BGE 144 III 502
 
59. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_553/2018 / 5A_554/2018 vom 2. Oktober 2018
 
Regeste
Art. 276, 276a und 285 ZGB; Kindesunterhalt; Berechnung des Existenzminimums des mit einem Partner in gemeinsamem Haushalt lebenden Unterhaltsschuldners.
 
Sachverhalt
A. A. und D. waren nie zusammen verheiratet und haben die beiden Kinder B. (2008) und C. (2011), welche bei der Mutter leben.
Gemäss den am 26. Mai 2011 genehmigten Unterhaltsverträgen verpflichtete sich der Vater zu Unterhaltsbeiträgen pro Kind (jeweils zzgl. Kinderzulage) von Fr. 430.- bis zum vollendeten 6. Altersjahr, von Fr. 480.- bis zum vollendeten 12. Altersjahr und von Fr. 530.- bis zur Volljährigkeit bzw. zum Abschluss einer angemessenen Ausbildung.
A. hat 2015 geheiratet und mit seiner Ehefrau das 2017 geborene Kind E. (Halbgeschwister von B. und C.).
B. Am 14. August 2017 klagten die Kinder B. und C. auf Abänderung der vereinbarten Unterhaltsbeiträge und verlangten rückwirkend per 1. April 2016 Beiträge von je Fr. 1'190.- (zzgl. Kinderzulagen).
Mit zwei separaten Urteilen vom 19. Oktober 2017 verpflichtete das Zivilkreisgericht Basel-Landschaft Ost den Vater rückwirkend auf den 1. Januar 2017 zu Unterhaltsbeiträgen von Fr. 904.- (zzgl. Kinderzulagen) pro Kind.
In zwei selbständig eröffneten Urteilen vom 17. April 2018 verpflichtete das Kantonsgericht Basel-Landschaft den Vater rückwirkend auf den 1. Januar 2017 zu Unterhaltsbeiträgen von Fr. 1'150.- (zzgl. Kinderzulage) für B. und von Fr. 1'028.- (zzgl. Kinderzulage) für C.
C. Gegen diese Urteile hat der Vater am 2. Juli 2018 je eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um Klageabweisung, eventualiter um Festsetzung des Unterhaltsbeitrages für B. auf Fr. 545.- (zzgl. allfällig bezogener Kinderzulagen) und für C. auf Fr. 490.-.
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
(...)
6.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, Ziel der Revision sei die Beseitigung der Konkurrenz zwischen dem Kindesunterhalt und dem Unterhaltsanspruch des geschiedenen bzw. getrennt lebenden Ehegatten gewesen, nicht aber der Vorrang gegenüber einem latenten Unterhaltsanspruch der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau; sonst wäre im Gesetzgebungsprozess zweifellos darauf hingewiesen worden, dass in dieser Situation bei der Bedarfsberechnung die Ehefrau ausser Acht zu lassen sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die in Art. 276a ZGB statuierte Rangfolge sich nur auf Unterhaltsansprüche beziehe, die in einem gerichtlichen Verfahren geltend gemacht worden seien. Im Übrigen müsse der vom Kantonsgericht angeführte Grundsatz, wonach dem Kind aus dem Zivilstand der Eltern keine Nachteile erwachsen sollen, auch umgekehrt gelten: Selbstverständlich dürften auch dem unterhaltspflichtigen Elternteil aus seinem Zivilstand keinerlei Nachteile entstehen. Es gehe deshalb nicht an, dass ihm nur ein Grundbetrag von Fr. 850.- zugestanden werde, einem alleinstehenden Schuldner aber ein solcher von Fr. 1'200.-. Es werde ihm gewissermassen eine Heiratsstrafe auferlegt. Zur Vermeidung stossender Ergebnisse sei auch zu berücksichtigen, dass Art. 276a Abs. 2 ZGB erlaube, vom Vorrang des Kindesunterhaltes abzuweichen.
Der Beschwerdeführer macht ferner auch eine Verletzung von Art. 285 ZGB geltend. Der gesetzgeberische Verzicht auf die Mankoteilung dürfe nicht mit der Bedarfsberechnung für einen verheirateten Unterhaltsschuldner ausgehebelt werden. Er habe mit seiner Ehefrau (ohne Berücksichtigung des im gleichen Haushalt lebenden Kindes E.) ein betreibungsrechtliches Existenzminimum von Fr. 3'744.-, was bedeute, dass der grösste Teil der für die Kinder B. und C. gesprochenen Unterhaltsbeiträge gar nicht vollstreckt werden könne und sich deshalb bei ihm ein Schuldenberg auftürmen würde. Im Unterschied zu den Sozialhilfeleistungen würden aber geschuldete Unterhaltsleistungen nicht verjähren, weil die Alimentenbevorschussungsstelle die Möglichkeit habe, die Verjährung zu unterbrechen, wovon sie denn auch regelmässig Gebrauch mache. Aufgrund der entstehenden Schulden müsste er zudem befürchten, seine Aufenthaltsbewilligung zu verlieren; als Folge könnte es zu einer Trennung zwischen ihm und seiner Ehefrau kommen.
