BGE 138 III 246
 
38. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. AG und Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
 
4A_554/2011 vom 10. Februar 2012
 
Regeste
Art. 697a f. OR; Verfahren für die Einleitung einer Sonderprüfung in einer Aktiengesellschaft.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.1 Jeder Aktionär kann der Generalversammlung beantragen, bestimmte Sachverhalte durch eine Sonderprüfung abklären zu lassen, sofern dies zur Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und er das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt hat (Art. 697a Abs. 1 OR). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag, so kann die Gesellschaft oder jeder Aktionär innert 30 Tagen den Richter um Einsetzung eines Sonderprüfers ersuchen (Art. 697a Abs. 2 OR). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag nicht, so können Aktionäre, die zusammen mindestens 10 % des Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von 2 Mio. Franken vertreten, innert dreier Monate den Richter ersuchen, einen Sonderprüfer einzusetzen (Art. 697b Abs. 1 OR). Die Gesuchsteller haben Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers, wenn sie glaubhaft machen, dass Gründer oder Organe Gesetz oder Statuten verletzt und damit die Gesellschaft oder die Aktionäre geschädigt haben (Art. 697b Abs. 2 OR).
3.3 Als weiterer Schritt ist sodann ein Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung in der Generalversammlung erforderlich, über den die Generalversammlung abzustimmen hat. Antrag und Abstimmung sind unverzichtbar, entscheidet doch die konkrete Beschlussfassung durch die Generalversammlung, welches Verfahren zur Anwendung gelangt: dasjenige nach Art. 697a Abs. 2 OR bei Gutheissung, dasjenige nach Art. 697b OR bei Ablehnung des Antrags. Einen direkten Weg zum Richter gibt es nicht. Vielmehr muss der Aktionär sein Anliegen zuerst der Generalversammlung unterbreiten (WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 30 in fine zu Art. 697a OR; BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 16 N. 29; PAULI, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 21 zu Art. 697a OR; PETER V. KUNZ, Der Minderheitenschutz im schweizerischen Aktienrecht, 2001, § 12 N. 67 f.).
Der Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung ist nicht traktandierungspflichtig (Art. 700 Abs. 3 OR). Er kann auch "überfallartig" erst an der Generalversammlung gestellt werden (WEBER, a.a.O., N. 29 zu Art. 697a OR; BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 31). Stets gilt indessen die thematische Begrenzung des Sonderprüfungsbegehrens durch den Gegenstand des Auskunftsbegehrens (BGE 133 III 133 E. 3.2 S. 136; vgl. dazu BGE 123 III 261 E. 3a S. 264 f.).
Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, den Antrag in der Generalversammlung zur Abstimmung zu bringen. Verweigert er die Abstimmung über den Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung, so wird dies einer Abstimmung mit ablehnendem Ergebnis gleichgesetzt und öffnet den Weg zum Richter nach Art. 697b OR (WEBER, a.a.O., N. 31 zu Art. 697a OR; BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 38; PAULI, a.a.O., N. 22 zu Art. 697a OR; KUNZ, a.a.O., § 12 N. 69).
Den Aktionär trifft insofern eine Abstimmungsverfolgungspflicht, als er an der Generalversammlung am Antrag festhalten und nötigenfalls auf einer Abstimmung beharren muss. Wenn die Abstimmung bloss faktisch unterbleibt, ohne dass eine Abstimmungsverweigerung vorliegt, gilt der Antrag nicht als abgelehnt, d.h. der Weg zum Richter steht mangels Abstimmung in der Generalversammlung nicht offen (KUNZ, a.a.O., § 12 N. 70; so wohl auch WEBER, a.a.O., N. 31 zu Art. 697a OR; ablehnend BIANCA PAULI, Le droit au contrôle spécial dans la société anonyme, 2004, S. 109).
