BGE 85 IV 80
 
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Juni 1959 i. S. Meier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
Regeste
Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
Der Täter beschuldigt, wenn er der Behörde, auch in einem von dieser veranlassten Verhör, mitteilt, dass eine Person ein Verbrechen oder Vergehen begangen habe (Erw. 2).
Der Beschuldigte muss nicht mit Namen genannt werden, aber bestimmbar sein (Erw. 3).
 
Sachverhalt
A.- Meier wurde 1948 vom Obergericht des Kantons Luzern zu zwanzig Tagen Gefängnis und zu einer Busse verurteilt. Der Vollzug der Gefängnisstrafe wurde auf Gesuch des Verurteilten mehrere Male verschoben und schliesslich versehentlich nicht mehr angeordnet. Als Meier im Sommer 1957 in der Anstalt Wauwilermoos eine neue Freiheitsstrafe verbüsste, machte er aus Rache gegen die Justizbehörden gegenüber dem Anstaltsverwalter Oswald die Bemerkung, er habe den Vollzug einer früheren Gefängnisstrafe durch Bestechung eines Beamten verhindern können. Einige Tage später vom Sekretär des Justizdepartementes darüber befragt, erklärte Meier, er habe die frühere Gefängnisstrafe von zwanzig Tagen nicht absitzen müssen, weil er den Vollzugsbeamten, der Wydin oder ähnlich geheissen habe, gegen Bezahlung von Fr. 500.-- veranlasst habe, den Strafvollzug nicht anzuordnen; er habe gewusst, dass auch in anderen Fällen auf diese Weise Strafen nicht vollzogen worden seien. Meier wiederholte in der Folge seine Anschuldigung vor der Kantonspolizei und in dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren. Auf den Vorhalt, dass Wydin sich mit dem Vollzug von Gefängnisstrafen unter 21 Tagen nicht befasse, erwiderte er, dass es sich auch um einen Beamten des Statthalteramtes, Felber oder Brunner, gehandelt haben könne.
B.- Am 7. April 1959 verurteilte das Obergericht des Kantons Luzern Meier wegen falscher Anschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und wegen Irreführung der Rechtspflege (Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) zu zehn Monaten Gefängnis.
C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass der Täter eine Strafverfolgung gegen einen Nichtschuldigen herbeiführen will; sie unterscheiden sich durch das Mittel, das zur Erreichung des gewollten Erfolges angewendet wird. Abs. 1 nennt die direkte Anzeige, und Abs. 2 stellt ihr andere arglistige Veranstaltungen gleich. Aus den Worten "arglistige Veranstaltungen" ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht abzuleiten, dass das Merkmal der Arglist zu den in Abs. 1 genannten Tatbestandsmerkmalen noch hinzutreten müsse. Das Gesetz erwähnt die ausdrückliche Anzeige als wichtigsten und zugleich schwersten Tatbestand an erster Stelle, den es in Abs. 2 durch eine Generalklausel ergänzt. Die darin gebrauchte Wendung "in anderer Weise" bedeutet, dass die bewusst unwahre Anschuldigung eines Nichtschuldigen bereits als arglistig gilt und dass das Merkmal der Arglist ebenso bei bloss indirekten Veranstaltungen zutreffen muss, damit sie dem in Abs. 1 umschriebenen Hauptfall einer arglistigen Veranstaltung gleichgestellt werden können (vgl. HAFTER, Bes. Teil II, S. 792; LANG, Prot. II. Exp. Komm. 6, 109).
2. Beschuldigen (dénoncer, denunciare) im Sinne von Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 ist gleichbedeutend mit anzeigen gemäss Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Der Kassationshof hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Anzeige nicht an eine bestimmte Form gebunden ist und auch in einem Verhör gemacht werden kann, gleichgültig, ob das Verhör auf Veranlassung der Behörde oder des Anzeigers stattfinde (BGE 75 IV 178). Was der Beschwerdeführer gegen diese Rechtsprechung vorbringt, hält nicht stand. Dass der Täter aus eigenem Antrieb sich in irgendeiner Weise zur Behörde hinbegebe, um einen Nichtschuldigen einer strafbaren Handlung zu bezichtigen, fordert weder der Wortlaut noch der Sinn des Art. 303. Nach dieser Bestimmung genügt, dass der Täter mit hinreichender Bestimmtheit der Behörde mitteilt, dass eine Person ein Verbrechen oder Vergehen begangen habe, vorausgesetzt, dass er im gleichen Augenblick um die Nichtschuld des Beschuldigten weiss und die Absicht hat, gegen ihn eine Strafverfolgung herbeizuführen. Ob er die Beschuldigung auf eigene Initiative vorträgt oder erst auf Befragen der Behörde, macht keinen Unterschied. Im einen wie im anderen Falle ist die Äusserung geeignet, das Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden gegen einen Nichtschuldigen zu veranlassen, und derjenige, der einen solchen Erfolg herbeiführen will, einer Strafe würdig. Dass die Tatbestände der falschen Beweisaussage der Partei (Art. 306) und der falschen Zeugenaussage (Art. 307) enger gefasst und mit geringerer Höchststrafe bedroht sind als die falsche Anschuldigung, ist kein Grund, in Abweichung von der bisherigen Auslegung den Begriff der Anzeige einzuschränken.
Indem der Beschwerdeführer in seinen Aussagen vor dem Sekretär des Justizdepartementes, vor der Kantonspolizei und dem Statthalteramt ausdrücklich und in bestimmter Form den Vorwurf erhob, Beamte hätten sich bestechen lassen, hat er diese bei der Behörde eines Verbrechens (Art. 315 StGB) beschuldigt. Das hat er auch getan, wenn er die Aussagen, wie er behauptet, in einer Zwangslage gemacht haben sollte, weil er die gegenüber Oswald gegebene Darstellung nicht widerrufen und sich nicht als Lügner blosstellen wollte. Solche Beweggründe können nur beim Strafmass eine Rolle spielen (BGE 80 IV 120).
Das wäre schon der Fall gewesen, wenn der Beschwerdeführer sich auf die Erklärung beschränkt hätte, ein Beamter habe für Geld verhindert, dass er die Strafe von zwanzig Tagen Gefängnis verbüssen musste. Da sich nur der Rechnungsführer des Statthalteramtes mit dem Vollzug von Gefängnisstrafen bis zu zwanzig Tagen befasst, hätte der Verdacht einzig auf diesen Beamten fallen können. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus bestimmte Namen genannt, vorerst Wydin, Vollzugsbeamter des Justizdepartementes, und später, als er erfuhr, dass dieser mit dem Vollzug der Strafe nichts zu tun hatte, Felber und Brunner, die im Rechnungsbüro des Statthalteramtes tätig gewesen waren. Das Erfordernis, dass bestimmte Personen beschuldigt werden, war somit erfüllt. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer die genannten Beamten nachträglich entlastet hat. Der Tatbestand des Art. 303 StGB war schon vorher, im Zeitpunkt der mündlichen Anschuldigung bei der Behörde, vollendet.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.