BGE 97 II 53
 
8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. März 1971 i.S. Oberholzer gegen Oberholzer.
 
Regeste
Art. 681 Abs. 1 und 683 Abs. 2 ZGB; Art. 2 Abs. 1 und 126 Abs. 3 OR.
Liegt eine übereinstimmende Willenserklärung über die Dauer des Vorkaufsrechtes nicht vor, so kann darüber nur hinweggesehen werden, wenn erwiesen ist, dass die Parteien der Befristung keine Bedeutung beigemessen haben.
Andernfalls muss die Dauer des Vorkaufsrechtes zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrages gerechnet werden, folglich vertraglich geregelt sein.
 
Sachverhalt
A.- Am 19. Mai 1951 kaufte Albert Oberholzer von seinem Vater in Seelmatten-Turbenthal ein Wohnhaus (Grundstück Nr. 820), eine Werkstätte mit Fräseschopf (Grundstück Nr. 867)
und Gartenland im Halte von insgesamt 14 Aren. Der Kauf vertrag bestimmte u.a.:
"2. Vormerkung: Vorkaufsrecht: Der Verkäufer oder der jeweilige Eigentümer seines landwirtschaftlichen Heimwesens in Seelmatten hat das Vorkaufsrecht an vorbeschriebenen Kaufsobjekten zum Selbstkostenpreis; dieses Vorkaufsrecht ist für die Dauer der nächsten zehn Jahre im Grundprotokoll vorzumerken."
Der Kaufpreis für die drei Liegenschaften, die zum väterlichen Heimwesen gehört hatten, betrug Fr. 8000.--. Nach dem Tode des Verkäufers wurde er in einem Erbteilungsprozess auf Fr. 11'500.-- festgesetzt. Das Vorkaufsrecht wurde am 19. Mai 1951 im Grundbuch vorgemerkt, am 20. Oktober 1966 infolge Zeitablaufs jedoch gelöscht.
Im Frühjahr 1967 verkaufte Albert Oberholzer die Liegenschaften Nr. 820 und 867 zum Preise von Fr. 73'000.-- an Dritte.
B.- Emil Oberholzer, der das väterliche Heimwesen am 28. September 1951 erworben hatte, klagte daraufhin gegen seinen Bruder Albert auf Bezahlung von Fr. 50'000.-- Schadenersatz. Er machte geltend, durch den Verkauf der Liegenschaften an Dritte habe der Beklagte sein Vorkaufsrecht verletzt.
Mit Vorentscheid vom 25. November 1969 stellte das Bezirksgericht Zürich fest, dass der Beklagte wegen Verletzung des Vorkaufsrechtes, das dem Kläger an den Liegenschaften 820 und 867 zustehe, schadenersatzpflichtig sei.
Auf Berufung des Beklagten hob das Obergericht des Kantons Zürich am 12. Oktober 1970 diesen Entscheid auf und wies die Klage ab. Es führt dazu insbesondere aus, nach der Rechtsprechung könne ein Vorkaufsrecht über die Frist des Art. 681 Abs. 3 ZGB hinaus begründet werden, so dass nach Ablauf von zehn Jahren, wenn das dinglich verstärkte Vorkaufsrecht dahinfalle, noch ein rein obligatorisches übrig bleibe. Dass die Parteien zwischen der obligatorischen und dinglichen Wirkung eines Vorkaufsrechtes unterscheiden und eine längere als die gesetzlich vorgesehene Laufzeit vereinbaren wollten, dürfe indes nur angenommen werden, wenn ein solcher Parteiwille aus dem Wortlaut der Vereinbarung klar hervorgehe oder sonstwie ermittelt werden könne. Das sei hier nicht der Fall.
C.- Der Kläger hat gegen dieses Urteil die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, es aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte wegen Verletzung des Vorkaufsrechtes ersatzpflichtig sei; eventuell sei die Sache zu diesem Zwecke an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Das Bundesgericht nahm zunächst an, es sei mit Art. 683 Abs. 2 ZGB unvereinbar, ein Rückkaufsrecht über die gesetzliche Dauer von zehn Jahren hinaus durch vertragliche Vereinbarung zu verlängern (BGE 49 II 335Erw. 3). Im Jahre 1927 gab es diese Auffassung, vor allem unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Art. 216 Abs. 2 und 3 OR, auf und erklärte, die zehnjährige Frist der Art. 681 Abs. 1 und 683 Abs. 2 ZGB gelte nur für die verstärkte Wirkung gegenüber Dritten, nicht auch für die Wirkung unter den Vertragsparteien und ihren Rechtsnachfolgern. Vorkaufs-, Kaufs- und Rückkaufsrechte könnten deshalb - im Rahmen der Art. 2 und 27 ZGB, wie später verdeutlicht wurde - grundsätzlich auf unbeschränkte Zeit begründet werden (BGE 53 II 394Erw. 3).
An dieser Rechtsprechung wurde bis in die neueste Zeit festgehalten (BGE 71 II 165Erw. 3,BGE 73 II 160, BGE 87 II 361, BGE 89 I 505 Erw. 2). In der Lehre und im Schrifttum wird sie jedenfalls dem Grundsatze nach mehrheitlich gebilligt (vgl. insbesondere MEIER-HAYOZ, N. 311 bis 319 zu Art. 681, N. 40 zu Art. 683 ZGB; HAAB, N. 24 zu Art. 681/82 und N. 2 zu Art. 683 ZGB; LEEMANN, 2. Auflage, N. 25 zu Art. 681 und N. 19 zu Art. 683 ZGB; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 26 zu Art. 216 OR; JÄGGI, Über das vertragliche Vorkaufsrecht, Schweiz. Zeitschrift für Beurkundungs- und Grundbuchrecht 1958 S. 65 ff.). Kritisiert oder angezweifelt worden ist die angeführte Rechtsprechung dagegen von BECKER (N. 9 zu Art. 216 OR), LIVER (Kommentar zum Sachenrecht, N. 138 ff. der Einleitung) und MERZ (Zur zeitlichen Begrenzung des Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrechts, in der Festgabe Simonius, Basel 1955, S. 235 ff.). Zu dieser Kritik Stellung zu nehmen, besteht im vorliegenden Fall indes kein Anlass, da es so oder anders beim angefochtenen Urteil bleibt.
