BGE 93 IV 20
 
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Februar 1967 i.S. Breitenmoser gegen Balke.
 
Regeste
Art. 177, 173 Ziff. 2 und 3 StGB.
 
Sachverhalt
A.- Die Erbengemeinschaft Balke, die Eigentümerin eines Hauses in Zürich ist, kündigte Fräulein Werder die Zimmermiete, worauf diese gegen die Kündigung Einsprache erhob und am 7. Juli 1965 vor dem Mietamt der Stadt Zürich eine Sühneverhandlung stattfand, an der die Vermieterin durch die Brüder Balke, die Zimmermieterin durch lic. iur. Breitenmoser vertreten war. Im Verlaufe der Verhandlung zog der Vertreter der Mieterin die Einsprache zurück und fügte die Erklärung bei, dass es der Mieterin ohnehin nicht mehr zuzumuten sei, bei diesen Psychopathen zu wohnen.
B.- Die Brüder Balke fühlten sich durch die Bezeichnung "Psychopathen" verletzt und erhoben Ehrverletzungsklage.
Das Bezirksgericht Zürich sprach Breitenmoser am 6. Mai 1966 der Beschimpfung (Art. 177 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 100.--.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das Breitenmoser die Berufung erklärte, bestätigte am 1. September 1966 das bezirksgerichtliche Urteil. Es führt in der Begründung aus, dass Psychopathie nach medizinischer Auffassung keine Krankheit, sondern eine hauptsächlich anlagebedingte Abwegigkeit im seelischen Leben des Menschen sei. Für seine psychopathische Veranlagung sei der Mensch zwar ebensowenig verantwortlich wie der Kranke für seinen Krankheitszustand, doch bestehe zwischen Psychopathie und Krankheit insofern ein Unterschied, als der Psychopath sich nicht sozial unangepasst verhalten müsse, sondern in der Regel ganz oder teilweise fähig sei, abwegige Reaktionen zu unterdrücken. Insoweit könne in der Bezeichnung Psychopath der Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens liegen. In diesem Sinne habe auch der Angeklagte das Wort gebraucht. Zu einer Verunglimpfung der Ankläger habe er keinen begründeten Anlass gehabt.
C.- Breitenmoser führt gegen des obergerichtliche Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur Abnahme des Wahrheits- oder Entlastungsbeweises an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.- Die Ankläger beantragen Abweisung der Beschwerde.
 
