BGE 80 II 123
 
20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Juli 1954 i.S. Lederer gegen Allgemeine Unterstützungs-Institution des Schweiz. Lithographenbundes.
 
Regeste
Genossenschaftsrecht.
1. Der Rentenanspruch ist kein Abfindungsanspruch i.S. von Art. 864 OR (Erw. 2).
2. Die statutarisch vorgesehene Verwirkung des Rentenanspruchs ist keine Konventionalstrafe (Erw. 3 a und b).
3. Ungültigkeit der Verwirkungsbestimmung unter dem Gesichtspunkt der guten Sitten, Art. 19, 20 OR (Erw. 3 c und d).
4, Tragweite der Statutenbestimmung, dass nach dem Ausland keine Renten ausbezahlt werden (Erw. 5).
 
Sachverhalt
A.- Lukas Lederer, geb. 1878, deutscher Staatsangehöriger, war seit 1903 - mit Ausnahme der Jahre 1908/09 - Mitglied des Schweiz. Lithographenbundes (SLB), der eine in die Rechtsform der Genossenschaft gekleidete Gewerkschaft ist.
Der SLB unterhält zur Erreichung seiner Zwecke u.a. eine "Allgemeine Unterstützungs-Institution des SLB" (AUI). Diese ist eine selbständige Genossenschaft, deren Organe aber mit denjenigen des SLB identisch sind (Art. 91 Statuten SLB). Die Mitgliedschaft bei der AUI ist für die Mitglieder des SLB obligatorisch (Art. 10 und 91 Statuten SLB). Der Austritt oder Ausschluss eines Mitgliedes aus dem SLB zieht auch den Austritt oder Ausschluss aus der AUI nach sich, mit der Folge, dass jedes Anspruchsrecht gegenüber dem Verband und seinen Institutionen erlischt; eine Rückvergütung einbezahlter Beiträge findet grundsätzlich nicht statt (Statuten SLB Art. 20, 95; AUI Art. 6). Die Ausschlussgründe sind in Art. 17 der Statuten des SLB aufgezählt; nach dessen lit. f kann ein Mitglied ausgeschlossen werden, "wenn es Handlungen begeht, welche die Interessen des Verbandes schädigen und den Grundsätzen desselben zuwiderlaufen". Das Ausschlussverfahren ist in Art. 17/18 der Statuten des SLB geregelt. Danach kann der Zentralvorstand auf Antrag einer Sektionsversammlung oder von sich aus ein Mitglied ausschliessen. Dem auszuschliessenden Mitglied steht das Recht zu, in der Sektionsversammlung, zu der es schriftlich unter Bekanntgabe der Umstände eingeladen werden muss, sich zu verteidigen. Gegen den Ausschluss kann es beim Zentralvorstand innert 4 Wochen den Entscheid der nächsten Delegiertenversammlung anrufen. Nach Art. 37 der Statuten des SLB und Art. 17 derjenigen der AUI müssen Anträge, die an der alljährlich im Mai stattfindenden Delegiertenversammlung zur Behandlung kommen sollen, bis Ende Februar dem Zentralvorstand eingereicht werden. Nach Art. 33 Ziff. 11 der Statuten des SLB und Art. 13 Ziff. 10 der Statuten der AUI ist die Delegiertenversammlung befugt, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen.
Die AUI umfasst neben andern Kassen auch eine Invaliden- und Altersunterstützungskasse (Statuten SLB Art. 4 IV, AUI Art. 3). Zweck dieser Kasse ist nach Art. 30 der Statuten der AUI, die Mitglieder im Invaliditätsfalle oder im Alter von über 60 Jahren zu unterstützen. Die Mitglieder bezahlen in die Kasse je nach ihrem Eintrittsalter wöchentliche Beiträge von Fr. 3.50 bis 4.-. Sie erhalten im Invaliditätsfalle oder nach dem 60. Altersjahr bei Einstellung der Berufsarbeit eine Unterstützung, die je nach der Zahl der geleisteten Beiträge abgestuft ist und wöchentlich Fr. 9.- bis 36.- beträgt.
Lederer bezog ab 1938, nach Erreichung des 60. Altersjahres, eine Unterstützung von wöchentlich Fr. 26.50.
