BGE 85 II 504
 
73. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. September 1959 i.S. Peer gegen Flachsmann.
 
Regeste
1. Klage als verjährungsunterbrechender Akt. Wirkungen. Art. 135, 137, 138 OR (Erw. 3, a).
3. Mangelnde Vertretung der Ehefrau durch den Ehemann - hier auf beklagter Seite - im Streit mit Dritten um das eingebrachteGut (Art. 168 Abs. 2 ZGB) als verbesserlicher Fehler der Klage (Erw. 3, b).
 
Sachverhalt
Aus dem Tatbestand:
A.- Frau Nicolina Peer-Leva ist die Schwester des am 18. Februar 1931 in seinem Wohnsitz- und zweiten Heimatkanton Tessin verstorbenen Dr. Johann Leva-Poppe, der seine Ehefrau Rosa Leva-Poppe als Alleinerbin eingesetzt hatte. Nach tessinischem Recht stand der Schwester kein Pflichtteilsanspruch zu. Frau Leva-Poppe, die am 1. Februar 1940 starb, hinterliess gesetzliche Erben ihres elterlichen Stammes. Zugunsten der Schwägerin Nicolina Peer-Leva hatte sie letztwillig nur verfügt, es seien ihr die Papiere des Dr. Leva-Poppe aus der Studienzeit usw. zu überlassen. Frau Peer berief sich indessen bei dem von der Erblasserin eingesetzten Willensvollstrecker W. Flachsmann auf mündliche Schenkungsversprechen der Erblasserin. Hierauf fanden sich die gesetzlichen Erben bereit, ihr aus der Erbschaft Fr. 10'000.-- abzüglich Steuern, netto Fr. 9000.--, zu überweisen.
B.- Auf den Namen der Frau Peer war am 24. Januar 1940, etwa eine Woche vor dem Tode der Erblasserin, bei einer Luganer Bank ein Sicherheitsfach gemietet worden, worin man einige aus dem Vermögen der Erblasserin stammende Royal-Dutch-Aktien verwahrte. Diese Aktien wurden im Erbschaftsvermögen vermisst. In einem im Jahre 1948 angehobenen, im Februar 1949 dann aber eingestellten Strafverfahren erklärte Frau Nicolina Peer-Leva, die erwähnten Aktien von der Erblasserin als Geschenk bekommen und im Herbst 1942 weiterverkauft zu haben.
C.- Im Mai 1949 klagte der Willensvollstrecker gegen Frau Peer beim Bezirrksgericht Inn a) auf Bezahlung von Fr. 14'875.--, nämlich des Wertes der aus dem Vermögen der Erblasserin stammenden Royal-Dutch-Aktien, nebst Zins, und b) auf Rückerstattung der ihr aus der Erbschaft überwiesenen Fr. 10'000.--, nebst Zins seit dem jeweiligen Empfang der Teilbeträge. Die Beklagte trug auf Abweisung der Klage an. Das Gericht führte ein Beweisverfahren durch. Nach 4 1/2- jähriger Prozessdauer trat es mit Urteil vom 9./10. November 1953 nicht auf die Klage ein, weil weder im Leitschein noch in der Klage der Ehemann der Beklagten als deren gesetzlicher Vertreter nach Art. 168 Abs. 2 ZGB erwähnt war. Es handle sich um eingebrachtes Frauengut, so dass diese Vertretung unerlässlich gewesen wäre. Und zwar hätte sie schon im Leitschein berücksichtigt werden müssen, der die massgebende Prozessgrundlage bilde.
Gegen diesen Nichteintretensentscheid erklärte der Kläger die Appellation, zog sie aber am 1. Juni 1954 zurück, worauf das Kantonsgerichtspräsidium sie durch "Erkenntnis" vom 12. Juni, den Parteien mitgeteilt am 2. Juli 1954, als durch Rückzug erledigt am Gerichtsprotokoll abschrieb.
D.- Am 29. Oktober 1954 machte der Willensvollstrecker eine neue Klage gegen dieselbe Beklagte hängig, die er diesmal als durch ihren Ehemann gesetzlich vertreten bezeichnete. Die Beklagte erhob insbesondere die Einrede der Verjährung. Das Kantonsgericht von Graubünden, dem die Parteien nach einer Prozessdauer von mehreren Jahren die Entscheidung übertragen hatten, wies diese Einrede mit Urteil vom 10. November 1958/30. Januar 1959 ab und verpflichtete die Beklagte zum Wertersatz von Fr. 14'875.-- für die Royal-Dutch-Aktien und zur Rückerstattung des aus der Erbschaft erhaltenen Betrages von Fr. 9000.--, je nebst Zins.
E.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit den Anträgen: 1. das angefochtene Urteil sei aufzuheben; 2. auf die Klage sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen...
Der Kläger trägt auf Abweisung der Berufung und auf Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Die erste Klageforderung geht auf Ersatz des Wertes der aus dem Vermögen der Erblasserin stammenden Royal-Dutch-Aktien. Der Beklagten wird vorgehalten, sie habe sich diese Aktien widerrechtlich angeeignet. Es handelt sich somit um eine Forderung aus Art. 41 OR, die der Verjährung nach Art. 60 OR unterliegt. In zweiter Linie wird Rückerstattung einer der Beklagten aus der Erbschaft zugewendeten Summe von Fr. 9000.-- verlangt. In dieser Beziehung wird behauptet, eine allfällige Schenkung sei ungültig, somit bestehe ein Bereicherungsanspruch aus Art. 62 OR, für dessen Verjährung Art. 67 OR gilt. Im übrigen wird Unverbindlichkeit der Vereinbarung über die Bezahlung dieser Fr. 9000.-- geltend gemacht, eine Frage, die durch die Art. 23 ff., namentlich 28 OR (in Verbindung mit Art. 67 OR hinsichtlich der Verjährung), und durch Art. 251 OR geregelt ist. Alle drei Klagegründe unterliegen der Verjährung von der Dauer eines Jahres...
Im einen wie im andern Klagepunkt hatte der Kläger die zum Lauf der einjährigen Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis des Sachverhaltes schon im Herbst 1948.
3. Als erste verjährungsunterbrechende Handlung zieht das Kantonsgericht die am 11. Mai 1949 eingeleitete Klage in Betracht. Es geht sodann stillschweigend davon aus, während der ganzen Dauer dieses ersten Prozesses sei keine Verjährung eingetreten, und stellt fest, jene Klage sei "mit dem Rückzug der Appellation beim Kantonsgericht unter dem Mitteilungsdatum vom 2. Juli 1954 erledigt worden". Hernach habe der Kläger "bereits am 29. Oktober 1954" - gemeint ist offenbar: vor Ablauf eines weitern Jahres - den Streit gegen die Beklagte von neuem anhängig gemacht. Und schliesslich wird erklärt, das Prorogationsverfahren vor Kantonsgericht (gemäss Vereinbarung der Parteien vom 24./25. Juni 1958) fusse auf dieser Klageanmeldung. Darin kommt nochmals die Ansicht zum Ausdruck, während der Prozesshängigkeit könne keine Verjährung eingetreten sein.
