BGE 122 I 373
 
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Dezember 1996 i.S. W. gegen Stadt Zürich und Finanzdirektion des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Art. 88 OG; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde.
 
Sachverhalt
Das Steueramt der Stadt Zürich wies am 2. Mai 1995 ein Gesuch von W. um Erlass der noch offenen Staats- und Gemeindesteuern 1992 im Betrag von Fr. 6'867.45 ab. Der Steuerpflichtige erhob dagegen Rekurs, den die Finanzdirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 26. Juni 1995 abwies. Dagegen erhob W. mit Eingabe vom 18. August 1995 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein, aus folgenden
 
Erwägungen:
a) Durch die Verweigerung eines Steuererlasses ist ein Steuerpflichtiger nur dann in rechtlich geschützten Interessen betroffen, wenn ihm das kantonale Recht einen Rechtsanspruch auf Steuererlass einräumt. Ein Rechtsanspruch liegt dann vor, wenn das kantonale Recht genau umschreibt, unter welchen Voraussetzungen dem Betroffenen der beantragte Vorteil zu gewähren ist. Dies ist bei der Regelung des Steuererlasses allerdings nur schwer vorstellbar, kommt doch der kantonale Gesetzgeber nicht darum herum, die Voraussetzungen des Steuererlasses relativ vage zu umschreiben, indem er eine Notlage des Pflichtigen, einen besonderen Härtefall oder dergleichen als erforderlich erklärt. Ob der Gesetzgeber einen Rechtsanspruch einräumen will, muss sich daher eher aus anderen Umständen ergeben, etwa daraus, dass blosse Kann-Vorschriften vermieden wurden (BGE 112 Ia 93 E. 2c S. 94 f.).
Die Einkommenssteuergesetze der Kantone räumen den Behörden beim Entscheid über einen beantragten Steuererlass ein grosses Ermessen ein. Die meisten Steuergesetze bestimmen, dass die Steuer bei Vorliegen einer besonderen Härte, Notlage oder Herabsetzung der Leistungsfähigkeit erlassen werden kann; einzig die Kantone Bern und Jura vermeiden eine Kann-Formulierung und schreiben vor, dass die Steuer in einem solchen Fall zu erlassen ist.
b) Das Bundesgericht hat in einem den Kanton Neuenburg betreffenden Fall entschieden, dass ein Rechtsanspruch jedenfalls dann fehlt, wenn die einschlägige kantonale Gesetzesnorm bloss die Möglichkeit eines Total- oder Teilerlasses vorsieht und dem allein entscheidenden Vorsteher des Finanzdepartements einen sehr grossen Ermessensspielraum einräumt, ohne festzulegen, dass er unter bestimmten Voraussetzungen einen Steuererlass gewähren muss (BGE 112 Ia 93 E. 2c). In bezug auf § 62 des zürcherischen Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes vom 28. September 1985 hat das Bundesgericht einen Rechtsanspruch auf Steuererlass verneint; daran vermochte nichts zu ändern, dass im Zürcher Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz gegen den Entscheid der Finanzdirektion ein Rechtsmittel an den Regierungsrat vorgesehen ist (nicht veröffentlichtes Urteil vom 28. Februar 1994 i.S. R. B. E. 2c). In weiteren nicht veröffentlichten Entscheiden wurde ein Rechtsanspruch auf Steuererlass für den Kanton Schwyz (Urteil vom 13. Juli 1988 i.S. B. AG), den Kanton Wallis (Urteil vom 19. September 1995 i.S. C. C.) und den Kanton Freiburg (Urteil vom 17. November 1995 i.S. M. K.) verneint, ebenso mit Urteil vom heutigen Datum i.S. T. N. für den Kanton Luzern.
c) Auch der Gesetzgeber des Kantons Zürich hat darauf verzichtet, die Voraussetzungen für einen Steuererlass verbindlich, d.h. in einer anspruchsbegründenden Formulierung, festzulegen. Nach § 123 Abs. 1 des Gesetzes vom 8. Juli 1951 über die direkten Steuern (StG) können Steuern ganz oder teilweise erlassen werden, wenn die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch besondere Umstände, wie aussergewöhnliche Belastung durch den Unterhalt der Familie, andauernde Arbeitslosigkeit oder Krankheit, Unglücksfälle, Verarmung, Erwerbsunfähigkeit oder andere Umstände beeinträchtigt ist; das Vorhandensein von Vermögen schliesst gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung einen Steuererlass nicht aus.
Dem Zürcher Steuergesetz ist - entgegen gewissen Lehrmeinungen (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 9 zu § 123 StG; RICHNER/FREI/WEBER/ BRÜTSCH, Kurzkommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 4 zu § 123 StG) - nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Pflichtigen im Sinne von Art. 88 OG einen Rechtsanspruch auf Erlass der Einkommenssteuer gewähren wollte. Nach den Formulierungen des Gesetzes verfügt die Erlassbehörde über einen grossen Ermessensspielraum. Die Voraussetzungen für einen Erlass werden im Gesetzestext zu unbestimmt umschrieben, als dass sich daraus ein justiziabler Anspruch auf Steuererlass ableiten liesse. Dass § 125 StG eine Rekursmöglichkeit an die Finanzdirektion vorsieht, genügt für sich allein nicht, um einen Rechtsanspruch annehmen zu können, da es auch im Rechtsmittelverfahren vorab um Ermessens- und nicht um Rechtsfragen geht (Urteil vom 28. Februar 1994 i.S. R. B. E. 2c). Somit besteht nach § 123 StG kein Rechtsanspruch auf Steuererlass. Das Urteil vom 30. April 1975, wonach für den Kanton Zürich ein Rechtsanspruch auf Erlass der Einkommenssteuer angenommen wurde (ASA 44 618), ist durch die seitherige Rechtsprechung überholt (vgl. BGE 112 Ia 93 E. 2c S. 94 f.; nicht veröffentlichte Urteile vom 13. Juli 1988 i.S. B. AG E. 3b und vom 28. Februar 1994 i.S. R. B. E. 2c).
d) Somit ist der Beschwerdeführer mangels eines Rechtsanspruchs auf Steuererlass in der Sache nicht zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid sei materiell willkürlich, kann daher nicht eingetreten werden.