Durch BRB vom 29. Mai 1945 wurde Lederer aus der Schweiz ausgewiesen, weil er Mitglied der NSDAP sowie Obmann und Kassenleiter der Deutschen Arbeitsfront Olten war und sich als Denunziant betätigt hatte. Er verliess am 20. August 1945 die Schweiz.
Die Delegiertenversammlung des SLB und der AUI vom 2./3. Juni 1945 beschloss nach einlässlicher Diskussion: "Die von den Behörden des Landes verwiesenen Mitglieder des SLB gehen sämtlicher Rechte unserer Unterstützungs-Institution verlustig". Dieser Beschluss wurde ohne Vorankündigung und in Abwesenheit Lederers unter dem Traktandum "Aktuelle Fragen" gefasst.
Gestützt auf den Beschluss der Delegiertenversammlung verweigerte die AUI die Auszahlung weiterer Unterstützungen an Lederer. Dieser erkundigte sich mit Schreiben vom 10. Juli 1945 beim SLB unter Bezugnahme auf eine vorangegangene Besprechung nach den Gründen, aus denen ihm die weitere Unterstützung verweigert werde, und bemerkte, die Delegiertenversammlung sei nicht zuständig, einem Mitglied seine Unterstützungen zu entziehen, die es sich durch seine Beitragsleistungen erworben habe.
Der Präsident der Sektion Zofingen des SLB, Lorenz, bestätigte Lederer mit Schreiben vom 12. August 1945, dass er weiterhin keine Unterstützung mehr zu beziehen habe und dass bei einer Erkundigung bei der schweizerischen Bundesanwaltschaft wohl genügend Material zu Tage träte, um seinen Ausschluss aus dem SLB zu rechtfertigen. Ebenso teilte der Zentralvorstand am 18. August 1945 Lederer mit, er erhalte die Unterstützung noch bis zum 18. August 1945 und fügte bei: "Als Mitglied des Lithographenbundes werden Sie ab 18. August 1945 abgemeldet".
Lederer, der seit 1945 in Gottmadingen (Baden) wohnt und auf öffentliche Unterstützung angewiesen ist, unternahm in den Jahren 1948 und 1951/53 erfolglose Bemühungen, um die weitere Auszahlung der Unterstützungsleistungen der AUI zu erwirken.
B.- Am 22. April/11. Juli 1953 erhob Lederer gegen die AUI des SLB Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung der seit 1945 aufgelaufenen Rentenbeträge und zur Ausrichtung der Rente auf seine Lebensdauer.
Zur Begründung machte der Kläger im wesentlichen geltend, er sei immer noch Mitglied des SLB, da ein Ausschliessungsbeschluss nie erfolgt sei; auf jeden Fall sei ihm ein solcher nie mitgeteilt worden. Eventuell sei der Beschluss der Delegiertenversammlung von 1945 nicht rechtsgültig, weil er nicht im statutarisch vorgeschriebenen Verfahren zustande gekommen sei. Weiter eventuell nahm er den Standpunkt ein, der Rentenanspruch könne ihm selbst dann nicht entzogen werden, wenn er tatsächlich und zu Recht aus dem SLB ausgeschlossen worden sein sollte.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil der Kläger zu Recht und statutengemäss aus dem SLB ausgeschlossen worden sei, was den Verlust aller Ansprüche gegenüber der Beklagten nach sich gezogen habe.
C.- Bezirksgericht und Obergericht Zürich, dieses mit Urteil vom 3. Dezember 1953, wiesen die Klage ab.
