BGE 83 IV 82
 
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1957 i.S. Lüdi gegen Statthalteramt Uster.
 
Regeste
Art.17 Abs.2MFG.
 
Der Führer darf die Sicherheit des Verkehrs nicht durch Übermüdung oder einen andern Zustand, der ihn in der Beherrschung des Fahrzeugs behindert, gefährden (Art. 17 Abs. 2 MFG). Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Bestimmung sei nicht erfüllt, weil er nach den Feststellungen des Einzelrichters weder ausgesprochen übermüdet noch ausgesprochen angetrunken gewesen sei und von einem "andern Zustand" nur gesprochen werden könne, wenn narkotische Mittel, Rauschgifte, Unwohlsein, Krankheit, grosses Schlafbedürfnis, Schwächegefühle, grosser Hunger oder Durst den Führer in der Beherrschung des Fahrzeugs beeinträchtigten.
Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten. Da Art. 17 Abs. 2 MFG die Sicherheit des Verkehrs gewährleisten will, kann die Anwendbarkeit der Bestimmung objektiv nur vom Zustande abhangen, in dem der Führer sich befindet, gleichgültig, welche Vorgänge ihn verursacht haben. Jede Aufzählung von Ursachen in der Literatur (vgl. STREBEL Art. 17 N. 65; STADLER Art. 17 N. 5) hat nur den Sinn von Beispielen, und insbesondere kommt nichts darauf an, ob der die Sicherheit des Verkehrs gefährdende Zustand nur eine einzige oder ob er eine Mehrheit von Ursachen habe.
Daher ist unerheblich, ob der Beschwerdeführer trotz des Alkoholgehaltes seines Blutes das Fahrzeug noch sicher hätte führen können, wenn er vollständig ausgeruht gewesen wäre, und ob anderseits das Schlafbedürfnis nicht so gross war, dass es einen vollständig nüchternen Führer in der Beherrschung des Wagens behindert hätte. Es genügt, dass der Beschwerdeführer sowohl unter dem Einfluss des Alkohols, als auch des erhöhten Schlafbedürfnisses stand. Dass beide Ursachen zusammen ihm die sichere Führung des Fahrzeuges nicht mehr erlaubten, ist nicht zu bezweifeln. Der Alkoholgehalt des Blutes war mit 0,8-0,9 Gewichtspromille so beträchtlich, dass man sich fragen könnte, ob der Beschwerdeführer sich nicht sogar schon in angetrunkenem Zustande befand. Auch muss die in festlicher Gesellschaft verbrachte Nacht, der am Nachmittag des Vortages nur zwei bis drei Stunden Schlaf vorausgegangen waren, den Beschwerdeführer bedeutend ermüdet haben. Die höchstens anderthalbstündige Ruhe, die er sich gegen Morgen gönnte, kann seine Kräfte nicht genügend wiederhergestellt haben, zumal ihr eine Kette von Wirtshausbesuchen auf dem Fusse folgten, die neue Ermüdung brachten. Dass der Zustand des Beschwerdeführers sich durch Schwanken oder sonstwie geäussert habe, ist nicht nötig. Die Gefahr eines Versagens am Steuer, z.B. wegen Beeinträchtigung der Reaktionsfähigkeit, war dennoch wesentlich erhöht. Der Beschwerdeführer ist daher zu Recht bestraft worden.