BGE 134 III 385
 
64. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B.X. und C.X. gegen D.X. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_67/2008 / 5A_71/2008 vom 22. Mai 2008
 
Regeste
Kombinierte Beistandschaft (Art. 392 Ziff. 1 und Art. 393 Ziff. 2 ZGB).
 
Sachverhalt
D.X. (Jg. 1916) ist der Ehemann von C.X. Die beiden sind die Eltern des im Jahre 1985 geborenen Sohnes B.X. Aus der ersten Ehe von D.X. stammen die beiden Töchter F. und G.
D.X. ist Gesamteigentümer an 96,25 % der Aktien der X. Holding AG (vormals Aktiengesellschaft X.), die ihrerseits die Mehrheit der Aktien an den Tochtergesellschaften der X.-Gruppe hält. Er ist Verwaltungsratspräsident mit Einzelunterschrift in der Holding und in allen Tochtergesellschaften, C.X. seit einiger Zeit alleinige Geschäftsführerin all dieser Gesellschaften.
Am 3. April 2006 unterzeichnete D.X. für Rechtsanwalt R. und seine Tochter F. eine Generalvollmacht. Die Eheleute X. leben seit dem 6. April 2006 getrennt.
Mit Eingabe vom 10. April 2006 ersuchte C.X. die Vormundschaftsbehörde der Gemeinde W., dringlich geeignete vormundschaftliche Massnahmen zum Schutze von D.X. anzuordnen. Sie machte geltend, dieser sei wegen seiner Erkrankung an Demenz nicht in der Lage zu beurteilen, was mit ihm geschehe; er werde massiv manipuliert, was dazu geführt habe, dass er Schreiben unterzeichnet habe, deren Bedeutung er nicht erfassen könne; die von ihm unterzeichnete Generalvollmacht sei aus verschiedenen Gründen rechtswidrig und daher nichtig, sie widerspreche auch diametral seinen Interessen; D.X. sei nicht mehr urteilsfähig.
Nachdem D.X. am 25. April 2006 angehört und durch Dr. H. ärztlich abgeklärt worden war, wies die Vormundschaftsbehörde der Gemeinde W. am 9. Oktober 2006 den Antrag auf Anordnung vormundschaftlicher Massnahmen für D.X. ab.
Gegen diesen Beschluss gelangten sowohl C.X. als auch B.X. an den Bezirksrat T., der am 19. April 2007 beide Beschwerden abwies.
C.X. und B.X. rekurrierten an das Obergericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die geeigneten Massnahmen zum Schutz von D.X. anzuordnen. Das Obergericht (II. Zivilkammer) wies mit Beschluss vom 12. Dezember 2007 beide Rechtsmittel ab. In einem Nachtragsbeschluss vom 21. Dezember 2007 setzte es die D.X zustehende Prozessentschädigung und deren Aufteilung auf die beiden Rekurrenten fest.
In ihren Eingaben vom 28. bzw. vom 29. Januar 2008 erheben B.X. (Verfahren 5A_67/2008) und C.X. (Verfahren 5A_71/2008) Beschwerde in Zivilsachen mit dem Rechtsbegehren, die obergerichtlichen Beschlüsse vom 12. und vom 21. Dezember 2007 aufzuheben. Sodann verlangt C.X. (Beschwerdeführerin), es seien mit möglichster Beschleunigung die in der Rekursschrift (d.h. im kantonalen Verfahren) beantragten Massnahmen zum Schutz des Beschwerdegegners und seiner Familie anzuordnen. B.X. (Beschwerdeführer) wiederholt das Begehren, es seien in dem Sinne geeignete vormundschaftliche Massnahmen anzuordnen, dass ein normaler persönlicher Verkehr zwischen dem Beschwerdegegner und ihm möglich sei.
In seinen Vernehmlassungen vom 2. Mai 2008 schliesst der Beschwerdegegner auf Abweisung der beiden Beschwerden.