Das Obergericht nahm mit der I. Instanz an, durch den Beschluss der Delegiertenversammlung von 1945 sei der Kläger seiner Mitgliedschaft beim SLB und bei der Beklagten verlustig erklärt worden. Dieser Beschluss sei dem Kläger zur Kenntnis gelangt und von ihm auch als Ausschluss aufgefasst worden. Im Gegensatz zur I. Instanz entschied das Obergericht jedoch, dass der Beschluss an einem formellen Mangel gelitten habe, da entgegen den statutarischen und gesetzlichen Vorschriften der Delegiertenversammlung nicht angekündigt worden sei, dass über den Ausschluss von Mitgliedern beschlossen werden solle. Entgegen der Meinung des Klägers habe dieser Mangel aber nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit des Beschlusses bewirkt. Mangels rechtzeitiger Anfechtung durch den Kläger habe der Beschluss dann aber doch Gültigkeit erlangt. Dass Gericht habe daher die materielle Begründetheit des Ausschlusses, die übrigens nicht zweifelhaft sei, nicht zu überprüfen. Der Ausschluss des Klägers ziehe nach den Statuten des SLB und der Beklagten den Verlust aller Ansprüche nach sich. Das Obergericht verwarf schliesslich auch den Eventualstandpunkt des Klägers, dass er trotz rechtsgültigem Ausschluss gleichwohl Anspruch auf die streitige Rente habe; denn es handle sich nicht um einen vertraglichen Versicherungsanspruch, sondern um ein zusätzliches genossenschaftliches Beteiligungsrecht vermögensrechtlicher Art, das nach den Statuten bei Verlust der Mitgliedschaft ebenfalls untergehe.
D.- Mit der vorliegenden Berufung hält der Kläger an seinen vor den kantonalen Instanzen gestellten Begehren fest.
Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Das ist unzweifelhaft der Fall, soweit irgendwelche Ansprüche eines ausscheidenden Genossenschafters auf Anteil am Genossenschaftsvermögen als solchem in Frage stehen. Denn gleich wie Art. 73 Abs. 1 ZGB im Bereich des Vereinsrechts, so schliesst auch bei der Genossenschaft Art. 865 Abs. 1 OR (unter Vorbehalt des hier nicht in Betracht kommenden Sonderfalles von Art. 865 Abs. 2) einen Abfindungsanspruch des Ausscheidenden grundsätzlich mangels gegenteiliger Statutenbestimmung (Art. 864 OR) aus. Ein Abfindungsanspruch steht somit dem Kläger nach Gesetz wie nach den Statuten nicht zu.
b) Nun macht aber der Kläger keinen Abfindungsanspruch am Genossenschaftsvermögen geltend, sondern einen Rentenanspruch, für dessen Erlangung er während 33 Jahren Beiträge geleistet hat, der sogar im Dezember 1938 fällig geworden und von diesem Zeitpunkt an bis im Sommer 1945 von der Beklagten erfüllt worden ist. Die Vorinstanz erklärt indessen (Urteil S. 17 f.), der Kläger verlange damit gleichwohl nur einen "Anteil am Vermögen der Beklagten". Dieser Einwand schlägt jedoch nicht durch.
Die Invaliden- und Altersunterstützungskasse der Beklagten hat unstreitig die Aufgabe einer Pensionskasse für invalide oder den Beruf altershalber nicht mehr ausübende Mitglieder. Ihr gehören ausschliesslich die Mitglieder des SLB an, die ausnahmslos Arbeitnehmer sind, und diese allein finanzieren die Kasse durch ihre statutarisch festgesetzten Beiträge. Diese genossenschaftliche Pensionskasse ist eine - wenn auch nicht konzessionspflichtige - Versicherung im weiteren Sinn. Denn bei ihr sind alle wesentlichen Merkmale einer Versicherung im weiteren Sinn vorhanden: planmässiger Betrieb; einheitlich festgesetzte Leistungen der Mitglieder an die Kasse und der Kasse bei Invalidität und Alter der Mitglieder; zeitlich unbegrenzter Betrieb (vgl.BGE 76 I 368).
Das zwischen dem Mitglied und der Kasse bestehende Versicherungsverhältnis ist nun allerdings ein Ausfluss der Mitgliedschaft beim Verband, der die Pensionskasse im Rahmen seiner Zwecke unterhält. Hieraus folgt, dass der eingeklagte Rentenanspruch des Klägers nicht vertraglicher Natur ist; er beruht nicht auf einem selbständigen Versicherungsvertrag, sondern auf der Mitgliedschaft beim SLB. Das Versicherungsverhältnis bildet deshalb einen vermögensrechtlichen Bestandteil der Mitgliedschaft, wie die Vorinstanz an sich zutreffend annimmt.
