BGE 85 IV 76
 
19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Mai 1959 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen X. und Y.
 
Regeste
Art. 191 Ziff. 3 StGB.
 
1. Art. 191 Ziff. 3 StGB sieht eine mildere Strafe vor, wenn der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, gehandelt hat, aber bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum hätte vermeiden können. Der Täter bleibt somit strafbar, wenn er die falsche Vorstellung über das Alter des Opfers fahrlässig im Sinne von Art. 18 Abs. 3 StGB verschuldet hat, d.h. wenn er entweder an die Möglichkeit eines Irrtums nicht gedacht hat, sie bei pflichtgemässer Vorsicht aber hätte erkennen können, oder wenn er trotz dieser Erkenntnis pflichtwidrig darauf vertraut hat, das vorgestellte Alter treffe zu. Der Irrtum ist demnach vermeidbar und der Täter nach Art. 191 Ziff. 3 zu bestrafen, wenn er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht sicher sein konnte, dass das Kind mindestens 16 Jahre alt sei, sondern damit rechnen musste, dass es möglicherweise noch im schutzwürdigen Alter stehe. Ob er Mittel zur Hand gehabt hätte, um das wirkliche Alter rechtzeitig und zuverlässig abzuklären, ist unerheblich. Nach Art. 191 Ziff. 3 wird er nicht deshalb bestraft, weil er nicht weitere Erkundigungen über das Alter des Kindes eingezogen hat, sondern weil die Zweifel, die er haben musste, ihn von der unzüchtigen Handlung nicht abgehalten haben.
2. ..... Die äussere Erscheinung, namentlich der Gesichtsausdruck des Mädchens Z., bot keine zuverlässige Grundlage zur Annahme, es sei mindestens 16 Jahre alt. Einen solchen Schluss hätte das Aussehen nur erlaubt, wenn das Mädchen eindeutig älter als 16 Jahre alt erschienen wäre und ein Alter von unter 16 Jahren hätte ausgeschlossen werden dürfen. Da diese Voraussetzung nicht zutraf, mussten die im Alter von 39 Jahren stehenden Angeklagten sich bewusst sein, dass die ihnen unbekannte Z. noch im Schutzalter stehen konnte (vgl. BGE 84 IV 104). Weil sie tatsächlich Zweifel hatten, hielten sie es auch für notwendig, das Mädchen ausdrücklich nach dessen Alter zu fragen. Auf die Angabe, es sei 17 Jahre alt, durften sie sich jedoch nicht verlassen. Die Angeklagten waren lebenserfahren genug, um zu wissen, dass junge Mädchen daran Gefallen finden, von reiferen Männern ernst genommen und umworben zu werden, und dass sie oft geneigt sind, ihr jugendliches Alter durch Angabe eines höheren zu tarnen, um das ihnen bekundete Interesse wach zu halten. Auch die übrigen Angaben der Z. waren nicht geeignet, die Zweifel, die sich angesichts ihrer jugendlichen Gesichtszüge einstellen mussten, zu beseitigen. Ihre Behauptung, sie sei Büroangestellte, war zu unbestimmt, um aus ihrer beruflichen Stellung einen sicheren Schluss auf ihr wirkliches Alter ziehen zu können. Und gegenüber der Angabe, sie sei auch schon mit einem Mann gegangen und sie habe einen Freund, war Vorsicht geboten, weil sie harmlos gemeint sein konnte, andernfalls aber, wenn sie als Hinweis auf geschlechtliche Erfahrung dienen sollte, auf die Möglichkeit schliessen liess, das Mädchen wolle sich damit bewusst als älter ausgeben. Die Angeklagten konnten unter diesen Umständen nicht mit gutem Gewissen annehmen, Z. sei trotz ihrer jugendlichen Erscheinung über 16 Jahre alt.