Das Bundesgericht heisst beide Beschwerden gut.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.1 Das Obergericht stellt im Beschluss vom 12. Dezember 2007 in tatsächlicher Hinsicht fest, dass beim Beschwerdegegner ein Schwächezustand in Form einer altersbedingten kognitiven und körperlichen Einschränkung bestehe, was eine entsprechende Schutz-, Vertretungs- und Betreuungsbedürftigkeit zur Folge habe. Die nötige Betreuung und Vertretung werde sowohl im persönlichen wie auch im administrativen und finanziellen Bereich durch Familienangehörige und durch ihn Bevollmächtigte gewährleistet. Die persönliche Betreuung werde durch drei Pflegefachfrauen, den langjährigen Privatchauffeur und nunmehr auch seine beiden Töchter umfassend sichergestellt; der Beschwerdegegner werde auch nach seinem eigenen Dafürhalten bestens umsorgt. Der Lebensunterhalt werde zur Zeit von den beiden Töchtern bestritten, da es dem Beschwerdegegner, der wohl über ein sehr grosses Vermögen verfüge, offenbar an der nötigen Liquidität fehle. Den administrativen und finanziellen Bereich besorgten die vom Beschwerdegegner Bevollmächtigten: seine Tochter F. und Rechtsanwalt R. Im Rahmen der ärztlichen Abklärungen sei Dr. H. zum Schluss gelangt, der Beschwerdegegner sei bezüglich der Erteilung der betreffenden Generalvollmachten als voll urteilsfähig zu bezeichnen, auch wenn er nicht in der Lage sei, die bevollmächtigten Personen zu kontrollieren; er habe diese Vollmachten gerade deshalb erteilt, weil er seine bevollmächtigte Ehefrau, die Beschwerdeführerin, nicht mehr zu kontrollieren vermöge und er durch die gegenseitige Kontrolle einen angemessenen Schutz seiner Interessen erwarte. Abschliessend stellt die Vorinstanz fest, es beruhe auf dem eigenen Willen des seit dem 6. April 2006 von seiner Ehefrau, der Beschwerdeführerin, getrennt lebenden Beschwerdegegners, dass er mit dieser und dem gemeinsamen Sohn, dem Beschwerdeführer, keinen Kontakt mehr pflege.
3.2 In rechtlicher Hinsicht hält das Obergericht dafür, dass die Frage der Urteilsfähigkeit des Beschwerdegegners bezüglich seines Trennungs- bzw. Scheidungswunsches und weiterer konkreter rechtserheblicher Handlungen in dem von ihm angestrengten Eheschutzverfahren bzw. in den weiteren bereits hängigen zivilrechtlichen Verfahren zu klären sein werde. Vormundschaftsbehörde und Bezirksrat hätten unter den gegebenen Umständen zu Recht von der Anordnung vormundschaftlicher Massnahmen abgesehen. Solche seien nicht dazu da, persönliche Interessen Dritter zu schützen. Von einem Betagtenmissbrauch, wie er von der Beschwerdeführerin geltend gemacht werde, könne keine Rede sein. Sollte die Vormundschaftsbehörde in der Zukunft konkret von Missbräuchen oder von einer Gefährdung der Interessen des Beschwerdegegners Kenntnis erhalten, hätte sie dann allerdings einzuschreiten.