Das schliesst aber nicht aus, dass ein Forderungsanspruch aus diesem Versicherungsverhältnis nicht rechtlich selbständig werden könne, und ebensowenig folgt daraus, dass dieser Anspruch stets mit der Mitgliedschaft verbunden bleiben muss, also verloren geht, wenn die Mitgliedschaft dahinfällt. Eine Leistungspflicht, die einmal entstanden ist - hier entstand sie mit der Erreichung der Altersgrenze und gleichzeitigem Verzicht auf Berufsausübung seitens des Klägers im Jahre 1938 -, ist selbständiger Natur, auch wenn sie auf mitgliedschaftlicher Grundlage beruht (so auch EGGER, ZGB Art. 73 N. 2 in Bezug auf noch während der Mitgliedschaft festgesetzte Dividenden). Vom Eintritt des Versicherungsfalles an besitzt das Mitglied eine Forderung auf Leistung der Renten, die mit der Entstehung der Rentenberechtigung selbständigen Charakter erlangt hat und die Eigenschaft eines wohlerworbenen Rechts (BGE 61 II 171ff.) besitzt. Ein solcher zu einer selbständigen Forderung gewordener Anspruch stellt aber keinen Abfindungsanspruch im Sinne von Art. 864/65 OR gegenüber dem Vermögen der Genossenschaft dar, auch wenn die Genossenschaft Schuldner ist und diesen Anspruch aus ihrem Vermögen befriedigen muss.
c) Diese Überlegung findet eine Bestätigung in der Regelung, die das Gesetz in Art. 862 Abs. 4 und Art. 673 Abs. 4 OR für die Rechtsstellung der aus einem Wohlfahrtsfonds begünstigten Arbeitnehmer einer A.-.G. oder einer Genossenschaft vorsieht. Solche Wohlfahrtsfonds sind bekanntlich häufig reine Pensionskassen. Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes können sie nicht bloss in der Rechtsform einer Stiftung, sondern auch in derjenigen einer Genossenschaft verwirklicht werden (BÜRGI, OR Art. 673 N. 40, 55-59; MEIER, Die Genossenschaft als Rechtsform für die Pensionskasse, S. 22 ff.). Für derartige genossenschaftlich aufgezogene Pensionskassen schreibt nun das Gesetz in den erwähnten Bestimmungen vor, dass den Arbeitnehmern, die wegen Auflösung des Dienstverhältnisses ausscheiden, "mindestens die Summe der von ihnen geleisteten Zahlungen herauszugeben ist, sofern sie nicht gemäss den Stiftungsbestimmungen in den Genuss des Wohlfahrtsfonds eintreten". Da diese Gesetzesvorschrift zwingend ist und der Natur der Sache nach eine dem Art. 865 OR vorgehende Sonderbestimmung darstellt, hat in diesem Falle ein Mitglied einer derartigen genossenschaftlichen Pensionskasse einen unentziehbaren Anspruch auf Prämienrückerstattung, soweit es nicht bereits oder künftig rentenberechtigt ist. Solche Rentenberechtigung geht also der Prämienrückerstattung vor. Daraus folgt selbstverständlich, dass dem Arbeitnehmer ein bereits entstandener Rentenanspruch nicht mehr entzogen werden kann.
Dem lässt sich nicht etwa entgegenhalten, es handle sich um eine besondere Ordnung für die Pensionskasse als Erscheinungsform eines Wohlfahrtsfonds. Der Unterschied gegenüber dem hier in Frage stehenden Fall einer reinen Arbeitnehmerpensionskasse besteht einzig darin, dass hier die Mitgliedschaft bei einem Verein oder einer Genossenschaft Voraussetzung der Kassenzugehörigkeit ist, während diese dort vom Bestehen eines Dienstverhältnisses mit der A.-.G. oder der Genossenschaft, der die Pensionskasse angegliedert ist, abhängt. Das ist aber eine ganz untergeordnete Verschiedenheit. Der Grund für die Rückerstattungspflicht liegt natürlich darin, dass der Arbeitnehmer Beiträge geleistet hat, deren Verfall als ungerecht erscheinen würde, weil die Rückerstattung einem ethischen Bedürfnis entspricht. Diese innere Rechtfertigung ist auch im Falle einer reinen Arbeitnehmerpensionskasse, ja sogar noch in vermehrtem Masse, gegeben. Denn hier handelt es sich um eine ausschliesslich von Arbeitnehmern gespiesene Kasse. Folgerichtig muss dem Kassenangehörigen auf jeden Fall eine bereits entstandene Rentenforderung als selbständiger Anspruch erhalten bleiben, auch wenn er als Kassenmitglied ausscheidet. Denn er hat die statutarischen Beiträge geleistet und den Versicherungsfall erlebt.
