BGE 133 V 637
 
81. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen gegen R. sowie Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
8C_179/2007 vom 25. September 2007
 
Regeste
Art. 66 Abs. 4 BGG; Gerichtskosten; Kostenbefreiung.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 4
4.2 Bereits unter dem alten Recht durften gemäss Art. 156 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 S. 531) "dem Bund, Kantonen oder Gemeinden, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis und ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen, oder gegen deren Verfügungen in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt wird", in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden. Dieser Text findet sich bereits als Art. 156 Abs. 2 in der Botschaft des Bundesrates zum OG vom 9. Februar 1943 (BBl 1943 I 97, S. 208). Er wurde mit geringen sprachlichen Änderungen aus Art. 221 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege übernommen (BBl 1893 I 1107, 1165). Nach der Rechtsprechung hatten Arbeitslosenkassen unter der Herrschaft des OG in kostenpflichtigen Verfahren (z.B. in Verfahren um prozessuale Fragen) allfällige Gerichtskosten zu tragen (vgl. etwa Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts C 162/04 vom 20. Januar 2005, C 38/05 vom 7. April 2005 oder C 28/05 vom 13. Dezember 2005).
4.3 Die Grundsätze der Kostentragungspflicht vor Bundesgericht (Art. 66 BGG) sind weitgehend vom bisherigen Recht übernommen worden (Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001, BBl 2001 S. 4202, 4305). Kostenpflichtig ist gemäss Art. 66 BGG grundsätzlich die unterliegende (Abs. 1) oder die unnötig Kosten verursachende (Abs. 3) Partei. Diese Regelung kennt ausdrücklich erwähnte Ausnahmen: Von den Gerichtskosten befreit sind Bund, Kantone und Gemeinden sowie - neu - die mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen, sofern sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis handeln und es nicht um ihr Vermögensinteresse geht (Abs. 4). Das Bundesgericht kann die Gerichtskosten anders verteilen oder auf die Kostenerhebung verzichten, wenn es die Umstände rechtfertigen (Abs. 1 zweiter Satz). Zudem kann es auf die Erhebung der Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichten, wenn ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt wird (Abs. 2). Aus dem Vergleich des Wortlauts von Art. 156 Abs. 2 OG und Art. 66 Abs. 4 BGG wird deutlich, dass die bisher für Bund, Kantone und Gemeinden geltende Kostenbefreiung auf die Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben erweitert werden sollte. Dieser Begriff fand sich bisher bereits in Art. 159 Abs. 2 OG, so dass die zu dieser Bestimmung ergangene Rechtsprechung übernommen werden kann (vgl. SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N. 46 zu Art. 66 BGG).
4.4 In Abweichung vom bisherigen Art. 134 OG hat der Gesetzgeber sämtliche Verfahren vor Bundesgericht für kostenpflichtig erklärt und für das Sozialversicherungsrecht lediglich einen reduzierten Gebührenrahmen vorgesehen (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG).
4.5 Während die kantonalen Arbeitsämter, welchen Aufgaben im Sinne von Art. 85 AVIG übertragen sind, als kantonale Amtsstellen ohne Weiteres dem Begriff "Kanton" zuzuordnen sind, ist die Ausgangslage bei den Arbeitslosenkassen anders, da der Gesetzgeber nebst den kantonalen (Art. 77 AVIG) auch private (Art. 78 AVIG) Arbeitslosenkassen vorsieht. Nach Art. 79 Abs. 2 AVIG kommt sowohl den kantonalen wie auch den privaten Arbeitslosenkassen keine Rechtspersönlichkeit zu; sie können jedoch nach aussen in eigenem Namen handeln und als Partei auftreten. Damit bestimmt sich ihre Zuordnung nach ihrem jeweiligen Träger: Die kantonalen Arbeitslosenkassen, deren Träger die Kantone sind (Art. 77 Abs. 2 AVIG), fallen demnach unter den Begriff "Kanton" im Sinne von Art. 66 Abs. 4 BGG; die privaten Arbeitslosenkassen, deren Träger Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisationen sein können (Art. 78 Abs. 1 AVIG), zählen hingegen zu den mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen.
4.6 Den kantonalen und privaten Arbeitslosenkassen ist gemeinsam, dass sie bei Leistungsstreitigkeiten Aufgaben in ihrem amtlichen Wirkungskreis erfüllen (Art. 81 Abs. 1 AVIG; vgl. SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, a.a.O., N. 49 zu Art. 66 BGG). Dabei verfolgen sie eigene Vermögensinteressen (vgl. SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, a.a.O., N. 54 zu Art. 66 BGG). Sie sind für die Auszahlung der Leistungen zuständig (Art. 81 Abs. 1 lit. c AVIG). Somit fallen Arbeitslosenkassen nicht unter den Ausnahmetatbestand von Art. 66 Abs. 4 BGG. Dies steht in Einklang sowohl mit der bisherigen, mit dem BGG grundsätzlich nicht geänderten Praxis, wonach die Arbeitslosenkassen in kostenpflichtigen Verfahren Gerichtskosten zu tragen haben (vgl. E. 4.2 in fine sowie E. 4.3), als auch mit der Einführung der Kostenpflicht für sämtliche Sozialversicherungsverfahren vor Bundesgericht (vgl. E. 4.4).