BGE 141 IV 10
 
2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und A. (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_123/2014 vom 2. Dezember 2014
 
Regeste
Art. 183 StGB; Freiheitsberaubung und Entführung.
Jeder Elternteil, der das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, ist grundsätzlich berechtigt, diesen zu verändern, ohne eine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB zu begehen. Widerspricht die Verbringung des Kindes an einen anderen Ort massiv dessen Interessen und Wohl, lässt sich die Tat nicht mehr mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht rechtfertigen (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4.5).
 
Sachverhalt
A. X. lebt getrennt von seiner ehemaligen Lebenspartnerin A. Die beiden gemeinsamen Kinder wohnten bis am 15. Oktober 2011 bei der Mutter, wobei die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge innehatten. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich wirft X. vor, die Kinder am 15. Oktober 2011 im Rahmen seines Besuchsrechts abgeholt zu haben, mit ihnen ohne Wissen und Zustimmung der Mutter sowie der Beiständin nach Nigeria gereist zu sein und sie dort bei Familienangehörigen zurückgelassen zu haben. Dies in der Absicht, die Kinder dort aufziehen zu lassen, bis ihm durch die schweizerischen Behörden die alleinige elterliche Sorge übertragen werde.
X. wurde am 30. Oktober 2011 verhaftet. Am 25. November 2011 wurde der Mutter die alleinige elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder zugeteilt, was X. am 13. Dezember 2011 eröffnet wurde. Gemäss Anklage habe er ab diesem Zeitpunkt gewusst, dass er nicht befugt sei, über den Aufenthaltsort der Kinder zu bestimmen und ihnen die Rückkehr zur Mutter zu verwehren. Trotzdem weigere er sich seither, durch entsprechende Anweisung seiner Familienangehörigen in der Schweiz oder in Nigeria die Rückführung der Kinder zu veranlassen, obwohl ihm dies möglich wäre, was er wisse.
B. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 13. Januar 2014 zweitinstanzlich wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung und mehrfachen Entziehens von Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Hauptpunkt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme. A. lässt sich nicht vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 4
4.2 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe spätestens seit dem 13. Dezember 2011 gewusst, dass die alleinige elterliche Sorge der Kindsmutter zugeteilt worden und er nicht befugt sei, über den Aufenthaltsort der Kinder zu bestimmen. Er habe unrechtmässig gehandelt, indem er die Rückführung der Kinder nicht veranlasst habe. Wenn 3½- und 5-jährige Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und in einem fremden Land bei nicht näher bekannten Personen zurückgelassen würden, seien sie gehindert, den aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen und zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dies schränke ihre Fortbewegungsfreiheit unzulässig ein. Bei Kleinkindern sei es unerheblich, ob sie gefesselt oder eingesperrt würden, da sie sich ohne erwachsene Personen ohnehin nicht nach ihrem Belieben fortbewegen und alleine kaum überleben könnten. Der Beschwerdeführer verwehre mit seinem Verhalten der Kindsmutter als Schutzberufene den Zugang zu den Kindern und beschränke deren Fortbewegungsfreiheit unzulässig. Ferner könnten sich die Kinder nicht unabhängig von seinem Willen bewegen.
4.3 Gemäss Art. 183 StGB wird bestraft, wer jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemandem in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht (Freiheitsberaubung; Ziff. 1 Abs. 1) oder wer jemanden durch Gewalt, List und Drohung entführt oder wer jemanden entführt, der urteilsunfähig, widerstandsunfähig oder noch nicht 16 Jahre alt ist (Entführung; Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2). Das geschützte Rechtsgut ist die körperliche Fortbewegungsfreiheit. Bei der Freiheitsberaubung wird das Opfer unrechtmässig festgehalten, während es bei der Entführung umgekehrt von einem Ort an einen anderen verbracht wird (BGE 119 IV 216 E. 2e S. 220; BGE 118 IV 61 E. 2b S. 63 und E. 3a S. 64; DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 20 und 23 zu Art. 183 StGB). Erschwerende Umstände im Sinne von Art. 184 Abs. 4 StGB liegen vor, wenn der Entzug der Freiheit mehr als zehn Tage dauert (BGE 119 IV 216 E. 2d und e S. 219 ff.).
