BGE 121 III 184
 
38. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 27. Juni 1995 i. S. X. Treuhand AG (Rekurs)
 
Regeste
Arrestprosequierung (Art. 278 Abs. 1 SchKG).
 
Sachverhalt
A.- Nachdem die X. Treuhand AG wegen einer von Z. gegen sie eingeleiteten Wechselbetreibung beim Betreibungsamt den Betrag von Fr. 14'667.-- bezahlt hatte, erwirkte sie ihrerseits am 1. Februar 1995 auf den beim Betreibungsamt liegenden Betrag einen Arrest für Fr. 14'361.30, den das Betreibungsamt vollzog. Am 8. Februar 1995 reichte die X. Treuhand AG beim Kantonsgericht Zug, ohne vorgängig eine Betreibung einzuleiten, eine Arrestprosequierungsklage ein und verlangte gestützt auf Art. 86 SchKG die Rückzahlung des angeblich zu Unrecht bezahlten Betrages.
Mit Eingabe vom 21. Februar 1995 verlangte Z. beim Betreibungsamt die Freigabe des arrestierten Betrages von Fr. 14'361.30 mit der Begründung, der Arrest sei nicht innert Frist rechtsgültig prosequiert worden, da bis zum 20. Februar 1995 keine Betreibung eingeleitet worden sei. Das Betreibungsamt entsprach dem Gesuch nicht.
Über diese Verfügung beschwerte sich Z. bei der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Mit Urteil vom 26. April 1995 hiess die Justizkommission die Beschwerde gut und wies das Betreibungsamt an, den von ihm arrestierten Betrag an Z. freizugeben.
B.- Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, an welche die X. Treuhand AG die Sache weiterzog, hiess den Rekurs gut aus folgenden
 
Erwägungen:
a) Die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug hat das angefochtene Urteil auf BGE 34 I 849 ff. gestützt, wo entschieden worden ist, dass die Prosequierung des Arrests, wenn noch nicht Klage oder Betreibung angehoben worden ist, nur durch rechtzeitige Betreibung und nicht durch Klage erfolgen könne. Seither ist kein veröffentlichter Bundesgerichtsentscheid zu dieser Frage mehr ergangen; doch mag eine Bestätigung aus späterer Rechtsprechung herausgelesen werden (BGE 59 III 115, BGE 77 III 128 E. 2, BGE 79 III 138 E. 2, BGE 88 III 59 E. 4).
b) Der vom Bundesgericht im Jahr 1908 vertretenen Rechtsauffassung ist - wie schon im angefochtenen Urteil ausgeführt wird - von einem Teil der Lehre widersprochen worden (JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Band II, 3. Auflage Zürich 1911, N. 6 zu Art. 278 SchKG; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band II, Zürich 1993, § 60 Rz. 3; sinngemäss auch AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage Bern 1993, § 51 N. 78), während ein anderer Teil der Lehre ihr zuzustimmen scheint (BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, Bern 1911, S. 852, lit. c, Anm. 79; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Auflage Lausanne 1993, S. 390 f.; BONNARD, Le séquestre d'après la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Diss. Lausanne 1914, S. 249 f.; JUD, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Arrestrecht des SchKG, Diss. Zürich 1940, S. 81 f.; ZUPPINGER, Die Arrestprosequierungsklage nach Art. 278 Abs. 2 SchKG, ihre Normierung in den kantonalen Zivilprozessrechten, Diss. Zürich 1945, S. 6, Ziff. II; ARDINAY, Die Arrestprosequierung nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1954, S. 5 f.). Ebenso gibt es Entscheide kantonaler Instanzen, welche sich die Auffassung des Bundesgerichts - zumindest indirekt - zu eigen gemacht haben (Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern vom 14. Januar 1910, ZBJV 34/1910, S. 630; Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Dezember 1943, ZR 42/1943, Nr. 133; Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern vom 23. Februar 1967, Maximen 1967/XI, Nr. 573), wie anderseits die bündnerische Aufsichtsbehörde sich der "freieren und systemgerechteren Auffassung" angeschlossen hat, welche die Klage der Betreibung im Sinne von Art. 278 Abs. 1 SchKG gleichsetzt (BlSchK 34/1970, S. 152 ff.).
2. a) Für GILLIÉRON (a.a.O.) kommt für die Arrestprosequierung gemäss Art. 278 Abs. 1 SchKG einzig die Betreibung in Frage, weil der Arrest eine dringliche Sicherungsmassnahme im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens sei. BONNARD und JUD (a.a.O.) halten ausschliesslich die Prosequierung durch Betreibung für richtig, weil das Rechtsöffnungsverfahren für den Schuldner einfacher und mit weniger Kosten verbunden sei, da im Gegensatz zum Sühneverfahren, das in den meisten Kantonen dem ordentlichen Prozess vorangeht, keine Parteiverhandlung stattfinde. Der letztere Autor sieht sich in seiner Auffassung auch noch durch Art. 278 Abs. 4 SchKG und die Entstehungsgeschichte des Art. 278 Abs. 3 SchKG (Erwähnung der gerichtlichen Klage erst in den parlamentarischen Beratungen) bestätigt.
b) Sinn und Zweck der Prosequierung des Arrestes, der nur einstweiligen Charakter hat, liegt nun aber darin, dass der Arrestgläubiger seine Forderung binnen angemessener Fristen verfolgt. Ob er dies durch Betreibung oder Klage tut, ist von untergeordneter Bedeutung. Es ist nicht einzusehen, weshalb ausgerechnet dem Arrestgläubiger nicht, wie sonst jedem Gläubiger, die Wahl zwischen der Betreibung und der Einleitung der Forderungsklage zur Verfügung stehen sollte. Vielmehr sollte ihm in dem Fall, wo er damit rechnet, dass das gerichtliche Verfahren ohnehin unvermeidlich ist, der Umweg über die Einleitung der Betreibung erspart bleiben (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O.). Das Argument der niedrigeren Kosten für den Schuldner im Falle der Betreibung fällt dabei, wie schon JAEGER (a.a.O.) erkannt hat, kaum ins Gewicht.
In der Praxis scheint denn auch schon bisher die auf Art. 278 Abs. 1 SchKG gestützte Arrestprosequierung mittels Klage Einzug gehalten zu haben, ohne dass dies (seit 1908) zur Auseinandersetzungen geführt hätte, welche vom Bundesgericht zu entscheiden waren. Von einer solchen Praxis ist offensichtlich auch der Revisionsgesetzgeber ausgegangen, indem er mit Art. 279 Abs. 1 revSchKG die Arrestprosequierung sowohl durch Betreibung als auch durch Klage vorgesehen hat. In der Botschaft (BBl 1991 III, S. 174) wird gesagt, die Abs. 1 und 2 von Art. 279 revSchKG entsprächen inhaltlich den geltenden Abs. 1 und 2 von Art. 278 SchKG.
Obwohl das revidierte Recht im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar ist, kann kein Sinn darin gesehen werden, dass im jetzigen Zeitpunkt eine zu Beginn des Jahrhunderts begründete Rechtsprechung bestätigt wird, welche bei namhaften Vertretern der Lehre auf klare Ablehnung gestossen ist und mit dem Inkrafttreten des revidierten Rechts am 1. Januar 1997 (AS 1995, S. 1307) auf jeden Fall überholt sein wird.