BGE 141 IV 104
 
14. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und A. GmbH (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_20/2015 vom 16. März 2015
 
Regeste
Ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) zum Nachteil einer Einpersonen-AG.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Zahlungen zulasten der B. AG seien grossenteils - als Lohn und Spesen - an den Alleinaktionär und Direktor Y. gegangen. Dieser habe auch jederzeit Kenntnis von den übrigen Auslagen zu Lasten der B. AG gehabt und sie akzeptiert. Zwischen der B. AG und dem Alleinaktionär Y. habe eine wirtschaftliche Identität bestanden. Das Tun und Unterlassen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Tätigkeit als Verwaltungsrat habe in allen Teilen dem Willen des Alleinaktionärs entsprochen, und die B. AG habe in die Vermögensverfügungen des Beschwerdeführers eingewilligt. Damit aber habe die B. AG als solche gar nicht geschädigt werden können. Art. 158 StGB schütze im Unterschied zu Art. 165 StGB nicht die Interessen der Gläubiger. Die Vorinstanz verletze Art. 158 StGB, indem sie unter Berufung auf BGE 117 IV 259 den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung als erfüllt erachte.
3.2 Die Einwände sind unbegründet. Die Einwilligung des Alleinaktionärs ist nicht relevant. Die Aktiengesellschaft ist auch in der Form einer Einpersonen-AG selbständige Vermögensträgerin, und ihr Vermögen ist nicht nur nach aussen, sondern auch im Verhältnis zu den einzelnen Gesellschaftsorganen ein fremdes. Die Einpersonen-AG ist auch für den sie als einziger Verwaltungsrat beherrschenden Alleinaktionär jemand anderer. Diese Verschiedenheit der Rechtssubjekte und damit die Fremdheit des Vermögens des einen Rechtssubjekts für das andere sind auch im Strafrecht grundsätzlich beachtlich (BGE 117 IV 259 E. 3b mit Hinweisen). Für Handlungen, die der Geschäftsführer einer AG als Organ derselben vornimmt, haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und Verwaltungsrats besteht nur unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 754 ff. OR). Da grundsätzlich nur das Vermögen der AG gegenüber Dritten haftet, enthält das Aktienrecht eine ganze Reihe von Bestimmungen, die den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken. Diese Vorschriften muss auch der faktisch einzige Verwaltungsrat beziehungsweise Geschäftsführer und Alleinaktionär einer Einpersonen-AG beachten beziehungsweise darf der Verwaltungsrat und Geschäftsführer auch mit Zustimmung des Alleinaktionärs nicht missachten. Eine Handlung des Geschäftsführers, die im Widerspruch zu diesen gesetzlichen Vorschriften steht, ist pflichtwidrig und erfüllt den objektiven Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 StGB, wenn als Folge des pflichtwidrigen Handelns die Einpersonen-AG am Vermögen geschädigt wird (siehe BGE 117 IV 259 E. 4 mit Hinweisen). Eine Vermögensdisposition, die als (verdeckte) Gewinnausschüttung (an den Verwaltungsrat beziehungsweise an den Alleinaktionär) zu qualifizieren ist, ist pflichtwidrig, wenn sie im Widerspruch zu zwingenden aktienrechtlichen Bestimmungen steht, die den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken. Über diese Vorschriften, die nach ihrer "ratio legis" gerade auch dem Schutz Dritter dienen, welche mit der AG in Kontakt kommen, kann sich auch ein Alleinaktionär einer Einpersonen-AG nicht hinwegsetzen. Das Vermögen einer AG und damit auch einer Einpersonen-AG muss nach den aktienrechtlichen Vorschriften gerade auch im Interesse Dritter (Arbeitnehmer, Gläubiger der AG) in einem gewissen Umfang erhalten bleiben. Die Interessen der Gläubiger der AG an