussage zu beschwören. Die Eidespflicht darf mit den im Gesetz (vgl. § 70 StPO, § 390 ZPO) vorgesehenen Zwangsmitteln durchgesetzt werden. In allen Fällen, in denen ein Gericht die Vereidigung eines Zeugen anordnet, der den Eid aus Glaubensgründen verwirft, entsteht ein Konflikt,

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dem der betroffene Bürger nicht ausweichen kann. Bereits dieser grundlegende Unterschied zwischen Zeugeneid und Amtseid schließt es aus, beide Eidesarten gleich zu behandeln und die Zulässigkeit staatlicher Sanktionen gegen die Eidesverweigerung eines Zeugen mit den gleichen Maßstäben zu beurteilen, die für den Amtseid gelten.
c) Der Beschwerdeführer kann gemäß Art. 4 Abs. 1 GG verlangen, daß er von der höchstpersönlich zu erfüllenden Eidespflicht befreit wird, weil ihm seine Glaubensüberzeugung diese Handlung verbietet. Andere mit Verfassungsrang ausgestattete Gemeinschaftsinteressen oder Grundrechte Dritter werden hierdurch nicht verletzt.
Die Freistellung von der gesetzlichen Eidespflicht im Einzelfall hebt die generelle Gültigkeit der pflichtbegründenden Norm nicht auf. Der Staat läßt in Vollziehung der Garantie des Grundrechts lediglich eine Ausnahme zu, um einen unausweichlichen, den Betroffenen in seiner geistig-sittlichen Existenz als autonome Persönlichkeit berührenden Konflikt zwischen staatlichem Gebot und Glaubensgebot zu lösen. Damit wird der vor allem in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 und 4 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung der Verfassung für Toleranz als einem tragenden Prinzip der freiheitlichen Demokratie entsprochen. Das Gebot staatlicher Toleranz in Fragen des Glaubens und der Weltanschauung gilt insbesondere gegenüber Minderheiten und Sekten, die nach den vorliegenden tatsächlichen Erfahrungswerten schon zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen.
Das Interesse der staatlichen Gemeinschaft an einer funktionstüchtigen Rechtspflege, das im Wertsystem des Grundgesetzes seinen Platz hat (vgl. Art. 92 GG) und das, da jede Rechtsprechung letztlich der Wahrung der Grundrechte dient, nicht gering zu bewerten ist, wird durch die Hinnahme einer gegen die Zulässigkeit des Eides gerichteten Glaubensentscheidung im Einzelfall nicht beeinträchtigt. Die vom Gesetzgeber als Mittel der Wahrheitsfindung für unentbehrlich angesehene Bekräftigung der Wahrheit einer Zeugenaussage muß nicht notwendig gerade in der Form des

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Eides, unter Verwendung des Wortes "schwören" erfolgen. Gerade weil der ohne ausdrückliche Anrufung Gottes geleistete Eid nach der normierten Absicht des Gesetzgebers keinerlei religiöse, den Zeugen in seinen transzendenten Bezügen ansprechende Bedeutung mehr hat, könnte jedenfalls für einzelne Personen oder Personengruppen eine andere gleichgewichtige Beteuerung an seine Stelle treten, bei der die im Irdischen und Weltlichen verbleibende Tragweite einer ernsten Pflichtenmahnung nicht durch den Gebrauch geschichtlich belasteter Worte in Frage gestellt wird.
Der Gesetzgeber selbst läßt in § 66e StPO, § 484 ZPO und in anderen Normen zu, daß Mitglieder bestimmter Religionsgesellschaften, denen durch besonderes Gesetz der Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln anstelle des Eides gestattet ist, eine solche Beteuerung als gleichwertigen, mit gleicher Strafandrohung bewehrten (vgl. § 155 Nr. 1 StGB) Ersatz des an sich vorgeschriebenen Eides sprechen. Damit stellt er klar, daß Glaubenskonflikte auch hinsichtlich des "weltlichen" Eides nicht nur denkbar sind, sondern daß ihnen auch nachzugeben ist, ohne daß dadurch die Rechtspflege Schaden nimmt. Die genannten Bestimmungen zugunsten einzelner Sekten entsprechen den Forderungen des Art. 4 Abs. 1 GG jedoch nicht in vollem Umfang: Das "Sektenprivileg" läßt sich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht mehr als von hoher Hand einer Religionsgesellschaft gewährte Vergünstigung rechtfertigen; vielmehr müssen, weil das Grundrecht der Glaubensfreiheit weder von der Mitgliedschaft in Religionsgesellschaften noch von gesetzlicher Anerkennung abhängig ist, alle Bürger, die sich aus einer individuell getroffenen Glaubensentscheidung zur Leistung eines Eides außerstande sehen, von der Eidespflicht freigestellt werden.
3. Das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf haben bei der Auslegung und Anwendung des § 70 Abs. 1 StPO die Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 4 Abs. 1 GG verkannt. Der Beschwerdeführer durfte nicht den Sanktionen unterworfen werden, die das Gesetz für Personen

