BGer C 8/2003
 
BGer C 8/2003 vom 04.12.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 8/03
Urteil vom 4. Dezember 2003
IV. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Jancar
Parteien
F.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Winterthur-ARAG Rechtsschutz, Gartenhofstrasse 17, 8004 Zürich,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdegegner
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 26. November 2002)
Sachverhalt:
A.
Die F.________ AG (nachfolgend Firma) ist im Bereich Bauarbeiten, insbesondere im Gerüst- und Schalungsbau, tätig. Am 6. September 2002 reichte sie beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) die Voranmeldung von Kurzarbeit für drei Mitarbeiter im Umfang von 45 % für die Zeit ab 16. September 2002 ein. Zur Begründung gab sie an, der Auftragsbestand habe sich Anfang 2002 um ca. 42 % gesenkt. Die Auftraggeber würden die Aufträge teilweise um ein bis zwei Monate oder sogar um ein Jahr verschieben. Hauptursache hiefür sei Geldmangel der Bauherrschaft. Die entstandene Ausfallzeit könne trotz Bewerbungsschreiben und Inseraten nicht aufgefangen werden. Die Aussichten für das 3. und 4. Quartal seien steigend. Die Umsatzzahlen für diese Quartale betrügen je ca. Fr. 150'00.-. Mit Entscheid vom 10. September 2002 erhob das AWA Einspruch gegen die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung, da Arbeitsausfälle wegen Terminverschiebungen der Auftraggeber oder anderer Gründe nicht anrechenbar seien. Weiter sei der Auftragsbestand der Firma von Fr. 150'000.- nichts Aussergewöhnliches.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die von der Firma dagegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 26. November 2002 ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Firma die Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Rückweisung der Sache mangels Sachverhaltsabklärung an das kantonale Gericht; eventuell seien ihr die Versicherungsleistungen gemäss AVIG zuzusprechen, respektive der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung zu bestätigen.
Das AWA schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Am 4. März 2003 reichte die Firma Aufstellungen über Terminverschiebungen und Unterbrechungen bei verschiedenen Bauprojekten ein.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Arbeitslosenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Entscheides (hier: 10. September 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), sind im vorliegenden Fall die bis 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
2.
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
Eingaben, die ausserhalb der Rechtsmittelfrist und nicht im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels (Art. 110 Abs. 4 OG) erfolgen, sind nur beachtlich, soweit sie neue erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG enthalten und diese eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnten (BGE 127 V 353; SVR 2003 IV Nr. 11 S. 32 Erw. 2.2).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls ab 16. September 2002 eine der Anspruchsvoraussetzungen für Kurzarbeitsentschädigung erfüllt.
Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 AVIG), den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 31 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG) sowie die Voraussetzungen, unter denen die Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalls zu verneinen ist (Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG; BGE 121 V 374 Erw. 2a, 119 V 358 Erw. 1a, 499 Erw. 1) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Rechtsprechung, wonach Verschiebungen von Terminen auf Wunsch von Auftraggebern oder allenfalls auch aus anderen Gründen, die von den mit der Ausführung von Arbeiten beauftragten Unternehmen nicht zu verantworten sind, im Baugewerbe nichts Aussergewöhnliches darstellen, weshalb die dadurch verursachten Arbeitsausfälle nicht anrechenbar sind (ARV 1993/1994 Nr. 35 S. 244). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass die letztgenannte Praxis zwar vor dem Hintergrund einer guten Konjunktur- und Beschäftigungslage entwickelt wurde, die sich dadurch kennzeichnet, dass aus Terminverschiebungen entstehende Arbeitsausfälle durch andere (kurzfristige) Aufträge ausgeglichen werden können. Doch allein die Tatsache einer angespannten, rezessiven Wirtschaftslage und das damit verbundene Risiko, dass die Möglichkeit, andere Aufträge vorzuziehen, nicht mehr oder nur in eingeschränktem Masse besteht, genügt indes nicht, um die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles zu bejahen (Urteil W. vom 30. April 2001 Erw. 3a, C 244/99). Der wegen der seit langem generell schlechten wirtschaftlichen Lage des Bausektors entstehende Arbeitsausfall, der eine Baufirma zwingt, sich dem Willen der verschiedenen Bauherren anzupassen, gehört zum normalen Betriebsrisiko. Wegen der schon mehrere Jahre andauernden Schwierigkeiten in der Baubranche kann jeder Arbeitgeber in gleicher Weise von einem Arbeitsausfall betroffen sein. Ein solcher Ausfall ist somit in der momentanen wirtschaftlichen Lage keine Besonderheit (ARV 1998 Nr. 50 S. 290); denn Beschäftigungsschwankungen auf Grund verstärkter Konkurrenzsituationen stellen im Baugewerbe ein normales Betriebsrisiko dar (ARV 1995 Nr. 20 S. 120 Erw. 2b). Im Einzelfall können derartige Umstände entschädigungsberechtigt sein, wenn sie auf aussergewöhnliche oder ausserordentliche Gründe zurückzuführen sind (Urteil X. vom 10. Juli 2002 Erw. 3a, C 253/01). Diese auf das Bauhauptgewerbe anwendbare Rechtsprechung gilt sinngemäss auch für das Baunebengewerbe (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 16. Oktober 1996 Erw. 5, C 120/96).