der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens in einem gewissen Umfang werden nicht allein durch die Bestimmungen betreffend die Konkursdelikte (Art. 163 ff. StGB) strafrechtlich geschützt, welche als objektive Strafbarkeitsbedingung die Konkurseröffnung voraussetzen, sondern auch durch Art. 158 StGB betreffend die ungetreue Geschäftsbesorgung (BGE 117 IV 259 E. 5a). Eine Vermögensdisposition zu Lasten der Einpersonen-AG, welche das Reinvermögen der AG (Aktiven minus Passiven) im Umfang des Aktienkapitals und der gebundenen Reserven unberührt lässt, ist nicht pflichtwidrig im Sinne von Art. 158 StGB, egal, ob es sich bei der Vermögensdisposition um eine (verdeckte) Gewinnausschüttung oder um einen Aufwand handelt. Wird hingegen das Reinvermögen der Einpersonen-AG im Umfang des Aktienkapitals und der gebundenen Reserven angetastet, so ist die Vermögensdisposition pflichtwidrig, soweit sie eine (verdeckte) Gewinnausschüttung darstellt. Handelt es sich bei der Vermögensdisposition hingegen um Aufwand, so ist sie nur pflichtwidrig unter der weiteren Voraussetzung, dass sie mit den Pflichten des Geschäftsführers zur sorgfältigen Verwaltung der Geschäfte der Gesellschaft nicht vereinbar ist, was von den gesamten Umständen des konkreten Falles abhängt (BGE 117 IV 259 E. 5b).
Die in BGE 117 IV 259 vertretene Auffassung stützt sich auf eine Meinungsäusserung von MARTIN SCHUBARTH (Delikte gegen das Vermögen, Art. 137-172 [StGB], 1990, N. 38 zu Art. 159 StGB). BGE 117 IV 259 hat bei einigen Autoren Zustimmung gefunden (HANS SCHULTZ, ZBJV 129/1993 S. 38; ANDREAS DONATSCH, Aspekte der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 StGB, ZStrR 114/1996 S. 200 ff., 211). Er ist bei andern Autoren auf Ablehnung gestossen (MARCEL ALEXANDER NIGGLI, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 16 zu Art. 158 StGB; TRECHSEL/CRAMERI, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2013, N. 8 zu Art. 158 StGB; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl. 2010, § 19 N. 17; MATTHIAS HEINIGER, Der Konzern im Unternehmensstrafrecht gemäss Art. 102 StGB, 2011, N. 578 ff., 584; MICHEL RIEDO, Ausgewählte strafrechtliche Aspekte bei der Einpersonen-AG, unter Berücksichtigung des deutschen Rechts, 2011, S. 53 ff.). Die Kritiker wenden im Wesentlichen ein, die Rechtsprechung laufe darauf hinaus, dass durch Art. 158 StGB die Interessen der Gläubiger der Gesellschaft vor einer Gefährdung geschützt werden. Der Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung setze indessen einen Vermögensschaden voraus, und die Interessen der Gläubiger würden nicht durch Art. 158 StGB, sondern durch Art. 163 ff. StGB betreffend die Betreibungs- und Konkursdelikte geschützt. Die in BGE 117 IV 259 vertretene Auffassung entspricht im Wesentlichen der sog. eingeschränkten Gesellschaftstheorie, welcher die Rechtsprechung und wohl herrschende Lehre in Deutschland betreffend den Tatbestand der Untreue (§ 266 D-StGB) im Zusammenhang mit der Einmann-GmbH folgen (siehe BERND SCHÜNEMANN, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, N. 249, 253, 254 zu § 266 D-StGB).
Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung gemäss BGE 117 IV 259 in mehreren Entscheiden - zumindest indirekt und implizit - bestätigt (siehe zum Beispiel Urteile 6S.277/2005 vom 25. November 2006 E. 2; 6B_326/2012 vom 14. Januar 2013 E. 2.5.5; 6B_34/2013 vom 17. Juni 2013 E. 2.2; 6B_606/2014 vom 27. Oktober 2014 E. 2.3.2). An der Rechtsprechung ist festzuhalten.
Dass er auf der Grundlage dieser Rechtsprechung den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 StGB erfüllte, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede.