BGer 5P.484/2002
 
BGer 5P.484/2002 vom 20.03.2003
Tribunale federale
{T 0/2}
5P.484/2002 /bnm
Urteil vom 20. März 2003
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi
Gerichtsschreiber Gysel.
Parteien
1. Z.________, gesetzlich vertreten durch ihre Eltern,
2. Y.________,
3. X.________,
Beschwerdeführer,
alle drei vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Heike Canonica, Tüfwisweg 6, 8185 Winkel,
gegen
Verwaltungsgericht (III. Kammer) des Kantons Schwyz, Kollegiumstrasse 28, Postfach 2266, 6431 Schwyz.
Gegenstand
Art. 9 und 29 BV (Weisungen an die Eltern; Prozessentschädigung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid vom 12. November 2002.
Sachverhalt:
A.
X.________ und Y.________ sind die Eltern der am 30. November 1997 geborenen Z.________. Am 21. Oktober 2002 beschloss die Vormundschaftsbehörde der Gemeinde A.________ unter anderem, die elterliche Obhut werde nach den Art. 310 ff. ZGB aufgehoben, Z.________ bis auf weiteres im Kinderhaus B.________ in C.________ untergebracht und die Obhut über das Kind der Leitung dieses Kinderheims übertragen.
B.
Z.________, X.________ und Y.________ gelangten hiergegen an den Regierungsrat des Kantons Schwyz, der die Beschwerde zur Beurteilung als Sprungbeschwerde im Sinne von § 52 der Schwyzer Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege (VRP) an das kantonale Verwaltungsgericht überwies. In Gutheissung der Beschwerde erkannte das Verwaltungsgericht (Kammer III) am 12. November 2002, dass die elterliche Obhut über Z.________ wieder X.________ und Y.________ übertragen und die Tochter aus dem Kinderheim B.________ bzw. aus dem Spital D.________ (wohin sie am 8. November 2002 wegen einer Fussentzündung verbracht worden war) entlassen werde, sobald es ihr Gesundheitszustand erlaube (Dispositiv-Ziffer 1). Gleichzeitig wurden X.________ und Y.________ unter anderem angewiesen, sich zur Durchführung einer Familientherapie beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst des Kantons Schwyz anzumelden (Dispositiv-Ziffer 2 lit. b) und Z.________ in der Wohngemeinde für den Besuch des Kindergartens einzuschreiben (Dispositiv-Ziffer 2 lit. c), verbunden mit der Auflage, die Befolgung dieser Weisungen bis zum 31. Dezember 2002 nachzuweisen, ansonsten weitere Anordnungen, insbesondere die Meldung an die zuständigen Behörden des (neuen) Wohnsitzes, vorbehalten blieben (Dispositiv-Ziffer 2 zweiter Absatz). Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde zu Lasten des Staates eine (an die Rechtsvertreterin auszuzahlende) Prozessentschädigung von Fr. 1'000.-- zugesprochen (Dispositiv-Ziffer 4).
C.
Z.________ (Beschwerdeführerin Nr. 1), Y.________ (Beschwerdeführerin Nr. 2) und X.________ (Beschwerdeführer Nr. 3) haben durch Eingabe vom 16. Dezember 2002 staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, die Dispositiv-Ziffern 2 b, 2 c und 4 des verwaltungsgerichtlichen Entscheids aufzuheben. Ausserdem ersuchen sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
In seiner Vernehmlassung vom 12. Februar 2003 beantragt das Verwaltungsgericht, auf die Beschwerde sei insofern nicht einzutreten, als die Aufhebung der in den Dispositiv-Ziffern 2 b und 2 c erteilten Weisungen verlangt werde; allenfalls sei Dispositiv-Ziffer 2 b abzuändern und "Familientherapie" durch "Begutachtung" zu ersetzen. Soweit die Beschwerde sich gegen die Höhe der Prozessentschädigung richte, sei sie abzuweisen.