4.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, es seien nicht nur Aufträge um ein bis zwei Monate verschoben worden, sondern einige seien um ein Jahr zurückgestellt, respektive aufgehoben worden, was einem faktischen Arbeitsentzug und damit einem aussergewöhnlichen Ereignis gleich komme. Verwaltung und Vorinstanz hätten den Sachverhalt ungenügend abgeklärt, zumal sie nicht einmal die aktuelle Auftragslage eruiert hätten.
4.2 Die Verwaltung hat zu prüfen, ob die Notwendigkeit der Kurzarbeit begründet ist und ob die Anspruchsvoraussetzungen glaubhaft gemacht sind (BGE 110 V 336 Erw. 3c). Auch wenn sie damit nicht zu umfassenden Abklärungen gehalten ist, hat sie angesichts der zu prüfenden Anspruchsvoraussetzungen nach der aktuellen Auftragslage zu fragen (vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. d und Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG; ARV 1993/1994 Nr. 35 S. 248 Erw. 4b).
Die Beschwerdeführerin gab dem AWA im Zusatzblatt zur Voranmeldung vom 6. September 2002 die Umsatzzahlen und die Löhne für das Jahr 2001 sowie für die erste Hälfte des Jahres 2002 an. Weiter legte sie dar, für das 3. und 4. Quartal seien die Aussichten steigend; Aufträge seien vorhanden und die Umsatzzahlen betrügen je ca. Fr. 150'000.-. Auch im vorinstanzlichen Verfahren berief sich die Firma auf diese Zahlen. Auf Grund dieser Angaben erübrigten sich weitere Sachverhaltsabklärungen, weshalb die diesbezügliche Rüge ins Leere stösst.
4.3 Die von der Beschwerdeführerin ins Feld geführten Verschiebungen von Terminen durch Auftraggeber sind nach der erwähnten Rechtsprechung (Erw. 3 hievor) keine anrechenbaren Gründe, sondern gehören zum normalen Betriebsrisiko und können jede andere Firma der Branche gleichermassen treffen. Aussergewöhnliche oder ausserordentliche Umstände, welche ausnahmsweise zu einer Entschädigungsberechtigung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Zu keinem anderen Ergebnis führen die Einwände der Firma, die Termine seien teilweise um ein Jahr oder auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Die Beschwerdeführerin verweist auf einen Entscheid des "Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung", vom 4. Oktober 1991, wonach Terminverschiebungen ausnahmsweise als anrechenbar anerkannt worden seien, wenn die Auftragssistierung auf unbestimmte Zeit erfolgt sei. Welcher Rechtspflegeinstanz Entscheid damit gemeint sein könnte, ist unklar, bedarf aber keiner näheren Klärung. Inwieweit sämtliche relevanten Fallumstände tatsächlich übereinstimmen und somit eine Ungleichbehandlung vorliegt, wäre ohnehin solange belanglos, als nicht die Voraussetzungen der so genannten Gleichbehandlung im Unrecht vorliegen. Nach der Rechtsprechung geht der Grundsatz der Gesetzmässigkeit eines Entscheides in der Regel der Rücksicht auf die gleichmässige Rechtsanwendung vor. Der Umstand, dass das Gesetz in anderen Fällen nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, gibt dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Das gilt jedoch nur, wenn lediglich in einem einzigen oder in einigen wenigen Fällen eine abweichende Behandlung dargetan ist. Eine Gleichbehandlung im Unrecht ist somit in Betracht zu ziehen, wenn die Behörde die Aufgabe der in anderen Fällen geübten gesetzwidrigen Praxis ablehnt; erst dann kann der Rechtsadressat verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung, die Dritten zuteil wird, auch ihm gewährt werde, soweit dies nicht andere legitime Interessen verletzt (BGE 126 V 392 Erw. 6a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 I 2 Erw. 3a, 127 II 121 Erw. 9b). Vorliegend ist weder dargetan noch aktenkundig, dass der allenfalls abweichend beurteilte Fall Teil einer eigentlichen Praxis bilden könnte.
Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erstmals vorgebracht wird, Aufträge seien teilweise auch "aufgehoben" worden, braucht dem nicht näher nachgegangen zu werden. Denn in der nachträglichen Eingabe vom 4. März 2003, in der auf konkrete Bauvorhaben verwiesen wird, ist einzig von deren Verschiebung oder Unterbrechung die Rede, nicht aber von einer Aufhebung. Aus dieser Eingabe vermag die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten abzuleiten (Erw. 2 hievor).
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, der Vorbehalt der saisonalen Beschäftigungsschwankung sei vorliegend nicht gerechtfertigt, da die Kurzarbeit in das normalerweise umsatzstärkste 3. Quartal falle. Hiebei verkennt sie jedoch, dass ihr nicht eine saisonale Beschäftigungsschwankung, sondern ein normales Betriebsrisiko entgegengehalten wird.
Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Gerichtsentscheid im Ergebnis als Rechtens.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Industrie-Arbeitslosenkasse Winterthur und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 4. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: