BGer 1P.10/2003 |
BGer 1P.10/2003 vom 11.08.2003 |
Tribunale federale
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{T 1/2}
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1P.10/2003 /zga
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Urteil vom 11. August 2003
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I. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
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Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz
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Gerichtsschreiberin Scherrer.
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Parteien
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Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT, Präsident
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Erwin Kessler, Im Büel 2, 9546 Tuttwil,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8500 Frauenfeld.
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Gegenstand
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Rechtsverweigerung,
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
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Sachverhalt:
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A.
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Der Verein gegen Tierfabriken (VgT) zeigte dem Tierschutzbeauftragten des Kantons Thurgau am 14. Juni 2001 Tierschutzmissstände bei Kurt Sager an. Hierauf erliess das Bezirksamt Arbon nach weiteren Abklärungen in dieser Angelegenheit eine Bussenverfügung.
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B.
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Am 4. September 2002 verlangte der VgT beim Bezirksamt Arbon Einsicht in den Schlussentscheid. Das Bezirksamt verweigerte die Einsichtnahme am 6. September 2002 mit der Begründung, die Herausgabe werde bis zum Entscheid der Anklagekammer des Kantons Thurgau in einer ähnlich gelagerten Strafsache im Bezirk Münchwilen sistiert.
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Daraufhin erhob der VgT bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau mit Schreiben vom 7. September 2002 Rechtsverweigerungsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft hat bis anhin nicht über die Beschwerde entschieden.
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C.
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Mit Eingabe vom 6. Dezember 2002 gelangt der VgT, vertreten durch seinen Präsidenten Erwin Kessler, mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht. Er beantragt, die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau sei zu verpflichten, unverzüglich über die Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 7. September 2002 zu entscheiden.
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Die Staatsanwaltschaft stellt Antrag auf Nichteintreten. Allenfalls seien die Akten des Parallelverfahrens 1P. 492/2002 beizuziehen und die Beschwerde gestützt darauf abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und inwieweit es auf die bei ihm eingereichte staatsrechtliche Beschwerde eintreten kann (BGE 128 I 46 E. 1a S. 48, mit Hinweisen).
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1.1 Eine Rechtsverzögerung und -verweigerung durch kantonale Behörden kann grundsätzlich (gestützt auf Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden (vgl. BGE 119 Ia 237 E. 2 S. 238 f.; 117 Ia 336 E. 1a in fine S. 338). Das Erfordernis, dass der kantonale Instanzenzug erschöpft sein muss (Art. 86 OG), gilt jedoch auch in diesem Fall. Als Rechtsmittel, von dem vor Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde Gebrauch gemacht werden muss, gilt jeder Rechtsweg, der dem Beschwerdeführer einen Anspruch auf einen Entscheid der angerufenen Behörde gibt und der geeignet ist, den behaupteten rechtlichen Nachteil zu beheben. Der kantonale Instanzenzug ist erschöpft, wenn dem Beschwerdeführer kein kantonales Rechtsmittel mehr offensteht, das eine Überprüfung der erhobenen Verfassungsrügen ermöglicht und gegebenenfalls zur Beseitigung des als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsakts führen kann (BGE 110 Ia 136 E. 2a S. 137; 104 Ia 120 E. 1b S. 124; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 331). Vorab ist somit zu klären, ob die beanstandete Rechtsverweigerung innerhalb des Kantons bei einer weiteren Instanz hätte gerügt werden können.
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1.2 Die Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, auf die Beschwerde sei gar nicht einzutreten, da der kantonale Instanzenzug nicht ausgeschöpft worden sei. Rechtsverweigerung stelle eine Gesetzesverletzung dar und sei gemäss § 213 Abs. 3 des Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 30. Juni 1970 (Strafprozessordnung; StPO/TG) bei der Anklagekammer als der Staatsanwaltschaft vorgesetztem kantonalen Gericht zu rügen.
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Nach § 211 Abs. 1 StPO/TG kann gegen das Verfahren und alle Entscheide der Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden, der Bezirksgerichte, ihrer Kommissionen und Präsidenten Beschwerde geführt werden, soweit kein anderes kantonales Rechtsmittel und keine Einsprache zulässig ist und das Gesetz die Anfechtung nicht ausdrücklich ausschliesst. Mit Beschwerde können Gesetzeswidrigkeit oder Unangemessenheit des angefochtenen Entscheides oder des Verfahrens sowie Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung gerügt werden (§ 213 Abs. 1 StPO/TG). Entscheidet die Staatsanwaltschaft als Beschwerdeinstanz, sieht § 213 Abs. 3 StPO/TG gegen deren Entscheid eine weitere Beschwerde an die Anklagekammer vor. Die Überprüfungsbefugnis dieser zweiten Beschwerdeinstanz ist auf Gesetzeswidrigkeit beschränkt.