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vorsieht, welche den Eid ohne glaubensmäßige Motivierung verweigern.
Solange der Gesetzgeber die Befugnis, den Zeugeneid aus Glaubensgründen zu verweigern, nicht in einer dem Art. 4 Abs. 1 GG entsprechenden Weise geregelt hat, äußert das Grundrecht seine unmittelbare und notfalls korrigierende Wirkung im Bereich des bestehenden Strafprozeßrechts (vgl. BGHSt 19, 325 [330]). § 70 Abs. 1 StPO ist deshalb verfassungskonform so auszulegen, daß als "gesetzlicher Grund", der zur Verweigerung des Eides berechtigt, nicht nur die in der Strafprozeßordnung aufgezählten Fälle (§§ 60 bis 63, 66e StPO) in Betracht zu ziehen sind, sondern daß auch das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG im Einzelfall von der Pflicht zur Beeidigung einer Aussage befreit (vgl. BVerfGE 25, 296 [305] für ein unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 GG abzuleitendes Zeugnisverweigerungsrecht). Hierdurch tritt weder ein Widerspruch zum Wortlaut und objektiven Sinngehalt des § 70 Abs. 1 StPO auf, noch wird der normative Regelungsinhalt der Bestimmungen über die Eidespflicht und ihre Durchsetzung (§§ 59, 70 StPO) generell neu bestimmt (vgl. BVerfGE 2, 266 [282]; 8, 71 [78 f.]; 18, 97 [111]).
Der Gesetzgeber wird jedoch unverzüglich eine Regelung treffen müssen, die den Forderungen des Art. 4 Abs. 1 GG entspricht, damit diejenigen Personen, die den Zeugeneid unter Berufung auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verweigern dürfen, nicht von jeglicher Verpflichtung, die Wahrheit ihrer Aussage unter erhöhter Strafdrohung bekräftigen zu müssen, freigestellt bleiben und dadurch in gleichheitswidriger Weise begünstigt werden. Die Absicht, eine derartige Gesetzesänderung vorzuschlagen, hat der Bundesminister der Justiz bereits im Mai 1968 in einer Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht in einem anderen die Eidesnormen der Strafprozeßordnung betreffenden Verfahren geäußert.
Die angefochtenen Beschlüsse beruhen auf der gegen Art. 4 Abs. 1 GG verstoßenden Auslegung des § 70 Abs. 1 StPO. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist zur anderweitigen Entschei

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dung über die Kosten an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückzuverweisen (vgl. BVerfGE 6, 386 [389]).
III.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist das Land Nordrhein-Westfalen, dem die vom Beschwerdeführer erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.
IV.
Diese Entscheidung ist mit 5 gegen 2 Stimmen ergangen.
(gez.) Seuffert, Dr. v. Schlabrendorff, Dr. Rupp, Hirsch, Dr. Rinck, Dr. Rottmann, Dr. Wand
 
Abweichende Meinung des Richters Dr. v. Schlabrendorff zum Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. April 1972
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In der Frage der Eidesverweigerung durch einen Zeugen habe ich mich nicht in der Lage gesehen, dem durch die Mehrheit des Senates gefaßten Beschluß zuzustimmen. Meine abweichende Meinung beruht auf den nachfolgenden Gründen:
1. Mit der Mehrheit des Senates bin ich der Ansicht, daß es in der Frage der Eidesverweigerung aus Gründen des Glaubens nur auf Art. 4 GG ankommt. In diesem Art. 4 GG wird der Glaube zur Rechtskategorie erhoben. Wenn man - wie die Mehrheit des Senates - den Art. 4 GG ausschließlich von der Grundlage der verantwortlichen Freiheit des Einzelmenschen her interpretiert, so ist die von der Mehrheit des Senates gefundene Lösung richtig, vorausgesetzt, daß der Zeuge aus keinem anderen Grunde als dem des Glaubens die Leistung des Eides verweigert hat. Nur meine

