BGE 39 II 548 - Weil-Einstein
 
97. Urteil
der I. Zivilabteilung vom 12. September 1913 in Sachen Kurz, Kl. u. Ber.-Kl., gegen Weil-Einstein, Bekl. u. Ber.-Bekl.
 
Regeste
Abtretung und Verpfändung grundversicherter Forderungen vor dem Inkrafttreten des ZGB kantonalrechtlich. -- Die Feststellungen von nach kantonalem Rechte zu beurteilenden Tatsachen sind nicht nach Art. 81 OG anfechtbar. -- Die Vereinbarung, dass eine Bürgschaftsverpflichtung mit der Abtretung der verbürgten Forderung erlösche, ist zulässig.
 
Sachverhalt
A. Durch Urteil vom 30. April 1913 hat die I. Appellationskammer des zürcherischen Obergerichts in vorliegender Streitsache erkannt: "1. Die Klage wird abgewiesen." 2.-6. (Kostenpunkt und Mitteilung).
B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger formrichtig die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrage, die Klage im ganzen Umfange gutzuheißen und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 20,665 Fr. 30 Cts. nebst Zins zu 5% seit 18. Januar 1912 zu bezahlen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
1. Durch Kaufvertrag vom 1. Juli 1909 erwarb der Beklagte Weil-Einstein vom Kläger eine Bauparzelle. Der Kaufpreis war zum Teil durch Übertragung zweier Schuldbriefe, davon der eine -- hier in Betracht kommende -- von 20,000 Fr. auf Scheuchzerstraße Nr. 62 in Zürich, zu begleichen. Am nämlichen Tage stellte der Beklagte dem Kläger die Erklärung aus, daß er für die beiden Schuldbriefe, "Ihnen (dem Kläger), aber nur Ihnen persönlich Ausfallbürgschaft leiste....." In der Folge kam der Schuldbrief von 20,000 Fr. in Verlust und mit der vorliegenden Klage, die von der ersten Instanz gutgeheißen, von der zweiten aber abgewiesen wurde, belangt nunmehr der Kläger den Beklagten auf Bezahlung einer Ausfallforderung von 20,665 Fr. 30 Cts. nebst Verzugszins zu 5% seit dem 18. Januar 1912. Der Beklagte bestreitet seine Zahlungspflicht vor allem mit der Behauptung, der Kläger habe den Schuldbrief in einem Zeitpunkt vor dem 30. November 1909 (und bevor dafür betrieben wurde) seinem Associé S. Weil-Rothschild zu Eigentum abgetreten und durch diese Übertragung sei die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten vom 1. Juli 1909 erloschen. Sie sei ferner auch deshalb untergegangen, weil der Kläger eine von ihm übernommene Verpflichtung, die Bürgschaft geheim halten zu wollen, nicht erfüllt und weil er auch nicht die nötigen Schritte getan habe, um einen Verlust zu vermeiden. Eventuell müsse die Klage zur Zeit abgewiesen werden, weil noch nicht feststehe, daß der Kläger durch die Konkursdividende des Briefschuldners nicht gedeckt werde.
 
Erwägung 2
 
Erwägung 3
3. Immerhin wird nicht das ganze Streitverhältnis vom eidgenössischen Rechte beherrscht. Vielmehr beurteilt sich nach kantonalem Rechte die hauptsächlich streitige Vorfrage, ob der Kläger den später in Verlust gefallenen Schuldbrief weiter veräußert habe. Denn der Art. 198 aOR behält für die Abtretung grundversicherter Forderungen die Bestimmungen des kantonalen Rechtes, und zwar ganz allgemein, vor (vergl. auch AS 17 S. 108 [= BGE 17 I 107 (108)] und Bundesgerichtsentscheid vom 18. April 1913 i.S. Matter c. Omlin Erw. 2a). Und da ferner auch für die Verpfändung grundversicherter Forderungen unter dem aOR das kantonale Recht galt (vergl. AS 35 II S. 709 [= BGE 35 II 707 (709)] und dortige Zitate und 37 II S. 348 [= BGE 37 II 347 (348)]), so greift dieses hier auch insoweit Platz, als zu prüfen ist, ob der Kläger mit Recht geltend mache, er habe den Schuldbrief dem Weil-Rothschild nicht abgetreten, sondern bloß zu Faustpfand gegeben.
Die Vorinstanz nimmt nun, entgegen dieser Behauptung des Klägers, an, daß sich der Titel am 30. November 1909 infolge einer vorangegangenen Übertragung im Eigentum des S. Weil-Rothschild befunden habe. Ob diese Annahme richtig sei oder nicht, hat das Bundesgericht nicht nachzuprüfen. Und zwar ist ihm nicht nur die Überprüfung der kantonalrechtlichen Bestimmungen, die die Abtretung der Schuldbriefe regeln, also im besonderen des § 388 des zürcherischen Privatrechts entzogen, sondern es hat auch nicht zu untersuchen, ob die Vorinstanz den Tatbestand richtig festgestellt habe, auf Grund dessen die Rechtsfrage, ob Abtretung oder bloße Pfanddargabe vorliege, zu lösen war. Insoweit sind die tatsächlichen Verhältnisse des Falles endgültig vom kantonalen Richter nach dem kantonalen Prozeß- und im besondern Beweisrecht festzustellen und auf sie treffen die bundesrechtlichen Vorschriften, die hinsichtlich der Tatbestandsermittlung dem Bundesgerichte gewisse Kompetenzen einräumen, namentlich der Art. 81 OG, nicht zu. Denn wo dem Bundesgericht als Berufungsinstanz gemäß Art. 56 und 57 die Kompetenz fehlt, kann diese nicht unter Hinweisung auf Art. 81 OG hergestellt werden. Wenn daher heute der Vertreter des Klägers den Vorentscheid in diesem Punkte wegen unrichtiger Formulierung des Beweisthemas und unrichtiger Beweislastverteilung bemängelt und als aktenwidrig angefochten hat, so kann hier nur eine Verletzung kantonalen Rechtes nicht Bundesrechtes in Frage kommen.
 
Erwägung 4
4. Muß somit das Bundesgericht davon ausgehen, daß nach kantonalem Rechte der Kläger den Schuldbrief gültig an Weil-Rothschild abgetreten hat, so ist damit nach Bundesrecht ein Erlöschungsgrund für die vom Beklagten geleistete Ausfallsbürgschaft gegeben. Denn laut der Bürgschaftserklärung hat der Beklagte die Bürgschaft "nur dem Kläger persönlich" geleistet. Die Vertragsparteien wollten sie somit, wie die Vorinstanz mit Recht annimmt, dahinfallen lassen, wenn der Kläger sich der verbürgten Forderungen entäußern und eine andere Person Forderungsgläubiger würde. Gegen diese Auslegung der Bürgschaftsurkunde hat der Kläger heute nichts mehr eingewendet. Mit Grund hat er auch die rechtliche Zulässigkeit einer solchen vertraglichen Beschränkung der Bürgschaftsverpflichtung, wonach ihr Bestand durch die Nichtabtretung der verbürgten Forderung resolutiv bedingt ist, unbestritten gelassen und auch nicht mehr behauptet, durch eine spätere Rückzession der Forderung könne die Bürgschaft wieder aufleben.
Auf die übrigen Gründe, die der Beklagte für den Untergang seiner Bürgschaftsverpflichtung geltend macht, braucht hienach nicht mehr eingetreten zu werden.
 
Demnach hat das Bundesgericht
erkannt:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der I. Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. April 1913 in allen Teilen bestätigt.