6.4 Die elterliche Unterhaltspflicht ist in Art. 276 ZGB verankert und in Art. 285 ZGB werden Grundsätze zur Unterhaltsbemessung aufgestellt. Im Zusammenhang mit der in Art. 285 Abs. 1 ZGB (alt- wie auch neurechtlich) als Bemessungskriterium genannten Leistungsfähigkeit gilt seit langem der Grundsatz, dass dem Unterhaltsschuldner in jedem Fall sein eigenes Existenzminimum zu belassen ist. In BGE 135 III 66 wurde die Frage, ob bei Mangelfällen das Manko allenfalls auf den Unterhaltsgläubiger und -schuldner zu verteilen sei, in grundsätzlicher Weise diskutiert, aber weiterhin verworfen. Anlässlich der Revision des Kindesunterhaltsrechts wurde das Thema nochmals aufgegriffen, aber schliesslich bewusst von einer Mankoteilung abgesehen (vgl. Erläuternder Bericht zum Vorentwurf vom 4. Juli 2012, S. 23 ff.; Botschaft vom 29. November 2013, BBl 2014 543 ff. Ziff. 1.3.3 und 1.4 und 560 Ziff. 1.6.1). Der neu ins Gesetz aufgenommene Art. 286a ZGB schreibt einzig vor, dass die Unterdeckung, d.h. die Differenz zwischen dem festgesetzten Unterhaltsbeitrag und dem gebührenden Unterhalt des Kindes, in der gerichtlichen Entscheidung festzuhalten ist und bei späterer ausserordentlicher Verbesserung der Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteiles das Kind Anspruch auf Nachzahlung der während der letzten fünf Jahre aufgelaufenen Unterdeckung hat.
Massgeblich ist je nach den konkreten Umständen der Grundbetrag für einen alleinstehenden Schuldner, derjenige für einen alleinerziehenden Schuldner oder derjenige für einen verheirateten, in einer eingetragenen Partnerschaft oder als Paar mit Kindern lebenden Schuldner. In den drei zuletzt genannten Fällen ist dem Unterhaltsschuldner jedoch nur die Hälfte des Grundbetrages anzurechnen, denn der (neue) Ehegatte, eingetragene Partner bzw. Lebensgefährte des Rentenschuldners soll gegenüber dessen Kindern jedenfalls nicht privilegiert werden. Zum Grundbetrag sind alsdann die üblichen betreibungsrechtlichen Zuschläge hinzuzuzählen, soweit sie für den Unterhaltsschuldner allein massgeblich sind. Dazu zählen namentlich sein Wohnkostenanteil, seine unumgänglichen Berufsauslagen sowie die Kosten für seine Krankenversicherung. Hingegen dürfen bei der Ermittlung des Existenzminimums des Unterhaltsschuldners weder kinderbezogene Positionen der im gleichen Haushalt wohnenden Kinder oder allfällige Unterhaltsbeiträge noch diejenigen Positionen einbezogen werden, welche den Ehegatten betreffen und für die der Unterhaltsschuldner allenfalls nach den in Art. 163 ff. ZGB enthaltenen Vorschriften aufzukommen hätte.
Vorweg ist klarzustellen, dass auch die konsensuale Bestreitung der Lebenshaltungskosten der im gleichen Haushalt lebenden Ehefrau materiell eine Befriedigung ihres Unterhaltsanspruches bedeutet und Art. 163 ZGB im einen wie im anderen Fall die Grundlage des ehelichen Unterhaltes bildet (vgl. BGE 140 III 337 E. 4.2.1 S. 338). Soweit der Unterhaltsanspruch nicht auf konsensualer Basis (hinreichend) befriedigt wird, kann er im Rahmen eines Eheschutzverfahrens sowohl während des Zusammenlebens (vgl. Art. 173 Abs. 1 ZGB) als auch im Trennungsfall (vgl. Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB) gerichtlich durchgesetzt werden, wobei er wie gesagt in materieller Hinsicht unabhängig davon besteht, ob es zu einem Verfahren kommt. Mithin geht es nicht darum, dass die (vorliegend nicht selbst erwerbstätige) Ehefrau nur im einen, nicht aber im anderen Fall einen ehelichen Unterhaltsanspruch hat, der in Konkurrenz zum Kindesunterhalt tritt.
Sodann knüpft die in BGE 137 III 59 E. 4.2.2 S. 63 gezeichnete und vorstehend wiedergegebene Vorgehensweise bei der Festsetzung des Existenzminimums des Unterhaltsschuldners nicht an dessen Zivilstand, sondern an seine tatsächlichen Lebensverhältnisse. Ist er alleinstehend oder alleinerziehend, ist einer der betreffenden Grundbeträge einzusetzen, während der hälftige Grundbetrag für ein Ehepaar zu berücksichtigen ist, wenn er (ehelich oder ausserehelich sowie heterosexuell oder gleichgeschlechtlich) mit einer Partnerin oder einem Partner im gemeinsamen Haushalt lebt.