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ich, daß die Frage, ob Art. 4 GG eingreift, auch unter dem Gesichtspunkt der verantwortlichen durch das Grundgesetz geschaffenen Gesamtordnung zu prüfen ist. Es ist zwar richtig, daß Art. 4 GG im Gegensatz zu Art. 5 GG keine durch den Wortlaut gegebene Begrenzung hat. Auf diesen Gesichtspunkt kann es aber nicht ankommen, weil es keinen Grundsatz gibt, der ohne Begrenzung gelten kann. Im Falle des Art. 4 GG liegt dort die Grenze, wo die Notwendigkeit beginnt, dem Wohl des Gemeinwesens den Vorzug einzuräumen.
Über einen Punkt kann es keine Meinungsverschiedenheit geben: Kein Artikel des Grundgesetzes, auch nicht Art. 4 GG, gibt dem Staatsbürger das Recht der Narrenfreiheit. Es muß sich also um den Ausdruck eines wirklichen Glaubensaktes handeln. Was aber ist Glaube? Die Antwort gibt uns Paul Tillich mit dem Satz, daß der Glaube das ist, was den Einzelnen unmittelbar und unbedingt als letztes angeht. Mit anderen Worten: Glaube ist nicht gleichbedeutend mit Meinung oder Überzeugung. Glaube ist die tiefste Tiefe der für den Menschen erreichbaren Metaphysik. Schon aus dieser Erkenntnis ergeben sich folgende Zweifel: Handelt es sich um die Verweigerung des Eides sowohl in der religiösen wie in der weltlichen Form als Glaubensakt oder handelt es sich hier um nicht mehr als um eine achtbare menschliche Überzeugung, gegründet auf das Bewußtsein der Verantwortung.
2. Der Beschwerdeführer beruft sich zur Begründung seiner Haltung auf die Bergpredigt. Die Mehrheit des Senates meint, der Vortrag des Beschwerdeführers finde eine gewisse Stütze in der Bergpredigt. Dieser Umstand zwingt dazu, sich mit Sinn und Bedeutung der Bergpredigt auseinanderzusetzen.
Sowohl Thomas von Aquino für die Katholische Kirche wie auch Martin Luther und Calvin für die Reformatorische Kirche haben keinen Zweifel gelassen, daß die Bergpredigt sich nicht an den Staat wendet. Die Bergpredigt ist kein Gesetz und vor allem kein Gesetz für den diesseitigen Äon. Sie zeigt vielmehr die Gebote an, die im jenseitigen Äon gelten. Die Bergpredigt darf daher nur unter dem Gesichtspunkt der Eschatologie gelesen und ver

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standen werden. Wer das nicht beherzigt, läuft Gefahr, sich unter die Schwarmgeister zu gesellen, die es für ihre Aufgabe halten, diese Welt unter Hinweis auf die Bergpredigt in ein Pseudoparadies zu verwandeln. Nur die Menschen im jenseitigen Äon leben in der Wahrheit. Die Menschen im diesseitigen Äon leben in der Welt der Tatsachen. Aber ihr Blick wird durch die Bergpredigt gerichtet auf die Welt des Jenseits. Helmut Thielicke vergleicht deshalb die Bergpredigt mit der Gaze, die in der Wunde steckt und die in der Wunde steckenbleiben muß, um den Menschen immer daran zu erinnern, daß er, solange er auf dieser Erde weilt, unvollkommen ist und Vollkommenheit erst im Jenseits erreichen wird.
Wer die Bergpredigt positivistisch auslegt, ist geschichtslos und führt die Gefahr der politischen Verantwortungslosigkeit herauf. Wer so denkt wie der christliche Beschwerdeführer, gibt das weltliche Regiment Gottes preis, verkennt aber gleichzeitig den Sinn der Erlösung und der Bergpredigt mit der Verwerfung des Eides. Hat doch auch Jesus von Nazareth, der in der Weltgeschichte als religiöse Persönlichkeit nicht seinesgleichen hat, nach dem Matthäus-Evangelium vor dem Hohen Rat einen Eid abgelegt. Um es klar zu sagen: Die Auffassung der Mehrheit des Senates, soweit sie sich in den Worten ausdrückt, die Auffassung des Beschwerdeführers habe eine gewisse Stütze in der Bergpredigt, ist eine arge Mißdeutung der Bergpredigt und des Begriffes "Glaube".
Nun ist der Mehrheit des Senates zwar zuzugeben, daß einige moderne Theologen nicht mehr die Auffassung eines Thomas von Aquino und die Vorstellung der Reformatoren teilen. Aber das ist eine Frage der richtigen oder falschen Interpretation der Bergpredigt. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, daß die Haltung des Beschwerdeführers keinen Glaubensakt, sondern eine Fehlinterpretation beinhaltet. Eine offensichtliche Fehlinterpretation, die durch einen Staatsbürger vorgenommen wird, der sich nach seinem eigenen Vortrag zum christlichen Glauben bekennt, hat keinen Anspruch auf den Schutz des Art. 4 GG.
3. Der Staat ist die von Gott gestiftete Erhaltungsordnung.

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Diese Erhaltungsordnung zu bewahren, ist die irdische Aufgabe des Menschen. Dazu dient der Eid. Er ist ein Mittel zur Erzeugung von Wahrheit und Treue gegenüber den einzelnen Staatsbürgern, dem Volke und dem Staat. Will der Staat seiner Erhaltungsaufgabe gerecht werden, so muß er einen Damm gegen die Flut der Zerfallserscheinungen errichten. Er muß fordern, daß der Eid als stärkste Ausprägung der Wechselbeziehung zwischen Einzelbürger und Gemeinschaft seinen Bestand hat.
Wir unterscheiden den assertorischen und den promissorischen Eid. Während der assertorische Eid sich auf Dinge der Vergangenheit bezieht, erstreckt sich der promissorische Eid als Gelübde auf die Zukunft. Nach Art. 56 GG leistet der Bundespräsident einen promissorischen Eid. Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten gemäß Art. 64 GG ebenfalls einen promissorischen Eid. Außerhalb des Grundgesetzes verlangt der Gesetzgeber einen promissorischen Eid vom Berufssoldaten, vom Richter und vom Beamten. Anders ausgedrückt: Nicht nur Gesetze des ordentlichen Rechts, sondern auch Bestimmungen des Grundgesetzes kennen und verlangen den Eid. Daraus schließe ich: Der Eid ist Bestandteil und damit auch eine Rechtskategorie unserer Verfassung. Erstreckt sich der promissorische Eid aber auf die unbekannte Zukunft, so kann der assertorische Eid, der sich auf die Vergangenheit bezieht, per argumentum a majore ad minus nicht verfassungswidrig sein.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß die Weimarer Verfassung im Falle der Vereidigung des Reichspräsidenten keine Anrufung Gottes kannte. Das Grundgesetz hat diese Lösung verworfen und verlangt prima facie die Anrufung Gottes. Deshalb kommt dem Unterschied zwischen der Weimarer Verfassung und dem Grundgesetz eine besondere Bedeutung zu.
Hierbei darf nicht vergessen werden, daß der Eid nicht nur den Eidgeber, sondern auch den Eidnehmer bindet. Der Eidnehmer verpflichtet den Eidgeber zur Treue gegenüber dem deutschen Volk, gegenüber dem Grundgesetz, gegenüber den Gesetzen des Bundes

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und zur Wahrung der Pflichterfüllung und der Gerechtigkeit. In gleicher Weise aber wird hierdurch der Staat gebunden. Durch die Eidnahme verpflichtet sich der Staat zur Treue gegenüber dem Eidgeber. Bei dem assertorischen Eid ist es nicht viel anders. Wie sich der Zeuge durch seinen Eid zur Wahrheit verpflichtet, so verpflichtet sich der Richter durch die Abnahme des Eides zur sorgfältigen Prüfung der Zeugenaussage und damit zur Demut, welche Eigenschaft für keinen Stand wichtiger ist als für den Stand des Richters.
Nicht nur nach dem ordentlichen Recht, sondern auch nach dem Verfassungsrecht hat der Eidgeber die Wahl zwischen dem religiösen Eid und dem Eid ohne religiöse Beteuerung. In diesem Unterschied sieht die Mehrheit des Senates einen entscheidenden Punkt. Ich kann dieser Auffassung nicht zustimmen. Auch ohne Anrufung Gottes hat der Eid durch die Worte "Ich schwöre" einen metaphysischen Bezug. Das ergibt sich einfach aus dem Sprachgebrauch. Das ergibt sich weiter aus dem tief im Volke wurzelnden Gefühl, daß mit dem Gebrauch des Wortes "schwören" ein Weg in die Transzendenz geschaffen wird. Er kann durch keine noch so scharfsinnige Argumentation hinweggedeutet werden. Hierauf hat schon vor vielen Jahrzehnten Windthorst aufmerksam gemacht, als die Erwägung auftauchte, ob man nicht, um den dezidierten Nichtchristen entgegenzukommen, eine gesetzliche Möglichkeit vorsehen sollte, dem religiösen Eid einen Schwur ohne Anrufung Gottes an die Seite zu stellen. Nach meiner Ansicht beruft sich deshalb der Beschwerdeführer zu Recht darauf, daß auch der weltliche Eid nicht ohne religiösen Bezug ist. Will man - wie die Mehrheit des Senates - den Gesetzgeber veranlassen, eine Beteuerungsformel zu schaffen, die auch das Wort "schwören" nicht enthält, so wird mit Sicherheit der Tag kommen, an dem Zeugen aufstehen werden, die auch die Beteuerungsformel ablehnen, weil es in der Bergpredigt heißt: "Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel."
4. In der Präambel unseres Grundgesetzes heißt es, das deutsche Volk habe sich eine neue Ordnung im Bewußtsein seiner Ver

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antwortung vor Gott und den Menschen gegeben. Daraus ergibt sich: Auch unsere Verfassung kennt und bejaht Gott und damit das ganz Andere. Es ist also nicht so, daß die Tendenz des Säkularismus in unserem Volke den Begriff Gott ausgelöscht hat. Jeder Mensch und jeder Staat glaubt an Gott. Der Mensch, der Gott leugnet, glaubt an seinen Abgott. Das gleiche gilt vom Staat.
Die Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft trägt eine Überschrift. Sie lautet: "Im Namen Gottes des Allmächtigen!" Über die Bedeutung dieses Satzes hat kein geringerer als der große Jurist Max Huber in seiner Abhandlung "Vom Wesen und Sinn des schweizerischen Staates gesagt: "Nur auf einen einzigen Punkt möchte ich an dieser Stelle hinweisen, auf eine Frage, die materiell die unwichtigste ist und die letztlich doch die entscheidende ist. Eine Frage, die für den Politiker ganz an der Peripherie liegt, die aber für den Menschen die zentrale Frage sein soll."
Anschließend verweist Max Huber auf die Eingangsformel der schweizerischen Verfassung. Im Anschluß daran fährt Max Huber fort: "Was haben die Gründer des Bundes gedacht, als sie an die Spitze des Bundes den Namen Gottes stellten? War es lediglich ein jener Zeit gemäßer frommer Brauch? Kaum, denn bei andern wichtigen Staatsverträgen der Eidgenossen finden wir diese Worte nicht. ... Sie wollten aus ihrem Glauben heraus zum Ausdruck bringen, daß der Mensch nicht der Anfang und das Ende der Geschichte, nicht deren Herr ist. Sie wollten, als sie in gefahrvoller Zeit die Gründung des Bundes wagten, ihr Werk in die Obhut des Höchsten legen, wissend, daß das irrationale Schicksal von Mensch und Volk nicht Menschenwille und nicht Zufall ist. ... Die entscheidende Frage ist die: Haben diese Eingangsworte der Verfassung für das heutige Schweizervolk noch einen Sinn? Sprechen sie noch mit ihrem vollen Ernst zu einem großen Teil des Volkes?
Diese Frage wird kein Mensch mit Sicherheit beantworten können. Aber eines wagen wir zu sagen: Wenn die Eingangsworte der Verfassung für uns keinen Sinn mehr hätten, dann wäre uns wohl auch der Sinn dessen, was das Wesen unseres schweizerischen Staa

