BVerfGE 4, 31 - 5% Sperrklausel


BVerfGE 4, 31 (31):

1. Eine ausdehnende Anwendung der für verwandte Verfahren geltenden Fristvorschriften auf die Verfahren des § 13 Nr. 10 BVerfGG ist unzulässig.
2. Der Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt.
3. Die Eigenschaft einer politischen Partei als Vertretung einer nationalen Minderheit begründet keine so wesentliche Verschiedenheit, daß der Gesetzgeber sie bei der Gestaltung der Rechte der politischen Parteien im Wahlverfahren berücksichtigen müßte.
 
Urteil
des Zweiten Senates vom 11. August 1954
- 2 BvK 2/54 -
in dem Verfassungsrechtsstreit betreffend § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz) vom

BVerfGE 4, 31 (32):

22. Oktober 1951 (GVBl. S. 180) in der Fassung es Gesetzes vom 5. November 1952 (GVBl. S. 175). - Antragsteller: der Südschleswigsche Wählerverband in Schleswig, vertreten durch den geschäftsführenden Vorsitzenden Bibliothekar Friedrich Mommsen. - Antragsgegner: 1. die Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein, vertreten durch den Ministerpräsidenten. 2. der Landtag des Landes Schleswig-Holstein, vertreten durch den Landtagspräsidenten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL:
1. Die Anträge werden abgewiesen.
Die Antragsgegner haben durch Erlaß des Gesetzes vom 5. November 1952 zur Neufassung einiger Bestimmungen des Landeswahlgesetzes (GVBl. S. 175) nicht gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein) verstoßen.
2. Der Antrag der Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein, dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen, wird abgewiesen.
 
Gründe:
 
A. - I.
Nach § 3 Abs. 1 des schleswig-holsteinischen Landeswahlgesetzes (LWG) in der Fassung vom 27. 2. 1950 (GVBl. S. 77) nahmen an dem Verhältnisausgleich nur die Parteien teil, für die in mindestens einem Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt worden war oder die insgesamt 5 v. H. der im Lande abgegebenen gültigen Stimmen erzielt hatten. Durch § 3 Abs. 1 des Landeswahlgesetzes in der Fassung vom 22. 10. 1951 (GVBl. S. 180) war das Quorum von 5 v.H. auf 71/2 v.H. erhöht worden. Gegen diese Gesetzesänderung hatte der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) damals das Bundesverfassungsgericht angerufen und unter anderem geltend gemacht, die neue Fassung verletze den Grundsatz der Gleichheit der Wahl.
Durch Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - (BVerfGE 1, 208 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht daraufhin die Unvereinbarkeit des § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz) in der Fassung

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vom 22. Oktober 1951 (GVBl. S. 180) mit Art. 3 Abs. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein festgestellt.
Auf dieses Urteil hin hat die Landesregierung im Landtag den Entwurf eines "Gesetzes zur Neufassung einiger Bestimmungen des Landeswahlgesetzes" eingebracht (Landtagsdrucksache Nr. 216 vom 29. Juli 1952). Der Landtag hat der Regierungsvorlage entsprochen und in seiner Sitzung vom 28. Oktober 1952 dem § 3 Abs. 1 des Landeswahlgesetzes die folgende Fassung gegeben:
    "(1) An dem Verhältnisausgleich nimmt jede politische Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie in mindestens einem Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt 5 v. H. der im Lande abgegebenen gültigen Stimmen erzielt hat."
Das Gesetz, das diese neue Fassung enthält, wurde am 5. November 1952 ausgefertigt und am 28. November 1952 verkündet (GVBl. S. 175). Die Neufassung unterscheidet sich von der für verfassungswidrig erklärten Bestimmung dadurch, daß das Quorum von 7,5 v. H. wieder auf das frühere Quorum von 5 v. H. zurückgeführt worden ist.
Der SSW, der bei der Landtagswahl 1947 mit 99 500 Stimmen 9,27%, bei der Bundestagswahl 1949 mit 75 386 Stimmen 5,4% und bei der Landtagswahl 1950 mit 71 811 Stimmen 5,5% der insgesamt im Lande abgegebenen Stimmen erzielt hatte (vgl. BVerfGE 1, 215), erhielt bei der Bundestagswahl am 6. September 1953 44 339 Erststimmen (44 585 Zweitstimmen) und damit 3,3% der im Land Schleswig-Holstein abgegebenen Stimmen (vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters über das Ergebnis der Wahl zum zweiten Bundestag im Land Schleswig-Holstein am 6. September 1953 vom 24. September 1953, ABl. S. 430 ff.).
II.
Der SSW ist der Auffassung, auch der neue § 3 Abs. 1 des Landeswahlgesetzes verstoße gegen die Gleichheitsgrundsätze

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der Landessatzung für Schleswig-Holstein (LS) und des Grundgesetzes. Er hat durch Schriftsatz vom 4. Juni 1954 erneut einen Verfassungsrechtsstreit gegen Landesregierung und Landtag beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht und den Antrag gestellt, zu erkennen:
    1. § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig- Holstein (Landeswahlgesetz) vom 22. Oktober 1951 in der Fassung des Gesetzes vom 5. November 1952 (GVBl. S. 175) verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein und Art. 3 GG;
    2. die dem Antragsteller erwachsenen außergerichtlichen Kosten werden den Antragsgegnern auferlegt.
Hilfsweise hat er mit Schriftsatz vom 14. Juli 1954 den Antrag gestellt,
    festzustellen, daß § 3 Abs. 1 LWG gegenüber Parteien nationaler Minderheiten nicht zur Anwendung gelangt.
Die Landesregierung hat mit Schriftsatz vom 26. Juni 1954 beantragt,
    1. a) den Antrag des SSW vom 4. 6. 1954 gemäß § 24 BVerfGG zu verwerfen;
hilfsweise
    b) ihn als unbegründet abzuweisen;
    2. die dem Lande Schleswig-Holstein außergerichtlich entstandenen Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen.
Der Landtag hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 1954 den gleichen Antrag wie die Landesregierung unter Nr. 1 gestellt.
Die Antragsgegner halten den Antrag des SSW für unzulässig, da die Voraussetzungen einer Verfassungsstreitigkeit nach Art. 37 Nr. 1 LS nicht gegeben seien und der Antrag gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG als verspätet anzusehen sei. Die Landesregierung bestreitet überdies ihre Passivlegitimation. Selbst wenn der Antrag aber zulässig sein sollte, müsse er als unbegründet zurückgewiesen werden, da § 3 Abs. 1 LWG weder das Grundgesetz noch die Landessatzung verletze.


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Das Gericht hat der Bundesregierung Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Bundesminister des Innern hat durch Schriftsatz und durch einen Vertreter in der mündlichen Verhandlung allgemein zur Frage der Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht Stellung genommen.
 
B. - I.
Der Antrag des SSW ist gemäß Art. 99 des Grundgesetzes (= § 13 Nr. 10 BVerfGG) in Verbindung mit Art. 37 Nr. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein zulässig.
1. Es handelt sich um einen Organstreit der gleichen Art wie der im Urteil vom 5. April 1952 entschiedene. In jenem Urteil ist des näheren ausgeführt, daß auch der Erlaß eines Gesetzes eine "Maßnahme" sein kann, die durch Nichtbeachtung einer höheren Norm Rechte eines "Beteiligten" verletzen und daher Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne der Art. 99 GG, 37 Nr. 1 LS werden kann, und daß politische Parteien als Faktoren im inneren Bereich des Verfassungslebens eine Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durch ein Wahlgesetz als "Beteiligte" im Organstreit geltend machen können (vgl. BVerfGE 1, 218 ff.). Der Senat hält an dieser Rechtsauffassung fest. Er sah sich allerdings zunächst daran gehindert, den politischen Parteien weiterhin diese Befugnis zuzugestehen, weil der Erste Senat seit dem Urteil vom 5. April 1952 in mehreren Fällen den politischen Parteien zur Verfolgung derartiger Rechte den Weg der Verfassungsbeschwerde eröffnet hatte (vgl. Urteil vom 1. 8. 1953 - 1 BvR 281/53 - BVerfGE 3, 19 ff. und Urteil vom 3. 6. 1954 - 1 BvR 183/54). Der Zweite Senat hielt es nämlich nach dem bestehenden System der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht für möglich, daß politische Parteien wegen Verletzung ihrer Rechtsstellung im Wahlverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als "Beteiligte" "Rechte auf Teilhabe am Verfassungsleben" geltend machen und außerdem als "Jedermann" "Grundrechte" gegen die öffentliche Gewalt verfolgen könnten. Er hat daher diese Rechtsfrage gemäß § 16

