BGE 100 IV 273
 
69. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Oktober 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen Cavina.
 
Regeste
1. Art. 148 Abs. 1 StGB, Betrug.
b) Objektive Wertgleichheit zwischen Leistung und Gegenleistung schliesst einen Vermögensschaden nicht aus; Fall, in dem jemand zufolge arglistiger Irreführung über die Verbindlichkeit eines Versicherungsantrages einen Versicherungsvertrag abschliesst, den er nicht eingehen will (Erw. 3).
2. Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. mittelbare Falschbeurkundung.
Durch die Unterzeichnung eines Vertrages beurkundet die Partei auch dann den Willen zum Vertragsschluss, wenn die Erklärung nicht der Wahrheit entspricht (Erw. 4).
 
Aus den Erwägungen:
Das Obergericht lehnt die Anwendung des zuletzt genannten Kriteriums der Voraussehbarkeit der fehlenden Überprüfung mit der Begründung ab, dass der strafrechtliche Schutz nicht auf Opfer ausgedehnt werden dürfe, die ihre Schädigung zufolge Leichtgläubigkeit überwiegend selbst zu verantworten haben. Diese Betrachtungsweise verkennt den Sinn der Rechtsprechung. Auch das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass ein allzu leichtgläubiges Opfer sich nicht auf Arglist berufen kann, wenn es eine einfache Lüge bei einem Mindestmass an zumutbarer Vorsicht hätte durchschauen können (BGE 72 IV 128, BGE 99 IV 78 Erw. 4). Es ist jedoch nicht das gleiche, ob der Täter, wie es gewöhnlich geschieht, im Sinne einer blossen Hoffnung darauf vertraut, dass seine falschen Angaben geglaubt werden, oder ob er aufgrund bestimmter Umstände zum voraus erkennt, dass er es mit einem Opfer zu tun hat, das ihm infolge Unbeholfenheit, Unerfahrenheit und dergleichen besonderes Vertrauen entgegenbringt und deshalb aller Voraussicht nach von einer Überprüfung absieht. Solche Personen sind oft rasch bereit, unwahren Angaben trotz zumutbarer Überprüfung Glauben zu schenken, ohne dass ihnen Leichtsinn oder Leichtgläubigkeit vorgeworfen werden kann. Gerade weil sie ohne eigenes Verschulden leicht missbraucht werden können, bedürfen sie des besonderen Schutzes. Es ist daher entgegen den Einwänden der Vorinstanz, mit denen sich der Kassationshof schon in BGE 99 IV 77 auseinandergesetzt hat, an der bisherigen Praxis festzuhalten.
2. Die Staatsanwaltschaft erblickt in den angefochtenen 8 Betrugsfällen ausgesprochene Musterbeispiele dafür, dass sich der Angeklagte auf die Unterlassung der Überprüfung seiner falschen Behauptungen habe verlassen können. Das Obergericht habe deshalb in diesen Fällen das Merkmal der Arglist zu Unrecht verneint.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass Cavina in den 8 Fällen vorgeworfen wird, er habe den Unterzeichnern des Versicherungsantrages falsche Angaben über die Bedeutung des Antrages gemacht, so durch die Zusicherung, die Unterschrift verpflichte sie nicht, der Antrag diene nur der Anforderung weiterer Unterlagen, sie könnten sich noch später entscheiden usw. Die Vorinstanz hat mit Ausnahme des Falles Asmus davon abgesehen, sich mit den einzelnen Sachverhalten, insbesondere mit dem Wahrheitsgehalt der behaupteten Täuschungen, näher auseinanderzusetzen, und die 8 Freisprüche einzig auf die Annahme gestützt, dass auf jeden Fall das Tatbestandsmerkmal der Arglist fehle, weil es den Geschädigten möglich und zumutbar gewesen wäre, das Antragsformular vor der Unterzeichnung durchzulesen.