3. Nach Art. 2 Abs. 1 OR ist ein Vertrag nur zustande gekommen, wenn sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte geeinigt haben. Zu diesen gehören in erster Linie die begriffsnotwendigen Bestandteile eines bestimmten Vertragstypus, die essentialia negotii. Als wesentlich gelten ferner jene Vertragspunkte, die den Parteien gleich wichtig sind wie die essentialia, von denen also anzunehmen ist, dass eine Partei den Vertrag ohne Einigung darüber nicht geschlossen hätte (BGE 68 II 233Erw. 1 und dort angeführte Lehre und Rechtsprechung). Ob letzteres zutreffe oder nicht, lässt sich entweder auf Grund tatsächlicher Feststellungen über die Auffassung der Parteien oder, falls es an solchen Feststellungen fehlt, nach der Verkehrsauffassung oder der Lage der Dinge, insbesondere der Bedeutung der zeitlichen Begrenzung im Einzelfall, entscheiden (BGE 71 II 270Erw. 3 c).
Die Dauer des Vorkaufsrechtes ist für den Belasteten von grosser wirtschaftlicher Bedeutung. Das gilt besonders dann, wenn es sich um ein limitiertes Vorkaufsrecht handelt, bei dem für die Geltendmachung des Rechtes im voraus gewisse Bedingungen, namentlich der Kaufpreis, festgelegt werden. Es darf nicht leichthin angenommen werden, der Belastete habe es auf unbestimmte Zeit einräumen wollen. Liegt eine übereinstimmende Willensäusserung über die Dauer des Vorkaufsrechtes nicht vor, so kann darüber nur hinweggesehen werden, wenn erwiesen ist, dass die Parteien der Befristung keine Bedeutung beigemessen haben, den Vertrag also auch in der Annahme, dass das Vorkaufsrecht während unbestimmter Zeit oder doch über die zehnjährige Frist des Art. 681 Abs. 3 ZGB hinaus bestehe, geschlossen hätten; andernfalls muss die Dauer des Vorkaufsrechtes zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrages im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OR gerechnet werden, folglich vertraglich geregelt sein.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass dem Vorkaufsrecht ein durch die Gestaltungserklärung des Berechtigten bedingter Kaufvertrag zugrunde liegt (BGE 86 II 36, BGE 88 II 159) und Ansprüche aus diesem Vertragsverhältnis bis zum Eintritt des Vorkaufsfalles, der die Frist von einem Monat zur Ausübung des Rechtes auslöst, nicht verjähren können. Es verhält sich also ähnlich wie bei einem Dauerschuldverhältnis, obwohl keine Verpflichtung zu einem dauernden Verhalten oder zu wiederholten Leistungen während eines bestimmten oder unbefristeten Zeitabschnittes vorliegt. Entgegen OSER/SCHÖNENBERGER (N. 26 zu Art. 216 OR) lässt sich daher nicht sagen, auch für das Vorkaufsrecht gelte der Satz, dass obligatorische Verhältnisse ohne ausdrückliche Bestimmung (vor ihrer Fälligkeit). keiner zeitlichen Beschränkung unterliegen. Das mag für Verpflichtungen zu einer einmaligen Leistung zutreffen, genügt aber nicht zur Annahme, bei fehlender Willenserklärung der Parteien über die Dauer des Vorkaufsrechtes bestehe dieses unter Vorbehalt der Art. 27 ZGB und 20 OR zeitlich unbeschränkt weiter. Gerade weil die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorkaufsrecht unvollkommen sind, muss Gewicht auf die vertragliche Regelung seiner zeitlichen Dauer gelegt werden. Dazu besteht umsomehr Anlass, als obligatorische Verpflichtungen sonst nicht auf unbestimmte Zeit vereinbart (MERZ, N. 246 und 332 zu Art. 2 ZGB), sondern nach angemessenem Zeitablauf durch Kündigung oder Rücktritt aufgelöst werden können (VON TUHR/SIEGWART, S. 610 Anm. 51; vgl. auch SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Vorbem. zu Art. 1 OR N. 101 und BGE 93 II 300 f. Erw. 7 und 8).
Für die Notwendigkeit einer vertraglichen Regelung spricht auch der Wortlaut des Art. 681 Abs. 3 ZGB, wonach das Vorkaufsrecht "in jedem Fall" mit Ablauf von zehn Jahren seit der Vormerkung erlischt. Wenn dieses Recht nach der hiervor angeführten Rechtsprechung in obligatorischer Hinsicht trotzdem auf länger als zehn Jahre, ja sogar auf unbestimmte Zeit begründet werden darf, ist es nicht abwegig zu verlangen, dass der Vertrag über diesen Punkt eine übereinstimmende Willensäusserung der Parteien enthalte. Dann aber unterliegt auch diese Abrede dem Formzwang des Art. 216 Abs. 3 OR, und der Berechtigte kann sich nicht darauf berufen, mangels anderer Abrede sei das Vorkaufsrecht auf unbeschränkte Zeit begründet worden (BGE 81 II 507 und dort angeführte Urteile; vgl. auch BGE 87 II 30 Erw. 3 und BGE 90 II 24).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 12. Oktober 1970 bestätigt.