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Abs. 1 BVerfGG dem Plenum des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt. Das Plenum hat am 20. Juli 1954 beschlossen:
    "Politische Parteien können die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durch die rechtliche Gestaltung des Wahlverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht nur im Wege des Organstreits geltend machen."
2. Auch die Landesregierung ist passiv legitimiert, weil sie durch Initiative, Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes an der angefochtenen "Maßnahme" mitgewirkt hat (vgl. BVerfGE 1, 230 f.).
3. Der Antrag ist nicht verspätet.
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat im neunten Abschnitt für die Verfahren nach § 13 Nr. 10 weder unmittelbar eine Antragsfrist bestimmt noch zur entsprechenden Anwendung auf Vorschriften verwiesen, die Fristbestimmungen enthalten. Das Land Schleswig-Holstein hat auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch Landesrecht die Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes insoweit zu ergänzen und eine Frist für Anträge gemäß Art. 37 Nr. 1 LS einzuführen.
Es ist nicht zulässig, § 64 Abs. 3 BVerfGG entsprechend anzuwenden. Zwar trifft es zu, daß die durch Art. 37 Abs. 1 LS der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterstellten Organstreitigkeiten im Lande Schleswig-Holstein den Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bundesorganen (§ 13 Nr. 5 BVerfGG) entsprechen, in denen gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG der Antrag binnen sechs Monaten gestellt werden muß, nachdem die beanstandete Maßnahme dem Antragsteller bekanntgeworden ist. Es ist auch richtig, daß das Bundesverfassungsgericht je nach der Besonderheit der einzelnen unter § 13 Nr. 10 BVerfGG fallenden Verfahren besondere Rechtsgrundsätze entwickeln und für verwandte Verfahren ausdrücklich gegebene Vorschriften ent

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sprechend anwenden kann. Denn wenn dem Gericht eine Aufgabe übertragen ist, muß es dafür auch ein Verfahren geben, und soweit dieses Verfahren nicht gesetzlich geordnet ist, muß das Gericht selbst diejenigen Rechtsgrundsätze finden, die für eine recht- und ordnungsmäßige Prozeßführung notwendig sind, ohne die für das Verfahren nicht auszukommen ist. Darüber hinaus darf das Gericht aber das Gesetz nicht durch Verfahrensregeln ergänzen. Die Festsetzung einer bestimmten Antragsfrist ist für den Organstreit aber weder begrifflich noch tatsächlich notwendig, mag sie auch zweckmäßig erscheinen. Wenn das Gesetz eine besondere Frist nicht ausdrücklich bestimmt, bleibt keine "Lücke" offen, sondern die Antragstellung ist unbefristet.
Eine ausdehnende Anwendung der für verwandte Verfahren geltenden Fristvorschriften auf die Verfahren des § 13 Nr. 10 BVerfGG oder die Annahme eines allgemeinen Verfahrensgrundsatzes, daß Anträge im Verfassungsstreitverfahren binnen sechs Monaten gestellt werden müssen, widerspräche überdies dem Wesen der Fristvorschriften als formaler Ordnungsvorschriften, die als jus strictum allein der Rechtssicherheit dienen. Fristen müssen aus dem Gesetzestext sofort, eindeutig und klar erkennbar sein. Sie können nicht erst aus Sinn und Zusammenhang der Gesetze durch ausdehnende und vielleicht sogar überraschende Auslegung gefunden werden (vgl. dazu Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, II, 2, 1952, S. 72 ff. und Urteile des Schweizerischen Bundesgerichts BGE 49 I 293 ff., 56 I 440 ff.).
Diese Feststellungen dürfen allerdings nicht dahin mißdeutet werden, als ob im Organstreit des § 13 Nr. 10 BVerfGG Anträge nach Belieben hinausgezögert werden dürften. Wenn solche Anträge ohne ausreichenden Grund so spät gestellt werden sollten, daß das rechtliche Gehör der Beteiligten, die sorgfältige Prüfung der Rechts- und Sachlage oder die rechtzeitige Entscheidung nicht mehr möglich sind, wenn z. B. ein Wahlrechtsstreit so kurz vor den Wahlen anhängig gemacht wird, daß sich bis zum Wahltermin ein geordnetes Verfahren nicht mehr durch

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führen läßt, wird zu prüfen sein, ob die Anträge wegen Rechtsmißbrauchs als unzulässig abzuweisen sind.
Im gegenwärtigen Rechtsstreit kann diese Frage dahingestellt bleiben, da ein Rechtsmißbrauch der angedeuteten Art nicht anzunehmen ist. Wie der Vorsitzende der Landtagsfraktion des SSW, Landtagsabgeordneter Münchow, in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, wurde der Antrag deshalb erst einundeinhalb Jahre nach der angefochtenen Maßnahme, dem Gesetz vom 5. November 1952, und kurz vor der Neuwahl des Landtags gestellt, weil der SSW, durch § 9 Abs. 5 des Bundeswahlgesetzes (BWG) vom 8. Juli 1953 ermutigt, zunächst durch Antrag vom 9. April 1954 vergeblich eine Änderung des Landeswahlgesetzes durch Anpassung an § 9 Abs. 5 BWG zu erreichen suchte (Sten. Bericht über die Verhandlungen des Landtags am 27. April 1954, S. 1531 ff.; Landtagsdrucksache Nr. 573).
II.
1. Der Antragsteller beruft sich für die Unzulässigkeit der Einführung eines Quorum von 5% zunächst auf die bindende Wirkung und auf die Rechtskraft des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 1952.
Die bindende Wirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG muß deutlich unterschieden werden von der Rechtskraftwirkung, die den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gleich denen anderer Gerichte zukommt.
Die Bindungswirkung besteht nicht für das Bundesverfassungsgericht selbst. Das Gericht kann seine in einer früheren Entscheidung vertretenen Rechtsauffassungen aufgeben, auch soweit sie für die damalige Entscheidung tragend waren. Ein Senat ist nur genötigt, die Entscheidung des Plenums anzurufen, wenn er von der Rechtsauffassung abweichen will, die eine Entscheidung des anderen Senats trägt.
Das Gericht muß allerdings die materielle Rechtskraft beachten. Diese bezieht sich nur auf die Entscheidungsformel, nicht auch auf die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Urteils

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elemente, wenn die Entscheidungsgründe auch zur Ermittlung des Sinnes der Urteilsformel herangezogen werden können. Im späteren Prozeß bindet die Rechtskraft das Gericht nur dann, wenn es sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien handelt.
Wenn auch wesentliche Rechtsfragen des neuen Verfassungsrechtsstreits die gleichen sind wie in dem durch das Urteil vom 5. April 1952 beendigten, handelt es sich doch nicht um denselben Gegenstand. Die "Maßnahme", die der Antragsteller damals als eine Verletzung seiner Rechte ansah, war die Erhöhung der Sperrklausel von 5% auf 7,5% im § 3 Abs. 1 LWG durch das Gesetz vom 22. Oktober 1951. Im gegenwärtigen Rechtsstreit wird die Festlegung der Sperrklausel auf 5% durch das Gesetz vom 5. November 1952 angefochten. Der gegenwärtige Rechtsstreit hat also einen anderen Gegenstand als der durch das Urteil vom 5. April 1952 entschiedene. Der Senat ist durch jenes Urteil in der freien Entscheidung des jetzigen Rechtsstreits nicht beschränkt.
2. Das Gesetz vom 5. November 1952 ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht deshalb ungültig, weil es dem § 3 Abs. 1 LWG eine "Neufassung" gegeben hat. Der Gesetzgeber hat nicht den vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten alten § 3 Abs. 1 LWG geändert, sondern in aller Form eine vollständige neue Vorschrift an Stelle der für nichtig erklärten geschaffen. Das gesetzgeberische Verfahren ist also nicht zu beanstanden, und es fragt sich nur, ob der neue § 3 Abs. 1 LWG mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit im Einklang steht.
3. Wie schon im Urteil vom 5. April 1952 ausgeführt wurde, ist der Satz von der Wahlrechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 LS) ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitsprinzips (BVerfGE 1, 242). Während Differenzierungen beim Zählwert der Stimmen immer ausgeschlossen sind, können in der Verhältniswahl beim Erfolgswert der Stimmen im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus vernünftigem Grund begrenzte Differenzierungen gerechtfertigt sein. Dabei handelt es sich um Ausnah

