BGE 86 IV 1
 
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1960 i.S. Laube gegen Kurer.
 
Regeste
Art. 33 Abs. 1 StGB.
 
Sachverhalt
Kurer, der nachts auf einer Autofahrt von Laube überholt wurde, verfolgte diesen wegen rücksichtsloser Fahrweise bis zu dessen Wohnung, wo er im Hof zwischen zwei Häusern die Polizeinummer am abgestellten Wagen Laubes ablas und wieder wegfuhr. Bei der Hofausfahrt trat ihm Laube entgegen, um ihn aufzuhalten. Als Kurer trotz des Haltezeichens die Wegfahrt fortsetzte, ergriff Laube im Zorn darüber den Türgriff der rechten Wagentüre, um Kurer aus dem Auto herauszuholen. Dabei verfing sich Laube mit dem Handschuh am Türgriff des sich beschleunigenden Wagens, so dass er nach einigen Metern zu Fall kam und sich verletzte.
Kurer wurde der fahrlässigen Körperverletzung beschuldigt, wegen Notwehr jedoch freigesprochen.
 
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer hält die Anwendung der Notwehrbestimmung schon deshalb für ausgeschlossen, weil Kurer die Flucht ergriffen habe, Notwehr aber nur Verteidigung, nicht auch Flucht sein könne, denn wer fliehe, verzichte auf Abwehr (BGE 79 IV 152).
Daran ist soviel richtig, dass Flucht vor einem Angriff als solche keinen Eingriff in rechtlich geschützte Interessen des Angreifers darstellt und dass insofern auch nicht von Abwehr im Sinne von Art. 33 Abs. 1 StGB die Rede sein kann. Flucht und Abwehr schliessen sich deswegen aber nicht aus. Der Angegriffene oder unmittelbar mit einem Angriff Bedrohte, der sich nicht zum Kampfe stellen, sondern sich ihm durch Flucht entziehen will, muss nicht auf jeden Widerstand verzichten. Er kann fliehen und sich trotzdem verteidigen, indem er seine Verteidigung darauf beschränkt, seinen Rückzug durch eine gegen den Angreifer gerichtete Handlung zu decken, um zu verhindern, dass der rechtswidrige Angriff begonnen oder zu Ende geführt wird. Auch wer bloss zu diesem Zwecke ein Verteidigungsmittel einsetzt, wehrt im Sinne von Art. 33 Abs. 1 ab und kann, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, sich auf Notwehr berufen.
Um eine solche Verbindung von Flucht und Abwehr handelt es sich im vorliegenden Falle. Kurer, der im Schrittempo zum Hof hinausfuhr, leistete dem Haltezeichen des ihm körperlich überlegenen Beschwerdeführers keine Folge, weil er es auf eine tätliche Auseinandersetzung nicht ankommen lassen wollte. Als Laube im Zorn darüber zur rechten Wagentüre sprang und sie mit Gewalt zu öffnen versuchte, um Kurer aus dem Wagen herauszuholen, beschleunigte dieser die Fahrt, wodurch er den Angreifer an der Verwirklichung seines Vorhabens hindern und sich in Sicherheit bringen konnte. Sein Fahrzeug war zugleich Flucht- und Abwehrmittel.