BGE 128 II 187
 
24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
6A.86/2001 vom 25. Februar 2002
 
Regeste
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG, Art. 3 Abs. 1 und Art. 37 Abs. 1 VZV; Entzug des Führerausweises, Rückfall.
 
Sachverhalt
A.- X. fuhr am 15. September 2000 mit einem Personenwagen auf der Autobahn A7 mit einer Geschwindigkeit von 192 km/h und überschritt dabei die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 72 km/h. Dafür wurde er mit Strafverfügung vom 15. Januar 2001 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG (SR 741.01) zu einer Busse von Fr. 3'500.- verurteilt.
Am 9. April 1999 war ihm der Führerausweis für Motorfahrräder für die Dauer von zwei Monaten entzogen worden, weil er an zwei Mofas unzulässige Änderungen vorgenommen hatte. Einen ordentlichen Führerausweis besass er damals noch nicht.
B.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau entzog X. am 9. November 2000 wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung den Führerausweis in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG für die Dauer von sechs Monaten.
Einen Rekurs des Betroffenen wies die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau am 12. Februar 2001 ab.
C.- X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt eine Reduktion des Führerausweisentzuges auf einen bis drei Monate.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
Aus den Erwägungen:
a) Die kantonalen Instanzen gehen davon aus, es liege überdies ein Rückfall im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG vor, weshalb der Führerausweis für mindestens sechs Monate zu entziehen sei (Hauptbegründung). Denn bereits mit Verfügung vom 9. April 1999 sei dem Beschwerdeführer der Führerausweis für Motorfahrräder für die Dauer von zwei Monaten entzogen worden, weil er an zwei Mofas unzulässige Änderungen vorgenommen hatte. Dieser Entzug genüge als Grundlage für die erwähnte Rückfallschärfung.
b) Gemäss Art. 37 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) gelten der Entzug des Führerausweises für Motorfahrräder und das Fahrverbot nur für die Fahrzeugarten, für die sie in der Verfügung angeordnet sind.
Diese Bestimmung ermächtigt die Entzugsbehörde, einen Warnungsentzug für Motorfahrräder auf Motorfahrzeugkategorien auszudehnen, die in Art. 3 Abs. 1 VZV aufgeführt sind. Beim Entscheid darüber hat die Behörde abzuwägen, ob sich eine Ausdehnung auf diese Kategorien angesichts der Schwere und Art der mit dem Motorfahrrad begangenen Widerhandlung rechtfertigt. Dabei hat sie sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen, namentlich ob der fehlbare Lenker dieselbe Widerhandlung am Steuer eines Motorfahrzeugs begangen hätte, das ein höheres Gefährdungspotenzial darstellt. Eine mit einem Motorfahrrad begangene Widerhandlung, die einen Führerausweisentzug für diese Kategorie nach sich zieht, lässt indessen nicht notwendigerweise darauf schliessen, dass der Führer beispielsweise auch am Steuer eines Motorfahrzeugs der Kategorie B eine gefährliche Widerhandlung begeht (BGE 114 Ib 41 E. 3 mit Hinweisen).
Im Fall des Beschwerdeführers wäre gleichzeitig mit dem Entzug des Führerausweises für Motorfahrräder, der am 9. April 1999 angeordnet wurde, eine Ausdehnung des Führerausweisentzugs auf Motorfahrzeuge der Kategorie B nicht möglich gewesen, da der Beschwerdeführer aufgrund seines Alters noch nicht im Besitz eines solchen Ausweises sein konnte. Die Antwort auf die Frage, ob er mit einem Motorfahrzeug, das ein höheres Gefährdungspotenzial darstellt, eine zumindest gleichartige Widerhandlung wie beispielsweise das Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs (Art. 29 SVG) begangen hätte, stellt sich daher - zumindest beim Erlass einer zweiten Verfügung nach einem Jahre und sieben Monaten seit dem verfügten Führerausweisentzug für Motorfahrräder - als rein hypothetisch dar. Allein darauf lässt sich nach zutreffender Ansicht des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) die Anwendung der Rückfallbestimmung von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG mit den entsprechenden Folgen für den Betroffenen nicht begründen.
c) Nach Ansicht der Vorinstanz lässt sich das zitierte Bundesgerichtsurteil nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Denn bei Fahren in angetrunkenem Zustand im Rückfall stehe eine gesetzliche Mindestentzugsdauer von zwölf Monaten zur Diskussion, somit also ein doppelt so langes Minimum wie in Fällen wie hier.
Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Denn die doppelt so lange Mindestentzugsdauer beim Fahren in angetrunkenem Zustand im Rückfall (Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG) im Verhältnis zum Rückfall gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG erklärt sich damit, dass bereits das erstmalige Fahren in angetrunkenem Zustand eine doppelt so lange Mindestentzugsdauer zur Folge hat im Verhältnis zur Mindestentzugsdauer einer erstmaligen schwerwiegenden Verkehrsgefährdung (Art. 17 Abs. 1 lit. a und b SVG). Daraus lässt sich aber nichts ableiten zur Frage, ob der Entzug des Motorfahrradführerausweises als Grundlage für die Anwendung der Rückfallregelung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG genügt.
In diesem Zusammenhang muss zunächst unterschieden werden zwischen Motorfahrradlenkern, die einen (ordentlichen) Führerausweis der in Art. 3 Abs. 1 VZV aufgezählten Kategorien besitzen, und solchen Lenkern, die lediglich im Besitz eines Führerausweises für Motorfahrräder sind. Bei der ersten Gruppe hat die zuständige Behörde gleichzeitig mit dem Anordnen des Fahrverbots für Motorfahrräder zu entscheiden, ob diese Massnahme auch einen Führerausweisentzug der in Art. 3 Abs. 1 VZV genannten Kategorien zur Folge hat (Art. 37 Abs. 1 VZV). Bleibt es bei einem Fahrverbot für Motorfahrräder und führt die neue Widerhandlung zu einem obligatorischen Entzug des ordentlichen Führerausweises, so kommt die Rückfallregelung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG nicht zur Anwendung (BGE 114 Ib 41 E. 3 mit Hinweisen). Besitzt ein Lenker indessen lediglich einen Führerausweis für Motorfahrräder (sei es aus Altersgründen, sei es aus freiem Entschluss) und wird ihm dieser entzogen, so stellt sich die Frage einer Ausdehnung des Entzugs auf einen ordentlichen Führerausweis gar nicht. Wenn er im Nachhinein auch einen ordentlichen Führerausweis erworben und mit einem entsprechenden Fahrzeug einen obligatorischen Entzugsgrund gesetzt hat, sprechen zwei Gründe dagegen, den Entzug des Motorfahrradausweises als ausreichende Grundlage für die Anwendung der Rückfallbestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG anzusehen:
Zum einen wollte der Gesetzgeber Motorfahrradführer wegen der geringeren Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ganz allgemein weniger streng behandeln als Motorfahrzeugführer. Dies zeigt sich nur schon darin, dass die in Art. 36 Abs. 2 VZV genannten Widerhandlungen bloss fakultativ eine Administrativmassnahme zur Folge haben, während dieselben Verhaltensweisen (ausgenommen die Missachtung von Anordnungen) bei Motorfahrzeugführern obligatorisch einen Führerausweisentzug nach sich ziehen (SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III, N. 2527 mit Hinweisen). Zum andern gilt es zu bedenken, dass zur Erlangung des Führerausweises für Motorfahrräder lediglich eine vereinfachte theoretische Führerprüfung abgelegt werden muss (Art. 27 Abs. 2 VZV) und auch kein Kurs in Sachen Verkehrssinnbildung und Gefahrenlehre bzw. Fahrdynamik, Blicktechnik und Beherrschung der Fahrzeugbedienung zu absolvieren ist (Art. 17a und b VZV). Auch von daher wäre es nicht gerechtfertigt, den Motorfahrradführer, der eine weniger umfassende Ausbildung genossen hat, die gleichen Konsequenzen tragen zu lassen wie den Motorfahrzeugführer, der hinsichtlich der Gefahren im Strassenverkehr besonders sensibilisiert worden ist.
Die frühere Anordnung eines Motorfahrradausweisentzugs bzw. eines Fahrverbots für Motorfahrräder ohne Ausdehnung auf einen ordentlichen Führerausweis kann somit nicht zu einem Rückfall gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c und d SVG führen. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, wenn sie die Mindestentzugsdauer von sechs Monaten des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG zur Anwendung bringt.
d) Die Vorinstanz befürchtet, dass Administrativmassnahmen gegen minderjährige Fahrzeuglenker unberücksichtigt bleiben müssten, wenn diese mündig geworden sind. Das würde gerade bei jugendlichen Verkehrsteilnehmern der verkehrserzieherischen Konzeption des Administrativmassnahmenrechts eklatant widersprechen.
Der Einwand geht fehl. Denn der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt von den Administrativbehörden, dass sie alle wesentlichen Beurteilungsmerkmale in ihren Entscheid miteinbeziehen. Dazu gehört auch eine angemessene Beurteilung des Leumunds als Motorfahrzeugführer. Im Übrigen enthält das Strassenverkehrsrecht griffige Bestimmungen, um insbesondere charakterlich ungeeignete Bewerber eines Führerausweises von der Teilnahme am Strassenverkehr fern zu halten (vgl. z.B. Art. 14 Abs. 2 lit. d und Art. 17 Abs. 1bis SVG; Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 VZV).