Im Falle der Personalkassen nach Art. 862 Abs. 4 und 673 Abs. 4 OR bleiben die Ansprüche des Arbeitnehmers auch bestehen, wenn das Dienstverhältnis aus seinem Verschulden aufgelöst wird. Dasselbe muss gelten für eine reine Arbeitnehmerpensionskasse. Auch bei einer solchen bleibt der Anspruch bestehen, selbst wenn die für die Kassenzugehörigkeit vorausgesetzte Mitgliedschaft bei einem andern Verbande aufhört, gleichgültig, ob mit oder ohne Verschulden des Kassenmitgliedes. Denn die rechtlich massgebenden Gesichtspunkte sind in beiden Fällen die gleichen.
a) Derartige Statutenbestimmungen, wie sie hier vorliegen, verordnen die Verwirkung von Rechten oder allenfalls von Anwartschaften. Sie verschärfen die Folgen eines Austrittes oder Ausschlusses. Sie erschweren den Austritt und können sogar praktisch die grundsätzlich gewährleistete Austrittsfreiheit (OR Art. 842) vernichten. Im Falle des Ausschlusses bedeuten sie eine empfindliche Strafe. Der Verlust aller Ansprüche kann den Ausgeschlossenen schwer treffen, ihm sogar sein Auskommen und seine Existenz nehmen. Denn nach der Lebenserfahrung bilden Pensionsanwartschaften oder bereits entstandene Altersrentenforderungen oft die einzigen Ersparnisse eines Arbeitnehmers, so dass er aus der Invaliditätsrente oder - wie der Kläger - aus der Altersrente sein Leben fristen muss. Es kann daher keine Rede davon sein, dass solche Verwirkung in jedem Falle und ohne jede rechtliche Schranke zulässig sein könnte. Gleich wie die Vertragsfreiheit nur in den Schranken des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung, des Rechts der Persönlichkeit und der guten Sitten besteht, so besteht auch die Freiheit zur beliebigen Gestaltung von Verbandsstatuten nur innerhalb dieser Schranken.
b) Es ist versucht worden, derartige Verwirkungsbestimmungen, wie sie hier in Frage stehen, als Verbandsstrafen aufzufassen und zu behandeln. Verbandsstrafen, wie Geldstrafen, Bussen und dergleichen sind ihrer Natur nach Konventionalstrafen und unterliegen den gesetzlichen Bestimmungen über solche, namentlich auch der Herabsetzung nach Art. 163 OR (EGGER ZGB Art. 71 N. 10). Dass es sich im vorliegenden Falle nicht um die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen handelt, sondern um die Verletzung statutarisch festgelegter Verbandspflichten, stände einer Anwendung der Bestimmungen über die Konventionalstrafe nicht im Wege. Ebenso ist auch eine statutarische Verpflichtung, bei Austritt oder Ausschluss empfangene Bezüge, wie z.B. Streikgelder, wieder zurückzuzahlen, als Konventionalstrafbestimmung zu betrachten; denn es handelt sich dabei um die Erbringung einer Leistung im Falle der Nichterfüllung oder Verletzung einer Verpflichtung. Verwirkungsklauseln, nach welchen Ansprüche auf Unterstützung und andere Verbandsleistungen bei pflichtwidrigem Verhalten eines Miitgliedes entfallen, können dagegen (entgegen der Meinung von EGGER a.a.O.) nicht einer Konventionalstrafbestimmung gleichgestellt werden. Denn für eine solche ist das in solchen Fällen fehlende Versprechen einer Leistung begriffswesentlich. Bei der Revision des OR wurde ein Antrag, von diesem Erfordernis abzusehen und jede Übernahme eines Rechtsnachteils der Leistung (Strafleistung) gleichzustellen, ausdrücklich abgelehnt (verg. OSER/SCHÖNENBERGER, Vorbem. zu Art. 160/63 OR, N. 5). Daraus folgt, dass nach geltendem Recht die Übernahme eines andern Rechtsnachteils als einer Geld- oder sonstigen Leistung nicht den Bestimmungen über die Konventionalstrafe untersteht (so ausser OSER/SCHÖNENBERGER a.a.O. auch BECKER 2. Aufl. Art. 160 OR N. 5 und v. TUHR/SIEGWART OR § 87 S. 724). Eine Heranziehung dieser Vorschriften als Schranke für die statutarische Verwirkung der dem Kläger zustehenden Rentenansprüche kommt daher nicht in Betracht.
