BGer 9C_442/2008
 
BGer 9C_442/2008 vom 28.11.2008
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
9C_442/2008
Urteil vom 28. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.
Parteien
O.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury, Hirschmattstrasse 62, 6003 Luzern,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 16. April 2008.
Sachverhalt:
A.
Der 1944 geborene O.________ arbeitete jahrelang als Baumaschinenführer in der Firma L.________ AG. Diese Anstellung verlor er als Folge der Schliessung des Betriebes auf Ende Juli 2003. Danach war er arbeitslos und bezog Taggelder der Arbeitslosenversicherung innerhalb einer ab 1. August 2003 laufenden zweijährigen Rahmenfrist. Ab 15. Juni 2005 attestierte sein Hausarzt eine Arbeitsunfähigkeit von 100 %. Im November 2005 meldete sich O.________ bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Nach Abklärungen lehnte die IV-Stelle Luzern mit Verfügung vom 28. April 2006 das Leistungsbegehren ab, was sie mit Einspracheentscheid vom 27. September 2006 bestätigte.
B.
Die Beschwerde des O.________ u.a. mit dem Antrag auf Prüfung und Durchführung medizinischer und beruflicher Massnahmen wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 16. April 2008 ab.
C.
O.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 16. April 2008 sei aufzuheben und die IV-Stelle zu verpflichten, den medizinischen Sachverhalt und das Invalideneinkommen abzuklären und gestützt darauf einen Einkommensvergleich unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 25 %, eventualiter berufliche Eingliederungsmassnahmen durchzuführen, oder eine Invalidenrente auszurichten.
Kantonales Gericht, IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Eine solche Verletzung stellen insbesondere die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen sowie die Nichtbeachtung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 61 lit. c ATSG durch das kantonale Versicherungsgericht dar (Urteil 9C_534/2007 vom 27. Mai 2008 E. 1 mit Hinweisen).
1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
1.2.1 Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_882/2007 vom 11. April 2008 E. 5.1 mit Hinweis).
Ob einem ärztlichen Bericht im Besonderen (voller) Beweiswert zukommt, beurteilt sich danach, ob er für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen des Arztes begründet sind (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; Urteil 9C_55/2008 vom 26. Mai 2008 E. 4.2).
1.2.2 Will eine Partei eine rechtsfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz rügen, kann sie sich grundsätzlich nicht darauf beschränken, den nach ihrer Auffassung richtigen Sachverhalt darzulegen oder ihre eigene Beweiswürdigung zu erläutern. Vielmehr muss sie hinreichend genau angeben, inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen rechtswidrig oder mit einem klaren Mangel behaftet sind. Eine diesen Anforderungen nicht genügende (appellatorische) Kritik ist unzulässig (Urteil 9C_469/2007 vom 18. August 2008 E. 2.2 mit Hinweis).
2.
Das kantonale Gericht hat durch Einkommensvergleich (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) einen Invaliditätsgrad von maximal 30 % ermittelt, was für den Anspruch auf eine Invalidenrente nicht genügt (Art. 28 Abs. 1 IVG). Das Invalideneinkommen hat die Vorinstanz auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2006 des Bundesamtes für Statistik bestimmt (vgl. BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 476; 124 V 321). Dabei ist sie vom monatlichen Bruttolohn von Männern in allen Wirtschaftszweigen des privaten Sektors in einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4 des Arbeitsplatzes) ausgegangen. Die trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbare Arbeitsfähigkeit hat sie im Sinne der Einschätzung im Bericht des Spitals X.________, Departement Medizin/Rheumatologie, vom 23. Dezember 2005 festgesetzt. Danach sind dem Beschwerdeführer leichtere körperliche Arbeiten ohne repetitive Belastungen und ohne repetitive, stereotype manuelle Belastung rechts sowie ohne länger dauernde unergonomische Positionen zu 100 % zumutbar. Ob ein höherer Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 als die 10 % der IV-Stelle vorzunehmen ist, hat das kantonale Gericht offengelassen, da auch bei einem maximal zulässigen leidensbedingten Abzug von 25 % kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad resultierte.
3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig und gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz rechtsverletzend festgestellt. Insbesondere habe sie nicht abgeklärt, inwiefern und mit welchen Auswirkungen auf das Erwerbseinkommen der Beschwerdeführer in einer vielleicht möglichen Tätigkeit eingeschränkt sei. Das Invalideneinkommen habe deshalb nicht festgestellt werden können. Sodann rechtfertigten die Umstände (erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen, fortgeschrittenes Alter, reduzierte Flexibilität nach jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit) einen leidensbedingten Abzug von Tabellenlohn von 25 %.
4.
