BGE 60 I 349 - Nationale Front
V. VEREINSFREIHEIT
LIBERTE D'ASSOCIATION
 
53. Urteil vom 14. Dezember 1934
i. S. 1) Nationale Front und 2) Otto Brunner gegen Regierungsrat des Kantons Zürich.
Die Garantie der Vereinsfreiheit erstreckt sich nicht auf Vereinigungen, die nach militärischem Vorbild aufgebaute Schutzformationen für bestimmte politische    Gruppen  darstellen.
Zuständigkeit des zürcherischen Regierungsrates zum Erlass sicherheitspolizeilicher Verordnungen und Verfügungen.
 
Sachverhalt
 
A.
Der zürcherische Regierungsrat hat am 8. Februar 1934 "gestützt auf § 24 Ziff. 9 des Gesetzes betreffend die Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen vom 26. Februar 1899" beschlossen :
    "I. Selbstschutz- und Angriffsformationen politischer Parteien und ähnlicher Gruppen sind verboten.
    "II.  .....
    "III. Bei Übertretungen dieser Vorschriften werden Veranstalter und Teilnehmer mit Polizeibusse bis auf 500 Fr. bestraft, wenn nicht ein Vergehen im Sinne der
    Strafgesetze vorliegt......Ausrüstungen, Waffen und
    Munition sind zu konfiszieren und dem kantonalen Polizeikommando abzuliefern."
 
B. 
Am 6. Juli 1934 erliess die zürcherische Polizeidirektion, zur Hauptsache unter Berufung auf den eben genannten Regierungsratsbeschluss,  folgende Verfügung :
    "I. Die beiden Kampforganisationen "Kampfbund gegen Faschismus" und "Harst der Nationalen Front" werden mit den Untersektionen, Gruppen und Zellen, aus welchen sie sich zusammensetzen oder die ihnen angeschlossen sind, für das Gebiet des Kantons Zürich polizeilich verboten und aufgelöst.
    "II. Eigentum und Besitz der verbotenen Organisationen werden polizeilich eingezogen und in Verwahrung genommen unter Vorbehalt der Herausgabe an allfällige Berechtigte.
    ..."
 
C. 
Gegen diese Verfügung rekurrierten die Nationale Front, sowie Otto Sonderegger und Arthur Rupf als Mitglieder des betroffenen Harstes einerseits, Otto Brunner als Leiter des Kampfbundes anderseits an den zürcherischen Regierungsrat.    Dieser wies  am  9.  August  1934  beide Rekurse ab.
 
D.
Mit der vorliegenden Beschwerde Nr. 495 beantragen die Nationale Front, Otto Sonderegger und Arthur Rupf, es seien die Verfügung der zürcherischen Polizeidirektion vom 6. Juli und der abweisende Rekursentscheid des  Regierungsrates  vom  9.  August  1934  aufzuheben, soweit sie sich auf den Harst der Nationalen Front beziehen.
Mit Beschwerde Nr. 497 beantragt Otto Brunner, der Beschluss des Regierungsrates vom 9. August 1934 sei inbezug auf den Kampfbund gegen den Faschismus aufzuheben.
Beide Beschwerden berufen sich auf Art. 56 BV und Art. 3 zürch. KV, sowie auf Art. 4 BV.
 