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men von der absoluten formalen Gleichheit des Erfolgswertes, die durch den allgemeinen Gleichheitssatz gedeckt sind. Die Gefahr einer die Bildung arbeitsfähiger Parlamente und Regierungen erschwerenden Parteizersplitterung ist ein zureichender Grund dafür, daß in der Verhältniswahl die Zuteilung von Mandaten an die Erzielung eines angemessenen Mindesthundertsatzes der Stimmen im ganzen Land (Quorum) gebunden wird. Ob und wie differenziert werden soll, was also grundsätzlich als eine wegen geringer Stimmenzahl auszuschaltende Partei angesehen wird, das unterliegt der Entscheidung des Gesetzgebers. Aufgabe des Verfassungsgerichts ist es lediglich, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Gegebenheiten zu prüfen, ob die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens überschritten worden sind. Der Senat hat im Urteil vom 5. April 1952 ausgeführt, daß nach der aus den Wahlgesetzen abzulesenden allgemeinen Rechtsüberzeugung Wahlgesetze mit einem Quorum bis zu 5% in der Regel nicht verworfen werden können. Besondere Umstände, die das in § 3 Abs. 1 des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes vorgesehene Quorum von 5% unzulässig machen würden, sind nicht ersichtlich.
Andererseits steht es dem Gesetzgeber frei, von einem zulässigen Quorum Ausnahmen zu machen und Parteien, die das Quorum nicht erreichen, zur Mandatszuteilung zuzulassen, wenn ein zureichender Grund für diese Sonderbehandlung gegeben ist. Solche Gründe könnten etwa sein: die Erringung eines Direktmandates bei Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahl, größere Stimmenzahl in Teilen des Wahlgebietes, oder Eigenschaften einer Partei, die sie ohne Rücksicht auf ihre zahlenmäßige Größe als parlamentswürdig erscheinen lassen.
4. Diejenigen Parteien, welche die in einem bestimmten Wahlgesetz für die Mandatszuteilung aufgestellten zahlenmäßigen Voraussetzungen nicht erfüllen, mögen als "Splitterparteien" bezeichnet werden. Was eine Splitterpartei ist, steht nicht ein für allemal fest, ergibt sich vielmehr erst aus dem Inhalt der jeweiligen Wahlrechtsvorschriften und kann darum eine verschie

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dene Umgrenzung erfahren. Einen allgemeingültigen Begriff der "Splitterpartei" gibt es nicht. Welche Parteien der Gesetzgeber von der Mandatszuteilung ausschließen darf und welche er zulassen muß, kann daher nicht von einem vorgegebenen Begriff der "Splitterpartei" her bestimmt werden.
Das Urteil vom 5. April 1952 führt aus, Parteien mit kleinerer Stimmenzahl seien dann nicht als Splitterparteien anzusehen, wenn sie einen örtlichen Schwerpunkt haben (BVerfGE 1, 252). Diese Begriffsbestimmung kann nach den vorstehenden Ausführungen nur im Rahmen eines Wahlgesetzes zutreffen, das Schwerpunktparteien von dem Quorum ausnimmt, und nur für solche Schwerpunktparteien, welche die in diesem Wahlgesetz festgelegten zahlenmäßigen Voraussetzungen erfüllen. Das Urteil hat nicht ausdrücklich gesagt, daß Parteien mit irgendeinem örtlichen Schwerpunkt zum Parlament zugelassen werden müssen. Da es aber in diesem Sinne verstanden werden könnte. bedarf es insoweit folgender Klarstellung: Es unterliegt der Ermessensentscheidung des Gesetzgebers, der für die Verhältniswahl oder für den Verhältnisausgleich ein Quorum vorsieht, ob er zugunsten von Schwerpunktparteien eine Ausnahme vom Quorum zulassen will. Ebenso steht es in seinem Ermessen, was er als Schwerpunktpartei ansehen will. Er kann also, wie in Schleswig-Holstein, sich darauf beschränken, eine Partei als Schwerpunktpartei nur dann anzuerkennen, wenn sie die für ein Direktmandat erforderliche Stimmenzahl erreicht hat. Er kann aber auch ein anderes zahlenmäßiges Kriterium wählen.
Der Gesetzgeber hat ferner die Möglichkeit, neben dem Kriterium des Schwerpunkts oder statt seiner andere Kriterien der "Bedeutsamkeit" vorzusehen, die zu einer Berücksichtigung bei der Mandatszuteilung führen, obwohl das Quorum nicht erreicht ist. Aber auch bezüglich dieser anderen Kriterien giit das gleiche wie für das Merkmal "Schwerpunktpartei": Der Gesetzgeber kann sie berücksichtigen, er muß es aber nicht.
5. Der SSW beansprucht eine Sonderbehandlung, weil er die Partei einer nationalen Minderheit sei und sein Tätigkeitsgebiet