4.1 Die Rüge der ungenügenden Sachverhaltsabklärung, was eine Bundesrechtsverletzung darstellte (E. 1.1), ist unbegründet, soweit es um den Gesundheitszustand sowie die gesundheitlich bedingt eingeschränkte Arbeitsfähigkeit im Sinne der Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen (BGE 130 V 97 E. 3.2 S. 99; 107 V 17 E. 2b S. 20) geht. Die Umschreibung der Arbeitsfähigkeit im rheumatologischen Bericht vom 23. Dezember 2005, auf welchen die Vorinstanz abgestellt hat, ist klar. Nach der darauf gestützten, noch differenzierteren Umschreibung des Regionalärztlichen Dienstes der IV-Stelle ist eine ganztägliche Tätigkeit bei leichter körperlicher Arbeit ohne repetitive Belastungen des Achsenskeletts und der oberen Extremitäten, ohne Einnahme von Zwangshaltungen des Rumpfes und der Arme, ohne speziellen Kraftaufwand, Schlag- oder Vibrationsbelastungen oder Haltearbeit mit der rechten Hand zumutbar (Protokolleintrag vom 28. März 2006). Mit dem blossen Hinweis auf davon abweichende Beurteilungen anderer Ärzte wird unzulässige appellatorische Kritik am vorinstanzlichen Entscheid geübt (E. 1.2.2). Inwiefern der Bericht des Spitals X.________, Departement Medizin/Rheumatologie, vom 5. August 2005 Anlass zu ergänzenden Abklärungen geben soll, ist nicht ersichtlich. Auch hier wurde festgehalten, es bestehe für leichtere körperliche Arbeiten ohne repetitive Belastungen in ergonomischen Positionen keine Einschränkungen. Wenn daran anschliessend ausgeführt wurde: «Dies wäre angesichts des Alters des Patienten durch die IV zu beurteilen», kann damit einzig die Frage der erwerblichen Verwertbarkeit gemeint sein, was auch richtig ist (BGE 107 V 17 E. 2b S. 20). Der Handchirurg Dr. med. W.________ schliesslich verwies in seinem Bericht vom 7. September 2005 ausdrücklich auf die Anamnese und das Beschwerdebild im rheumatologischen Bericht vom 5. August 2005, dem er nichts wesentlich Neues beizufügen habe. Darin wurden als Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit u.a. eine Pseudoarthrose des Os scaphoidum und sekundäre Radiocarpalarthrose rechts sowie eine Periarthropathia humeroscapularis rechts mit leichtem subacromialem Impingement genannt. Auch unter Berücksichtigung des Berichts vom 7. September 2005 kann somit nicht von einer ungenügenden Abklärung des medizinischen Sachverhalts gesprochen werden. Der in diesem Verfahren eingereichte Bericht der Klinik M.________ vom 25. Oktober 2007 stellt ein unzulässiges neues Beweismittel dar (Art. 99 Abs. 1 BGG) und betrifft zudem Tatsachen ausserhalb des gerichtlichen Prüfungszeitraums (Urteil 9C_386/2007 vom 29. August 2007 E. 4.4).
4.2 Mit Bezug auf die konkreten, ohne vorgängige Umschulung realisierbaren Arbeitsmöglichkeiten wird vorgebracht, Tätigkeiten vom Anforderungsniveau 4 des Arbeitsplatzes im Sinne der einschlägigen LSE-Tabellen könnten nicht in Betracht gezogen werden ohne vorgängig abzuklären, inwiefern sich die medizinischen Vorgaben (keine repetitive Belastungen des Achsenskeletts, der oberen Extremitäten, des rechten Armes und der rechten Hand) leistungseinschränkend auswirkten. Diese Vorbringen sind nicht stichhaltig. Wie die Vorinstanz zutreffend und zu Recht unbestritten festgehalten hat, ist das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Einkommen bezogen auf einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu ermitteln. Ein solcher Arbeitsmarkt ist gekennzeichnet durch ein gewisses Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften und weist einen Fächer verschiedenster Tätigkeiten auf und zwar sowohl bezüglich der dafür verlangten beruflichen und intellektuellen Voraussetzungen wie auch hinsichtlich des körperlichen Einsatzes (BGE 110 V 273 E. 4b S. 276; Urteil 9C_121/2008 vom 4. August 2008 E. 5.1). Die Gerichtspraxis ist bisher regelmässig bei Versicherten, welche ihre dominante Hand gesundheitlich bedingt nur sehr eingeschränkt als unbelastete Zudienhand beispielsweise einsetzen konnten, von einem hinreichend grossen Arbeitsmarkt mit realistischen Betätigungsmöglichkeiten ausgegangen (vgl. Urteil 9C_830/2007 vom 29. Juli 2008 und Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts U 521/06 vom 10. Dezember 2007, U 303/06 vom 22. November 2006, I 797/05 vom 29. August 2006 und I 685/05 vom 16. Mai 2006; Urteil 9C_418/2008 vom 17. September 2008 E. 3.2.2). Es besteht auch vorliegend kein Anlass für eine andere Betrachtungsweise. Es verletzt daher Bundesrecht nicht, dass das kantonale Gericht das Invalideneinkommen auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2006 des Bundesamtes für Statistik ermittelt hat, ausgehend vom durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn («Total») von Männern in einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes 4) des privaten Sektors (RKUV 2001 Nr. U 439 S. 347, U 240/99).
4.3 Faktische Einhändigkeit oder wo die dominante Hand praktisch nur noch als Zudienhand eingesetzt werden kann, stellen nach der Rechtsprechung Tatbestände einer erheblich erschwerten Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt dar. Insoweit hat die Vorinstanz richtig die Frage aufgeworfen, ob ein leidensbedingter Abzug vom Tabellenlohn von 10 % einer Ermessensprüfung Stand hielte. Sie konnte jedoch die Frage offenlassen, da bei im Übrigen unveränderten Berechnungsfaktoren auch ein Abzug von 25 % keinen anspruchsbegründenden Invaliditätsgrad ergäbe.
Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.
5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. November 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Fessler