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Zwar ist das Bundesgericht im Entscheid 1P.492/2002 vom 20. Februar 2003 in E. 1.2.3 davon ausgegangen, dass die Thurgauer Behörden den Begriff Gesetzeswidrigkeit weit auslegen und darunter auch eine (direkte oder indirekte) Verletzung von Verfassungs- und EMRK-Garantien verstehen. Es hat davon aber ausdrücklich die Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung ausgenommen. Der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen lässt denn auch keinen anderen Schluss zu. § 213 Abs. 1 StPO/TG unterscheidet, wie gesehen, klar zwischen Gesetzeswidrigkeit, Unangemessenheit des Entscheides oder Verfahrens sowie Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. Sieht § 213 Abs. 3 STPO/TG die Beschwerdemöglichkeit an die Anklagekammer nur wegen eines gesetzeswidrigen Entscheides der Staatsanwaltschaft vor, ist daraus zu schliessen, dass in Bezug auf den Vorwurf der Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung der kantonale Instanzenzug ausgeschöpft und ein Weiterzug an die Anklagekammer nicht vorgesehen ist. Selbst wenn die Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung einen Verstoss gegen die Verfahrensgarantien von Art. 29 BV und gegen Art. 6 EMRK darstellt, grenzt sie die Thurgauer StPO ausdrücklich von der (weit gefassten) Gesetzeswidrigkeit ab.
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1.3 Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer - im Unterschied zum Fall 1P.492/2002, wo der Staatsanwaltschaft Gesetzeswidrigkeit vorgeworfen worden war - den kantonalen Instanzenzug ausgeschöpft hat. Da der Staatsanwalt bis heute nicht über die Rechtsverweigerungsbeschwerde gegen das Bezirksamt Arbon entschieden hat, hat der Beschwerdeführer ein aktuelles Rechtsschutzinteresse. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt; auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten.
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2.
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Gestützt auf Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. Tritt eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht ein, obschon sie darüber entscheiden müsste, begeht sie gemäss bundesgerichtlicher Praxis eine formelle Rechtsverweigerung.
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In welcher Form und in welchem Umfang die diesbezüglichen Verfahrensrechte zu gewährleisten sind, lässt sich nicht generell, sondern nur im Hinblick auf den konkreten Fall beurteilen (BGE 117 Ia 116 E. 3a S. 117 f.).
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2.1 Der Beschwerdeführer hat am 4. September 2002 beim Bezirksamt Arbon Einsicht in den Schlussentscheid in der Angelegenheit Kurt Sager verlangt. Zwei Tage später hat das Bezirksamt die Herausgabe sistiert, woraufhin der Beschwerdeführer am 7. September 2002 bei der Staatsanwaltschaft Rechtsverweigerungsbeschwerde erhoben hat. Der Staatsanwalt gesteht in seiner Vernehmlassung ohne weiteres zu, bis anhin in der Sache nichts unternommen zu haben. Offensichtlich wurde auch keine prozessleitende Verfügung erlassen. Der Staatsanwalt verweist lediglich auf das Verfahren 1P.492/2002 und ersucht um Beizug dieser Verfahrensakten.
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Das Bundesgericht ist in der erwähnten Angelegenheit 1P. 492/2002 am 20. Februar 2003 mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht auf die Beschwerde eingetreten. Die Staatsanwaltschaft verkennt, dass der Beschwerdeführer ihr im damals zu beurteilenden Fall Gesetzeswidrigkeit vorgeworfen hatte, wohingegen im anhängigen Verfahren eine Rechtsverweigerung bzw. -verzögerung gerügt wird. Der Rechtsmittelweg an die Anklagekammer steht dem Beschwerdeführer in dieser Sache, wie gesehen, nicht offen. Seit dem Urteil des Bundesgerichtes vom 20. Februar 2003 besteht deshalb kein Grund für ein weiteres Zuwarten mehr. Die Verzögerung des Verfahrens ist jedoch nicht derart gravierend, dass sie als unrechtmässig zu bezeichnen wäre, zumal das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft im Zeitpunkt, als die staatsrechtliche Beschwerde eingereicht wurde, gerade erst drei Monate hängig war.
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3.
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Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist. Die Verfahrensumstände rechtfertigen, ausnahmsweise von einer Kostenauflage abzusehen. Parteientschädigung ist keine auszurichten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 11. August 2003
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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