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auf einen Teil des Landes beschränke. Dieses Verlangen ist nicht berechtigt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob und wieweit es zulässig ist, Parteien, die an sich den Begriff der Splitterpartei im Sinne des betreffenden Wahlgesetzes erfüllen, bei der Mandatszuteilung wegen ihrer besonderen Lage oder wegen besonderer Bedürfnisse des Landes durch eine Sonderregelung zu berücksichtigen. Entscheidend ist nicht, ob der Gesetzgeber die vom SSW geltend gemachten Besonderheiten berücksichtigen durfte, sondern ob er eine solche Unterscheidung machen mußte. Eine den Gleichheitssatz verletzende Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt. Wenn der SSW sich als politische Partei am allgemeinen Wahlkampf wie alle anderen Parteien beteiligt, dann bedeutet es keine willkürliche Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, wenn er allen anderen politischen Parteien formal gleichgestellt wird. Mit Bezug auf die parlamentarische Repräsentation des als Einheit gedachten Staatsvolkes begründet die Eigenschaft als Partei einer nationalen Minderheit keine Verschiedenheit, die wesentlich ist, und die der Gesetzgeber daher bei der Gestaltung der Rechte der politischen Parteien im Wahlverfahren berücksichtigen müßte.
Sollte der SSW so viele Stimmen verlieren, daß er zur "Splitterpartei" wird, so trifft ihn ein Geschick, das alle Parteien, auch politisch bedeutsame, treffen kann.
6. Die auf die Größe der Partei bezogenen Kriterien unterscheiden sich von den nicht auf die Stimmenzahl abstellenden Merkmalen der "Bedeutsamkeit" (nationale, religiöse oder sprachliche Minderheit, geschichtliche Tradition und dgl.) dadurch, daß sie nicht außerhalb des Wahlvorganges liegen, sich vielmehr erst im Wahlvorgang konkretisieren. Hierbei werden alle Parteien gleich gewertet. Auch die Grundmandatsklausel kann von jeder Partei erfüllt werden. Jene anderen Merkmale würden aber dazu führen, daß bestimmte Parteien wegen ihnen anhaftender Eigenschaften eine Sonderstellung erhalten würden.


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Wenn der Gesetzgeber wegen des örtlichen Schwerpunkts Parteien zum Parlament zuläßt, die ein Grundmandat errungen haben, so zwingt diese Ausnahme ihn also nicht dazu, auch eine Ausnahme für Parteien zu machen, die eine nationale Minderheit vertreten oder ihre Tätigkeit auf einen Landesteil beschränken Es handelt sich dabei um Kriterien, die wesensverschieden sind.
7. Wenn sich andere Parteien gegen den SSW zu Wahlbündnissen zusammenschließen und ihn dadurch um das sonst vielleicht erreichbare Grundmandat bringen sollten, so wäre dies keine "anormale Situation", die eine so wesentliche Ungleichheit herbeiführen würde, daß der Gesetzgeber gegen das Willkürverbot verstieße, wenn er ihr nicht durch eine Sonderregelung zugunsten des SSW gerecht würde. Alles das, was sich durch die rechtlich erlaubten Maßnahmen der politischen Parteien im Wahlkreis entwickelt, ist "normale Situation" in einem Wahl-Kampf. Eine Pflicht des Gesetzgebers, den SSW vor den Konsequenzen der damit für alle politischen Parteien bestehenden Risiken zu schützen, kann nicht anerkannt werden.
8. Die Aussage des Urteils vom 5. April 1952, der SSW sei keine "Splitterpartei", könnte, für sich allein genommen, dahin mißverstanden werden, irgendeine Differenzierung des Erfolgswertes unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung von Splitterparteien, die sich zu Lasten des SSW auswirken würde, sei unzulässig. Diese Folgerung zieht das Urteil aber nicht. Es sieht nur "ein über 5% hinausgehendes Quorum, das eine solche Partei als Splitterpartei disqualifizieren würde", als unzulässig an (BVerfGE 1, 258, 260). Damit ist nicht gesagt, daß der SSW auch durch eine 5%-Klausel nicht betroffen werden dürfe.
Das Urteil besagt zu diesen Fragen nichts anderes und nicht mehr als dies:
a) Ein Quorum darf nicht höher sein, als es die Gefahr der Parteienzersplitterung rechtfertigt.
b) Ein für sich allein betrachtet zu hohes Quorum läßt sich durch die alternativ aufgestellte Voraussetzung, daß auch ein in