Diese Betrachtungsweise erweckt Bedenken verschiedener Art:
a) Geht man für einmal mit der Vorinstanz davon aus, die Klageeinleitung vom 11. Mai 1949 habe trotz dem ihr anhaftenden Mangel, der zum Nichteintreten führte und den Kläger zu einem von vorne anzuhebenden zweiten Rechtsstreit veranlasste, die Verjährung mit voller Wirkung gemäss Art. 135 Ziff. 2 und Art. 137 Abs. 1 OR zu unterbrechen vermocht, so ergibt sich doch aus der letztern Vorschrift, dass die Unterbrechung nicht von Dauer sein konnte. Das Gesetz kennt keine anhaltende Unterbrechung der Verjährung. Der Unterbrechungsakt hindert nur die Vollendung der laufenden, lässt aber sogleich eine neue Verjährung beginnen. Dass es auch bei gerichtlicher Klage so ist, ergibt sich namentlich aus Art. 138 Abs. 1 OR: Danach beginnt im Verlaufe des Rechtsstreites mit jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters die Verjährung von neuem. Diese Regelung geht offensichtlich dahin, dass die Klage (anders als nach § 211 Abs. 1 des deutschen BGB) nur die laufende Verjährung unterbricht und gemäss Art. 137 Abs. 1 OR eine neue Verjährung in Gang setzt, die sich noch während der Prozessdauer vollendet, sofern sie nicht jeweilen rechtzeitig gemäss Art. 138 Abs. 1 OR unterbrochen wird. Von gerichtlicher Sistierung des Prozesses, wobei die Verjährung unterbrochen geblieben wäre (vgl.BGE 75 II 232), ist im vorliegenden Fall nicht die Rede. Angesichts der langen Dauer des ersten Verfahrens vor dem Bezirksgericht Inn hätte das Kantonsgericht somit allen Grund gehabt, zu untersuchen, ob auf die von ihm als voll wirksamer Verjährungsunterbrechungsgrund berücksichtigte erste Klage (was nach dem soeben Gesagten nur im Sinne von Art. 137/138 OR gelten konnte) jeweilen vor Ablauf der neuen Verjährungsfrist eine unterbrechende Handlung erfolgt sei. Sollte dies zutreffen, so stellte sich dieselbe Frage für den vorliegenden zweiten, im Oktober 1954 angehobenen und erst im Juni 1958 durch Prorogation vor das Kantonsgericht gebrachten Rechtsstreit. Indessen braucht die Sache nicht zu ergänzender Prüfung des Prozessverlaufes an das Kantonsgericht zurückgewiesen zu werden, da die Verjährungseinrede ohnehin aus andern Gründen zu schützen ist.
b) Zur Unterbrechung der Verjährung nach den erwähnten Bestimmungen ist nämlich entgegen der Ansicht des Kantonsgerichts nur eine bei der zuständigen Behörde und in gültiger Form erhobene Klage geeignet. Wird die Klage wegen Fehlens einer dieser Eintretensvoraussetzungen (oder, was im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt, als vorzeitig) zurückgewiesen, so erwächst dem Kläger keine neue Verjährungsfrist (von gleicher Dauer gemäss Art. 137 Abs. 1 OR), sondern bloss eine von der Klagerückweisung bzw. von deren Mitteilung oder Rechtskraft an zu datierende Nachfrist von 60 Tagen (Art. 139 OR). Diese Vorschrift geht offenbar davon aus, dass die nicht beim zuständigen Richter oder nicht in gültiger Form angehobene und deshalb nicht einlässlich beurteilte, sondern zurückgewiesene Klage die bei ihrer Erhebung laufende Verjährungsfrist nicht wie eine prozessual einwandfreie Klage zu unterbrechen vermochte. Eben deshalb sieht sie die Nachfrist für den Fall vor, dass "die Verjährungsfrist unterdessen abgelaufen ist". Ob die Verjährung infolge dieses Fristablaufs zunächst eintrete, dem Kläger dann aber eine von der Rückweisung der Klage bzw. von deren Mitteilung oder Rechtskraft an zu datierende neue Frist offen stehe (so VON TUHR, Allgemeiner Teil des OR, § BGE 81 II 3, ähnlich BECKER, N. 1 zu Art. 139 OR), oder ob der prozessual mangelhaften Klage zwar nicht die Verjährung unterbrechende, aber doch deren Ablauf hemmende Wirkung mit Vorbehalt der in Frage stehenden Nachfrist zukomme (so OSER-SCHÖNENBERGER, N. 3 zu Art. 139 OR; vgl. auchBGE 38 II 515), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist die prozessual mangelhaft erhobene und daher zurückgewiesene Klage nach der gesetzlichen Ordnung nicht geeignet, die Verjährung zu unterbrechen und eine neue Verjährung von normalerweise nach Art. 137 Abs. 1 OR gleicher Dauer in Lauf zu setzen; sie vermag aber die Wirksamkeit einer mangels Unterbrechung eintretenden Verjährung in der Schwebe zu halten im Hinblick auf die Nachfrist, deren Benützung durch eine prozessual einwandfreie Anspruchserhebung den Mangel der frühern Klage hinsichtlich der Verjährungsunterbrechung heilt. Darüber herrscht der Sache nach Einigkeit, wie auch immer man die Nachfrist des Art. 139 OR in das Gefüge der die Verjährung ordnenden Regeln einreihen mag (vgl. ausser den bereits erwähnten Autoren JEAN-ALBERT WYSS, La péremption dans le Code civil suisse, S. 100 ff.; CH. RATHGEB, L'action en justice et l'interruption de la prescription, in Mélanges François Guisan, S. 235 ff.; Urteil des bernischen Appellationshofes vom 30. Oktober 1947, ZbJV 84 S. 490 ff.).
Laut der den ersten Prozess abschliessenden, infolge Rückzuges der Appellation rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bezirksgerichts Inn vom 9./10. November 1953 konnte auf die Klage nicht eingetreten werden, weil die Beklagte nicht gesetzlich vertreten war. Der Rechtsstreit betraf ihr eingebrachtes Gut; sie hätte daher nach Art. 168 Abs. 2 ZGB durch den Ehemann vertreten sein müssen. Dabei handelte es sich nicht um die Passivlegitimation. Als beklagte Partei war, wie das Bezirksgericht ausführt, zutreffenderweise die Ehefrau bezeichnet, sie bedurfte aber im Rechtsstreite der Vertretung durch den Ehemann (vgl.BGE 51 II 272). Und zwar gebot das Prozessrecht des Kantons Graubünden, wie das Urteil weiterhin darlegt, die Einbeziehung des Ehemannes in dieser Eigenschaft bereits im Vermittlungsverfahren, also im Leitschein. Im spätern Verfahren konnte dieser Mangel nicht mehr behoben werden, so dass das Nichteintreten unvermeidlich war (was man freilich nicht sogleich erkannt hatte).
Das Fehlen einer gültigen bzw. einer gesetzlich gebotenen Vertretung ist ein formeller Mangel der Klage im Sinne von Art. 139 OR. Auch die fehlende Vertretung der beklagten Partei kommt hiebei in Betracht, wenn es nach dem kantonalen Prozessrecht dem Kläger obliegt, dafür zu sorgen, dass sie erfolge, insbesondere wenn er nach zwingender Prozessregel eine gesetzlich gebotene Vertretung der beklagten Partei gleich bei Anhebung des Rechtsstreites zu berücksichtigen hat, d.h. die Klage nicht einfach gegen die der Vertretung bedürftige beklagte Partei als solche richten darf, sondern neben ihr den zu ihrer Vertretung berufenen Dritten zu nennen hat. Anderseits hat man es trotz der Strenge des vom Bezirksgericht Inn in seinem Nichteintretensurteil angewendeten prozessualen Gebotes, das ein Nachholen des im Vermittlungsverfahren Versäumten nicht zuliess, mit einem "verbesserlichen" Fehler im Sinne von Art. 139 OR, d.h. mit einem die neue Anspruchserhebung nicht ausschliessenden Fehler zu tun (vgl. CH. RATHGEB, a.a.O., S. 269 ff.).
Zu solchem Vorgehen stand aber dem Kläger, wollte er die neue Klage nicht der Gefahr einer begründeten Verjährungseinrede aussetzen, nur eben die Nachfrist von 60 Tagen nach Art. 139 OR zur Verfügung. Er hat sie versäumt, gleichgültig ob man als massgebenden, die Frist in Gang setzenden Akt der Prozesserledigung den Rückzug der gegen den Nichteintretensentscheid eingelegten Appellation oder erst die Mitteilung des auf diesen Rückzug gestützten oberinstanzlichen Abschreibungsbeschlusses betrachtet. Auch wenn man vom letztern Datum des 2. Juli 1954 ausgeht, war die Frist nicht mehr gewahrt durch die erst am 29. Oktober 1954, also nach 119 Tagen, eingeleitete neue Klage. Somit ist die Verjährungseinrede zu Recht erhoben worden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 10. November 1958/30. Januar 1959 aufgehoben und die Klage abgewiesen.