BGE 143 IV 1
 
1. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_68/2016 vom 28. November 2016
 
Regeste
Art. 63b Abs. 5 StGB; nachträgliche Anordnung einer ambulanten Massnahme.
 
Sachverhalt
A. Das Bezirksgericht Winterthur sprach X. am 16. Mai 2013 der mehrfachen, teilweise versuchten sexuellen Handlungen mit Kindern gemäss Art. 187 Ziff. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, des mehrfachen Verabreichens gesundheitsgefährdender Stoffe an Kinder nach Art. 136 StGB, der Pornographie im Sinne von aArt. 197 Ziff. 1 StGB, der Anstiftung zur Pornographie im Sinne von aArt. 197 Ziff. 3 StGB i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB sowie der mehrfachen Pornographie nach aArt. 197 Ziff. 3 und 3bis StGB schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten unter Anrechnung von 406 Tagen Haft und ordnete gleichzeitig eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung nach Art. 63 StGB an.
B. X. trat am 20. März 2013 im Rahmen des vorzeitigen Strafvollzugs in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies ein. Am 12. September 2013 wurde er in das Haus A. in den offenen Vollzug versetzt. Mit der ambulanten Behandlung war bereits am 5. Februar 2013 vorzeitig begonnen worden. Im Rahmen einer routinemässigen Kontrolle am 12. August 2014 wurde in der Zelle von X. ein internetfähiges Mobiltelefon sichergestellt, was gemäss Hausordnung des Hauses A. verboten ist. Das Gerät enthielt Bilder von männlichen Jugendlichen/jungen Männern mit sexuellem Charakter. X. wurde am 13. August 2014 vorsorglich in den geschlossenen Vollzug versetzt. Das Strafverfahren wegen Verdachts auf Besitz von Pornographie im Sinne von Art. 197 StGB wurde am 23. Oktober 2014 eingestellt, weil sich nicht eruieren liess, ob die abgebildeten Personen jünger als 16 Jahre alt waren. Am 23. Oktober 2014 wurde X. definitiv in das geschlossene Strafregime zurückversetzt.
Das effektive Strafende fiel auf den 3. März 2015.
C. Am 2. Dezember 2014 hob das Amt für Justizvollzug (JUV) die ambulante therapeutische Massnahme als aussichtslos auf. Einen dagegen gerichteten Rekurs wies die Direktion der Justiz und des Innern am 21. Januar 2015 ab. Die Verfügung wurde rechtskräftig.
Am 16. Dezember 2014 beantragte das JUV dem Bezirksgericht Winterthur, es sei anstelle der ambulanten Behandlung gemäss Art. 63 StGB eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB i.V.m. Art. 63b Abs. 5 StGB unter Aufschub der Reststrafe anzuordnen.
Das Bezirksgericht gab am 19. Februar 2015 im Hinblick auf die beantragte nachträgliche Abänderung der Massnahme ein aktuelles psychiatrisches Ergänzungsgutachten in Auftrag, welches am 11. Juni 2015 erstattet wurde. Am 10. September 2015 fand die Hauptverhandlung statt. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 ordnete das Bezirksgericht gegen X. eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB i.V.m. Art. 63b Abs. 5 StGB an.
Die dagegen gerichtete Beschwerde von X. wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 17. Dezember 2015 ab und bestätigte die Umwandlung der ambulanten Therapie in eine stationäre Massnahme nach vollständiger Strafverbüssung.
D. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X., es sei der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Dezember 2015 aufzuheben und ein neuer Beschluss zu fassen. Eventualiter sei der Beschluss vom 17. Dezember 2015 aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
E. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben am 30. Mai 2016 und 1. Juni 2016 je auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Es weist die Angelegenheit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 5
5.4 Die in den zitierten Entscheiden vertretene, sich auf den Wortlaut von Art. 63b Abs. 5 StGB stützende Auffassung widerspricht dem Grundsatz des Massnahmenrechts, wonach Massnahmen flexibel, einzelfall- und situationsgerecht angeordnet und geändert werden können sollen. Es gilt das Prinzip der Austauschbarkeit. Nach der Rechtsprechung zum früheren Recht war es denn auch möglich, anstelle einer als aussichtslos aufgehobenen ambulanten Massnahme eine andere ambulante Massnahme anzuordnen (BGE 123 IV 100 E. 3b mit Hinweisen; siehe hierzu auch HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 25 zu Art. 63b StGB), was sachgerecht erscheint. Denn der Umstand, dass eine ambulante Therapie nicht die erhoffte Wirkung zeigt und als aussichtslos eingestuft wird, muss keineswegs bedeuten, dass sich eine andere ambulante Therapie ebenfalls als nicht zielführend erweisen wird.
Hinzu kommt Folgendes: Art. 63b StGB betrifft nach seinem Wortlaut ambulante Massnahmen, die unter Aufschub des Strafvollzugs angeordnet worden sind. Wird eine solche Massnahme als aussichtslos aufgehoben (Art. 63b Abs. 2 StGB), so kann das Gericht gemäss Art. 63b Abs. 5 StGB unter den dort genannten Voraussetzungen eine stationäre Massnahme nach den Artikeln 59-61 anordnen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, an der festzuhalten ist (siehe nicht publ. E. 2.4 und 2.5), kann das Gericht in Ausnahmefällen gestützt auf Art. 63b Abs. 5 StGB abweichend vom Gesetzeswortlaut eine stationäre Massnahme auch anordnen, wenn eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme als aussichtslos aufgehoben und die Strafe bereits verbüsst worden ist. Dann muss es aber in Ausnahmefällen a maiore minus auch zulässig sein, anstelle der als aussichtslos aufgehobenen ambulanten Massnahme eine andere ambulante Massnahme anzuordnen. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass bei Aufhebung einer ambulanten Massnahme wegen Aussichtslosigkeit - sei es anstelle des Strafvollzugs, sei es nach Verbüssung der Strafe - nur eine stationäre Massnahme, nicht aber, was einen milderen Eingriff darstellt, eine andere ambulante Massnahme angeordnet werden kann.
An der in BGE 134 IV 246 E. 3.4 und in Urteil 6B_375/2008 vom 21. Oktober 2008 E. 3.1 vertretenen Auffassung, wonach nach Aufhebung einer ambulanten Massnahme für eine andere ambulante Massnahme kein Raum besteht, ist aus den genannten Gründen nicht festzuhalten.