BGE 103 IV 186
 
54. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. November 1977 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden
 
Regeste
Art. 286 StGB, Hinderung einer Amtshandlung.
2. Das Warnen von Fahrzeugführern vor einer Geschwindigkeitskontrolle erfüllt den Tatbestand nicht (Erw. 4, 5).
 
Sachverhalt
A.- Die Verkehrspolizei Davos führte am 23. August 1976 in Saas im Prättigau mit einem mobilen Radargerät eine Geschwindigkeitskontrolle durch. Der hinzukommende Fussgänger K. trat in der Folge mehrmals auf die Strasse hinaus und veranlasste dadurch herannahende Automobilisten, ihre Geschwindigkeit zu mässigen, ohne im übrigen ihre Fahrt zu stören. Nach einem kurzen Wortwechsel mit der Polizei entfernte sich K. und gab etwas entfernt vom Messposten während etwa einer halben Stunde herannahenden Fahrern durch Auf- und Abschwenken des Armes Zeichen, zu verlangsamen.
B.- K. wurde vom Kreisgerichtsausschuss Küblis am 15. April 1977 wegen fortgesetzter Hinderung einer Amtshandlung zu einer Busse von Fr. 500.-- verurteilt. Der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden bestätigte am 13. Juni 1977 dieses Urteil, mit Ausnahme eines hier nicht interessierenden Nebenpunktes.
C.- K. beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde Freisprechung von der Anklage, eventuell Rückweisung zur Freisprechung gestützt auf Art. 20 StGB.
Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
Solche Radarkontrollen können gewaltlos auf verschiedene Art behindert werden, so durch Störung der Messung (Beispiel in BGE 95 IV 172) oder der Funkübertragung zum Auffangposten oder der automatischen Lichtbildaufnahme.
Dem Beschwerdeführer wird nichts Derartiges oder Vergleichbares vorgeworfen. Zunächst trat er in der Nähe der Messstelle auf die Strasse, aber nicht in den Messstrahl. Dann warnte er die Fahrer etwa 100 m vor der Radaranlage. Weder die Messung durch das Radargerät noch die Meldung durch Funk an den Auffangposten noch dessen Tätigkeit wurden gestört. Die ganze Amtshandlung wickelte sich reibungslos ab.
Anklage und Vorinstanz behaupten nichts anderes; nirgends wird eine Beeinträchtigung der Kontrolltätigkeit geltend gemacht. Die Verurteilung verletzt Art. 286 StGB.
Damit wird ein dem Sinn und Wortlaut von Art. 286 StGB fremdes Element eingeführt. Der Kassationshof hat es stets abgelehnt, darauf abzustellen, ob sich die Tätigkeit des Angeklagten auf den von der Amtshandlung angestrebten Zweck ausgewirkt hat. Der Täter ist auch dann wegen vollendeter und nicht nur versuchter Hinderung strafbar, wenn er den Beamten erfolglos gehindert hat (BGE 71 IV 101, BGE 74 IV 63 E. 4).
Umgekehrt ist eine Bestrafung nach Art. 286 ausgeschlossen, wenn der Täter zwar die Amtshandlung als solche nicht behinderte, aber den damit angestrebten Erfolg vereitelte. So wurde der Nachtruhestörer freigesprochen, der trotz polizeilicher Abmahnung weiter krakeelte (BGE 69 IV 3). Auch als ein Polizist einem betrunkenen Automobilisten verbot, mit seinem Wagen wegzufahren, wurde Hinderung einer Amtshandlung verneint, obwohl der Betrunkene sich dann trotzdem ans Steuer gesetzt hatte und weggefahren war (BGE 81 IV 164).
