BGE 98 IV 166
 
33. Urteil des Kassationshofes vom 23. Juni 1972 i.S. Jugendanwaltschaft Basel-Stadt gegen B.
 
Regeste
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3, 100 Abs. 1 StGB. Zuständigkeit zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs.
 
Sachverhalt
A.- B. wurde am 28. Oktober 1971 vom Strafgericht Basel-Stadt wegen Raubes zu sechs Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug verurteilt. Ferner wurde gemäss Art. 41 Ziff. 3 StGB eine vom Jugendgericht Bremgarten am 25. November 1969 bedingt ausgesprochene Einschliessungsstrafe von vier Monaten als vollziehbar erklärt. Eine Appellation der Jugendanwaltschaft wurde vom Appellationsgericht Basel-Stadt am 8. März 1972 abgewiesen.
B.- Die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde die Aufhebung des appellationsgerichtlichen Entscheids über den Vollzug der Jugendstrafe mangels Zuständigkeit.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach der neuen Fassung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 StGB entscheidet bei Verbrechen oder Vergehen während der Probezeit der dafür zuständige Richter auch über den Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe.
Die Jugendanwaltschaft vertritt die Auffassung, diese Bestimmung sei bei Jugendstrafen nicht anwendbar. Art. 41 beziehe sich nur auf Strafen im Sinne von Art. 35 ff. StGB, nicht auf die in Art. 95 vorgesehenen Sanktionen. Der Entscheid über den nachträglichen Vollzug einer Jugendstrafe sei ausschliesslich von der Behörde zu treffen, die den bedingten Vollzug angeordnet hat, weil sie den Jugendlichen und seine persönlichen Verhältnisse besser kenne als der die neue Tat beurteilende Richter. Das Jugendstrafrecht sei ein in sich abgeschlossenes System.
Der Beschwerdegegner war zur Zeit der vom Strafgericht beurteilten Tat etwas über 18 Jahre alt. Gemäss dem seit 1. Juli 1971 in Kraft stehenden Art. 100 Abs. 1 StGB gelten für Täter im Alter zwischen 18 und 25 Jahren die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches, wozu auch Art. 41 gehört. Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des die neue Tat beurteilenden Richters zum Entscheid über den allfälligen Vollzug auch einer Jugendstrafe (für deren grundsätzlichen Strafcharakter s. GERMANN, Schweizer. StGB, 8. Auflage, S. 184). Ob das Jugendstrafrecht ein in sich geschlossenes System darstellt, ist ohne Belang. Es geht hier nicht um die Beurteilung eines Jugendlichen, sondern eines jungen Erwachsenen im Sinne von Art. 100 rev. StGB. In der vorberatenden Expertenkommission ist die Unterstellung der jungen Erwachsenen unter das Jugendstrafrecht ausdrücklich abgelehnt worden, unter anderm aus der Überlegung heraus, dass diese Altersgruppe schon aus psychologischen Gründen nicht mehr vor den Jugendrichter gehöre (Botschaft, BBl 1965 I 597). Auch der Einwand, das Jugendgericht kenne den Jugendlichen und seine persönlichen Verhältnisse besser, stösst ins Leere, weil der von ihm beurteilte Jugendliche inzwischen zum jungen Erwachsenen geworden ist. Zudem können sich die persönlichen Verhältnisse aus andern Gründen als solchen der durch das Alter bedingten Entwicklung ändern, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Das Appellationsgericht stellt fest, dass der Beschwerdegegner seit drei Jahren in Basel wohnt und arbeitet, weshalb das die neue Tat beurteilende Basler Strafgericht seine letzte Entwicklung kannte. Es besass darum auch weit eher die Möglichkeit einer gründlichen Abklärung der derzeitigen persönlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners als das Jugendgericht Bremgarten, das dafür auf die Rechtshilfe der Basler Behörden angewiesen wäre. Nicht zuletzt würde die von der Beschwerdeführerin verfochtene Aufteilung der Zuständigkeit in Fällen wie dem vorliegenden die durch die Revision des Gesetzes verwirklichten Vorteile prozessökonomischer und praktischer Art (Einheitlichkeit der Anordnung und Durchführung des Vollzugs in einem einzigen Verfahren) wieder aufheben.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.