 
Erwägung 4.4
4.4.1 Freiheitsberaubung ist die Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit (TRECHSEL/FINGERHUTH, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 183 StGB). Unrechtmässig ist eine Freiheitsberaubung, wenn rechtfertigende Umstände fehlen. Als solche kommen nebst den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen nach Art. 14 ff. StGB auch Einwilligungen in Betracht (DELNON/RÜDY, a.a.O., N. 53 f. zu Art. 183 StGB). Die unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit liegt nach Rechtsprechung und Lehre darin, dass jemand daran gehindert wird, sich selbstständig, mit Hilfsmitteln oder mit Hilfe Dritter nach eigener Wahl vom Ort, an dem er sich befindet, an einen anderen Ort zu begeben oder bringen zu lassen (BGE 101 IV 154 E. 3b S. 160; DELNON/RÜDY, a.a.O., N. 20 zu Art. 183 StGB). Demgegenüber erfüllt den Tatbestand nicht, wer jemanden zwingt, einen Ort zu verlassen (BGE 101 IV 154 E. 3b S. 161). Ebenfalls keine unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit liegt vor, wenn eine Person einen bestimmten Ort überhaupt nicht oder nicht auf dem gewünschten Weg erreichen kann. Eine partielle Beeinträchtigung der Freiheit, den Aufenthaltsort zu wählen, ist keine Freiheitsberaubung. Nur eine umfassende Aufhebung dieser Freiheit erfüllt den Tatbestand. Wird eine Person gezwungen, einen Ort zu verlassen, oder an dessen Betreten gehindert, wird sie allenfalls im Sinne von Art. 181 StGB genötigt (zum Ganzen ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl. 2013, S. 454; DELNON/RÜDY, a.a.O., N. 20 zu Art. 183 StGB; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl. 2010, § 5 N. 35; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. I, 3. Aufl. 2010, N. 20 zu Art. 183 und 184 StGB; MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Bd. III: Delikte gegen die Ehre, den Geheim- oder Privatbereich und gegen die Freiheit, Art. 173-186 StGB, 1984, N. 16 zu Art. 183 StGB; zum Verhältnis von Freiheitsberaubung und Entführung HANS-PETER EGLI, Freiheitsberaubung, Entführung und Geiselnahme nach der StGB-Revision vom 9. Oktober 1981, 1986, S. 78 mit Hinweisen). Die Freiheitsberaubung kann durch unrechtmässige Festnahme, Gefangenhalten oder unrechtmässige Freiheitsentziehung auf andere Weise geschehen (Generalklausel).
Was als Aufenthaltsort zu verstehen ist, ob darunter ein Raum, ein Fahrzeug, ein Haus, ein Gebiet oder allenfalls auch ein Land fällt, wird in der Rechtsprechung und Lehre nicht näher definiert. BERNARD CORBOZ hält fest, der Ort sei nicht wichtig. Es könne sich um einen Ort unter freiem Himmel, einen Raum oder ein Transportmittel handeln (CORBOZ, a.a.O., N. 18 zu Art. 183 und 184 StGB). Die Botschaft vom 23. Juli 1918 zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das Schweizerische Strafgesetzbuch (BBl 1918 IV 1) und die Botschaft vom 10. Dezember 1979 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (BBl 1980 I 1241) äussern sich nicht dazu. Die in Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB beispielhaft genannten Tathandlungen des Festnehmens und Gefangenhaltens deuten darauf hin, dass der Tatbestand restriktiv anzuwenden ist. Hierfür spricht auch die hohe Strafandrohung der qualifizierten Freiheitsberaubung (vgl. BGE 118 IV 61 E. 3c S. 65 f.; BGE 116 IV 312 E. 2d/aa S. 315 f.). Der Gesetzgeber wollte Situationen erfassen, in denen Personen gänzlich an der Betätigung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit gehindert werden. Die Rechtsprechung bejahte einen Freiheitsentzug unter anderem, als eine Ehefrau die Familienwohnung nicht verlassen durfte (Urteil 6B_139/2013 vom 20. Juni 2013 E. 2), beim Festhalten in einer Wohnung während 20 bis 30 Minuten (Urteil 6B_400/2012 vom 15. November 2012 Sachverhalt lit. A), beim Einschliessen in der Waschküche (Urteil 6B_20/2012 vom 29. Mai 2012 E. 1.3.5), bei einer Fahrt in einem Auto gegen den Willen des Opfers (BGE 89 IV 85 E. 1 S. 87; Urteil 6B_1064/2013 vom 10. März 2014 E. 1), bei einer unrechtmässigen Inhaftierung aufgrund einer falschen Anschuldigung (Urteil 6B_899/2013 vom 17. März 2014 E. 3) und bei einer Festnahme einer auf frischer Tat ertappten verdächtigen Person durch den Geschädigten, sofern sie länger dauert als die Zeit, welche die Polizei bräuchte, um zum Ort des Geschehens zu gelangen (BGE 128 IV 73 E. 2a-d S. 74 ff.).
4.4.2 Der Schuldspruch wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung verletzt Bundesrecht. Die körperliche Fortbewegungsfreiheit der Kinder ist entgegen den Ausführungen der Vorinstanz nicht aufgehoben. Aus den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich einzig, dass den Kindern der Zugang zum Wohnort ihrer Mutter verwehrt wird. Dass ihre Fortbewegungsfreiheit auch in anderer Weise eingeschränkt wäre, ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Vorinstanz im Rahmen der Strafzumessung fest, die Kinder könnten sich in Nigeria frei bewegen und seien nicht eingesperrt. Nach geltender Lehre und Rechtsprechung liegt keine unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit vor, wenn ein bestimmter Ort, beispielsweise der Wohnort der Mutter, nicht erreicht werden kann (vgl. E. 4.4.1 Absatz 1). Die Vorinstanz weist zwar zu Recht darauf hin, dass sich Kleinkinder in der Regel mit Hilfe von dazu berufenen Personen fortbewegen. Dies muss jedoch nicht zwingend die sorgeberechtigte Mutter sein. Ebenso können Familienangehörige und Bekannte ein Kind von einem Ort an einen anderen bringen. Ferner können sich Kinder ab einem gewissen Alter selbstständig über eine beschränkte Strecke fortbewegen. Folglich führt die Trennung von der Mutter nicht dazu, dass die Fortbewegungsfreiheit der Kinder aufgehoben ist. Der objektive Tatbestand der Freiheitsberaubung ist vorliegend nicht erfüllt. Die weiteren Rügen zum Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung können bei diesem Ausgang offengelassen werden.
 
Erwägung 4.5
4.5.2 Nach Art. 183 Ziff. 2 StGB macht sich strafbar, wer jemanden entführt, der urteilsunfähig, widerstandsunfähig oder noch nicht 16 Jahre alt ist. Der Tatbestand der Entführung setzt voraus, dass sich als Folge des Verbringens an einen anderen Ort eine Machtposition des Täters über sein Opfer ergibt (BGE 118 IV 61 E. 3a S. 64). Erforderlich ist zudem, dass die Ortsveränderung für eine gewisse Dauer vorgesehen und das Opfer in seiner persönlichen Freiheit tatsächlich beschränkt ist, es insbesondere nicht die Möglichkeit hat, unabhängig vom Willen des Täters an seinen gewohnten Aufenthaltsort zurückzukehren (BGE 83 IV 152 S. 154). Die Urteilsfähigkeit bzw. -unfähigkeit im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB muss sich auf das geschützte Rechtsgut, d.h. die freie Selbstbestimmung des Aufenthaltsorts beziehen (STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, a.a.O., § 5 N. 51). Die Entführung von Urteilsunfähigen, Widerstandsunfähigen oder Personen, die noch nicht 16 Jahre alt sind, verlangt für die Verbringung an einen anderen Ort kein besonderes Tatmittel (DELNON/RÜDY, a.a.O., N. 23, 33, 47 f. und 52 zu Art. 183 StGB; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, a.a.O., § 5 N. 51).
4.5.3 Die Vorinstanz erwägt mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. BGE 126 IV 221 E. 1b S. 222 f.), es liege keine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB vor. Als der Beschwerdeführer die Kinder nach Nigeria verbracht habe, habe er die elterliche Sorge zusammen mit der Kindsmutter innegehabt. Die Vormundschaftsbehörde habe die Obhutsfrage nicht geregelt, weder als sie die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam übertragen habe noch als der Beschwerdeführer die gemeinsame Wohnung verlassen habe und ein begleitetes Besuchsrecht eingeführt worden sei. Es sei zwar aufgrund der Akten davon auszugehen, dass die Kindsmutter bis zu einem gewissen Grad faktisch alleine die Obhut über die Kinder innegehabt habe, als diese bei ihr gelebt und vom Beschwerdeführer getrennt gewohnt hätten. Die Anklage basiere jedoch nicht auf diesem Umstand. Auch könne der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt werden, wonach das Verbringen der Kinder nach Nigeria nach Aufhebung der elterlichen Sorge durch den Beschwerdeführer rückwirkend als Entführung zu werten sei.
In BGE 118 IV 61 erwog das Bundesgericht, dass der Schutz der Freiheit des Kindes bezüglich der Wahl seines Aufenthaltsorts den sich aus der elterlichen Gewalt ergebenden Einschränkungen unterliegt. Es ordnete das Freiheitsrecht des Kindes der Gehorsamspflicht gegenüber dem (Mit-)Inhaber der elterlichen Gewalt unter. Danach ist es für das Kind grundsätzlich unerheblich, wer seinen Aufenthaltsort bestimmt. Selbst die faktische Einschränkung der elterlichen Gewalt des einen Elternteils durch die Obhutsberechtigung des andern spielt keine Rolle, solange das Kindeswohl nicht in Frage gestellt ist. Das dem Kind zugestandene Freiheitsbewusstsein verschafft ihm erst mit zunehmendem Alter eine gewisse Freiheit in der Wahl seines Aufenthaltsorts (E. 3b und c S. 65; vgl. zum letzten Satz CORBOZ, a.a.O., N. 65 zu Art. 183 und 184 StGB; TRECHSEL/FINGERHUTH, a.a.O., N. 16 zu Art. 183 StGB).
In BGE 126 IV 221 änderte das Bundesgericht seine Rechtsprechung dahin gehend, als unabhängig davon, ob die Ortsveränderung dem Wohl und dem Interesse des Kindes entspricht, keine Entführung begeht, wer Inhaber der elterlichen Sorge ist und das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Anders liegt es, wenn das Obhutsrecht einem Elternteil allein zugeteilt wird. Alsdann ist der andere Elternteil nicht mehr berechtigt, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Wechselt er dennoch eigenmächtig dessen Aufenthaltsort, liegt unter den Voraussetzungen von Art. 183 Ziff. 2 StGB eine Entführung vor. Seinen Entscheid begründete das Bundesgericht damit, dass das Wohl des Kindes beim Entführungstatbestand kein ausschlaggebendes Kriterium ist. Je nach Fall ist sehr schwer festzustellen, ob sich ein Wechsel des Aufenthaltsorts mit dem Wohle des Kindes verträgt oder nicht (E. 1b S. 222 f.).
4.5.5 An dieser Rechtsprechung kann in dieser Absolutheit nicht festgehalten werden. Der Grundsatz, wonach derjenige Elternteil, der das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, keine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB begehen kann, behält Gültigkeit. Vorliegend drängt es sich jedoch auf zu prüfen, ob dem Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern (zivilrechtliche) Schranken gesetzt sind. So hielt bereits ROBERT KOBER zur altrechtlichen Kindesentführung (aArt. 185 StGB in der bis am 30. September 1982 gültig gewesenen Fassung [AS 54 757], wonach bestraft wurde, wer ein Kind unter 16 Jahren zum Zweck der Gewinnsucht oder der Unzucht entführte) fest, eine Entführung aus Gewinnsucht oder zu einem unzüchtigen Zweck sei ein so starker Eingriff in die Freiheit der körperlichen Integrität und der Entwicklung des Kindes, dass eine solche Tat niemals im Rahmen der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt, die in erster Linie zum Nutzen des Kindes gedacht ist, vorgenommen werden könnte (ROBERT KOBER, Die Entführung nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch, 1953, S. 56, vgl. auch S. 60). Auch HANS-PETER EGLI führte zum revidierten Art. 183 StGB aus, Freiheitsberaubungen und Entführungen seien so schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Integrität auch eines Kindes, dass das elterliche Züchtigungsrecht keinesfalls extensiv zu interpretieren sei (EGLI, a.a.O., S. 116).
Gemäss aArt. 296 Abs. 1 ZGB (in der im Tatzeitpunkt und bis am 30. Juni 2014 in Kraft gestandenen Fassung; AS 1999 1118) stehen Kinder, solange sie unmündig sind, unter elterlicher Sorge (ähnlich Art. 296 Abs. 2 ZGB). Die elterliche Sorge umfasst unter anderem das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (aArt. 301 Abs. 3 ZGB; Art. 301 Abs. 3 und Art. 301a ZGB) und über dessen Erziehung zu entscheiden (Art. 302 ZGB). Dabei sind die Eltern jedoch nicht völlig frei, sondern haben sich am Wohl des Kindes zu orientieren und dessen Persönlichkeit zu achten (aArt. 272 und 301 Abs. 1 ZGB; Art. 296 Abs. 1 ZGB; vgl. BGE 136 III 353 E. 3.3 S. 358). Beim Aufenthaltsbestimmungsrecht sind Aspekte der Stabilität und Kontinuität von besonderer Bedeutung (INGEBORG SCHWENZER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 2 und 12 zu Art. 301 ZGB). Ferner kann die elterliche Sorge durch andere Gesetzesbestimmungen eingeschränkt sein (vgl. SCHWENZER, a.a.O., N. 16 zu Art. 301 ZGB).
Das Bundesgericht entschied in einem nicht publizierten Urteil aus dem Jahr 2003, das Einschliessen und Gefangenhalten eines Kindes während mehrerer Tage stelle keine zulässige Erziehungsmassnahme dar und erfülle den Tatbestand der Freiheitsberaubung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Es legte anhand des Erziehungsrechts der Eltern dar, dass es unter gewissen Bedingungen ein zulässiges Erziehungsmittel sein könne, sein Kind einzuschliessen. Jedoch rechtfertige das Erziehungsrecht der Eltern nicht jegliche Erziehungsmassnahme. Diese hätten immer im Blick auf das Wohl des Kindes zu erfolgen (Urteil 6S.145/2003 vom 13. Juni 2003 E. 2; vgl. zum elterlichen Züchtigungsrecht BGE 129 IV 216 E. 2 S. 219 ff.; Urteil 6P.106/2006 vom 18. August 2006 E. 6.4; BARBARA LOPPACHER, Erziehung und Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht [Art. 219 StGB], ZStStr 58/2011 S. 29 ff.). Im gleichen Entscheid wurde mit Hinweis auf BGE 126 IV 221 ausgeführt, die Freiheitsberaubung unterscheide sich von der Entführung, da Letztere unbesehen des Kindeswohls von einem obhutsberechtigten Elternteil nicht begangen werden könne (E. 2.2). Dies gilt nicht in jedem Fall. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb aus strafrechtlicher Sicht für das Aufenthaltsbestimmungsrecht etwas anderes gelten sollte als für das Erziehungsrecht, zumal sich beide Rechte am Wohl des Kindes zu orientieren haben. Es sind Konstellationen denkbar, in denen die Verbringung eines Kindes an einen anderen Aufenthaltsort derart massiv in die Interessen des Kindes und letztlich auch dessen Freiheitsrecht eingreift, dass sie strafrechtlich relevant wird. In diesen Ausnahmefällen lässt sich die Ortsveränderung nicht mehr mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht rechtfertigen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die konkreten Umstände eindeutig ausserhalb des Kindeswohls liegen. Geringfügige Beeinträchtigungen der Interessen des Kindes, die mit einer Veränderung des Aufenthaltsortes zwangsläufig einhergehen, genügen nicht (vgl. BGE 136 III 353 E. 3.3 S. 358 f.).
Zusammengefasst ist grundsätzlich jeder Elternteil, der das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, berechtigt, diesen zu verändern, ohne eine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB zu begehen. Greift die Verbringung des Kindes an einen anderen Ort massiv in dessen Interessen ein, lässt sich die Tat nicht mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht rechtfertigen.
4.5.6 Vorliegend sind die objektiven Tatbestandsmerkmale der Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 2 StGB erfüllt. Indem der Beschwerdeführer seine damals 3½- und 5-jährigen Söhne an einen unbekannten Ort in Nigeria verbrachte, erlangte er über sie eine Machtposition. Die Ortsveränderung ist dauerhaft und die Kinder können nicht unabhängig vom Willen des Beschwerdeführers an ihren gewohnten Aufenthaltsort zurückkehren. Auf den Willen der Kinder kommt es nicht an. Daher braucht auf die im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Freiheitsberaubung vorgebrachte Rüge nicht eingegangen zu werden, die Vorinstanz verletze das Anklageprinzip und das Willkürverbot, wenn sie annehme, die Kinder weilten nicht freiwillig in Nigeria. Die Verbringung der Kinder lässt sich nicht mehr durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Beschwerdeführers rechtfertigen. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen hat er die Interessen und das Wohl seiner Kinder in eklatanter Weise verletzt. Er verbrachte sie an einen unbekannten Ort in Nigeria, zu ihnen nicht näher bekannten Personen, fernab von ihrer Mutter, bei der sie bis dahin ununterbrochen lebten. Weder konnten sie sich von ihr verabschieden noch haben sie Kontakt zu ihr. Dieser abrupte und langandauernde Verlust der eigenen Mutter und das Herausreissen aus der vertrauten Umgebung kommen einer Entwurzelung gleich. Hinzu kommt, dass die Kinder nach der Verhaftung des Beschwerdeführers auch ohne Vater aufwachsen mussten. Folglich befanden sie sich im vorliegend zu beurteilenden Zeitraum ohne elterlichen Beistand bei fremden Personen in einem ihnen fremden Land. Dies widerspricht ihren Interessen und ihrem Wohl in krasser Weise (vgl. Urteil 6S.360/1998 vom 30. November 1999 E. 2d).