c) Die Lösung der Frage nach der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Statutenbestimmung, die als Folge des Ausschlusses von der Mitgliedschaft den Verlust eines bereits zur Entstehung gelangten Rentenanspruchs vorsieht, muss auf Grund von Art. 19/20 OR getroffen werden. Danach kann aber nicht zweifelhaft sein, dass eine solche Verwirkungsbestimmung in einem Falle, wie er hier vorliegt, gegen die guten Sitten verstösst. Denn es läuft jedem Rechtsempfinden und der elementarsten Billigkeit zuwider, dem Kläger, nachdem er während 33 Jahren ganz erhebliche Prämien an die Alterspensionskasse bezahlt hat, die bereits fällig gewordene und während 6 Jahren bezahlte Altersrente zu entziehen und ihn so seiner einzigen Esparnisse und damit sämtlicher Mittel zur Fristung seines Lebensunterhaltes zu berauben. Den berechtigten Interessen des SLB und der Beklagten ist mit dem Ausschluss des Klägers Genüge getan. Die beiden Organisationen haben kein schutzwürdiges Interesse, den Kläger im Elend verderben zu lassen. Wer wie die Beklagte vom Kläger die vollen statutarischen Gegenleistungen der Rente in Form von Prämien (Beiträgen) während Jahrzehnten bezogen hat, ohne selber etwas beizusteuern, muss nach allgemeiner sittlicher Auffassung dem Kläger das gewähren, was er auf Grund seiner Prämienzahlungen an Rechten erworben hat, und darf ihm nicht verweigern, was erfahrungsgemäss sein gesamtes Erspartes und den Zehrpfenning für das Alter darstellt.
Die Verwirkungsbestimmung in den Statuten des SLB und der Beklagten ist daher auf jeden Fall als unwirksam zu betrachten gegenüber einem Pensionsberechtigten, der nach jahrelanger Beitragszahlung den Versicherungsfall erlebt und damit einen selbständigen Anspruch auf die Rentenleistung erlangt hat.
Ob diese Bestimmung auch gegen die guten Sitten verstösst, soweit darin eine Rückzahlung von geleisteten Prämien vor Erreichung des Versicherungsfalles ausgeschlossen wird, ist heute nicht zu entscheiden.
Ob der Kläger, der das schweizerische Gastrecht missbraucht hat, von der Schweiz aus gesehen eine traurige Figur sei und ob er aus freiem Entschluss in eine nationalsozialistische Organisation eintrat oder nicht, spielt privatrechtlich, in der hier zu entscheidenden Frage, keine Rolle. Wegen seines Verhaltens vor und während des Krieges ist der Kläger von den schweizerischen Behörden des Landes verwiesen worden. Ihn deshalb unter Berufung auf die zivilrechtliche Vertrags- oder Verbandsfreiheit seiner Privatrechte verlustig zu erklären, geht dagegen nicht an. Was ihm vor seiner Ausweisung an Privatrechten zustand, bleibt ihm grundsätzlich erhalten, gleich wie eine Versicherungsgesellschaft auch einem Landesverräter gegenüber zu den vertraglichen Leistungen verpflichtet bliebe.