Durch Präsidialverfügung vom 20. Februar 2003 ist den Beschwerdeführern Gelegenheit eingeräumt worden, sich zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bezüglich ihrer Rüge der Gehörsverweigerung zu äussern. Sie haben mit Eingabe vom 1. März 2003 davon Gebrauch gemacht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführer Nrn. 2 und 3 machen im Zusammenhang mit der ihnen erteilten Weisung, eine Familientherapie in die Wege zu leiten, eine Missachtung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und damit eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV geltend: Das Verwaltungsgericht habe ihnen keine Gelegenheit eingeräumt, sich zu den Berichten U.________, W.________ und V.________ zu äussern.
1.1 Das in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete rechtliche Gehör dient der Sachaufklärung und garantiert dem Betroffenen ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren. Er soll sich vor Erlass des Entscheids zur Sache äussern, erhebliche Beweise beibringen, Einsicht in die Akten nehmen und an der Erhebung von Beweisen mitwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis äussern können, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 122 I 53 E. 4a S. 55 mit Hinweisen).
1.2 Das Verwaltungsgericht erklärt, "die diversen Berichte" zeigten Auffälligkeiten hinsichtlich des seelischen Wohls und der Integrität des Kindes auf. Unter ausdrücklichem Hinweis auf den von Dr. med. W.________ und lic. phil. V.________ am 11. November 2002 verfassten Bericht hält es fest, es bedürfe zur Schaffung von Klarheit und Besserung einer umfassenderen Beurteilung und insbesondere fachlicher Gespräche mit den Eltern und dem Kind; die Beschwerdeführer Nrn. 2 und 3 seien deshalb anzuweisen, sich für eine Familientherapie anzumelden.
Das Verwaltungsgericht anerkennt, dass der Bericht der genannten beiden Fachpersonen den Beschwerdeführern vor der Fällung des Entscheids nicht zur Kenntnis- und allfälligen Stellungnahme zugestellt worden sei. Letzteres gilt offensichtlich auch für den ebenfalls vom 11. November 2002 (d.h. dem Vortag der Entscheidfällung) datierten Bericht der Sozialpädagogin U.________ (Bereichsleiterin im Kinderhaus B.________).
1.3 Unter den dargelegten Umständen ist die Rüge der Gehörsverweigerung begründet. Was das Verwaltungsgericht zur Rechtfertigung seines Vorgehens ausführt, vermag daran nichts zu ändern: Wohl stellen die Beschwerdeführer nicht in Abrede, auf einen raschen Entscheid gedrängt zu haben. Indessen geht es nicht an, daraus zu schliessen, sie hätten (konkludent) darauf verzichtet, zu einem allfälligen für sie nachteiligen Bericht Stellung nehmen zu können. Es ist zu bedenken, dass es den Beschwerdeführern Nrn. 2 und 3 darum gegangen war, die Wiedereinsetzung in die elterliche Obhut über die Tochter zu erlangen, und sie nicht ohne weiteres mit einer Weisung der in Frage stehenden Art hatten rechnen müssen. Entgegen der Auffassung der kantonalen Instanz kann bezüglich der Weisung, eine Familientherapie in die Wege zu leiten, nicht gesagt werden, die Beschwerdeführer hätten kein praktisches aktuelles Interesse an deren Aufhebung. Dass es sich bei der strittigen Weisung um eine milde Massnahme handle, ändert daran nichts.
2.
Das nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG erforderliche praktische aktuelle Interesse (BGE 127 III 41 E. 2b S. 42 mit Hinweisen) fehlt indessen bezüglich der Anfechtung der Weisung, die Beschwerdeführerin Nr. 1 für den Kindergarten anzumelden (Dispositiv-Ziffer 2 lit. c): Die Beschwerdeführer bringen selbst vor, Z.________ werde ab Januar 2003 den Kindergarten besuchen. In diesem Punkt ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
3.
Die Beschwerdeführer bezeichnen die Äusserung des Verwaltungsgerichts, es seien "bei den Eltern psychiatrisch gewisse Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert worden", als grob unrichtig und erblicken darin eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts.
