BGer U 335/2002 |
BGer U 335/2002 vom 21.03.2003 |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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U 335/02
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Urteil vom 21. März 2003
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II. Kammer
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Besetzung
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Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Widmer
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Parteien
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A.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld, Weinbergstrasse 18, 8001 Zürich,
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gegen
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"Winterthur" Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, Münchhaldenstrasse 24, 8008 Zürich
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Vorinstanz
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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(Entscheid vom 23. Oktober 2002)
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1964 geborene A.________ arbeitete als Pflegehilfe in der Seniorenresidenz Q.________ und war damit bei der Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Winterthur) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 2. August 1998 wurde A.________ in einen Verkehrsunfall verwickelt. Als er mit seinem Personenwagen Nissan Sunny auf der Dorfstrasse in X.________ anhielt, um Fussgänger die Strasse überqueren zu lassen, fuhr ein Automobilist mit seinem Sportwagen ungebremst ins Heck des vom Versicherten gelenkten Fahrzeugs. A.________ wurde vom 2. bis 4. August 1998 im Spital Y.________ behandelt, wo ein Hyperflexions- und Hyperextensionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) diagnostiziert wurde. In der Folge litt er an cervico- und hochthorakalen Muskelverspannungen mit leichter Immobilität der HWS und Sensibilitätsstörungen am rechten Arm und war laut ärztlicher Bescheinigung voll arbeitsunfähig. Nach Beizug verschiedener Arztberichte holte die Winterthur ein Gutachten des Neurologen Prof. W.________ vom 18. Juni 1999 ein. Auf dessen Empfehlung hielt sich der Versicherte vom 22. August bis 16. September 1999 für Physiotherapie und eine psychiatrische Evaluation in der Höhenklinik Z.________ auf (Austrittsbericht vom 16. September 1999 mit psychiatrischem Konsiliarbericht des Dr. V.________ vom 6. September 1999). Gestützt auf diese Unterlagen und Stellungnahmen ihrer beratenden Ärzte Dres. med. H.________ (vom 29. September 1999) und P.________ (vom 21. Februar 2000) stellte die Winterthur ihre Leistungen mit Verfügung vom 12. Mai 2000 rückwirkend auf den 30. April 2000 ein, weil die anhaltenden gesundheitlichen Probleme des Versicherten nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem natürlichen Kausalzusammenhang zum Unfall stünden. Am 19. Mai 2000 erstattete Frau Dr. phil. G.________ im Auftrag des Rechtsvertreters von A.________ ein neuropsychologisches Gutachten. Auf Einsprache hin hielt die Winterthur an ihrem Standpunkt fest mit der Begründung, es seien keine somatischen Unfallfolgen mehr ausgewiesen, während es sich bei den psychischen Beschwerden nicht um eine adäquate Folge des Ereignisses vom 2. August 1998 handle (Entscheid vom 28. Mai 2001).
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B.
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A.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des Einspracheentscheides sei ihm eine Invalidenrente auf der Grundlage einer vollen Erwerbsunfähigkeit zuzusprechen; ferner sei die Winterthur zu verpflichten, Abklärungen zur Beeinträchtigung der Integrität zwecks Gewährung einer Entschädigung durchzuführen und die Heilbehandlung zu übernehmen; schliesslich sei die Versicherungsgesellschaft zur Vergütung der Kosten der neuropsychologischen Begutachtung zu verhalten. Mit Entscheid vom 23. Oktober 2002 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde in dem Sinne gut, dass es den angefochtenen Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die Winterthur zurückwies, damit diese, nach Beizug eines externen psychiatrischen Gutachtens, über den Leistungsanspruch neu verfüge.
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C.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ die vorinstanzlich gestellten Begehren um Zusprechung der Leistungen auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 100% und Vergütung der Kosten des neuropsychologischen Gutachtens erneuern; ferner ersucht er um die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung.
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Während die Winterthur auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung (BGE 122 V 416 Erw. 2a, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b) zu dem für die Leistungspflicht der Unfallversicherung zunächst vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben hat sie auch die Rechtsprechung zum adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und der in der Folge eintretenden psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133) sowie zwischen einem Unfall mit Schleudertrauma der HWS oder äquivalentem Unfallmechanismus ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle und anhaltenden, invalidisierenden Beschwerden (BGE 117 V 359). Schliesslich hat das kantonale Gericht zutreffend festgehalten, dass in denjenigen Fällen, in welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zu einer ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten, die Beurteilung der Adäquanz unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall vorzunehmen ist (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen).
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Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in dem in RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437 publizierten Urteil W. vom 18. Juni 2002, U 164/01, präzisierend dargelegt hat, ist die Adäquanz des Kausalzusammenhangs nur dann im Sinne von BGE 123 V 99 Erw. 2a unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall zu beurteilen, wenn die psychische Problematik bereits unmittelbar nach dem Unfall eindeutige Dominanz aufweist. Wird die Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 99 Erw. 2a in einem späteren Zeitpunkt angewendet, ist zu prüfen, ob im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt die physischen Beschwerden gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben und damit ganz in den Hintergrund getreten sind. Nur wenn dies zutrifft, ist die Adäquanz nach der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu beurteilen.
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2.