Ist somit die Frage der Täuschung in 7 Fällen in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht abgeklärt und fehlen in allen 8 Fällen auch weitere Feststellungen über die näheren Umstände, unter denen sich die Verhandlungen abgespielt haben, kann nicht überprüft werden, ob Cavina Arglist zur Last fällt oder nicht. Das Urteil ist daher gemäss Art. 277 BStP aufzuheben und die Sache zur Ergänzung der Feststellungen sowie zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei ist ausser der Tatsache, dass die meisten Geschädigten im jugendlichen Alter von 20 Jahren standen, auch die Möglichkeit geschäftlicher Unerfahrenheit in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls weiter zu berücksichtigen, inwieweit sie unter Zeitdruck gehandelt haben oder als Folge anderer Tatumstände, z.B. ihrer persönlichen Verhältnisse oder vertrauenerweckender Zusicherungen des Angeklagten, Veranlassung hatten, den schriftlichen Antrag nicht zu überprüfen.
Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, ist ein Vermögensschaden im Sinne von Art. 148 StGB auch dann möglich, wenn Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien wirtschaftlich gleichwertig sind. Der Grund liegt darin, dass die auszutauschenden Leistungen nicht ausschliesslich nach objektiven Massstäben zu bewerten sind, sondern auch subjektive Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. Nach dem objektiv-individuellen Vermögensbegriff, der auch in der Lehre vorherrschend ist (vgl. SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, Nr. 563, SCHÖNKE-SCHRÖDER, § 263 N 61), ist davon auszugehen, dass die gleiche Leistung je nach den persönlichen Bedürfnissen und Interessen des Einzelfalles, für den einen vollwertig, für den andern aber nutzlos oder im Wert herabgesetzt sein kann. Dementsprechend hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung den Leitsatz aufgestellt, dass eine Schädigung des Getäuschten immer dann gegeben sei, wenn Leistung und Gegenleistung in einem für ihn ungünstigeren Wertverhältnis stehen, als sie nach der vorgespiegelten Sachlage stehen müssten (BGE 72 IV 130, BGE 92 IV 130, BGE 93 IV 73, BGE 99 IV 87). Gegen diese Auffassung ist eingewendet worden, sie mache den Betrug zu einem Delikt der Dispositionsfreiheit, so dass ein wirklicher Vermögensschaden entbehrlich werde (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I, S. 229). Dieser Einwand trifft indessen nicht zu. Denn entgegen der Annahme des erwähnten Autors bejaht das Bundesgericht nicht immer schon dann einen Betrug, wenn der Getäuschte bei Kenntnis des wahren Sachverhalts die Vermögensverfügung nicht vorgenommen hätte, sondern die Praxis verlangt darüber hinaus, dass der Getäuschte eine Gegenleistung von geringerem Wert erhält, als ihm versprochen wurde.
Die gleichen Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn jemand durch arglistige Irreführung zum Abschluss eines Vertrages bestimmt wird, den der Getäuschte in Wirklichkeit nicht eingehen wollte. In den vorliegenden Fällen ist verbindlich festgestellt, dass Kaufmann und Grichting inbezug auf das Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht getäuscht worden sind. Die Vorinstanz hat ferner angenommen, dass die versprochene Versicherungsleistung dem Wert der verlangten Prämienzahlungen objektiv entsprach. Nach rein objektiver Betrachtungsweise kann somit ein Vermögensschaden nur eingetreten sein, wenn der Vertragsschluss trotz der Wertgleichheit der gegenseitigen Leistungen eine Veränderung der Vermögenslage der Getäuschten zu ihren Ungunsten zur Folge hatte. Eine solche Benachteiligung liegt schon darin, dass durch den Abschluss von Lebensversicherungen in der Höhe von 15 000.-- bzw. 20 000.-- Franken und die Verpflichtung, während 30 Jahren entsprechende Prämien zu bezahlen, ein Teil des Einkommens der Getäuschten gebunden war, den sie nicht mehr nach ihrem freien Willen für andere Zwecke verwenden konnten. Die mit der finanziellen Belastung verbundene Beschränkung der vermögensrechtlichen Verfügungsfreiheit, die im Hinblick auf die Länge der Vertragsdauer ins Gewicht fällt, stellt einen Vermögensnachteil dar. Umsomehr wurden die Getäuschten unter subjektiven Gesichtspunkten geschädigt. Für Personen, die wie Kaufmann und Grichting infolge ihres jugendlichen Alters und ihrer bescheidenen Einkommensverhältnisse keine Lebensversicherung eingehen wollen, bedeutet der unerwünschte Geschäftsabschluss eine ihren wirtschaftlichen Interessen zuwiderlaufende Ausgabe mit der Wirkung, dass die Gegenleistung des Versicherers für sie weniger Wert hat, als sie für eine abschlusswillige Partei hätte.
