BGE 87 I 112
 
17. Auszug aus dem Urteil vom 24. Mai 1961 i.S. Roos gegen Gemeinderat von Klingnau und Regierungsrat des Kantons Aargau.
 
Regeste
Art. 4 BV.
 
Sachverhalt
Aus dem Tatbestand:
Das aargauische Baugesetz (BG) vom 23. März 1859 untersagt in § 60 alle Vorrichtungen, die den Verkehr und die Sicherheit auf öffentlichen Strassen gefährden. Nach § 1 der regierungsrätlichen Verordnung über das Anbringen oder Errichten von Warenautomaten und Schaukasten an öffentlichen Strassen (VO) vom 16. August 1957 dürfen Warenautomaten an öffentlichen Strassen nur angebracht werden, wenn sie den Verkehr oder die Sicherheit auf diesen nicht gefährden. Gestützt auf diese Bestimmungen hat die kantonale Baudirektion die Bewilligung für das Aufstellen eines Zigarettenautomaten an der Einmündung einer Gemeindestrasse in die Landstrasse Zürich-Koblenz in Klingnau verweigert. Der Regierungsrat hat diese Verfügung geschützt. Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
 
Aus den Erwägungen:
Gemäss Art. 49 Abs. 3 MFV dürfen Motorfahrzeuge an engen Strassenstellen sowie an Strassenkreuzungen und -einmündungen nicht aufgestellt werden. Nach dieser Bestimmung darf mit Motorfahrzeugen nicht vor dem Automaten und in dessen Nähe angehalten werden. Nach Ansicht des Beschwerdeführers wird die Sicherheit des Verkehrs auf der öffentlichen Strasse durch dieses Verbot genügend geschützt, so dass der Tatbestand des § 60 BG und des § 1 VO nicht erfüllt sei. Die kantonale Instanz verneint das. Im Lichte der Erfahrung kann ihre Stellungnahme nicht als willkürlich bezeichnet werden. In der Tat zeigt es sich immer wieder, wie leicht solche Verbote von einer grossen Zahl von Fahrern verletzt werden, wenn ein besonderer Anreiz dazu vorhanden ist.
Der Beschwerdeführer wendet in diesem Zusammenhang ferner ein, nicht der Automat, sondern der Motorfahrzeugführer, der trotz des Verbots an der Strasseneinmündung anhalte, schaffe in rechtswidriger Weise das Verkehrshindernis; die Polizei habe sich an den fehlbaren Fahrer als den Störer zu halten; sie dürfe nicht gegen das Aufstellen des Automaten als blosse Veranlassung der Störung einschreiten. Der Beschwerdeführer beruft sich dabei auf FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 403 f. Er übersieht indes, dass der Begriff des Störers in der Zwischenzeit feiner umschrieben worden ist (vgl. JELLINEK, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 444; SCHAUMANN. ZSR 79 S. 526; VOIGT, Der liberale Polizeibegriff, S. 97 ff.). Stellt ein Unternehmer an einer öffentlichen Strasse einen Zigarettenautomaten so auf, wie das hier geschehen ist, dann zählt er darauf, dass der Automat auch von Motorfahrzeugführern benutzt wird; er rechnet damit oder nimmt es mindestens bewusst in Kauf, dass sich ein Teil der Kunden aus Gründen der Bequemlichkeit nicht an die bestehenden Abstellbeschränkungen halten wird. Auf diese Weise überschreitet er die Schranken, welche die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs als Ausfluss der öffentlichen Ordnung der freien Verfügung über das Eigentum und der freien Handelstätigkeit setzt; er befindet sich im Sinne FLEINERs nicht mehr in der "gesetzmässigen Ausübung eines Rechtes", sondern wird selber zum Mitstörer. Es verstösst deshalb nicht gegen die Grundsätze des rechtsstaatlichen Polizeirechts und ist nicht willkürlich, wenn die Bestimmungen des § 60 BG und des § 1 VO auch dort angewendet werden, wo bei lückenloser Befolgung anderer verkehrspolizeilicher Vorschriften nicht mit einer Gefährdung des öffentlichen Verkehrs zu rechnen wäre.