BGE 85 IV 194
 
50. Urteil des Kassationshofes vom 30. Oktober 1959 i.S. Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich gegen Hiltpold.
 
Regeste
Art. 5 Abs. 2 und Art. 171 Abs. 1 LM V.
 
Sachverhalt
A.- Hiltpold treibt Handel mit sog. Trephon-Eiern. Er lässt Hühnereier in einem Brutschrank während sieben bis neun Tagen bebrüten, bricht sie hernach auf, rührt den Inhalt um und füllt ihn in Fläschchen ab. Er veräussert das Erzeugnis unter der genannten Bezeichnung und wirbt hiefür in Prospekten. Darin preist er die Trephon-Eier als Stärkungsmittel an, weist aber gleichzeitig auf Zeugnisse von Kunden hin, die dem Produkt auch Heilkraft beimessen.
B.- Am 8. April 1959 verfällte das Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich Hiltpold in eine Busse von Fr. 25.-, weil er mit den Trephon-Eiern eine in der Verordnung vom 26. Mai 1936 über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (LMV) nicht vorgesehene Ware in den Handel gebracht und dafür ohne Bewilligung des eidgenössischen Gesundheitsamtes durch Prospekte mit Heilanpreisungen geworben habe.
Hiltpold verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 23. Juni 1959 setzte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich die vom städtischen Gesundheits- und Wirtschaftsamt ausgefällte Busse auf Fr. 10.- herab. Er legte Hiltpold lediglich zur Last, verbotene Reklame gemacht und damit gegen Art. 19 Abs. 1 und 3 LMV verstossen zu haben. Dagegen sprach er ihn von der Anklage weiterer Übertretungen der Verordnung frei mit der Begründung, dass die in Verkehr gebrachten Trephon-Eier weder als Frischeier angepriesen worden seien (Art. 172 Abs. 1 LMV) noch Fleckeier oder sonstwie verdorbene Eier im Sinne von Art. 176 LMV darstellten.
C.- Das Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Einzelrichters sei insoweit aufzuheben, als es den Beschwerdegegner freispreche, und die Sache sei zur Bestrafung Hiltpolds auch wegen Übertretung von Art. 171 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 LMV an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.- Hiltpold beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Gegen diese Bestimmung hat demnach der Beschwerdegegner verstossen, wenn 1. das von ihm in Verkehr gebrachte Produkt ein Lebensmittel ist, 2. die eidgenössische Lebensmittelverordnung für diese Ware keine Bezeichnung vorsieht, 3. die Zusammensetzung des Produktes dem eidgenössischen Gesundheitsamt nicht mitgeteilt wurde und sich dieses daher über dessen Zulässigkeit und Bezeichnung nicht ausgesprochen hat. Alle drei Voraussetzungen sind bei den vom Beschwerdegegner in den Handel gebrachten Trephon-Eiern erfüllt.
a) Als Lebensmittel gelten nach Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 LMV Nahrungsmittel im allgemeinen, d.h. feste und flüssige, unverarbeitete und verarbeitete Stoffe und Erzeugnisse tierischer, pflanzlicher oder mineralischer Herkunft, die sich durch den Gehalt an für den Aufbau oder Unterhalt des menschlichen Körpers notwendigen Stoffen (Wasser, Eiweiss, Fette, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, in gewissen Fällen auch Vitamine) auszeichnen. Trephon-Eier sind flüssige Erzeugnisse tierischer Herkunft, die verarbeitet wurden und insbesondere Eiweiss enthalten. Sie sind daher, was auch der Beschwerdegegner nicht bestreitet, als Lebensmittel im Sinne der Lebensmittelverordnung anzusprechen. Heilmittel gemäss Art. 171 Abs. 3 LMV sind sie schon deswegen nicht, weil ihnen keine medikamentösen Stoffe beigemischt wurden.
