BGer 1C_602/2013
 
BGer 1C_602/2013 vom 11.12.2013
{T 0/2}
1C_602/2013
 
Urteil vom 11. Dezember 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Eusebio, Chaix,
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Verfahrensbeteiligte
Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Bereich Administrativmassnahmen, Lessingstrasse 33, Postfach, 8090 Zürich,
Beschwerdeführer,
gegen
X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Gian Moeri.
Gegenstand
Führerausweisentzug,
Beschwerde gegen das Urteil vom 3. Juni 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichter.
 
Sachverhalt:
A. Am 29. August 2008, um ca. 2.00 Uhr, lenkte Y.________ seinen Personenwagen in Baden von der Römerstrasse in Richtung Parkstrasse. Auf dem Beifahrersitz sass seine Ehefrau, auf der Rückbank befanden sich X.________ und ein weiterer Kollege. Die vier Personen befanden sich auf dem Nachhauseweg von einem Fest. Als die Ehefrau des Lenkers unvermittelt aus dem Wagen sprang und um Hilfe rufend wegrannte, hielt dieser das Fahrzeug auf offener Strasse an und lief seiner Frau hinterher. Kurz darauf wurde ein Securitas-Wächter auf das Fahrzeug aufmerksam. Er forderte X.________, der zu diesem Zeitpunkt am Steuer sass, auf, das Fahrzeug von der Strasse zu entfernen. X.________ lenkte das Fahrzeug daraufhin etwa 30 bis 40 Meter weit auf einen Parkplatz. Eine in der Zwischenzeit aufgebotene Patrouille der Kantonspolizei des Kantons Aargau wollte aufgrund der Aussage des Securitas-Wächters bei X.________ einen Atemlufttest und eine Blutentnahme durchführen. X.________ verweigerte dies jedoch mit der Begründung, er habe das Auto zuvor nicht gelenkt.
B. Mit Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 15. September 2009 wurde X.________ der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit im Sinn von Art. 91a Abs. 1 SVG (SR 741.01) schuldig gesprochen. Er wurde mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 160.- (Probezeit: 2 Jahre) und mit einer Busse von Fr. 1'000.- bestraft. Dieser Strafbefehl ist rechtskräftig.
C. Mit Verfügung vom 26. September 2012 entzog das Strassenverkehrsamt X.________ gestützt auf Art. 16 und 16c SVG den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten wegen einer schweren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz. X.________ rekurrierte gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts an die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und beantragte, die Verfügung sei aufzuheben. Die Sicherheitsdirektion wies den Rekurs mit Entscheid vom 12. März 2013 ab.
D. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 3. Juni 2013 sei aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Strassen ASTRA verlangt die Gutheissung der Beschwerde. X.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug gestützt auf Art. 16 Abs. 2 und Art. 16c Abs. 1 lit. d und Abs. 2 lit. a SVG. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen. Gerügt wird eine unrichtige Anwendung von Bundesrecht durch das kantonale Verwaltungsgericht (Art. 95 lit. a BGG). Das kantonale Strassenverkehrsamt ist zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 lit. a SVG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Es ist unbestritten, dass X.________ eine schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. d SVG begangen hat (vorsätzliche Widersetzlichkeit gegen eine Blutprobe). Diese zieht nach Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG den Entzug des Führerausweises für mindestens drei Monate nach sich. Bei dieser Entzugsdauer handelt es sich um eine Mindestentzugsdauer, die nach dem Willen des Gesetzgebers und nach der Rechtsprechung nicht unterschritten werden darf (BGE 135 II 334 E. 2.2 S. 336 f.; Urteil des Bundesgerichts 1C_485/2011 vom 16. Januar 2012 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Die Frage, ob bei einer schweren Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist, der nicht in anderer Weise Rechnung getragen werden kann, ausnahmsweise gänzlich auf eine Massnahme verzichtet werden kann, hat das Bundesgericht bisher noch nicht beantwortet (BGE 135 II 334 E. 2.3 S. 337).
2.1. Das Verwaltungsgericht hat die Entzugsdauer wegen Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV) auf eineinhalb Monate herabgesetzt, was der Beschwerdeführer als bundesrechtswidrig rügt.
2.2. Der Beschwerdeführer geht mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass eine Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist vorliegt. Umstritten ist lediglich, ob diese Verletzung einer Unterschreitung der Minimalentzugsdauer von drei Monaten rechtfertigt. Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Entscheid aus, eine sehr schwere Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist, die einen gänzlichen Verzicht auf eine Administrativmassnahme rechtfertigen würde, liege hier nicht vor. Die Entzugsdauer sei daher zu reduzieren. Eine allenfalls verminderte erzieherische Wirkung der Massnahme könne nicht zu einer weitergehenden Reduktion führen als sie aufgrund der überlangen Verfahrensdauer angebracht sei. Insbesondere sei nicht davon auszugehen, dass der Führerausweisentzug nach knapp fünf Jahren keine erzieherische Wirkung mehr entfalten könne (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_485/2011 vom 16. Januar 2012 E. 2.3.3). Somit erachtete es eine Reduktion der angeordneten Dauer des Führerausweisentzugs wegen der Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Beurteilung innert angemessener Frist auf die Hälfte als angemessen.
2.3. Der Argumentation der Vorinstanz kann insoweit gefolgt werden, als der vorliegende Fall weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht komplex ist und somit bei einer Verfahrensdauer von insgesamt über 5½ Jahren offensichtlich eine Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist vorliegt. Immerhin kann nach der Rechtsprechung trotz der langen Verfahrensdauer mit dem Führerausweisentzug eine erzieherische Wirkung erreicht werden (BGE 135 II 334 E. 2.3 S. 337; Urteil des Bundesgerichts 1C_485/2011 vom 16. Januar 2012 E. 2.3.3). Weiter ist zu beachten, dass nach Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG die Mindestentzugsdauer von drei Monaten bei einer schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften, wie sie hier vorliegt, nicht unterschritten werden darf. Das gilt nach ständiger Rechtsprechung auch bei einer Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist nach Art. 29 Abs. 1 BV (BGE 135 II 334 E. 2.2 S. 337; Urteile 1C_591/2012 vom 28. Juni 2013 E. 4.3; 1C_383/ 2009 vom 30. März 2010 E. 3.2; je mit Hinweisen).
3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen und Ziff. 1 des Dispositivs des angefochtenen Entscheids des Verwaltungsgerichts aufzuheben ist. Die Dauer des Führerausweisentzugs ist auf drei Monate festzulegen. Es ist im Dispositiv des vorliegenden Urteils festzustellen, dass der Anspruch von X.________ auf Beurteilung innert angemessener Frist verletzt wurde.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, und Ziff. 1 des Dispositivs des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Juni 2013 wird aufgehoben.
2. Im bundesgerichtlichen Verfahren werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Dezember 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Fessler