BGE 81 IV 181
 
41. Urteil des Kassationshofes vom 17. Juni 1955 i.S. Gesund heits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich gegen Perrin.
 
Regeste
1. Art. 1 lit. a LMG, Art. 2 Abs. 1 Ziff. 3 LMV. Tabak und Tabakerzeugnisse sind Lebensmittel.
 
Sachverhalt
A.- Der Lebensmittelinspektor der Stadt Zürich machte die SA Vautier Frères & Cie im Winter 1953/54 wiederholt darauf aufmerksam, dass sie die Worte "Rauchen Sie gesünder" in ihrer Reklame nicht verwenden dürfe. Mit Schreiben vom 31. März 1954 drohte er ihr für den Fall erneuter Widerhandlung Strafanzeige an. Trotzdem machte Odet Perrin als Leiter der erwähnten Firma am 14. Juni 1954 im "Tagesanzeiger für Stadt und Kanton Zürich" wieder wie folgt Reklame: "Rauchen Sie gesünder Marocaine Filtre, die Cigarette, die nicht zum Husten reizt." Eine Bewilligung des eidgenössischen Gesundheitsamtes, das Erzeugnis mit dem Hinweis auf günstigere gesundheitliche Wirkungen anzupreisen, hatte er nicht eingeholt. Das Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich verfällte ihn daher am 22. Juni 1954 wegen Übertretung der Art. 18 und 19 der Verordnung vom 26. Mai 1936 über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (LMV) in eine Busse von Fr. 20.-.
B.- Perrin verlangte gerichtliche Beurteilung und wurde am 29. Oktober 1954 vom Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich freigesprochen. Der Einzelrichter ging davon aus, nach allgemeiner Auffassung sei das Rauchen einer Zigarette nicht gesund, sondern ungesund. Daher könne durch das Wort "gesünder" gar nicht ausgedrückt werden, die Marocaine Filtre steigere die Gesundheit, sondern nur, sie sei weniger ungesund oder weniger gesundheitsschädlich als die anderen Zigaretten. Ob das eine wahrheitswidrige Anpreisung sei, wie das Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich behaupte, könne dahingestellt bleiben, denn jedenfalls habe Perrin sie für wahr gehalten und halten dürfen. Die Behauptung, ein Erzeugnis sei weniger gesundheitsschädlich als andere, enthalte auch keine Heilanpreisung im Sinne des Art. 19 LMV.
C.- Das Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Einzelrichters sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Verzeigten wegen Übertretung des Art. 19 Abs. 1 LMV an diese Instanz zurückzuweisen. Nicht angefochten wird der Freispruch von der Anschuldigung wahrheitswidriger Reklame (Art. 18 LMV).
D.- Perrin ist zur Vernehmlassung eingeladen worden, hat jedoch innert gesetzter Frist nur eine Antwort einreichen lassen, die keine Unterschrift trägt und daher unbeachtlich ist (vgl. BGE 80 IV 48).
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2. Lebensmittel im Sinne dieser Bestimmung sind auch Tabak und Tabakerzeugnisse, insbesondere Zigaretten. Das ergibt sich aus Art. 1 lit. a des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 (LMG), das den Bundesrat zum Erlass des Art. 19 LMV ermächtigt hat (Art. 54 LMG). Art. 1 lit. a LMG versteht unter den Lebensmitteln sowohl die Nahrungs- als auch die Genussmittel. Letztere werden denn auch in Art. 2 Abs. 1 Ziff. 3 unter den von der Verordnung erfassten Lebensmitteln (und Gebrauchsgegenständen) aufgezählt und zusammen mit den Gewürzen umschrieben als "Stoffe und Erzeugnisse, die, meist ohne einen eigentlichen Nährwert zu besitzen, gewissen Nahrungsmitteln zur Geschmackverbesserung oder der anregenden Wirkung wegen zugesetzt oder auch für sich genossen oder dem Organismus sonstwie zugeführt werden". Dass der französische und der italienische Text von Art. 1 lit. a LMG den Begriff des Genussmittels nicht erwähnen und an seiner Stelle in Art. 2 Abs. 1 Ziff. 3 LMV von "condiments et substances analogues" bzw. "condimenti e sostanze analoghe" sprechen, schliesst die Anwendung des Art. 19 Abs. 1 LMV auf Tabak und Tabakerzeugnisse nicht aus. Diese Waren sind im Abschnitt "B. Bestimmungen für Lebensmittel" der Verordnung ausdrücklich behandelt (Art. 420). Ein Grund, nicht auch den Abschnitt "A. Allgemeine Bestimmungen", zu dem Art. 19 LMV gehört, auf sie anzuwenden, besteht nicht.
3. "Eine günstigere gesundheitliche Wirkung" im Sinne des Art. 19 Abs. 1 LMV wird einem Lebensmittel nicht nur dann nachgerühmt, wenn behauptet wird, es vermöge die Gesundheit des Menschen zu verbessern, sondern auch, wenn es als weniger gesundheitsschädlich angepriesen wird, als andere Erzeugnisse gleicher Gattung von Natur aus sind. Art. 19 will im Interesse der Volksgesundheit der Gefahr von Täuschungen vorbeugen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt nichts darauf an, ob ein Lebensmittel als gesundheitsfördernd hingestellt oder ob der Erwerber in die Meinung versetzt wird, es sei weniger gesundheitsschädlich. Während in ersterem Falle der Konsument lediglich Gefahr läuft, um die versprochene gesundheitsfördernde Wirkung geprellt zu werden, setzt er sich im letzteren Falle der Gefahr aus, ein gesundheitsschädliches Lebensmittel zu geniessen, das er für unschädlich oder weniger schädlich hält. Hier ist das Schutzbedürfnis besonders gross. Es ist denn auch nicht zu ersehen, weshalb in Art. 19 Abs. 1 die allgemeine, beide Fälle umfassende Wendung "eine günstigere gesundheitliche Wirkung" verwendet wurde, wenn nur die Anpreisung einer dem betreffenden Lebensmittel von Natur aus abgehenden gesundheitsfördernden Wirkung hätte verboten werden wollen. Die Hauptfälle von Hinweisen auf Eigenschaften, die die Gesundheit angeblich heben, nämlich der Hinweis auf krankheitsheilende oder -verhütende Wirkung, ist übrigens im gleichen Absatz noch besonders erwähnt.
4. Bei dieser Auslegung des Art. 19 Abs. 1 LMV kommt nichts darauf an, ob das vom Gesundheits- und Wirtschaftsamt der Stadt Zürich beanstandete Inserat den Sinn habe, das Rauchen der Marocaine Filtre sei weniger gesundheitsschädlich, oder vielmehr, es hebe die Gesundheit mehr als das Rauchen anderer Zigaretten. Im einen wie im anderen Falle verstösst das Inserat gegen das Verbot nichtbewilligter Hinweise auf "eine günstigere gesundheitliche Wirkung".
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Einzelrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 29. Oktober 1954 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.