BGE 71 IV 46 - Konkubinat kantonale Übertretung |
Urteil des Kassationshofes |
vom 9. März 1945 |
i.S. Zemp und Saxer gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. |
Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. |
1. Die Kantone dürfen das Konkubinat innerhalb der Grenzen, welche das Bundesrecht diesem Begriff zieht, als Übertretung mit Strafe bedrohen. Konkubinat erfordert eheähnliches Zusammenwohnen. |
2. Wenn die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches vom kantonalen Übertretungsstrafrecht als anwendbar erklärt werden, gelten sie als kantonales, nicht als eidgenössisches Recht. |
Sachverhalt |
A. |
Elise Saxer lebte vom Sommer 1941 an mit ihrem ausserehelichen Kinde in der Wohnung ihrer Tante Elise Zemp-Saxer. In der Folge stellte Frau Zemp fest, dass ihr Ehemann mit Elise Saxer ein Liebesverhältnis unterhielt. Sie verliess daher am 19. März 1943 die eheliche Wohnung und reichte am 30. September des gleichen Jahres die Ehetrennungsklage ein. Elise Saxer blieb bei Zemp. Als er am 15. September 1943 in eine andere Wohnung umzog, folgte sie ihm mit dem Kinde nach. Sie gab ihre Stelle als Serviertochter auf, besorgte Zemp den Haushalt, nächtigte mit ihm in seinem Schlafzimmer und lebte mit ihm in Geschlechtsgemeinschaft. Am 27. Dezember 1943 mietete sie im gleichen Hause zwei Mansardenzimmer, die sie jedoch nicht oder nur selten benützte. Am 14. April 1944 reichte Frau Zemp gegen ihren Ehemann und gegen Elise Saxer Strafklage wegen Konkubinates ein.
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B. |
Das Obergericht des Kantons Luzern als Appellationsinstanz erklärte am 23. Januar 1945 beide Beschuldigte des Konkubinates im Sinne des § 40 des luzernischen EG zum StGB schuldig und verurteilte sie zu bedingt vollziehbaren Haftstrafen von je einem Monat. Nach der Ansicht des Gerichts haben die Verurteilten die Übertretung vom Herbst 1943 an begangen.
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C. |
Beide Verurteilten haben die Nichtigkeitsbeschwerde erklärt mit dem Antrag auf Freisprechung. Zur Begründung machen sie geltend, dass das Strafgesetzbuch in Art. 187 bis 212 die strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit erschöpfend regle und gegen das Konkubinatsverhältnis ausserdem auf dem Verwaltungswege und nach Art. 292 StGB vorgegangen werden könne; § 40 EG zum StGB sei daher bundesrechtswidrig. Die Beschwerdeführer bestreiten ferner, im Konkubinat gelebt zu haben, und halten die Strafverfolgung für verjährt.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
Ein solches kennt das Strafgesetzbuch nach BGE 68 IV 41 und 111 mit Bezug auf die Unzucht, und zwar sowohl die gewerbsmässige als auch die einfache, wie denn überhaupt die im Strafgesetzbuch enthaltene Regelung der strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit in geschlechtlichen Dingen als abschliessend betrachtet werden muss. Wäre Konkubinat bloss wiederholte Unzucht, so dürfte es deshalb nicht mit kantonaler Übertretungsstrafe bedroht werden. Allein es erschöpft sich nicht in den unzüchtigen Beziehungen. Wenn zwei Personen wie Eheleute zusammenleben, ohne miteinander verheiratet zu sein, massen sie sich für ihre Geschlechtsverbindung auch die äussere Form der ehelichen Gemeinschaft an. Das bringen gerade die Bezeichnung "wilde Ehe" und die Wendung "wie Mann und Frau zusammenleben", mit der die Sprache des Volkes solche Verhältnisse bezeichnet und durch die in einzelnen kantonalen Rechten der Tatbestand des Konkubinates umschrieben wird (Uri Art. 15 EG, Schwyz § 16 EG), treffend zum Ausdruck. Die Verbindung tritt nach aussen wie eine eheliche in Erscheinung. Damit verstösst sie gegen die öffentliche Ordnung, wonach Grundlage für das Gemeinschaftsleben der Geschlechter die Ehe ist. Als Verstoss gegen die öffentliche Ordnung regelt aber das Strafgesetzbuch das Konkubinat weder positiv noch negativ. Die Ahndung solcher Verstösse ist, soweit das Strafgesetzbuch nicht selber bestimmte Tatbestände als strafbar erklärt, dem kantonalen Übertretungsstrafrecht anheimgestellt (BGE 70 IV 86). Diese Regelung beruht auf der Erkenntnis, dass die Anschauungen darüber, was als Verletzung der öffentlichen Ordnung strafwürdig sei, von Gegend zu Gegend wechseln und dass daher die strafrechtliche Ahndung besser den Kantonen überlassen werde. Das Konkubinat ist ein Muster eines Tatbestandes, der am einen Ort als strafwürdig gilt, am andern nicht.
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Diese Auffassung ist denn auch bei den Vorarbeiten zum Gesetz eindeutig zum Ausdruck gekommen. In der ersten Expertenkommission wurde die Bestimmung über Konkubinat in der ersten Lesung gutgeheissen, nachdem der Verfasser des Vorentwurfes darauf hingewiesen hatte, dass die vollständige Straflosigkeit des Konkubinates das sittliche Gefühl vieler Volkskreise, namentlich auf dem Lande, verletzen würde und die vorgeschlagene Fassung ("Personen, welche, polizeilicher Mahnung ungeachtet, wie Eheleute zusammenwohnen...") anderseits der romanischen Auffassung möglichst Rechnung trage (Verhandlungen 2 316). In der zweiten Lesung wurde die Bestimmung gestrichen mit dem Hinweis, dass die Gesetzgebung über das Konkubinat den Kantonen überlassen werden solle (Verhandlungen 2 744 f. ). Die gleiche Meinung nahm die zweite Expertenkommission, welche ebenfalls die eidgenössische Regelung des Konkubinates ablehnte, ausdrücklich zu Protokoll (Protokoll 3 209).
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Erwägung 2 |
2. Sind die Kantone befugt, das Konkubinat als Übertretung mit Strafe zu bedrohen, so darf das immerhin nicht dazu führen, blosse Unzucht, sei es einfache, sei es gewerbsmässige, als Konkubinat zu bezeichnen und zu bestrafen. Da das Bundesrecht den ausserehelichen Geschlechtsverkehr als solchen nicht bestraft wissen will, darf er vom kantonalen Recht nicht deshalb zur Übertretung erhoben werden, weil er während längerer Zeit fortgesetzt wird. Die Grenzen, innerhalb welcher die aussereheliche Geschlechtsgemeinschaft Gegenstand der kantonalen Strafgesetzgebung bilden darf, werden vom Bundesrecht gezogen. Zum Konkubinat gehört ein eheähnliches Zusammenwohnen. So fassten der Vorentwurf Stooss, Art. 224, und die erste Expertenkommission den Begriff auf ("wie Eheleute zusammenwohnen"), und mit ähnlicher Umschreibung ("Personen, welche in ausserehelicher Geschlechtsverbindung in einer Wohnung zusammenleben") wurde auch in der zweiten Expertenkommission versucht, ihn in den Entwurf einzuführen. Demnach dürfen die Kantone den Begriff des Konkubinates beispielsweise nicht so auffassen, wie einzelne romanische Länder, welche ein ehebrecherisches Verhältnis des Ehemannes genügen lassen, ohne ein eheähnliches Zusammenleben mit der Konkubine zu verlangen, auch nicht etwa so wie Kronauer (ZSStrR 5 213), der darunter die ohne zivile Trauung eingegangene dauernde Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Frau, namentlich das Halten einer Mätresse, versteht. Anderseits darf als Konkubinat nicht bloss der eindeutigste Fall gelten, wo Mann und Weib zu ausserehelicher Geschlechtsgemeinschaft sich vollständig häuslich miteinander einrichten. Es rechtfertigt sich umso weniger, von Bundesrechts wegen an den Begriff des Konkubinates allzu strenge Anforderungen zu stellen, als in manchen Kantonen schon die Straffreiheit der Unzucht, namentlich der gewerbsmässigen, sich mit dem Volksempfinden nur schwer verträgt. Es muss den Kantonen gestattet sein, den Begriff des Zusammenlebens weit zu fassen, immerhin so, dass nicht schon kurze, wenn auch häufige Besuche darunter fallen. Voraussetzung ist stets, dass der Grund der kantonalen Zuständigkeit, die Verletzung der öffentlichen Ordnung, erfüllt ist. Das kantonale Übertretungsstrafrecht darf gegen aussereheliche Geschlechtsverbindungen dann einschreiten, wenn Merkmale einer Wohngemeinschaft vorhanden sind und das Verhältnis infolgedessen geeignet ist, öffentliches Ärgernis zu erregen. Die Wohngemeinschaft braucht keine ausschliessliche zu sein; Konkubinat kann auch vorliegen, wenn einer der Beteiligten ausser der gemeinsamen Wohnung noch eine eigene hat, in der er sich zeitweise aufhält.
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Erwägung 3 |
3. Das luzernische Recht verletzt die vom Bundesrecht gezogenen Grenzen weder durch die allgemeine Umschreibung des Begriffs des Konkubinates, noch durch die Auslegung, welche ihm die Vorinstanz in der Anwendung auf den vorliegenden Fall gegeben hat. Nach § 40 EG zum StGB machen sich des Konkubinates schuldig "Personen, welche in ausserehelicher Geschlechtsverbindung in einer Wohnung zusammenleben". Nach Ansicht des Obergerichts haben die Beschwerdeführer diese Übertretung seit Herbst 1943 begangen. Damals, am 15. September 1943, zogen sie in die von Zemp gemietete neue Wohnung. Elise Saxer hielt sich zwar nicht ausschliesslich, aber doch vorwiegend dort auf. Sie besorgte Zemp den Haushalt, nächtigte mit ihm im gleichen Zimmer und unterhielt mit ihm geschlechtliche Beziehungen. Die beiden Mansardenzimmer im gleichen Hause, über die sie übrigens nicht von Anfang an verfügte, benutzte sie nicht oder nur selten. Dieser Tatbestand, den die kantonalen Instanzen festgestellt haben und der durch Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann (Art. 273 lit. b, 277 bis BStrP, Fassung nach Art. 168 OG), durfte ohne Verletzung von Bundesrecht als Konkubinat gewürdigt und bestraft werden.
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Erwägung 4 |
Demnach erkennt der Kassationshof: |