BGE 108 II 81
 
14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Mai 1982 i.S. V. gegen R. (Berufung)
 
Regeste
Ehescheidung, Unterhaltsrente (Art. 151/152 ZGB).
 
Aus den Erwägungen:
3. Zu den Vermögensrechten, die durch die Scheidung beeinträchtigt werden und für die der schuldige Ehegatte dem schuldlosen nach Art. 151 Abs. 1 ZGB eine angemessene Entschädigung zu entrichten hat, gehört insbesondere der sich aus Art. 160 Abs. 2 ZGB ergebende Unterhaltsanspruch der Ehefrau gegenüber dem Ehemann (BGE 105 III 54, BGE 98 II 165, BGE 95 II 597, BGE 90 II 72 E. 4). Dabei hat sich die Ehefrau anrechnen zu lassen, was sie infolge der durch die Scheidung erfolgten Befreiung von den Pflichten aus Ehe und Haushalt durch eigene Erwerbstätigkeit verdienen kann. Dieser Grundsatz ist immerhin nicht schematisch zu handhaben; es ist zu berücksichtigen, dass eine Ehefrau, selbst wenn sie schon während der Ehe einem Beruf nachging, normalerweise damit rechnen kann, ihre Berufstätigkeit mit zunehmendem Alter einzuschränken oder ganz aufzugeben, und dass der Verdienst einer älteren Frau mit fehlender Berufsausbildung in Zeiten wirtschaftlicher Rezession erfahrungsgemäss unsicherer ist als derjenige eines Mannes (BGE 99 II 357 /358; BGE 95 II 598; BÜHLER/SPÜHLER, N. 42 zu Art. 151 ZGB). Im übrigen ist für die Bemessung der Entschädigung die Verschuldenslage, das Alter der Ehegatten, die Dauer der Ehe sowie der Gesundheitszustand und die Ausbildung des berechtigten Ehegatten massgebend (BGE 99 II 357, BGE 98 II 165 /166).
Nach den Feststellungen der kantonalen Gerichte erzielt der Beklagte einen Verdienst von monatlich Fr. 2'900.-- netto zuzüglich 13. Monatslohn. Die beiden ihm zugeteilten Söhne werden ihn nur noch während kurzer Zeit belasten, da sie bereits in der Lehre sind und ihren Lebensunterhalt bald selbst verdienen werden. Nach der allgemeinen Regel (vgl. BGE 90 II 75) steht der Klägerin bei den gegebenen Einkommens- und Familienverhältnissen grundsätzlich rund ein Drittel des ehemännlichen Einkommens zu. Dass die Klägerin gegenwärtig rund Fr. 800.-- pro Monat verdient, braucht sie sich nach dem Gesagten nicht voll anrechnen zu lassen. Bei Fortdauer der Ehe wäre sie angesichts der Einkommensverhältnisse des Beklagten kaum gezwungen gewesen, einer schlecht bezahlten und unsicheren Aushilfsbeschäftigung nachzugehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die beruflichen Aussichten der heute 48jährigen Klägerin, die nach den Akten kaum Deutsch versteht und die über keinerlei Berufsausbildung verfügt, sich mit zunehmendem Alter eher verschlechtern werden. Zieht man ferner die lange Dauer der Ehe in Betracht, so wäre eine Entschädigungsrente in der Höhe von Fr. 500.-- trotz des Mitverschuldens der Klägerin keineswegs übersetzt gewesen.
Die Vorinstanz hat die aufgrund von Art. 151 Abs. 1 ZGB geschuldete Rente nur auf Fr. 200.-- pro Monat bemessen, ohne konkret darzulegen, wie sie auf diesen Betrag gekommen ist. Anderseits hat sie der Klägerin zusätzlich eine Bedürftigkeitsrente in der Höhe von Fr. 300.-- zugesprochen. Diese kumulative Anwendung von Art. 151 und 152 ZGB erweckt Bedenken. Grundsätzlich ist der Rentenanspruch aus Art. 152 ZGB gegenüber demjenigen aus Art. 151 ZGB subsidiär. Die Zusprechung einer Bedürftigkeitsrente im Sinne von Art. 152 ZGB ist daher ausgeschlossen, wenn die grosse Bedürftigkeit des ansprechenden Ehegatten durch die Ausrichtung einer Entschädigungsrente im Sinne von Art. 151 Abs. 1 ZGB behoben werden kann (BGE 105 III 54, BGE 90 II 74 /75; BÜHLER/SPÜHLER, N. 6 zu Art. 152 ZGB). So verhält es sich hier. Die Rente hätte daher im Gesamtbetrag von Fr. 500.-- pro Monat auf Art. 151 Abs. 1 ZGB gestützt werden müssen, da Art. 152 ZGB auch nach Auffassung der Vorinstanz die Zusprechung eines höheren Betrages nicht erlaubt. Nachdem die Klägerin keine Berufung erhoben hat, muss es jedoch diesbezüglich beim angefochtenen Urteil sein Bewenden haben.