b) Unter der allgemeinen Bezeichnung "Eier" sind nach Art. 171 Abs. 1 LMV die Eier des Haushuhns zu verstehen. Eier anderer Vögel müssen entsprechend bezeichnet werden. Die Verordnung sieht somit eine Bezeichnung vor für alle Erzeugnisse, die unter den landläufigen Begriff des Hühnereis fallen. Dass Trephon-Eier keine solchen Erzeugnisse sind, steht ausser Zweifel. Durch das Aufbrechen der Schale, das Umrühren des Einhalts und dessen Abfüllen in kleine Flaschen, erfährt ein Ei hinsichtlich seines ursprünglichen Zustandes eine solche Veränderung, dass kein Käufer darunter noch ein Hühnerei in der diesem Wort nach gewöhnlichem Sprachgebrauch zukommenden Bedeutung verstehen wird. Fallen demnach Trephon-Eier schon nicht unter den allgemeinen Begriff des Eis im Sinne der Lebensmittelverordnung, so können sie auch nicht als Fleckeier oder sonstwie verdorbene Eier gemäss Art. 176 LMV angesprochen werden. Auch wird das Publikum sie nicht den weiteren in der Verordnung erwähnten Sorten von Hühnereiern wie den Frischeiern (Art. 172 Abs. 1), den Trinkeiern (Art. 172 Abs. 2), den importierten oder mit chemischen Mitteln konservierten Eiern (Art. 173 Abs. 1 und 2), den Kühleiern, Bruch- oder Kocheiern (Art. 174 Abs. 1 und 2) oder gar den Eierkonserven (Trockeneier; Art. 177) zurechnen. Damit steht fest, dass die Lebensmittelverordnung für das vom Beschwerdegegner in Verkehr gebrachte Erzeugnis keine Bezeichnung vorsieht.
Die Frage, ob bebrütete, aber in der Schale belassene Eier in Verkehr gebracht werden dürfen oder ob sie als verdorben unter Art. 176 LMV fallen, kann als Rechtsfrage an sich zum Gegenstand einer Nichtigkeitbeschwerde gemacht werden, ist jedoch im heutigen Verfahren nicht zu entscheiden, weil der Beschwerdegegner nicht bebrütete Eier in der Schale verkauft hat. Immerhin sei darauf hingewiesen, dass die blosse Gefahr eines raschen Verderbs nicht genügt, um ein solches Ei als verdorben zu bezeichnen, dass dagegen der Handel mit bebrüteten Hühnereiern, auch wenn sie in der Schale feilgeboten werden, möglicherweise aus einem andern Grund gegen die Verordnung verstösst. Wie eine Erkundigung beim eidgenössischen Gesundheitsamt ergeben hat, enthält ein während sieben bis neun Tagen bebrütetes Hühnerei bereits einen bei Durchleuchtung erkennbaren, lebenden Embryo mit sichtbar schlagendem Herzen, strahlenförmigen Blutgefässen, Augen und Andeutungen von Flügeln. Wenn diese Auskunft richtig ist, woran zu zweifeln vorläufig jedenfalls kein Anlass besteht, dann erfährt das Ei infolge des biologischen Prozesses des Anbrütens schon nach der genannten Dauer eine so bedeutende substanzmässige Veränderung, dass man sich fragen kann, ob es sich überhaupt noch um ein Ei im Sinne der Lebensmittelverordnung handelt oder ob nicht ein von diesem verschiedenes Erzeugnis entstanden sei, für das die Verordnung noch keine Bezeichnung vorsieht.
c) Unbestritten ist, dass die Zusammensetzung der Trephon-Eier dem eidgenössischen Gesundheitsamt nicht mitgeteilt wurde, so dass sich dieses über die Zulässigkeit des genannten Erzeugnisses und dessen Bezeichnung nicht aussprechen konnte. Diese Unterlassung wiegt umso schwerer, als mit dem Vertrieb von Trephon-Eiern offenbar gewisse Gefahren verbunden sind. Der Beschwerdegegner wies in seinen Prospekten selber darauf hin, dass Trephon-Eier "längstens 24 Stunden nach Beendigung des Brutprozesses ganz und auf einmal eingenommen werden" müssten. Das kann nur bedeuten, dass sie raschem Verderb ausgesetzt sind. In solchem Zustand aber können sie gesundheitsschädlich sein, was denn auch beispielsweise die Gesundheitsbehörden verschiedener deutscher Länder bewog, in Erlassen ausdrücklich auf mögliche gesundheitliche Schäden bei nicht sofortigem Verzehr hinzuweisen und entsprechende Sicherheitsmassnahmen zu treffen (HOLTHÖFER/JUCKENSACK, Das Lebensmittelgesetz, 1954, II S. 541 f.).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirkes Zürich vom 23. Juni 1959 insoweit aufgehoben, als es den Beschwerdegegner von der Übertretung der eidgenössischen Lebensmittelverordnung freisprach, und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.