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tes ausmacht, nicht mehr bewußt. Und wenn dem Wesen der Sinn fehlt, dann ist auch das Wesen des Staates an der Wurzel getroffen. Wo aber das Wesen nicht mehr rein und kraftvoll vorhanden ist, ist auch das Sein des Staates in Frage gestellt."
Die Auffassung eines Max Huber gilt auch für uns Deutsche. Es ist keine Frage der Zahl derer, die den Eid ablehnen. Auch der Glaube eines Einzelnen, wenn er sich im Rahmen der Erhaltungsordnung des Staates bewegt, ist durch Art. 4 GG geschützt. Es ist auch keine Frage der Psychologie oder der Soziologie, ob der Eid zur Erforschung der Wahrheit noch heute ein geeignetes oder ungeeignetes Mittel ist, weil der Eid eine Frage des ethischen Prinzips ist. Wichtig und entscheidend ist folgende Erkenntnis: Weder ein Mensch, noch ein Volk, noch ein Staat können ohne Gott leben. Die geschichtliche jahrhundertelange Tradition unseres deutschen Volkes fordert deshalb von uns die Beibehaltung der religiösen Grundlage und damit auch die Beibehaltung des Eides unter gleichzeitiger Neutralität gegenüber allen Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften.
5. Wir Deutsche können niemals wieder auf die Rechte der Freiheit verzichten. Ebensowenig kann auch der Staat darauf verzichten, sich selbst zu erhalten. Es läuft deshalb immer darauf hinaus, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Lebensrecht des Staates. Das haben die Amerikaner frühzeitig erkannt. Deshalb hat der Supreme Court in Washington eine Ausgleichsformel gesucht und gefunden. Er sagt: Die Inanspruchnahme eines Freiheitsrechtes durch einen Einzelnen widerspricht dann der Verfassung, wenn die Inanspruchnahme des Freiheitsrechtes durch einen Einzelnen eine klare und gegenwärtige Gefahr für das Wohl des Gemeinwesens erzeugt. Obwohl diese pragmatische Begründung in Europa auf Widerspruch stößt, sollte man um des Lebens des Gemeinwesens willen lieber auf Gelehrsamkeit verzichten.
Der Jurist weiß, daß das Recht nicht nur eine Summe von Ordnungsvorschriften ist. Es ist vor allem ein ethisches Minimum. Außerdem aber gibt es auch ein religiöses Minimum, auf das kein

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Staat ohne Gefahr seiner Existenz verzichten darf. Wer den Eid unter Anrufung Gottes und den Eid ohne Anrufung Gottes verweigert, verletzt das religiöse unverzichtbare Minimum des Gemeinwesens. Aus diesem Grunde wäre es nach meiner Meinung richtig gewesen, die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen, gleichgültig, ob die Frage der Eidesleistung durch den Beschwerdeführer wirklich eine Sache seines Glaubens war oder eine Sache seiner nach langer Prüfung gewonnenen Überzeugung.
6. Seit langer Zeit haben gewisse Sekten in Deutschland das Recht der Eidesverweigerung. Dieses Recht sollte man nicht antasten, weil es auf altem Herkommen beruht und weil diese Sekten es an Treue gegenüber dem Staat nicht haben fehlen lassen.
Die für gewisse Sekten getroffene Ausnahmeregelung stellt auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar, während der durch die Mehrheitsentscheidung getroffene Beschluß bis zum Erlaß eines neuen Gesetzes eine unerträgliche Ungleichheit schafft zwischen denen, die durch Leistung des Eides sich im Falle der Unwahrheit einer hohen Bestrafung aussetzen, und denen, die den Eid ablehnen und dadurch strafrechtlich nur verfolgt werden können, wenn der in der Mehrzahl der Fälle nahezu unmögliche Beweis gelingt, daß die uneidliche Aussage bewußt falsch gewesen ist.
Ich fasse zusammen: Die Schutzwürdigkeit des Gemeinwesens steht höher als die geringfügige Beeinträchtigung der durch den Beschwerdeführer vertretenen Überzeugung.
(gez.) Dr. v. Schlabrendorff