E. 
Der zürcherische Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1.  Wenn auch über die Organisation und Betätigung des "Harst" und des "Kampfbund" in verschiedenen Einzelpunkten noch Unklarheit besteht, so ist doch erwiesen, dass jede dieser Vereinigungen eine nach militärischem Vorbild aufgebaute Schutzformation für die hinter ihr stehende politische Gruppe darstellen sollte (militärähnliche Einteilung, Rangordnung und vor allem Disziplin : Fragestellung unter militärischen Gesichtspunkten bei Aufnahme von Mitgliedern ; militärische Ausdrücke bei Aufgeboten usw.). Das Bestehen solcher Parteiformationen birgt in der heutigen Zeit gespannter politischer Verhältnisse, zumal in einem dichtbevölkerten Kanton wie Zürich, notwendig die Gefahr von Zusammenstössen, von Unruhen und in der letzten Auswirkung möglicherweise sogar des Bürgerkrieges in sich. Die in den Beschwerden angerufene Vereinsfreiheit kann sich aber unmöglich auf Vereinigungen beziehen, deren Existenz die staatliche Gemeinschaft in dieser Weise zu bedrohen geeignet ist. Art. 5G BV und ebenso Art. 3 zürch. KV (Sträuli, KV S. 40) garantieren das Recht freier Vereinsbildung lediglich unter Vorbehalt derjenigen Vereinigungen, die in ihrem Zweck oder den dafür bestimmten Mitteln rechtswidrig oder staatsgefährlich sind. Zu diesen von der Garantie ausgeschlossenen Formationen gehören sowohl der Harst als der Kampfbund, wobei es unerheblich ist, ob man sie den staatsgefährlichen Vereinen im eigentlichen Sinne gleichstellen oder den Verbindungen zuzählen will, die durch Zweck oder Mittel rechtswidrig sind (vgl. über den Begriff der Staatsgefährlichkeit eines Vereins insbesondere Burckhardt, Kommentar zur BV 3. Aufl. S. 524). Dass beide Organisationen unter dem Eindruck der ergangenen staatlichen Verbote auf Bewaffnung und Uniformierung verzichtet zu haben scheinen, ändert an ihrer aus der militärischen Organisation sich ergebenden Gefährlichkeit nicht viel. Es braucht daher auch der Zeugenbeweis, den die Nationale Front zu diesem wie zu andern gleichfalls unerheblichen Punkten anerboten hat, nicht abgenommen zu werden, und ebenso besteht keine Veranlassung, den Parteien Gelegenheit zu weiterer Aussprache über das vorliegende Aktenmaterial zu geben. Gewisse Verstösse gegen das Waffen- und Uniformverbot sind zudem allem Anscheine nach doch vorgekommen ; auch ist die Veranstaltung einer Nachtübung durch eine Abteilung des Zürcher Harstes unbestritten. Dass es sich dabei um Verfehlungen untergeordneter Organe gehandelt haben mag, die von der Leitung missbilligt wurden, nimmt den betreffenden Vorfällen nicht jede Bedeutung ; denn die Gefährlichkeit einer Organisation für die staatliche Gemeinschaft ist nicht bloss anhand der von der Führung aufgestellten Leitsätze, sondern auch in Ansehung des bei den untern Organen herrschenden Geistes zu beurteilen. Beim Kampfbund kommt hinzu, dass er, wie verschiedene Aufrufe und die Teilnahme seiner Mitglieder am Überfall bei der Stauffacherbrücke erkennen lassen, als Mittel der angeblich allein beabsichtigten Verteidigung auch den Angriff nicht von vornherein ausschliesst. Ob hinter dem Kampfbund lediglich die kommunistische Partei oder noch weitere Kreise der Arbeiterschaft stehen, ist nicht entscheidend. Dass die Leitung des Bundes in kommunistischen Händen liegt, wird übrigens nicht bestritten. Die Annahme des Regierungsrates, man habe es mit einer sogenannten Deckorganisation der kommunistischen Partei zu tun, ist daher sehr wohl gerechtfertigt. Eine nähere Untersuchung der hieraus sich ergebenden Folgerungen ist jedoch heute nicht erforderlich, nachdem das Verbot des Kampfbundes ohnehin aus den oben angeführten Erwägungen ergehen durfte. Die Rüge des Kampfbundes, dass er nur gleichzeitig mit der kommunistischen Partei hätte verboten werden können, ist unbegründet, da er nicht behauptet, dass die militärische Organisation, auf die der Regierungsrat das Hauptgewicht gelegt hat, auch bei der kommunistischen Partei vorhanden sei.
2.  Ist demnach den beiden streitigen Formationen die Berufung auf die verfassungsmässige Vereinsfreiheit überhaupt versagt, so können sie von vornherein auch nicht etwa aus Art. 56 BV ableiten, dass sie nur auf Grund einer besonderen kantonalgesetzlichen Bestimmung hätten verboten werden dürfen. Vielmehr ist für die Frage, ob der Regierungsrat zum Einschreiten gegen sie berechtigt war, im übrigen ausschliesslich das zürcherische Staatsrecht massgebend. Nach diesem hat die kantonale Regierung, wie § 24 Ziff. 9 des Organisationsgesetzes für den Regierungsrat voraussetzt, ein von besonderer gesetzlicher Ermächtigung unabhängiges Verordnungs- und Verfügungsrecht im Gebiete der Sicherheitspolizei (vgl. BGE 60 I S. 122). Gestützt hierauf erscheinen die streitigen Verbote ohne weiteres als unanfechtbar.
3.  Die Rüge des Kampfbundes, die zürcherischen Behörden  hätten  durch  Nichteinschreiten gegenüber dem Akademischen Harst und gegen die angeblich bestehende zürcherische  S. A.  der  deutschen  nationalsozialistischen Arbeiterpartei die Rechtsgleichheit verletzt, ist schon deshalb unbegründet, weil der Rekurrent in keiner Weise darzutun versucht, dass diese Gebilde ähnlichen Charakter und ähnliche Bedeutung wie  der  Kampfbund und der Harst hätten.  Das gleiche gilt bezüglich des entsprechenden Hinweises  auf die  sozialdemokratischen Versammlungsordner, welcher im kantonalen Rekurs der Nationalen Front enthalten ist, sofern überhaupt in dieser Hinsicht durch die blosse heutige Erklärung der Rekurrentin, dass ihr  kantonaler  Rekurs  integrierender  Bestandteil  der staatsrechtlichen Beschwerde sein solle, ein Beschwerdegrund rechtsgenügend geltend gemacht worden ist.  Ergänzend ist festzuhalten, dass der Regierungsrat das Verbot weiterer Vereinigungen vom Resultat der eingeleiteten Untersuchungen abhängig macht.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht :
Beide Beschwerden werden abgewiesen.