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Aufgrund der medizinischen Unterlagen, insbesondere der Zusammenfassung der Krankengeschichte des Spitals Y.________ (vom 6. August 1998), des Berichts des Neurologen Dr. O.________ vom 24. August 1998 sowie des Gutachtens des Prof. W.________ vom 18. Juni 1999, ist erstellt, dass der Beschwerdeführer beim Unfall vom 2. August 1998 ein Schleudertrauma der HWS erlitt. Auch dessen Folgen - gemäss Expertise des Prof. W.________ u.a. Kopfschmerzen, nuchale Verspannungen mit Schulterverspannungen rechts, nur eingeschränkt mögliche Armabduktion rechts, Schmerzen im Bereich des rechten Arms mit Kribbelästhesien in den letzten zwei Fingern, Schlafstörungen - sind durch zuverlässige ärztliche Angaben gesichert. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Unfall mit Schleudertrauma der HWS und dem Beschwerdebild, welches auch eine erhebliche psychische Komponente aufweist (Erw. 3 hienach), ist unter diesen Umständen im Sinne von BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa als gegeben zu erachten.
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3.
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3.1 Die Vorinstanz gelangte zur Auffassung, aufgrund der medizinischen Unterlagen könne nicht festgestellt werden, ob die psychische Problematik beim Versicherten bereits unmittelbar nach dem Unfall derart im Vordergrund gestanden habe, dass es gerechtfertigt sei, die Adäquanz des Kausalzusammenhangs gestützt auf BGE 123 V 99 Erw. 2a nach Massgabe der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu beurteilen. Sie wies daher die Sache zur Klärung dieser Frage mittels Anordnung eines Gutachtens durch einen verwaltungsunabhängigen Psychiater an die Winterthur zurück.
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3.2 Der Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts kann nicht beigepflichtet werden. Eine Prüfung der Entwicklung im Sinne von RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437 seit dem Unfall am 2. August 1998 bis zur Einstellung der Versicherungsleistungen durch die Winterthur mit Verfügung vom 12. Mai 2000 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 2001, dem für die richterliche Beurteilung massgebenden Zeitpunkt) zeigt, dass die somatischen Beschwerden nicht eine bloss untergeordnete Rolle gespielt haben. In den ersten, aus der Zeit nach dem Unfall stammenden Berichten des Spitals Y.________ (vom 6. und 26. August 1998), des Dr. O.________ (vom 24. August 1998) und des Dr. S.________ (vom 23. Oktober und 6. November 1998 sowie vom 12. Januar 1999) enthalten klare Hinweise auf physische Beschwerden, wie sie nach einem Unfall mit Schleudertrauma der HWS typischerweise auftreten. Der letztgenannte Arzt sah sich denn auch veranlasst, eine chiropraktische Behandlung in die Wege zu leiten (Bericht des Chiropraktikers Dr. M.________ vom 9. November 1998). Am 18. Februar 1999 hielt Dr. S.________ fest, die jetzige Schmerzsymptomatik mit radikulärer Armsymptomatik rechts sei sicherlich auf den Unfall zurückzuführen. Erst im Gutachten des Prof. W.________ vom 18. Juni 1999 wurden eine Depression und eine Schmerzüberreaktion erwähnt; daneben wurde auch ein funktionelles diskretes sensibles Hemisyndrom rechts diagnostiziert, und der Arzt erachtete weitere Physiotherapie als sinnvoll. Schliesslich kann auch dem Austrittsbericht der Höhenklinik Z.________ vom 16. September 1999, wo der Versicherte vom 22. August bis 16. September 1999 hospitalisiert war, nicht entnommen werden, dass nunmehr die psychische Komponente des Beschwerdebildes klar im Vordergrund gestanden hätte. Denn die Klinikärzte diagnostizierten nebst psychischen Beeinträchtigungen ein chronisches Zervicocephal- und Thorakovertebralsyndrom. Schliesslich erklärte Dr. H.________, beratender Arzt der Winterthur, am 29. September 1999, es bestehe ein objektiver HWS-Befund als Folge des Unfalls.
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Dass das physische Beschwerdebild schon kurze Zeit nach dem Unfall psychisch überlagert war, mag zutreffen, ist jedoch nicht entscheidend, da eine depressive Entwicklung, wie sie auch hier eintrat, zum typischen Beschwerdebild nach einem Schleudertrauma der HWS gehört (BGE 117 V 360 Erw. 4b).
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3.3 Da die medizinischen Akten den Schluss erlauben, dass die somatischen Beschwerden während des ganzen Verlaufs eine nicht unerhebliche Rolle spielten, besteht kein Anlass, eine zusätzliche psychiatrische Begutachtung anzuordnen. Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist somit nach der für Schleudertraumen der HWS ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle entwickelten Rechtsprechung (BGE 117 V 359) zu beurteilen. Zu diesem Zweck und zu neuer Entscheidung über die Beschwerde ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Damit bleiben den Parteien alle Rechte, insbesondere der doppelte Instanzenzug, gewahrt.
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4.
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Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung erweist sich damit als gegenstandslos. Hingegen hat der Versicherte unter dem Titel Parteientschädigung keinen Anspruch auf Vergütung der Kosten des von ihm in Auftrag gegebenen neuropsychologischen Gutachtens, da dieses für die Beurteilung der hier interessierenden Frage ohne Belang ist und daher nicht als notwendig im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG und der Rechtsprechung (BGE 115 V 62; RKUV 2000 Nr. U 362 S. 44 Erw. 3b in fine) bezeichnet werden kann.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid vom 23. Oktober 2002 aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit dieses über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der Winterthur vom 28. Mai 2001 neu entscheide. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Die Winterthur hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 21. März 2003
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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