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direkter Wahl errungenes Mandat genügt, rechtfertigen, allerdings nur bei einer normalen und gleichen Situation in allen Wahlkreisen, die für Südschleswig nicht anzunehmen ist.
Die zu b) dargelegte Rechtsauffassung hält der Senat nicht aufrecht, ohne aber damit von dem Ergebnis des früheren Urteils abzurücken.
Im Urteil ist an anderer Stelle ausgeführt (BVerfGE 1, 248)
    "Der Vorzug der Verhältniswahl wird nun gerade darin gesehen, daß sie den Anteil an den Sitzen im Parlament in möglichst genaue Übereinstimmung mit dem Stimmenanteil der verschiedenen politischen Richtungen im Lande bringt. Hier wird es also als eine Forderung der Gerechtigkeit angesehen, daß jede Stimme grundsätzlich den gleichen Erfolgswert hat. Ein Gesetzgeber, der sich für dieses System entscheidet, und sei es auch nur zusätzlich zur Mehrheitswahl, akzeptiert damit diese Gerechtigkeitsforderung und stellt sein Gesetz unter dieses Maß."
Daraus folgt, daß für die Beurteilung der Zulässigkeit der Differenzierung des Erfolgswertes im Verhältnisausgleich Gesichtspunkte aus dem Mehrheitswahlsystem keine Rolle spielen dürfen. Ist ein Quorum "zu hoch", dann kann es auch nicht durch Verbindung mit Mehrheitswahl-Alternativen "gerettet" werden. Ein "zu hohes" Quorum bleibt unzulässig, ob die Alternativvoraussetzung des Grundmandates vorgesehen ist oder nicht, und ob die Situation in den Wahlkreisen "normal" ist oder nicht.
9. Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller zur Stützung seines Begehrens auf § 9 Abs. 5 des Wahlgesetzes zum zweiten Bundestag vom 8. Juli 1953 (BGBl. I S. 470), der die von nationalen Minderheiten eingereichten Listen von der Sperrklausel des § 9 Abs. 4 ausnimmt. Im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Länder grundsätzlich frei bei der Gestaltung des Landeswahlrechts. Der Senat hat zwar in dem Urteil vom 5. 4. 1952 (BVerfGE 1, 255) ausgeführt, im Bundesstaat spreche viel dafür, daß bei Annahme der gleichen Grundprinzipien für das Wahlrecht die nähere Ausgestaltung

BVerfGE 4, 31 (45):

des Landeswahlrechts der des Bundeswahlrechts angeglichen werde. Eine die Freiheit des Landesgesetzgebers einengende Wirkung könnte aber höchstens solchen Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes zukommen, die rechtsgrundsätzlichen Charakter tragen, in deren Bereich also entscheidende Abweichungen des Landeswahlrechts zu Unstimmigkeiten führen müßten, die im bundesstaatlichen Gefüge schwer ertragen werden könnten. Eine solche Bedeutung für die Auslegung der Wahlrechtsgleichheit kann aber dem § 9 Abs. 5 BWG als einer isolierten Ausnahmevorschrift nicht beigelegt werden.
10. Nach alledem ergibt sich, daß § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein vom 22. Oktober 1951 (GVBl. S. 180) in der Fassung des Gesetzes vom 5. November 1952 (GVBl. S. 175) nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein festgelegten Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verstößt. Die Anträge des SSW waren daher als unbegründet abzuweisen.
 
C.
Nach § 34 Abs. 3 BVerfGG kann das Gericht volle oder teilweise Erstattung der einem Beteiligten erwachsenen Auslagen anordnen. Zu einer derartigen nur als Ausnahme vorgesehenen Anordnung sah das Gericht nach der Prozeßlage keinen Anlaß. Der Kostenantrag der Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein war daher abzuweisen.