 
Erwägung 4
Sie stellte fest, der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 15. April 2011 von A., der bei beiden Beschwerdegegnerinnen einziger Verwaltungsrat sei, die Einberufung ausserordentlicher Generalversammlungen der beiden Gesellschaften verlangt. Nachdem er keine Reaktion auf dieses Schreiben erhalten habe, habe er sein Begehren in einem weiteren Schreiben vom 29. April 2011 wiederholt. In keinem der Schreiben habe er zuhanden der Generalversammlungen der Beschwerdegegnerinnen Anträge auf Sonderprüfung gestellt. Auch habe er darauf verzichtet, seine seitens des Verwaltungsrats unerfüllt gebliebenen Forderungen nach Einberufung ausserordentlicher Generalversammlungen gerichtlich durchzusetzen, obschon ihm dies in Anbetracht seiner behaupteten Beteiligungen von 10 % am jeweiligen Aktienkapital der Beschwerdegegnerinnen gestützt auf Art. 699 Abs. 4 OR möglich gewesen wäre.
Die Nichterfüllung des vom Beschwerdeführer mit seinen beiden Schreiben vom April 2011 geltend gemachten Anspruchs auf Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung durch den Verwaltungsrat der Beschwerdegegnerinnen könne nicht ernsthaft mit einer Weigerung des Verwaltungsrats oder der Generalversammlung selbst gleichgesetzt werden, eine Abstimmung über einen Antrag auf Sonderprüfung durchzuführen. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Beschwerdeführer gemäss seinen eigenen Angaben und Unterlagen bis anhin noch gar keinen entsprechenden Antrag gestellt habe. Die direkte Einsetzung eines Sonderprüfers durch den Richter würde der gesetzlichen Ordnung klar widersprechen.
4.2 Der Beschwerdeführer erblickt darin eine Verletzung von Art. 697a und 697b OR. Er ist der Auffassung, dass vom Aktionär nicht verlangt werden könne, die beantragte Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung gerichtlich zu erzwingen. Dies ergebe sich schon daraus, dass laut Art. 697a Abs. 1 OR jeder Aktionär - unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft - der Generalversammlung eine Sonderprüfung beantragen könne. Demgegenüber könne die Einberufung einer Generalversammlung nur von einem oder mehreren Aktionären verlangt werden, die zusammen mindestens 10 % des Aktienkapitals vertreten (Art. 699 Abs. 3 OR). Auch genüge es für die Legitimation zur Anrufung des Richters nach Art. 697b OR, dass die Aktionäre Aktien im Nennwert von 2 Mio. Franken vertreten. Wenn nun bei Weigerung der Einberufung einer Generalversammlung verlangt würde, dass der Aktionär dieselbe gerichtlich durchsetzen muss, um sein Recht auf Antrag einer Sonderprüfung auszuüben, würde eben dieses Recht der Aktionäre mit weniger als 10 %-Beteiligung untergraben, weil diese die Einberufung einer Generalversammlung gar nicht erzwingen könnten. Die Auffassung der Vorinstanz sei zudem systemwidrig. So müsse weder das Erfordernis der vorgängigen Wahrnehmung des Auskunfts- oder des Einsichtsrechts noch dasjenige der Abstimmung über einen Antrag auf Sonderprüfung gerichtlich durchgesetzt werden. Es stehe in einem offenkundigen Wertungswiderspruch, wenn demgegenüber beim zweiten Schritt, der Einberufung einer Generalversammlung, eine gerichtliche Durchsetzung verlangt würde. Ein wirksamer Schutz von Minderheitsaktionären würde in vielen Fällen illusorisch, wenn dem Verwaltungsrat durch die pflichtwidrige Weigerung, eine Generalversammlung durchzuführen, eine Möglichkeit in die Hand gegeben würde, das Institut der Sonderprüfung zu unterminieren.
Ferner kritisiert der Beschwerdeführer den Vorwurf der Vorinstanz als haltlos, er habe in seinen Schreiben vom April 2011 keinen Antrag auf Sonderprüfung gestellt. Zum einen sei ein solcher Antrag nicht traktandierungspflichtig. Zum anderen würde es keinen Sinn machen, dem Verwaltungsrat einen solchen Antrag zu stellen, da es nicht in seiner Kompetenz liege, darüber zu entscheiden.
Die Frage ist mit der Vorinstanz zu verneinen. Das Gesetz verpflichtet den Verwaltungsrat nicht, dem Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung durch einen Aktionär, der das Beteiligungserfordernis nach Art. 699 Abs. 3 OR nicht erfüllt, zu entsprechen. Und trotzdem sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass auch ein solcher Aktionär zwar einen Antrag auf Sonderprüfung stellen kann, dass er dies aber in der Generalversammlung tun muss (Art. 697a Abs. 1 OR). Offensichtlich nimmt der Gesetzgeber mit dieser Regelung in Kauf, dass der Aktionär, der das Beteiligungserfordernis nach Art. 699 Abs. 3 OR nicht erfüllt, mit seinem Antrag auf Sonderprüfung bis zur ordentlichen Generalversammlung zuwarten oder sich mit anderen Aktionären zusammentun muss, mit denen er die 10 %-Hürde erreicht, und so die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung verlangen und nötigenfalls erzwingen kann. Diese Regelung indiziert demnach entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht, bei verweigerter Einberufung einer Generalversammlung auf das Erfordernis des Antrags auf Sonderprüfung in einer Generalversammlung zu verzichten. Demnach durfte die Vorinstanz vom Beschwerdeführer, der im Übrigen das Beteiligungserfordernis von 10 % erfüllt, verlangen, dass er die beantragte, aber nicht erfolgte Einberufung der ausserordentlichen Generalversammlungen gerichtlich durchsetze.
Diese Auffassung ist nicht "systemwidrig", wie der Beschwerdeführer meint. Im Gegenteil: Ein Verzicht auf den Antrag in der Generalversammlung widerspräche dem zentralen Gewicht, das dem Einbezug der Generalversammlung im Verfahren der Sonderprüfung zukommt (dazu BÖCKLI, a.a.O., § 16 Rz. 26 und 29a ff.). So ist die Generalversammlung das Forum, an dem das vorgängig wahrzunehmende Auskunftsrecht ausgeübt wird, das schliesslich den Gegenstand der Sonderprüfung determiniert (vgl. E. 3.2 und 3.3). Ferner ermöglicht die Diskussion des Antrags auf Sonderprüfung in der Generalversammlung dem Verwaltungsrat, seinen Standpunkt in offener Debatte der Gesamtheit der versammelten Aktionäre darzulegen. Sodann wird es der Antrag stellende Aktionär aufgrund der Diskussion leichter haben, die nötige Minderheit zusammenzubringen, die für einen allfälligen Antrag an den Richter erforderlich ist. Schliesslich besteht auch Gelegenheit für einvernehmliche Lösungen, in deren Folge die Gerichte entlastet werden. Da in jedem Fall alljährlich einmal eine Generalversammlung stattfinden muss (Art. 699 Abs. 2 OR), trifft auch nicht zu, dass es der Verwaltungsrat in den Händen hätte, das Antragsrecht auf Sonderprüfung zu unterlaufen, indem er es unterlässt, eine Generalversammlung abzuhalten.
Der Vorinstanz ist auch beizupflichten, dass die Weigerung des Verwaltungsrats, einem Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung stattzugeben, nicht der Ablehnung eines Antrags auf Sonderprüfung durch die Generalversammlung gleichgesetzt werden kann, zumal wenn - wie vorliegend - im entsprechenden Begehren nicht einmal zuhanden der Generalversammlung ein Antrag auf Sonderprüfung gestellt wurde. Mit letzterer Überlegung wird keineswegs verkannt, dass ein solcher Antrag nicht traktandierungspflichtig wäre. Jedoch kann nicht die Ablehnung eines Antrags unterstellt werden, wenn ein solcher nicht einmal geäussert wurde und deshalb bei der Weigerung zur Einberufung der beantragten ausserordentlichen Generalversammlung auch keine Rolle spielen konnte.
Würde der Meinung des Beschwerdeführers gefolgt, könnte selbst ein einzelner Aktionär, der das Quorum nach Art. 699 Abs. 3 OR nicht erreicht, mit einem blossen Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung bei Nichtbefolgen desselben durch den Verwaltungsrat erreichen, dass der direkte Weg an den Richter nach Art. 697b OR geöffnet wird. Dies obwohl der Verwaltungsrat nicht verpflichtet ist, dem Begehren eines solchen Aktionärs um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung zu entsprechen, und weder der Verwaltungsrat noch die Generalversammlung Kenntnis davon erhält, dass der Aktionär eine Sonderprüfung anstrebt. Eine solche Lösung würde offensichtlich die gesetzliche Regelung des für die Anordnung einer Sonderprüfung einzuhaltenden Verfahrens, konkret die Phase der Behandlung des Antrags in der Generalversammlung, unterlaufen und kann daher nicht unterstützt werden.