 
Erwägung 4
4.2 Hinsichtlich der geschäftlichen und finanziellen Belange erachtet die Vorinstanz die Unterstützung des Beschwerdegegners durch F. und Rechtsanwalt R. ebenfalls für ausreichend: Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die beiden ihren Auftrag nicht korrekt wahrgenommen hätten, und das Gegenteil sei auch nicht konkret behauptet worden. Wo die Interessenwahrung wie hier nach den Feststellungen der Vorinstanz ausschliesslich bei bevollmächtigten Personen liegt, ist eine vormundschaftliche Hilfe indessen nur dann entbehrlich, wenn der hilfsbedürftige Vollmachtgeber jederzeit in der Lage ist, die von ihm eingesetzten Personen wenigstens grundsätzlich zu kontrollieren und zu überwachen und nötigenfalls auch zu ersetzen (dazu BGE 58 II 12 E. 2 S. 16 f.; BGE 51 II 103 S. 106 f.; Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 14. Mai 1985, in: ZVW 1986 S. 40; BERNHARD SCHNYDER/ERWIN MURER, Berner Kommentar, N. 84 zu Art. 372 sowie N. 48 und 53 zu Art. 392 ZGB). Wie die Beschwerdeführer mit Recht bemerken, ist eine derartige Überwachungsmöglichkeit beim Beschwerdegegner nicht gewährleistet: So gelangte Dr. H. zum Schluss, der Beschwerdegegner sei nicht in der Lage, die bevollmächtigten Personen zu kontrollieren. Auch der Beschwerdegegner selbst hat auf eine entsprechende Frage bei der Anhörung durch das Obergericht eingeräumt, die Bevollmächtigten nicht kontrollieren zu können, wobei er erklärte, er habe ja auch noch eine Treuhandgesellschaft, die die Dinge überprüfe. Zu bedenken ist ferner, dass eine allfällige gegenseitige Kontrolle der bevollmächtigten Personen unter sich eine Überwachung durch den Beschwerdegegner nicht etwa zu ersetzen vermöchte, würde jene doch keine Gewähr dafür bieten, dass tatsächlich dessen Interessen verfolgt werden. Ungenügend ist auch die vom Obergericht ins Auge gefasste Kontrolle durch die Vormundschaftsbehörde, wäre doch letztere nach dem Konzept der Vorinstanz darauf angewiesen, von allfälligen Missbräuchen oder von einer Gefährdung der Interessen des Beschwerdegegners zuerst Kenntnis zu erhalten. Selbst dann, wenn die Vormundschaftsbehörde von Zeit zu Zeit von sich aus Abklärungen träfe (vgl. SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 169 zu Art. 369 ZGB), wäre dies hier angesichts der Komplexität der Verhältnisse im geschäftlichen Bereich unzureichend (vgl. SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 61 zu Art. 361 ZGB). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die obergerichtlichen Feststellungen vor allem auch im Zusammenhang mit der Frage des Kontakts zum Beschwerdeführer auf einen gewissen Wankelmut des Beschwerdegegners schliessen lassen.
4.3 Die gegebenen Umstände erfordern eine vormundschaftliche Massnahme. Einer solchen hatte der Beschwerdegegner anlässlich seiner Anhörung im obergerichtlichen Verfahren übrigens keineswegs ablehnend gegenübergestanden: Er erklärte vielmehr, dass er einen Beistand, der auf seiner Linie wäre, akzeptieren würde, und pflichtete ausserdem der Feststellung der Referentin, dass er also vormundschaftliche Massnahmen nicht rundweg ablehne, bei. Es mag dahingestellt bleiben, ob aufgrund dieser Äusserungen des Beschwerdegegners nicht gar der Tatbestand der Beistandschaft auf eigenes Begehren (Art. 394 ZGB) vorgelegen habe, zumal ein derartiges Begehren nicht notwendigerweise auf eigenen Antrieb gestellt worden sein muss (vgl. BGE 106 II 298 E. 2 S. 301 zur Errichtung einer Vormundschaft auf eigenes Begehren). In Anbetracht der von der Vorinstanz festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten sind auf jeden Fall die Voraussetzungen für die Anordnung einer - in ihren Auswirkungen der Beistandschaft auf eigenes Begehren entsprechenden - kombinierten Beistandschaft im Sinne von Art. 392 Ziff. 1 (Vertretungsbeistandschaft) und Art. 393 Ziff. 2 ZGB (Verwaltungsbeistandschaft), wie sie gerade auch bei älteren Menschen als angemessene Vorkehr erscheint (dazu SCHNYDER/MURER, a.a.O., N. 169 zu Art. 369 ZGB; HANS MICHAEL RIEMER, Vormundschaftliche Hilfe für Betagte, in: ZVW 1982 S. 123, und Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2. Aufl., Zürich 1997, § 6 N. 34a), erfüllt.