BGE 72 IV 126 - Betrügerischer Buchverkauf
 
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes
vom 27. September 1946 i.S. Scala und Bordi gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.
 
Regeste
Art. 148 Abs. 1 StGB, Betrug.
1. Anforderungen an die Täuschungshandlung (Erw. 1).
2. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Vermögensdisposition (Erw. 2).
3. Schaden (Erw. 3).
 
Sachverhalt
 
A.
A. Scala und Bordi nahmen im Jahre 1943 als Reisende der Fraumünster-Verlag AG manchmal einzeln, manchmal gemeinsam bei katholischen Familien der Ostschweiz Bestellungen entgegen auf das von Gaston Castella, Professor an der Universität Freiburg, verfasste Buch "So ist die Treue dieses Volkes". Das Buch schildert die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Schweiz. Es enthält ein Bildnis des Papstes Pius XI. mit der gedruckten Bitte des Verfassers um den apostolischen Segen für sich und seine Mitarbeiter sowie der faksimilierten Unterschrift und dem Stempel des Papstes als Zeichen dafür, dass dem Ersuchen entsprochen wurde. Dann folgt ein empfehlendes Vorwort von Bundesrat Motta. Bevor Scala und Bordi in einer bestimmten Ortschaft für das Buch Absatz suchten, boten sie es mit Vorliebe zuerst dem Ortsgeistlichen an und veranlassten ihn, sich mit Namenszug und Stempel in eine Liste einzutragen, die sie dann als Werbemittel gebrauchten und durch die Namen weiterer Interessenten vervollständigen liessen. Sie stellten das Buch als ausgesprochen katholisches Buch dar, auf dem ein besonderer päpstlicher Segen ruhe und das deshalb nur für Katholiken bestimmt sei. Sie gaben ausserdem vielfach wahrheitswidrig an, ein Teil des Erlöses komme der katholischen Universität Freiburg oder der Schweizergarde oder dem Papste zugute, man vollbringe mit der Bestellung ein wohltätiges Werk, beweise damit seine Treue zu der Kirche und ihren Einrichtungen. Viele liessen sich durch diese Angaben täuschen und bestellten das Buch, in der Meinung, damit dem erwähnten wohltätigen Zweck zu dienen. Teils bezahlten sie es ganz, teils leisteten sie eine Anzahlung. In zwei Fällen, in denen Scala die falschen Angaben machte, gelang ihm die Aufnahme einer Bestellung nicht.
 
B.
B. Am 4. Februar 1946 verurteilte das Kantonsgericht von St. Gallen Scala wegen vollendeten und versuchten gewerbsmässigen Betruges zu sieben Monaten Gefängnis und zu fünfzig Franken Busse und Bordi wegen wiederholten einfachen Betruges zu zwei Monaten Haft. Beide Freiheitsstrafen erklärte es bedingt vollziehbar.
 
C.
C. Mit Nichtigkeitsbeschwerden an den Kassationshof des Bundesgerichtes verlangen die beiden Verurteilten Aufhebung dieses Urteils und Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Freisprechung, eventuell zu neuer Beurteilung einzelner Tatbestände. Sie bestreiten eine arglistige Irreführung durch Vorspiegelung von Tatsachen, weil es den Käufern des Buches durch Lesen des Bestellzettels, der nichts von einer Spende gesagt habe, und durch Anfrage bei der Fraumünster-Verlag AG leicht gewesen wäre, den wahren Sachverhalt zu erfahren. Ferner machen sie geltend, die Käufer seien nicht geschädigt worden, weil sie für den ausgelegten Preis als gleichwertige Gegenleistung das Buch erhalten hätten.
 
D.
D. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerden seien abzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Betrug setzt unter anderem voraus, dass der Täter jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irregeführt. Das Bundesgericht hat dieses Erfordernis dahin ausgelegt, dass falsche Angaben, die der Getäuschte ohne besondere Mühe überprüfen kann, nicht genügen (BGE 72 IV 13). Damit wird verlangt, dass jeder die Augen offen behalte, wo es ihm zugemutet werden kann. Wer allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo er sich mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit durch Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können, soll nicht den Strafrichter anrufen. Einen Freibrief, auf die Gutgläubigkeit und Unvorsichtigkeit des Gegners zu spekulieren, gibt aber diese Rechtsprechung nicht. Das Bundesgericht hat eine Ausnahme vom erwähnten Grundsatz bereits vorgesehen für Fälle, in denen der Täter den Getäuschten arglistig davon abhält, die Überprüfung der Angaben vorzunehmen (BGE 72 IV 13). Nicht anders kann es sein, wenn sie dem Getäuschten zum vornherein nicht zugemutet werden kann. Wer einen andern durch eine falsche Angabe irreführt in der nach den Umständen begründeten Voraussicht, dass der Getäuschte sich nicht veranlasst sehen werde, die Angabe zu überprüfen, handelt arglistig.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Da das von den Beschwerdeführern vertriebene Buch über die päpstliche Schweizergarde von einem Professor der Universität Freiburg verfasst ist, das Bildnis des Papstes enthält, den päpstlichen Segen für den Verfasser und seine Mitarbeiter kundgibt und im Vorwort von Bundesrat Motta empfohlen wird, lag es für den Kaufsinteressenten nahe, der Angabe der Beschwerdeführer, ein Teil des Erlöses sei für die erwähnte Universität, für die Schweizergarde oder für den Papst bestimmt, Glauben zu schenken. In vielen Fällen kam dazu, dass die Beschwerdeführer eine Liste, auf welche sich der Ortsgeistliche als erster eintrug, als Werbemittel benutzten. Die ganze Werbung zählte auf die religiösen Gefühle der Leute. Dass aber jemand, der von solchen Gefühlen bewegt ist, sich zuerst erkundige, ob die Angaben der Beschwerdeführer richtig seien, können diese zum vornherein nicht angenommen haben, umso weniger, als sie die Bestellungen durch Vorsprache von Haus zu Haus aufnahmen, ohne den Getäuschten Zeit zur Erkundigung zu lassen. Einer Person, die unter solchen Umständen irregeführt wird, kann die Überprüfung der täuschenden Angaben nicht zugemutet werden. Es bedurfte keiner besonderen Leichtgläubigkeit, um die Versicherungen der Beschwerdeführer für wahr zu halten. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Bestellschein nichts von einer gemeinnützigen Zuwendung sagte, obwohl er daneben z.B. den päpstlichen Segen und das Vorwort von Bundesrat Motta erwähnte. Die Beschwerdeführer haben selber damit gerechnet, dass in der Atmosphäre, in welcher die Bestellung aufgenommen wurde, der Wortlaut des Bestellscheines den Käufer nicht stutzig machen werde. Die Überprüfung ihrer falschen Angaben wäre zudem nicht einfach gewesen. Eine Anfrage bei der Fraumünster-Verlag AG fiel ausser Betracht, da die Beschwerdeführer ihre Angaben ja gerade als Vertreter dieser Firma machten. Die Kaufsinteressenten hätten sich an die Universität Freiburg oder an den Heiligen Stuhl wenden müssen, was aber von ihnen vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte.
 
Erwägung 2
2. Was den Kausalzusammenhang betrifft, erklärt das Kantonsgericht, es sei auszugehen von der Behauptung der Anklage, die Täter hätten in den herangezogenen Fällen das Geschäft nur durch die falsche Angabe, der Erlös komme teilweise der Schweizergarde oder der Universität Freiburg zugute, zustande gebracht; die Vermögensdisposition sei demnach von den Käufern vorgenommen worden im Glauben, sie wirkten damit an einer allgemein charitativen Aktion mit, nähmen für einen bestimmten, wohlgefälligen, guten Zweck ein Opfer auf sich. Das kann nach dem ganzen Zusammenhang nur heissen, dass das Kantonsgericht die Darstellung der Staatsanwaltschaft für richtig hält. Damit ist der ursächliche Zusammenhang der Geschäftsabschlüsse mit der Täuschung verbindlich festgestellt.
 
Erwägung 3
3. Das Kantonsgericht geht davon aus, dass das verkaufte Buch objektiv den verlangten Preis wert war. Das schliesst entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer eine Schädigung der getäuschten Käufer nicht aus. Wie der Kassationshof schon wiederholt erkannt hat, ist der Irrende durch Abschluss und Erfüllung eines zweiseitigen Vertrages nicht bloss dann geschädigt, wenn das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung nach objektiver Schätzung gestört ist, sondern schon dann, wenn er für seine eigene Leistung nicht den Gegenwert erhält, den er nach dem Vertrag erhalten sollte, so beispielsweise, wenn der Händler dem getäuschten Käufer schlechteren Wein liefert als versprochen, mag auch der gelieferte trotzdem den Preis wert sein. Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Getäuschte immer schon dann geschädigt ist, wenn Leistung und Gegenleistung in einem für ihn ungünstigeren Wertverhältnis stehen, als sie nach der vorgespiegelten Sachlage stehen müssten. In diesem Sinne sind die Käufer auch im vorliegenden Falle geschädigt. Zwar wurde ihnen nicht ein anderes Buch geliefert als versprochen. Es wurde aber zu einem höheren Preise abgegeben, als die Käufer annahmen und nach dem Vertrag annehmen durften. Denn indem ihnen zugesichert wurde, ein Teil ihrer Leistung werde zu einem bestimmten wohltätigen Zwecke verwendet, erhielten sie Anspruch darauf, dass nur ein Teil ihrer Zahlung als Entgelt für das Buch diene, die Mehrleistung dagegen als Spende an Dritte gehe. Um den Betrag der Spende sind sie bei dieser Betrachtungsweise geprellt worden. Das ist nicht subjektiver, d.h. nach dem Empfinden des Betroffenen eingeschätzter, sondern objektiver Schaden, der sich freilich nicht aus einer von den gegebenen Zusicherungen absehenden und in diesem Sinne objektiven Vergleichung von Leistung und Gegenleistung ergibt, sondern nur durch Berücksichtigung der vorgespiegelten Sachlage ermittelt werden kann.
Die Käufer sind noch unter einem andern Gesichtspunkte, und zwar wiederum objektiv, nicht nach ihrem subjektiven Empfinden, geschädigt worden. Die Beschwerdeführer haben ihnen ein Buch aufgeschwatzt, das den Preis zwar wert war, das aber die Käufer nicht zum gleichen Preise wieder losschlagen können. Wollen sie es weiterverkaufen, so lösen sie daraus, da es aus zweiter Hand kommt, weniger als sie ausgelegt haben. Dieser individuelle Umstand ist bei der Ermittlung des Schadens zu berücksichtigen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Käufer hätten das Buch nicht zum Weiterverkauf, sondern zum persönlichen Gebrauche erworben, so wenig beispielsweise dem geprellten Schenker vorgehalten werden kann, er habe ja gewusst, dass er schenke (BGE 70 IV 196). Der Getäuschte hat Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie wenn der andere die Tat nicht begangen hätte. Die Käufer dürfen sich also des Buches, das ihnen durch Täuschung angehängt worden ist, wieder entledigen, was sie, wie gesagt, nur mit Verlust tun können. Dass der Verlag, nachdem der Betrug geltend gemacht worden war, es auf Verlangen zurückgenommen und den Preis ersetzt hat, ist belanglos. Das war Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens.
 
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen.