BGE 143 I 437
 
40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Amt für Migration des Kantons Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_1052/2016 / 2C_1053/2016 vom 26. April 2017
 
Regeste
Art. 3, Art. 5 Ziff. 1 lit. f, Art. 8 EMRK; Art. 10 Abs. 3, Art. 25 Abs. 3 BV; Art. 76a, Art. 80a Abs. 5 AuG; Art. 1 Abs. 3, Art. 4 Dublin-Assoziierungsabkommen; Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung.
 
Sachverhalt
A. A.A. (Jahrgang 1983) ist afghanische Staatsangehörige. Sie reiste am 30. Mai 2016 im achten Monat schwanger zusammen mit ihrem Ehemann B.A. (Jahrgang 1985) und den drei Kindern C.A. (Jahrgang 2008), D.A. (Jahrgang 2010) und E.A. (Jahrgang 2013) von Norwegen über Deutschland kommend illegal in die Schweiz ein. Die Familie reichte gleichentags ein Asylgesuch im Empfangs- und Verfahrenszentrum Basel ein, worauf sie für die Dauer des Asyl- und Wegweisungsverfahrens dem Kanton Zug zugewiesen wurden. Mit Verfügung vom 7. Juli 2016 trat das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf ihr Asylgesuch nicht ein und wies sie aus der Schweiz nach Norwegen weg. Am 20. Juli 2016 wurde ihnen dieser Entscheid eröffnet und das rechtliche Gehör gewährt. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde gegen den Asylentscheid mit Urteil vom 16. August 2016 ab, worauf der Nichteintretensentscheid per 19. August 2016 in Rechtskraft erwuchs. Das Amt für Migration des Kantons Zug teilte A.A. am 13. September 2016 mit, dass die Beschwerde abgewiesen worden sei und sie nach Norwegen müsse. A.A. gab zu Protokoll, sie sei nicht gewillt, nach Norwegen zurückzukehren.
Am 4. Oktober 2016, 10.45 Uhr, verhaftete die Polizei des Kantons Zug A.A. und B.A. Die per 5. Oktober 2016 durch einen unbegleiteten Flug nach Oslo organisierte Rückführung wurde jedoch abgebrochen, worauf das kantonale Migrationsamt eine begleitete Rückführung in die Wege leitete. A.A. wurde mit ihrer Familie nach Zug zurückgebracht und mit ihrer vier Monate alten Tochter im Flughafengefängnis Zürich untergebracht. B.A. verblieb in der Abteilung Ausschaffungshaft der Strafanstalt Zug, und die drei grösseren Kinder wurden von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB mit Entscheid vom 5. Oktober 2016 unter Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern in einem Kinderheim untergebracht. Mit Verfügung desselben Datums ordnete das kantonale Amt für Migration gegenüber A.A. und B.A. zwecks Sicherstellung des Vollzugs der Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat gestützt auf Art. 76a Abs. 3 lit. b AuG eine Administrativhaft (so genannte "Dublin-Haft", vgl. Botschaft vom 7. März 2014 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen [EU] Nr. 603/2013 und [EU] Nr. 604/2013 [Weiterentwicklungen des Dublin/Eurodac-Besitzstands], [nachfolgend: Botschaft Dublin 2014] BBl 2014 2694) von sechs Wochen an.
B. In ihren Eingaben vom 11. Oktober 2016 liessen A.A. und B.A. beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug einen Antrag auf Haftüberprüfung einreichen und beantragen, es seien die Haftanordnungen des kantonalen Amtes für Migration des Kantons Zug vom 5. Oktober 2016 aufzuheben, und sie seien umgehend aus der Haft zu entlassen. Mit zwei separaten Verfügungen vom 16. Oktober 2016 bestätigte die Haftrichterin am Verwaltungsgericht des Kantons Zug die angeordnete Haft für sechs Wochen (bis zum 15. November 2016). Am 25. Oktober 2016 wurden A.A. und B.A. zusammen mit ihren Kindern in Begleitung von Polizistinnen und Polizisten, medizinischem Fachpersonal und einer Vertretung der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter in einem eigens dafür gecharterten Sonderflug nach Norwegen zurückgeführt.
C. Mit (in einer Eingabe eingereichten) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 17. November 2016 beantragen A.A. und B.A., die Urteile des Verwaltungsgerichts vom 16. November 2016 (recte: Verfügungen des Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2016) seien aufzuheben. Es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführenden in ihren Rechten aus Art. 3, Art. 5 Ziff. 1 EMRK und Art. 36 Abs. 1 BV sowie in ihren Rechten aus Art. 13, Art. 14 BV und Art. 8 EMRK verletzt worden seien.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführenden rügen, die Vorinstanz habe Art. 3 EMRK verletzt. Die Beschwerdeführerin sei durch die Inhaftierung körperlich am Arm verletzt und psychisch traumatisiert worden, so dass sie während ihres Aufenthalts im Flughafengefängnis oft völlig apathisch gewesen sei und sich nicht korrekt um ihr vier Monate altes Baby habe kümmern können. Ihre psychosomatischen Beschwerden hätten während der Haft ärztlich behandelt werden müssen. Die Tatsache, dass die Kinder als Druckmittel verwendet, beide Eltern in Haft versetzt, die gesamte Familie durch die Unterstellung, die Kinder verstecken zu wollen, kriminalisiert und die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Eltern und den Kindern fast vollständig sowie diejenige zwischen den Ehepartnern vollständig verunmöglicht worden seien, komme einer unmenschlichen Behandlung, wenn nicht sogar einer psychischen Folter gleich.
2.2 Gemäss Art. 3 EMRK, Art. 10 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 3 BV darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden (BGE 141 I 141 E. 6.3.1 S. 144; BGE 140 I 246 E. 2.4.1 S. 249; BGE 139 II 65 E. 6.4 S. 76), wofür konkrete und auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte einer gewissen Schwere geltend gemacht werden müssen. Art. 3 in Verbindung mit Art. 1 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten, aktiv darauf hinzuwirken, dass sämtliche ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen keine durch Art. 3 EMRK verbotene Behandlung erfahren. Unter diesem Titel haben die Vertragsstaaten dafür zu sorgen, dass schutzbedürftige Personen wie Familien mit Minderjährigen oder unbegleitete Minderjährige keinen solchen verbotenen Behandlungen ausgesetzt werden (Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] Mubilanzila Mayeka et Kaniki Mitunga contre Belgique vom 12. Oktober 2006 [Nr. 13178/03], §§ 53 ff.; Muskhadzhiyeva et autres contre Belgique vom 19. Januar 2010 [Nr. 41442/07], § 55). Bei der Konkretisierung der aus Art. 3 EMRK fliessenden Rechtspositionen sind insbesondere die Vorgaben des Übereinkommens über die Rechte der Kinder vom 20. November 1989 (KRK; SR 0.107) mitzuberücksichtigen (Urteile des EGMR Popov contre France vom 19. Januar 2012 [Nr. 39472/07 und 39474/07], §§ 70 ff., 91; zit. Urteile Muskhadzhiyeva, §§ 43, 58, 62 f.; Mubilanzila Mayeka, §§ 39, 57).
2.3 Eine durch Art. 3 EMRK verbotene unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung kann in einer (auch relativ kurzen) Inhaftierung von Kindern in einer nicht kindergerecht ausgestalteten Umgebung liegen (Urteil des EGMR A.B. et autres contre France vom 12. Juli 2016 [Nr. 11593/12], § 109, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung; ANTONIN GELBLAT, La CEDH et la pratique française de rétention des mineurs étrangers: L'impossibilité pratique plutôt que l'interdiction de principe?, La Revue des droits de l'homme 2016, Actualités Droits-Libertés, https://revdh.revues.org/2513, consulté le 09 mars 2017, N. 12 ff.). In ihrer geschützten Rechtsstellung verletzt werden durch eine solche Inhaftierung nicht nur die Kinder, die dadurch einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung ausgesetzt werden, sondern unter Umständen auch die nahen Familienangehörigen der Kinder. Ausschlaggebend für eine solche Verletzung der Rechte der nahen Familienangehörigen sind nach der Rechtsprechung des EGMR die nahe und schutzwürdige Beziehung zwischen dem betreffenden Kind und dem Familienangehörigen, die Art und Weise, wie der Familienangehörige selbst Zeuge dieser Behandlung wird und die Reaktion der Behörden auf die Beanstandungen der Familienangehörigen; den Familienangehörigen selbst widerfährt vorab durch die (fehlende) Reaktion der Behörden auf ihre Beanstandungen eine durch Art. 3 EMRK verbotene unmenschliche und erniedrigende Behandlung (zit. Urteile Popov, § 104; Mubilanzila Mayeka, § 61; Muskhadzhiyeva § 64; Urteil des EGMR Kanagratnam et autres contre Belgique vom 13. Dezember 2011 [Nr. 15297/09], § 70).
2.4 In der vorliegenden Konstellation wurde die Beschwerdeführerin nach Abbruch des auf den 4. Oktober 2016 angesetzten Vollzugs der Ausschaffung zusammen mit ihrem vier Monate alten Baby im Flughafengefängnis Zürich inhaftiert, während der Beschwerdeführer in der Abteilung Ausschaffungshaft der Strafanstalt Zug festgehalten und die drei grösseren Kinder von der KESB unter Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern in einem Kinderheim untergebracht wurden. Die Trennung von den übrigen Familienmitgliedern, insbesondere den älteren drei Kindern, hat die Beschwerdeführenden zweifelsohne erheblichem Stress ausgesetzt und sie mit Ohnmachtsgefühlen zurückgelassen, was unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sein wird. Verstärkt wurde diese ausserordentlich schwerwiegende Situation zusätzlich dadurch, dass die Beschwerdeführenden (im Zeitpunkt der vorinstanzlichen Urteilsfällung) nicht untereinander und insbesondere mit ihren Kindern nicht einmal telefonisch in Kontakt treten konnten. Zuversicht konnten die Beschwerdeführenden selbst in diesen widrigen Umständen jedoch aus der Gewissheit schöpfen, dass sich ihre Kinder in einem Kinderheim und damit einer kindergerecht ausgestalteten Umgebung (zit. Urteil Mubilanzila Mayeka, § 83) aufhielten. Ohne die menschliche Not zu verkennen, in welcher sich die Beschwerdeführenden insbesondere aufgrund der fehlenden Möglichkeit, untereinander und mit ihren Kindern in Kontakt zu treten, während ihrer Inhaftierung befunden haben, erreicht die erfahrene Behandlung unter Berücksichtigung der kindgerechten Unterbringung die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK knapp noch nicht.
3. Die Beschwerdeführenden rügen des Weiteren, die Vorinstanz habe Art. 5 Ziff. 1 EMRK verletzt, weil kein Haftgrund im Sinne von Art. 76a AuG (SR 142.20) vorgelegen habe. Die Familie habe am 5. Oktober 2016 nur deswegen nicht den gebuchten Linienflug angetreten, weil ihnen vor dem Besteigen des Flugzeugs die Identitätspapiere der Kinder nicht übergeben worden seien, welche sie vorgängig zu den Akten gegeben hätten. Aus diesem Verhalten könne nicht auf eine Fluchtgefahr geschlossen werden. Ihre Inhaftierung im Flughafengefängnis und getrennt von ihren älteren drei Kindern sei zudem unverhältnismässig gewesen, weil durchaus mildere Massnahmen wie die Platzierung mit ihren Kindern in einer betreuten Asylunterkunft und/oder eine regelmässige Meldepflicht zur Verfügung gestanden hätten.
3.1 Die Haftgründe der Dublin-Haft sind in Art. 76a AuG geregelt. Art. 76a AuG wurde zur Erfüllung der in Art. 1 Abs. 3 und Art. 4 des Abkommens vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (Dublin-Assoziierungsabkommen, DAA; SR 0.142. 392.68) eingegangenen Verpflichtung zur Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklungen des Dublin/Eurodac-Besitzstands erlassen (Botschaft Dublin 2014, BBl 2014 2681 Ziff. 1.1). Art. 76a AuG ist in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz im Sinne des zu übernehmenden Sekundärrechts der Europäischen Union auszulegen (BGE 142 II 135 E. 4.1 S. 150).
3.2 Eine Person kann nicht einzig deswegen inhaftiert werden, weil sie sich in einem Dublin-Verfahren befindet (Art. 28 Abs. 1 der Verordnung [EU] Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist [Neufassung] [ABl. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 31-53] [nachfolgend: Dublin-Verordnung]; Botschaft Dublin 2014, BBl 2014 2689). Gemäss Art. 76a AuG kann, zur Sicherstellung der Wegweisung in den für das Asylverfahren zuständigen Staat, die betroffene Person inhaftiert werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass die Person sich der Durchführung der Wegweisung entziehen will, die Haft verhältnismässig ist, und sich weniger einschneidende Massnahmen nicht wirksam anwenden lassen (Art. 76a AuG; unter Verweis auf Art. 28 Abs. 2 der Dublin-Verordnung); die Anzeichen für eine Vereitelung müssen erheblich sein (HRUSCHKA/MAIANI, EU Immigration and Asylum Law, A Commentary, 2. Aufl. 2016, N. 6 zu Art. 28 Dublin III Verordnung [EU] Nr. 604/2013; BUSSLINGER/SEGESSENMANN, Ausschaffungshaft in Dublin-Verfahren, 2013, S. 223). Art. 28 Abs. 2 der Dublin-Verordnung enthält, von im Dublin-Verfahren selbst gründenden Abweichungen abgesehen, inhaltlich denselben Standard wie andere sekundärrechtliche Normen zur ausländerrechtlichen Haft, wie insbesondere Art. 8 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 96-116; HRUSCHKA/MAIANI, a.a.O., N. 4 zu Art. 28 Dublin III Verordnung [EU] Nr. 604/2013; für eine Übersicht über prozedurale Garantien im europäischen Migrationsrecht siehe CHRISTOPHE POULY, Les garanties procédurales dans le nouveau régime d'asile européen commun, L'actualité juridique Droit administratif [AJDA] 41/2013 S. 2358 ff.). Die konkreten Anzeichen, welche befürchten lassen, dass sich die betroffene Person der Durchführung der Wegweisung entziehen will, hat der Gesetzgeber in Art. 76a Abs. 2 AuG abschliessend umschrieben (BGE 142 I 135 E. 4.1 S. 150).
 
Erwägung 3.3
3.3.1 Gemäss Art. 5 EMRK hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den einzeln enumerierten Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden (Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Urteile Jusic contre Suisse vom 2. Dezember 2010 [Nr. 4691/06], §§ 68 ff.; Bozano Lorenzo contre France vom 18. Dezember 1986 [Nr. 9990/82], §§ 54 ff.). Im Gegensatz zuder in Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK vorgesehenen Konstellation genügt es in Fällen von Auslieferungs- oder Ausschaffungshaft (Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK), wenn ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren hängig ist und die Haft zu dessen Sicherstellung angeordnet worden ist. Unter dem Gesichtspunkt von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK prüft der EGMR grundsätzlich nicht im Einzelnen nach, ob die auf das interne Recht des betreffenden Staates abgestützte Ausweisungs- oder Auslieferungsverfügung als rechtmässig oder die angeordnete Haft, etwa wie in Konstellationen von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK wegen Fluchtgefahr, als verhältnismässig zu gelten hatte; Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK bietet dem Rechtssuchenden (in einem Verfahren vor dem EGMR) einen weniger weit gehenden Schutz als Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK (Urteil Chahal versus the United Kingdom vom 15. November 1996 [Nr. 22414/93], §§ 111 ff.; zit. Urteile Jusic, § 71; A.B., § 120; Popov, § 120).
3.3.2 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bezieht jedoch die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in die Würdigung mit ein und hat eine spezifische Rechtsprechung zur ausländerrechtlichen Inhaftierung von Erwachsenen entwickelt, die auf ihrer Flucht von ihren Kindern begleitet werden. Ob im vorliegenden Fall den Beschwerdeführenden rechtmässig die Freiheit entzogen wurde bzw. der in der Heimeinweisung zu erblickende rechtliche Freiheitsentzug der Kinder (BGE 121 III 306 E. 2 S. 307 ff.; bestätigt in Urteil 5A_215/2012 vom 7. Mai 2012 E. 3; im Gegensatz dazu der faktische Freiheitsentzug [Art. 80a Abs. 5 AuG] beim Verbleib der Kinder bei den inhaftierten Eltern vgl. zit. Urteil A.B., § 122 ff.; kritisch zu einer ausländerrechtlichen Inhaftierung unter Platzierung der Kinder in Pflegeverhältnisse PETER UEBERSAX, Das AuG von 2005: zwischen Erwartungen und Erfahrungen, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2011/2012, 2012, S. 45; BAHAR IREM CATAK KANBER, Die ausländerrechtliche Administrativhaft - die rechtliche Umsetzung im schweizerischen Recht, Diss. Basel [in Vorbereitung], S. 145) rechtmässig war, kann insbesondere deswegen offenbleiben, weil die Beschwerde, wie nachfolgend dargelegt, wegen Verletzung von Art. 8 EMRK ohnehin gutzuheissen ist.
 
Erwägung 4
4.1 Gemäss den angefochtenen Verfügungen war im vorinstanzlichen Verfahren unbestritten, dass die Beschwerdeführenden und ihre Kinder ein Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK pflegen, weshalb der Schutzbereich dieser konventionsrechtlichen Garantie eröffnet ist. Diese Garantie hindert die Konventionsstaaten grundsätzlich nicht daran, die Anwesenheit ausländischer Staatsangehöriger auf ihrem Staatsgebiet zu regeln und deren Aufenthalt unter Beachtung überwiegender Interessen des Familien- und Privatlebens gegebenenfalls auch wieder zu beenden (BGE 139 I 330 E. 2.1 S. 335; BGE 138 I 246 E. 3.2.1 S. 250 f. mit Hinweisen). Ebenso wenig steht diese Garantie als solche einer ausländerrechtlichen Inhaftierung von Familien mit Kindern absolut entgegen (vgl. GELBLAT, a.a.O., N. 26). Dessen ungeachtet kann sich ein Staat zur Durchsetzung eines hängigen Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens nicht sämtlicher konventionsrechtlicher Garantien entledigen, und dies insbesondere nicht mit Blick auf besonders schutzbedürftige Personen (zit. Urteil Mubilanzila Mayeka, § 81).
4.2 Werden Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, die nach innerstaatlichem Recht nicht in ausländerrechtliche Dublin-Haft genommen werden können (Art. 80a Abs. 5 AuG), im Zusammenhang der Inhaftierung ihrer Eltern in ein Heim eingewiesen, führt die Behörde selbst deren Status als unbegleitete Minderjährige herbei und verunmöglicht eine Zusammenführung mit nahen Familienangehörigen, wozu sie unter Art. 8 EMRK geradezu verpflichtet wäre (zit. Urteil Mubilanzila Mayeka, §§ 82, 85; Urteil des EGMR Johansen versus Norway vom 27. Juni 1996 [Nr. 530/616], § 78). Ein solcher Eingriff in die konventionsrechtliche Garantie von Art. 8 Ziff. 1 EMRK ist nur zulässig, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und im überwiegenden öffentlichen Interesse erfolgt (Art. 8 Ziff. 2 EMRK). In dieser Interessenabwägung kommt dem vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohl eine herausragende Bedeutung zu (zit. Urteile A.B., § 152; Popov, § 140 f.; GELBLAT, a.a.O., N. 25). Ein Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführenden erweist sich unter Berücksichtigung des Wohls ihrer Kinder nur als verhältnismässig im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK, wenn die Inhaftierung als ultima ratio und nach einer gründlichen Prüfung weniger einschneidender Massnahme - im Kanton Zug etwa die Platzierung der Familie in kantonseigenen Liegenschaften oder Unterkünften, die vom Kanton gemietet worden sind, in einem Durchgangsheim oder allenfalls sogar in einem Jugendheim für unbegleitete Minderjährige - sowie unter akribischer Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes angeordnet wird (zit. Urteile A.B., § 153 f.; Popov, § 141; GELBLAT, a.a.O., N. 25).
4.3 Aus den angefochtenen Verfügungen geht nicht hervor, wo die Beschwerdeführenden und ihre Kinder zwischen ihrer Einreise in die Schweiz am 30. Mai 2016 und ihrer Inhaftierung am 5. Oktober 2016 untergebracht waren. Die separate Inhaftierung der Familienmitglieder lässt sich jedoch, entgegen den angefochtenen Verfügungen, nicht mit Art. 8 EMRK vereinbaren. Anlässlich der Überprüfung der angeordneten ausländerrechtlichen Dublin-Haft hat sich die Vorinstanz nicht mit dem im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Argument, sie hätten die auf den 4. Oktober 2016 angesetzte Ausreise nur wegen der fehlenden Identitätspapiere der Kinder nicht angetreten, auseinandergesetzt, sondern sich darauf beschränkt festzuhalten, die Beschwerdeführenden hätten ihre Inhaftierung durch ihr renitentes Verhalten verursacht. Unter dem Gesichtspunkt, ob ein milderes Mittel als die Inhaftierung zur Verfügung gestanden hätte, machte die Vorinstanz geltend, ein solches - wie etwa der gescheiterte unbegleitete Flug - sei nicht ersichtlich; eine Evaluation anderer Möglichkeiten als die Inhaftierung der Eltern, den Entzug deren Obhutsrechts und die Fremdplatzierung der Kinder in einem Kinderheim (wie etwa die Unterbringung in kantonseigenen Liegenschaften oder Unterkünften, die vom Kanton gemietet worden sind, in einem Durchgangsheim oder allenfalls sogar in einem Jugendheim für unbegleitete Minderjährige) fand nicht statt. Die separate Inhaftierung des Beschwerdeführers bzw. der Beschwerdeführerin mit ihrem vier Monate alten Baby im Flughafengefängnis in Zürich unter Trennung von ihren älteren drei Kindern wurde somit nicht als ultima ratio und nach einer gründlichen Prüfung weniger einschneidender Massnahme angeordnet, weshalb sich der Eingriff in ihr konventionsrechtlich geschütztes Privat- und Familienleben als unverhältnismässig (Art. 8 Ziff. 2 EMRK) erweist. Die Vorinstanz hat mit Bezug auf die Beschwerdeführenden Art. 8 EMRK verletzt. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. (...)