Wird Willkür gerügt, ist klar und detailliert aufzuzeigen, weshalb der kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar sein soll (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 122 I 70 E. 1c S. 73 mit Hinweisen). Abgesehen davon, dass das in der Beschwerde Vorgebrachte diesen Anforderungen nicht genügt, ist zu bemerken, dass die kantonale Beschwerdeinstanz aus der beanstandeten Feststellung nichts für die Beschwerdeführer Nachteiliges abgeleitet hat. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr erklärt, die diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen vermöchten nichts daran zu ändern, dass die Beschwerdeführer Nrn. 2 und 3 in der Lage seien, die elterliche Sorge und Verantwortung für die Tochter wahrzunehmen. Damit fehlt das Rechtsschutzinteresse auch in diesem Punkt.
4.
Die Beschwerdeführer werfen dem Verwaltungsgericht schliesslich vor, es habe ihnen eine viel zu niedrige Prozessentschädigung zugesprochen; es habe dabei gegen das Willkürverbot verstossen, sei der Begründungspflicht nicht nachgekommen und habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör auch sonst missachtet.
Bei der sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergebenden Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen, geht es darum, dass der Betroffene sich über dessen Tragweite ein Bild machen und ihn in voller Kenntnis der Sache gegebenenfalls bei der oberen Instanz anfechten kann (dazu BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat für seinen Entscheid über die Prozessentschädigung auf den Verfahrensausgang sowie auf § 74 VRP hingewiesen, wonach die im Rechtsmittelverfahren obsiegende Partei Anspruch auf eine dem Aufwand angemessene, von der Behörde festzusetzende Entschädigung hat. Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, dass diese (knappe) Begründung ihnen nicht erlaubt hätte, die staatsrechtliche Beschwerde zu begründen.
Unbegründet ist die Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV sodann auch insoweit, als die Beschwerdeführer beanstanden, dass ihre Rechtsvertreterin vor der Festsetzung der Entschädigung nicht angehört worden sei. Die Beschwerdeführer, die keine verfahrensrechtliche Bestimmung nennen, die dies vorschreiben würde, verkennen, dass es an ihnen lag, ihren Aufwand darzutun. Dass sie dies getan hätten, bringen sie nicht vor. Die von ihnen erwähnte Honorarnote datiert vom 19. November 2002 und konnte somit dem Verwaltungsgericht, das am 12. November 2002 entschieden hat, gar nicht vorgelegen haben. (Sie enthält zudem Bemühungen, die in die Zeit nach Fällung des Entscheids gefallen sind.)
Soweit die Beschwerdeführer beanstanden, die kantonale Instanz habe bei der Festsetzung der Höhe der Prozessentschädigung ihr Ermessen missbraucht und dadurch gegen das Willkürverbot verstossen, fehlt es an einer Begründung, die den oben (Erw. 3) erwähnten gesetzlichen Anforderungen genügen würde.
5.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen und Dispositiv-Ziffer 2 lit. b des angefochtenen Entscheids (Weisung zur Anmeldung zu einer Familientherapie) aufzuheben. Bei diesem Ausgang ist der Kanton Schwyz zu verpflichten, den Beschwerdeführern eine (reduzierte) Parteientschädigung zu zahlen (Art. 159 Abs. 2 OG). Da die Beschwerdeführer diese ohne Zweifel ausbezahlt erhalten werden, ist ihr Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege insofern gegenstandslos. Soweit auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. diese abzuweisen ist, erschien sie von vornherein als aussichtslos (vgl. Art. 152 Abs. 1 OG), und ist das Armenrechtsgesuch daher abzuweisen. Den auf die Beschwerdeführer entfallenden Anteil der Gerichtsgebühr (Art. 156 Abs. 1 und 3 OG) haben diese mithin selbst zu tragen. Dem Kanton Schwyz ist keine Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist, wird sie teilweise gutgeheissen; Dispositiv-Ziffer 2 lit. b des Entscheids des Verwaltungsgerichts (Kammer III) des Kantons Schwyz vom 12. November 2002 wird aufgehoben.
2.
Soweit das Gesuch der Beschwerdeführer, ihnen für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, nicht gegenstandslos geworden ist, wird es abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird zur Hälfte den Beschwerdeführern auferlegt.
4.
Der Kanton Schwyz wird verpflichtet, die Beschwerdeführer für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Verwaltungsgericht (Kammer III) des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. März 2003
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: