BGE 39 I 113 - Auslieferung bei Schmuggel
 
14. Urteil
vom 19. März 1913 in Sachen Bauer-Moser.
Eine für Zwecke des Schmuggels begangene Urkundenfälschung ist Auslieferungsdelikt im Sinne von Art. 1 Ziff. 17 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages. --  Vorbehalt der Nichtbestrafung des Schmuggels, gemäss Art. 11 Abs. 2 AuslG und Art. 4 Abs. 3 des erwähnten Ausl.-V.
 
Sachverhalt
Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:
 
A.
Mit Note vom 1. März 1913 hat das großherzoglich badische Ministerium der Justiz und des Auswärtigen in Karlsruhe, unter Berufung auf den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche vom 24. Januar 1874, beim Bundesrat die Auslieferung des mit seiner Familie in Birsfelden (Kanton Basel-Landschaft) wohnhaften und dort zur Haft gebrachten preußischen Staatsangehörigen Adolf Bauer-Moser nachgesucht zum Zwecke seiner Strafverfolgung im Großherzogtum Baden gemäß beigelegtem Haftbefehl des großherzogl. Amtsgerichts III in Lörrach vom 25. Februar 1913. Danach ist der Auszuliefernde beschuldigt, sich, in rechtswidriger Absicht und um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, gemeinsam mit einem Andern der Fälschung einer Privaturkunde im Sinne der §§ 267 und 268 Ziffer 1 Reichs-StGB dadurch schuldig gemacht zu haben, daß er "am 17. Februar 1913 einen statistischen Anmeldeschein zollfreier Waren ausfüllte und mit dem Namen J. Kunz Unterzeichnete, während Emil Faller aus Hausen den Stempel der Futtermehlfabrik J. Kunz in Basel beisetzte und den Schein am 18. Februar in Bauers Auftrag dem Unterzollamt Weil-Friedlingen übergab, um die Zollbeamten in den Glauben zu versetzen, daß die eingeführte Ware ausschließlich aus Futtermehl bestehe, während 50 Kg. Saccharin beigepackt waren."
Die angerufenen Strafbestimmungen lauten:
    § 267
    "Wer in rechtswidriger Absicht ..... eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht, wird wegen Urkundenfälschung mit Gefängnis bestraft."
    § 268
    "Eine Urkundenfälschung, welche in der Absicht begangen wird, sich oder einem Andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem Andern Schaden zuzufügen, wird bestraft, wenn
    1. die Urkunde eine Privaturkunde ist, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu 3000 Mark erkannt werden kann."
 
B.
Bauer-Moser hat gegen die Bewilligung seiner Auslieferung mit folgender Begründung protestiert: Die ihm laut Haftbefehl zur Last gelegte Urkundenfälschung -- die er übrigens begangen zu haben bestreite -- sei erfolgt in Umgehung von Zollvorschriften; denn die "betrügerische" oder "schädigende" Absicht, von deren Vorhandensein nach Art. 1 Ziff. 17 des Auslieferungsvertrages die Gewährung der Auslieferung abhängig sei, werde von der verfolgenden Amtsstelle in der beabsichtigten Täuschung der Zollbeamten über die Natur der einzuführenden Ware erblickt. Es handle sich somit nicht um ein gemeines Delikt, sondern um ein Zollvergehen, für das nicht ausgeliefert werden dürfe. Eventuell verlange er, daß die deutsche Behörde die Zusicherung abgebe, gegen ihn keine Untersuchung wegen irgend eines Zollvergehens einzuleiten, gemäß Art. 4 Abs. 3 des Auslieferungsvertrages.
 
C.
Mit Zuschrift vom 8. März 1913 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gemäß Art. 23 AuslG vom 22. Januar 1892 die Akten dem Bundesgericht zum Entscheide übermittelt.
In einem beigelegten Gutachten vom gleichen Tage schließt die Bundesanwaltschaft dahin, es sei dem Auslieferungsgesuch zu entsprechen, da die dem Auszuliefernden zur Last gelegte Handlung den Tatbestand der sowohl nach Reichs-StGB, als auch nach dem Strafgesetz des Kantons Basel-Landschaft strafbaren Urkundenfälschung in betrügerischer Absicht erfülle und dem Umstande, daß das Verbrechen begangen worden sei, um eine Zollumgehung zu verdecken, für den Auslieferungsentscheid keine Bedeutung zukomme, indem zwei vollkommen selbständige Handlungen in Frage ständen. Den von Bauer eventuell verlangten Vorbehalt erachtet die Bundesanwaltschaft als nicht erforderlich, weil eine Bestrafung wegen Zollübertretung schon durch Art. 4 des Staatsvertrages und durch die Tatsache ausgeschlossen sei, daß die Auslieferung ausdrücklich wegen Urkundenfälschung nachgesucht werde; --
 
in Erwägung:
Nach Art. 1 Ziffer 17 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche vom 24. Januar 1874 hat die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Fälschung von Urkunden, wie auch wegen wissentlichen Gebrauches falscher oder gefälschter Urkunden stattzufinden, "vorausgesetzt, daß die Absicht zu betrügen oder zu schaden obgewaltet hat". Nun bestreitet der Angeschuldigte -- offenbar mit Recht -- nicht, daß die ihm laut Haftbefehl (auf dessen Inhalt auslieferungsrechtlich ohne weiteres abzustellen ist) zur Last gelegte Handlung: die Teilnahme an der Fälschung eines statistischen Anmeldescheins zollfreier Waren und die Veranlassung der Übergabe dieses Scheines an ein deutsches Zollamt zum Zwecke einer unrichtigen Warendeklaration und der dadurch zu ermöglichenden Einfuhr von Saccharin nach Deutschland (die gemäß § 2 litt. b des deutschen Süßstoffgesetzes vom 7. Juli 1902 verboten ist und sich demnach als "Kontrebande" im Sinne von § 134 des deutschen Vereinszollgesetzes darstellt) den Straftatbestand der §§ 267 und 268 Ziff. 1 Reichs-StGB erfüllt und daß dieser Straftatbestand den Merkmalen des erwähnten Auslieferungsdeliktes an sich entspricht. Es kann in der Tat speziell auch darüber kein Zweifel bestehen, daß bei jener Handlung auch die in Art. 1 Ziffer 17 des Auslieferungsvertrages noch besonders geforderte "Absicht zu täuschen oder zu schaden" vorliegt, da die versuchte Umgehung des gesetzlichen Verbotes der Einfuhr von Saccharin sich jedenfalls als "betrügerisch" im strafrechtlichen Sinne charakterisiert, indem sie durch Täuschung der Zollbeamten erreicht werden sollte und ihr die Absicht zu Grunde lag, das eingeführte Saccharin mit eigenem Gewinn abzusetzen, zum effektiven, wenn auch vielleicht nicht bewußt gewollten, Schaden der deutschen Zuckerindustrie, zu deren Schutz das fragliche Einfuhrverbot erlassen worden ist (vergl. Stenglein, Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des deutschen Reichs, 4. Auflage I S. 683). Dagegen wendet der Angeschuldigte ein, daß seine Auslieferung gemäß Art. 4 Abs. 3 des Auslieferungsvertrages nicht zulässig sei, weil die angebliche Urkundenfälschung "in Umgehung von Zollvorschriften erfolgt" sei und es sich somit um ein Zollvergehen handle, das kein Auslieferungsdelikt bilde. Dieser Einwand geht fehl. Von Absorption oder Konsumtion der Urkundenfälschung durch das in Betracht fallende Zolldelikt der "Kontrebande", derart, daß die Strafbarkeit jener ersteren in derjenigen dieser letzteren aufgehen würde (was der Angeschuldigte wohl behaupten will), könnte nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen nur die Rede sein, wenn der begriffliche Tatbestand der Urkundenfälschung zu den Begriffsmerkmalen der Kontrebande gehören, diese also eine Urkundenfälschung stets und notwendigerweise in sich schließen würde. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Der "Kontrebande" macht sich, laut § 134 des deutschen Vereinszollgesetzes, jeder schuldig, der "es unternimmt", Gegenstände einem bestehenden Einfuhrverbote zuwider in Deutschland einzuführen; die Art und Weise des "Unternehmens" ist für den Straftatbestand unerheblich, insbesondere bedarf es dazu überhaupt nicht speziell eines Versuches der Täuschung von Zollbeamten vermittelst einer unrichtigen Warendeklaration. Und zudem setzt auch die unrichtige Warendeklaration als solche begrifflich nicht etwa eine Urkundenfälschung voraus; denn auch sie erfordert nicht notwendig die Verwendung einer gefälschten d.h. tatsächlich nicht von demjenigen, der darin als Aussteller bezeichnet ist, herrührenden und in diesem Sinne formel unwahren Urkunde, sondern für ihren Tatbestand wesentlich ist nur die materielle Unrichtigkeit der vom Pflichtigen abgegebenen Deklaration. Die Urkundenfälschung erweist sich somit als ein vom fraglichen Zolldelikt durchaus unabhängiger Straftatbestand, für den die Auslieferung nach Maßgabe des Art. 1 Ziff. 17 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages zu gewähren ist.
Der vom Verfolgten eventuell verlangte Vorbehalt ist nach Art. 4 Abs. 3 des Auslieferungsvertrages materiell begründet und seine Beifügung rechtfertigt sich auch in formeller Hinsicht, obschon er, wie die Bundesanwaltschaft zutreffend geltend macht, nach Lage der Akten an sich nicht erforderlich wäre, doch im Hinblick auf die positive Vorschrift in Art. 11 Abs. 2 AuslG von 1892; --
 
erkannt:
Die Einsprache Bauer-Mosers gegen seine Auslieferung nach Deutschland wird abgewiesen, und es hat die Auslieferung stattzufinden, immerhin unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß allfällige Zolldelikte des Ausgelieferten bei dessen Strafverfolgung nicht berücksichtigt werden dürfen.