BGE 83 IV 2
 
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. April 1957 i.S. Holderegger gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh.
 
Regeste
1. Wiederaufnahme des Verfahrens; Begriff der erheblichen Tatsache im Sinne des Art. 397 StGB.
 
Aus den Erwägungen:
Die Revision kantonaler Strafurteile, also auch der Entscheidungen über die Anordnung des Strafvollzuges gemäss Art. 41 Ziff. 3 StGB (BGE 75 IV 183), untersteht nur insofern eidgenössischem Recht, als Art. 397 StGB die Kantone verhält, bei Urteilen, die auf Grund dieses oder eines andern Bundesgesetzes ergangen sind, wegen erheblicher Tatsachen und Beweismittel, die dem Gericht im früheren Verfahren nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme zuzulassen. Der angefochtene Entscheid würde diese bundesrechtliche Vorschrift verletzen, wenn die geltend gemachte neue Tatsache, nämlich der Beschluss der Petitionenkommission des Grossen Rates des Kantons Aargau, den Vollzug der am 12. März 1954 gegen den Beschwerdeführer ausgefällten Gefängnisstrafe bedingt aufzuschieben, geeignet wäre, den durch diese Strafe gesühnten Betrug als besonders leichten Fall im Sinne des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB erscheinen zu lassen. Die dahingehende Behauptung des Beschwerdeführers geht schon deshalb fehl, weil die Gewährung des bedingten Strafvollzuges nach Art. 41 Ziff. 1 StGB nicht von der Schwere oder Geringfügigkeit der Straftat abhängt, sondern von den dort in Abs. 2 bis 4 aufgezählten Voraussetzungen. Sind diese erfüllt, so ist der bedingte Strafvollzug auch in schweren Fällen zu gewähren, sofern die ausgefällte Gefängnisstrafe ein Jahr nicht übersteigt.
Dazu kommt, dass es sich beim Beschluss der Petitionenkommission gar nicht um die Anwendung des Art. 41 StGB handelt, sondern um die Begnadigung gemäss Art. 394 ff. StGB. Die grossrätliche Kommission hat mit der Gewährung des bedingten Strafvollzuges in Ausübung der ihr zustehenden Befugnis Gnade für Recht ergehen lassen. Was sie dazu veranlasste, geht aus der Mitteilung des Bezirksamtes Muri nicht hervor und ist auch unerheblich; jedenfalls macht die Begnadigung den Fall nicht zu einem besonders leichten im Sinne des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB.
Anders wäre es gewesen, wenn die Gefängnisstrafe durch den dafür zuständigen aargauischen Richter im Wiederaufnahmeverfahren auf Haft oder Busse herabgesetzt oder die Strafe überhaupt aufgehoben und der Beschwerdeführer freigesprochen worden wäre. Dann hätte die Vorinstanz, die im Entscheid vom 31. August 1954 gemäss der Rechtsprechung (BGE 78 IV 11) auf die Gefängnisstrafe abstellte, nach deren Wegfall in der Tat frei prüfen müssen, ob die im Kanton Aargau beurteilte Handlung einen besonders leichten Fall darstelle und ob das Gleiche auch gelte für den Betrug, dessentwegen ihn das Bezirksgericht Gossau am 12. März 1954 mit Fr. 30.- büsste, ferner ob nicht die beiden Fälle zusammen die Anwendung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ausschlössen. Zu dieser Prüfung bestand hier aber kein Anlass, weil das aargauische Gericht, wie der Beschwerdeführer selber ausführt, das von ihm gestellte Wiederaufnahmegesuch abgewiesen hat, womit es bei der am 12. März 1954 ausgefällten Gefängnisstrafe blieb, wovon denn auch die Begnadigungsbehörde ausgegangen ist.