a) Radarmessungen können verschiedenen Zwecken dienen. Eine längere systematische Erfassung des Strassenverkehrs nach Fahrzeugkategorien und einzelnen Geschwindigkeitsstufen kann für die Festsetzung bestimmter Höchstgeschwindigkeiten notwendig sein. Hier könnten die Ergebnisse verfälscht werden, indem die Fahrer allgemein aufgefordert würden, bei der Durchfahrt an den kenntlich gemachten Messstellen schneller (oder langsamer) zu fahren, als dies sonst der Fall wäre. Die allermeisten Radarmessungen dienen jedoch ausschliesslich der Kontrolle darüber, ob eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten wird.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass auch im vorliegenden Fall lediglich eine der üblichen Höchstgeschwindigkeitskontrollen durchgeführt wurde.
b) Auch wenn der Fiskus an hohen Busseneingängen interessiert ist, liegt der Zweck der Radarkontrollen nicht in der Büssung vieler Verkehrssünder.
c) Geschwindigkeitskontrollen sollen mithelfen, eine möglichst umfassende Einhaltung geltender Höchstgeschwindigkeiten zu bewirken. Diese Höchstgeschwindigkeiten dienen wie alle übrigen Verkehrsvorschriften der Verkehrssicherheit. Alles, was dazu beiträgt, die Strassenbenützer zu einem verkehrsregelgemässen Verhalten zu veranlassen, liegt im Sinne der entsprechenden Vorschriften. Wer daher einen Strassenbenützer auf eine mögliche Geschwindigkeitsüberschreitung hinweist und zur notwendigen Mässigung veranlasst, kann nicht gegen den Zweck der Geschwindigkeitsbeschränkung verstossen. Er kann daher auch nicht dem Zweck zuwiderhandeln, der mit einer Geschwindigkeitskontrolle angestrebt wird.
d) Die Erfahrung lehrt, dass zwar Strafdrohungen und die individuelle Bestrafung Fehlbarer notwendig sind, dass aber eine gelockerte Verkehrsdisziplin mindestens so wirksam durch die Präsenz der Polizei und das Wissen um häufige Kontrollen gebessert wird. Aus dieser Erkenntnis heraus werden feste Radarkabinen gut sichtbar aufgestellt und vielerorts von der Polizei auffällige Tafeln mit dem Hinweis auf bevorstehende Geschwindigkeitskontrollen angebracht. Kantonale Polizeistellen pflegen regelmässig durch Radio und Presse vor Feiertagen darauf aufmerksam zu machen, dass auf ganz bestimmten Strecken Radarkontrollen durchgeführt würden. Mancher unaufmerksame oder undisziplinierte Lenker wird dadurch veranlasst, seine Geschwindigkeit jedenfalls an diesen Orten zu kontrollieren und nötigenfalls herabzusetzen.
Der Beschwerdeführer hat, wenn auch aus anderen Motiven, genau dasselbe getan, was die Verkehrspolizei selbst tut, um die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit möglichst umfassend zu gewährleisten.
e) Ob nur vereinzelte Autofahrer vor einer Geschwindigkeitskontrolle gewarnt werden oder die Warnung systematisch während längerer Zeit erfolgt, ist entgegen der in einem Urteil des Zürcher Obergerichts (SJZ 1971 S. 323 Nr. 138) vertretenen Meinung ohne Belang, gleichgültig, ob nur auf die Hinderung der Amtshandlung selbst oder auch auf den Zweck der letzteren abgestellt wird. Richtig ist vielmehr die Auffassung von SCHULTZ (Strafrechtliche Rechtsprechung zum Strassenverkehrsrecht 1968-1972, S. 64), dass auch die systematische Warnung einer grösseren Zahl von Fahrzeugführern nie Hinderung einer Amtshandlung sei, da sie genau den Zweck erreiche, den die Kontrolle selbst anstrebt.
Ob das Verhalten des Warners eventuell aus anderen Gründen bestraft werden kann (z.B. unerlaubte Verwendung der Lichthupe oder der akustischen Warnanlage), ist hier nicht zu untersuchen. Dem Beschwerdeführer wird kein solcher Vorwurf gemacht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 13. Juni 1977 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.