Die Schädigung ist mit der Unterzeichnung des Versicherungsantrages eingetreten. Dass der zustandegekommene Versicherungsvertrag wegen absichtlicher Täuschung unverbindlich war, ist nach ständiger Rechtsprechung unerheblich (BGE 74 IV 153, BGE 100 IV 170).
4. Das Obergericht verurteilte Cavina wegen mittelbarer Falschbeurkundung (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) einzig in den Fällen Bösch, Gartmann und Knupfer, in denen er im Versicherungsantrag unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand der Versicherungsnehmer machte. Es sprach ihn dagegen frei, wo er den Versicherungsnehmern bloss vorgespiegelt hatte, der Versicherungsantrag sei unverbindlich. Zur Begründung führte es aus, dass Versicherungsanträge - gleich wie schriftliche Verträge - nur bestimmt und geeignet seien, den Inhalt der Vereinbarungen der Parteien zu beweisen, nicht aber, dass der Vertrag ohne Willensmängel zustandegekommen sei. Ein Vertrag könne deshalb immer nur die Wahrheit der darin bezeugten Tatsachen beweisen, niemals aber, dass eine der Parteien einer Täuschung oder einem Irrtum unterworfen gewesen sei.
Die Vorinstanz stellt sich damit auf den Standpunkt, dass eine Falschbeurkundung immer dann ausgeschlossen sei, wenn die Schrift nur die Abgabe der Erklärung einer Person beweise, nicht aber die Wahrheit der erklärten Tatsache. Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten (vgl. HÄFLIGER, Probleme der Falschbeurkundung, ZStR 1958, 407). Schriftliche Verträge sind dazu bestimmt und geeignet, die darin festgehaltenen Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen, weshalb ihnen Urkundenqualität zukommt (BGE 81 IV 240). Durch die Unterzeichnung des Schriftstückes beurkunden die Parteien den Willen, einen Vertrag abzuschliessen und die Verbindlichkeit seines Inhalts anzuerkennen. Diese Erklärung ist als solche eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung, für die der Vertrag selbst Beweis erbringt. Daran ändert nichts, dass ein Vertrag nicht beweist, ob die Erklärung dem wirklichen Willen der Partei entspreche, insbesondere ob sie frei von Willensmängeln oder einer Täuschung gewesen sei (CHAPPUIS, Le faux intellectuel et la simulation, S. 158/159 N 337). Denn massgebend ist allein, dass die mit der Unterschrift abgegebene Erklärung der Parteien in einer Schrift enthalten ist, die als Beweismittel zum Nachweis der erklärten Tatsache taugt. Im Prozess wird denn auch dieser verurkundeten Erklärung solange rechtliche Bedeutung beigemessen, als nicht der Gegenbeweis für das Vorliegen eines Willensmangels geleistet wird.
In den in Frage stehenden Fällen haben sich die Versicherungsnehmer durch die Unterzeichnung eines Versicherungsantrages zum Abschluss eines Versicherungsvertrages verpflichtet, den sie in Wirklichkeit nicht eingehen wollten. Cavina hat daher, wie die Staatsanwaltschaft zu Recht einwendet, auch in jenen Fällen eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig verurkunden lassen, in denen er den Versicherungsnehmern einzig die Unverbindlichkeit des Versicherungsantrages vortäuschte. Die Vorinstanz hat sich demzufolge in den von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Fällen erneut mit der Frage der Urkundenfälschung zu befassen.