Der Kassationshofzieht in Erwägung:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes wird durch Art. 173 ff. StGB nur die persönliche Ehre geschützt, der Ruf und das Gefühl, ein ehrbarer Mensch zu sein, d.h. sich so zu benehmen, wie nach allgemeiner Anschauung ein charakterlich anständiger Mensch sich zu verhalten pflegt. Äusserungen, die sich bloss eignen, jemanden sonstwie in seiner gesellschaftlichen Geltung herabzusetzen oder in seinem Selbstbewusstsein zu verletzen, so z.B. als Berufsmann, Künstler, Politiker, fallen nicht darunter (BGE 92 IV 96 und dort aufgeführte frühere Entscheidungen). Dementsprechend wurde entschieden, dass auch der Vorhalt, jemand sei nerven- oder geisteskrank, nicht ehrverletzend ist, da eine Erkrankung, für die der Betroffene nicht verantwortlich ist, keine moralisch verwerfliche, den Ruf als Mensch herabsetzende Tatsache darstelle (BGE 76 IV 29f.; Urteil des Kassationshofes vom 12. Jun 1953 i.S. Sennwald).
Zur Frage, ob Psychopathie, wenn sie nicht in schwerer Form auftritt, eine Krankheit sei, braucht nicht Stellung genommen zu werden. Psychopathische Anlagen werden regelmässig vererbt oder angeboren, so dass der Psychopath schon aus diesem Grunde für seine abnorme Charakterveranlagung an sich nicht verantwortlich ist. Dessen ungeachtet hat er aber im allgemeinen für sein Tun und Lassen einzustehen. Es wird von ihm erwartet, dass er ebenso wie der Durchschnittsmensch seine Charakterfehler bekämpfe, seine abwegigen Gefühle, Triebe und Reaktionen beherrsche und sich gegenüber Mitmenschen sozial angepasst verhalte (BGE 73 IV 211,BGE 77 IV 216Erw. 4,BGE 78 IV 212). Erst wenn seine Abartigkeit, z.B. seine Willensschwäche, Gemütsarmut, Übererregbarkeit usw., nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt abweicht, dass er wegen Geisteskrankheit als unzurechnungsfähig oder wegen Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit oder wegen mangelhafter geistiger Entwicklung als vermindert zurechnungsfähig betrachtet werden muss, ist der Psychopath für sein Verhalten nicht oder nicht mehr voll verantwortlich (BGE 73 IV 210Erw. 2;BGE 77 IV 64, 215 f.;BGE 78 IV 212; Urteile des Kassationshofes vom 29. November 1957 i.S. Perrucchi und vom 20. September 1960 i.S. Rütti). Diese Voraussetzungen treffen jedoch nur in Fällen besonders schwerer oder stark ausgeprägter Psychopathie zu, während der Grossteil der Psychopathen voll zurechnungsfähig ist und deshalb moralisch und strafrechtlich nach der allgemeinen Norm beurteilt wird (DUKOR, Die Zurechnungsfähigkeit der Psychopathen, ZStR 1951, 418 ff.; Forensische Psychiatrie für Gutachter, in Bulletin des Eidg. Gesundheitsamtes Nr. B - 4, 1953; BLEULER, Lehrbuch der Psychiatrie, S. 563 f.). Der Psychopath, der, anders als ein charakterlich anständiger Mensch, seine Charakterfehler nicht beherrscht und sich abwegig verhält, handelt daher im allgemeinen verwerflich. Die Bezeichnung eines Menschen als Psychopath ist infolgedessen ehrverletzend, denn im täglichen Leben wird darunter regelmässig nicht die psychopathische Veranlagung als solche verstanden, sondern der Ausdruck im abschätzigen Sinne verwendet, dass der Betroffene sich abnorm, asozial benehme.
2. Der Beschwerdeführer hat das Wort Psychopath in ehrverletzendem Sinne gebraucht. Wie das Obergericht verbindlich feststellt, wollte er damit von den Anklägern nicht ein rein medizinisches, von jeder moralischen Wertung freies Bild zeichnen, sondern ihr soziales Verhalten als das von Psychopathen hinstellen. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz war er sich dabei bewusst, dass er durch sein Werturteil die Ankläger in ihrem Ehrgefühl kränkte. Der Tatbestand der Beschimpfung im Sinne des Art. 177 StGB ist daher objektiv wie subjektiv (vgl. dazuBGE 79 IV 22) erfüllt. Eine Beschimpfung läge entgegen der Annahme des Beschwerdeführers auch vor, wenn die Äusserung nur an den Sühnebeamten gerichtet worden und nicht, wie es in Wirklichkeit zutraf, auch für die anwesenden Ankläger bestimmt gewesen wäre (BGE 77 IV 97f.).
(Folgen Ausführungen darüber, dass als Tatsache, an die das Werturteil anknüpfte, behauptet wurde, die Ankläger hätten der Mieterin gegenüber oder allgemein ein psychopathisches Verhalten an den Tag gelegt, das die Fortsetzung der Miete unzumutbar mache, und dass ein begründeter Anlass zur Äusserung im Sinne von Art. 173 Ziff. 3 StGB nicht erst bestand, wenn die Äusserung nötig war, wie das Obergericht annahm, sondern schon dann, wenn sie ein geeignetes Mittel dazu war, den Rückzug der Einsprache zu begründen. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache unter Hinweis auf BGE 85 IV 186, BGE 86 IV 75 und 176 an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie die Frage der Zulassung zu den Beweisen neu prüfe.)