d) Um Überlegungen der vorstehenden Art zu begegnen, beruft sich die Beklagte auf denBGE 75 II 246ff., in welchem der Entzug der kantonalen Pension gegenüber einem ebenfalls aus der Schweiz ausgewiesenen Nationalsozialisten, der als Technikumsprofessor Beamter des Kantons Zürich gewesen war, geschützt wurde. Aus diesem Entscheid lässt sich jedoch für die Beurteilung der hier streitigen statutarischen Verwirkungsbestimmung nichts ableiten, da jener Fall in verschiedener Hinsicht anders lag:
(1) Es handelte sich dort um eine Beamtenpension, also um einen nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen Recht unterstehenden Anspruch. Für einen solchen gelten aber andere Gesichtspunkte als für das Privatrecht. Es sind öffentliche Interessen im Spiel, während im Bereich des Privatrechts in der Regel nur private Interessen in Frage stehen. So wiegt z.B. eine Verletzung der Treuepflicht durch einen Beamten gegenüber dem Gemeinwesen erheblich schwerer als die Verletzung einer bloss privatrechtlichen Treuepflicht. Das rechtfertigt es, im öffentlichen Recht andere, weitergehende Sanktionen vorzusehen. Daher kann eine Verwirkungsbestimmung der hier in Frage stehenden Art öffentlich-rechtlich statthaft oder sogar notwendig sein, während sie im Privatrecht, mindestens unter bestimmten Verhältnissen, unzulässig, sittenwidrig wäre.
(2) Bei der Pensionskasse eines Gemeinwesens leisten regelmässig nicht nur die Versicherten Beiträge. Daher erscheint es selbstverständlich, dass das Gemeinwesen unter bestimmten Voraussetzungen befugt sein muss, die Pensionsansprüche zu kürzen oder ganz auszuschliessen. Im vorliegenden Falle hat dagegen weder die Beklagte noch der SLB irgendwelche Leistungen an die Pensionskasse gemacht, sondern diese werden ausschliesslich von den Kassenmitgliedern aufgebracht.
(3) Bei einem Gemeinwesen können und müssen Gehalts- oder Pensionskürzungen durch das öffentliche Interesse gerechtfertigte Disziplinar- und Straffunktionen haben. Bei einer Pensionskasse des Privatrechts, wie die Beklagte sie darstellt, ist es dagegen nicht Sache der Kasse, irgendwelche Straffunktionen im Interesse der Allgemeinheit auszuüben. Denn privatrechtliche Verbände irgendwelcher Art haben keine öffentlichen Aufgaben und keine Interessen der Allgemeinheit wahrzunehmen.
Diese Bestimmung kann indessen nicht dahin verstanden werden, dass bestehende Ansprüche wegen Verlegung des Wohnsitzes des Forderungsberechtigten ins Ausland verwirkt sein sollen. Das wäre geradezu widersinnig, wenn man an den Fall denkt, wo ein ausländisches Mitglied des SLB (und solche gab es zweifellos nicht selten) in seinen alten Tagen in seine ausländische Heimat zurückkehrt oder ein Rentenbezüger zu einem im Ausland verheirateten Kind übersiedelt. Die Bestimmung kann vernünftigerweise nur besagen, dass der Genossenschafter keinen Anspruch auf den Transfer hat, dass die Beklagte nicht verpflichtet sei (gar auf eigene Kosten) die Beträge ins Ausland zu überweisen; das heisst also, dass sie die Beträge an einer schweizerischen, vernünftigerweise vom Berechtigten vorzuschlagenden Zahlstelle zur Verfügung zu stellen hat, z.B. bei einer schweizerischen Bank oder bei einem schweizerischen, vom Kläger bezeichneten Zahlungsempfänger. Auch das Vertrauensprinzip gebietet, die vom SLB, bzw. von der Beklagten, nicht vom Kläger, formulierte Bestimmung des Art. 94 Abs. 2 in diesem Sinne auszulegen.
Hätte die Vorschrift tatsächlich den Sinn einer Verwirkungsbestimmung, so wäre sie nach Art. 19/20 OR als widerrechtlich oder mindestens sittenwidrig zu betrachten. Denn eine solche Bestimmung würde das Recht der Persönlichkeit verletzen, in welchem die grundsätzliche Freiheit zur freien Wahl des Wohnsitzes inbegriffen ist, solange keine sachlichen Gründe (z.B. Ausübung einer bestimmten Beamtung) die Beschränkung dieser Freiheit rechtfertigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Zürich, I. Zivilkammer, vom 3. Dezember 1953 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.