Mithin geht die Behauptung des Beschwerdeführers, es werde ihm eine Heiratsstrafe auferlegt, an der Sache vorbei. Vielmehr folgt die Rechtsprechung zur Berechnung des Existenzminimums des Unterhaltsschuldners derjenigen für den betriebenen Schuldner, welche nicht auf den Zivilstand, sondern allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und damit auf die Tatsache abstellt, ob der Schuldner alleinstehend ist oder ob er von der Kostenersparnis eines Paarhaushaltes profitiert (dazu BGE 130 III 765 E. 2.4 S. 768; BGE 138 III 97 E. 2.3.2 S. 100). Massgeblich für die Anwendung des Ehepaaransatzes ist freilich, dass die Hausgemeinschaft partnerschaftlicher Natur ist; lebt der Schuldner mit einer anderen Person im gemeinsamen Haushalt, namentlich mit einem erwachsenen Kind, kann nicht der hälftige Ehepaaransatz als Grundbetrag eingesetzt werden, sondern darf die betreffende Tatsache einzig bei den Wohnkosten und gegebenenfalls durch einen kleinen Abzug beim Grundbetrag für einen alleinstehenden Schuldner berücksichtigt werden (vgl. BGE 132 III 483 E. 1 S. 4.2 und 4.3 S. 485 f.).
Nicht von Belang ist, ob die im gleichen Haushalt lebende Ehefrau (oder Lebenspartnerin) arbeitet bzw. ob sie objektiv einer Erwerbsarbeit nachgehen könnte, und ebenso wenig ist von Belang, ob und in welchem Umfang sie sich an den Kosten des Haushaltes tatsächlich beteiligt (BGE 138 III 97 E. 2.3.2 und 2.3.3 S. 100 f.). Nur so lässt sich, wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, der Vorrang des Kindesunterhalts tatsächlich umsetzen; was der Beschwerdeführer anstrebt, würde hingegen zu einer Umkehr des gesetzlich geregelten Konkurrenzverhältnisses führen, indem der materiell bestehende Unterhaltsanspruch der Ehefrau vorab befriedigt und der Kindesunterhalt nur aus dem Überrest gespeist würde.
Dass schliesslich der Grundbetrag für ein Paar nicht auf das Doppelte angesetzt ist, trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Paarhaushalt weniger als die zweifachen Kosten eines Einzelhaushaltes verursacht. Insofern trifft auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde gegenüber einem alleinstehenden Unterhaltsschuldner benachteiligt, nicht zu.
6.7 An diesen Grundsätzen hat die Kindesunterhaltsrevision entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nichts geändert; im Gegenteil sieht das Gesetz nunmehr mit Art. 276a ZGB eine klare Rangordnung dahingehend vor, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes allen anderen Unterhaltskategorien vorgeht. Der in BGE 137 III 59 aufgestellte Grundsatz, wonach bei der Berechnung des Kindesunterhaltes der Bedarf des Ehegatten nicht im schuldnerischen Existenzminimum berücksichtigt werden darf, gilt damit unter dem neuen Recht verstärkt. In der Botschaft wurde die Priorisierung des Kindesunterhaltes damit begründet, dass eine erwachsene Person eher in der Lage ist, die finanziellen Probleme zu überwinden (Botschaft, BBl 2014 572), was grundsätzlich auch für volljährige Geschwister gilt (Botschaft, BBl 2014 574), während einem minderjährigen Kind die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von vornherein nicht möglich ist.
Gesetzgeberisches Ziel der Revision war die Gleichstellung ehelicher und nicht ehelicher Kinder durch die Einführung des Betreuungsunterhaltes und damit einer Leistung, die vorher nur bei verheirateten oder verheiratet gewesenen Eltern im Rahmen des (nach-)ehelichen Unterhaltes abgegolten wurde. Daraus lässt sich selbstredend kein (Umkehr-)Schluss dahingehend ziehen, dass dem Unterhaltsschuldner kein finanzieller Nachteil aus der Wiederverheiratung entstehen dürfe und deshalb seine Ehefrau in die Existenzminimumsberechnung einzubeziehen sei.
Ebenso wenig lässt sich der Einbezug der Ehefrau in das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners daraus ableiten, dass der Gesetzgeber von einer gesetzlichen Mankoteilung abgesehen hat. Dies ist aus ganz anderen Gründen geschehen (vgl. dazu Botschaft, BBl 2014 561 Ziff. 1.6.1).
Nicht von Belang ist ferner, ob die Beanspruchung von Sozialhilfe - die Folge von Art. 276a ZGB ist vorliegend, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers statt die Beschwerdegegner darauf angewiesen ist - gegebenenfalls einen Einfluss auf den künftigen Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers hat. Allfällige öffentlich-rechtliche Folgen können nicht zum Ausgangspunkt der zivilrechtlichen Unterhaltsfrage gemacht werden und noch weniger können sie Art. 276a ZGB derogieren. Insofern ist auch nicht relevant, ob und inwiefern der Beschwerdeführer die aus dem Eheschluss resultierenden neuen Pflichten in Kenntnis oder Unkenntnis der Rechtslage eingegangen ist.