BVerfGE 86, 1 - TITANIC/'geb. Mörder'
Zur Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) bei Äußerungen in einem Satiremagazin (Bezeichnung eines Menschen als "geb. Mörder" und als "Krüppel").
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 25. März 1992
-- 1 BvR 514/90 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn E..., 2. des Herrn F..., 3. der TITANIC Verlags GmbH & Co. KG... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Edwin-W.Kropp-Olbertz, Günther Kremer I, Dr. Ine-Marie Schulte-Franzheim und Winfried Seibert, Sachsenring 75, Köln 1 - gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. März 1990 - 15 U 89/89 -.
Entscheidungsformel:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. März 1990 - 15 U 89/89 - verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen zweier in der Zeitschrift "TITANIC - Das endgültige Satiremagazin" erschienener Beiträge.
I.
1. Das Magazin wird von der Beschwerdeführerin zu 3) herausgegeben; verantwortlicher Redakteur ist der Beschwerdeführer zu 2). Der Beschwerdeführer zu 1) hat die beanstandeten Beiträge verfaßt.
a) Das monatlich erscheinende Magazin enthielt die ständige Rubrik "Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten". Darin wurden - gesondert umrandet - die Namen von verschiedenen, meist öffentlich bekannten Personen mit einem schlagwortartigen Zusatz genannt. Im Begleittext wurde sodann eine nähere Begründung für die Auswahl gegeben.
In der März-Ausgabe 1988 ist den drei letzten Namen der Liste ein Klammerzusatz beigefügt, der jeweils mit "geb." beginnt, aber nur bei der an fünfter Stelle genannten Frau Desiree Becker im herkömmlichen Sinne zur Kennzeichnung ihres Geburtsnamens als "geb. Nosbusch" verwandt wird. An sechster Stelle wird der gegenwärtige Bundespräsident als "Richard von Weizsäcker (geb. Bürger)" aufgeführt, während an siebter Stelle der Kläger des Ausgangsverfahrens mit Vor- und Zunamen und mit dem Klammerzusatz "geb. Mörder" genannt wird.
Im Begleittext dazu heißt es:
    "Noch obszöner ist freilich die Vorstellung, daß ein Querschnittsgelähmter im Rollstuhl zu einer Wehrübung einrückt. Nicht, weil er müßte - nein, er wollte unbedingt. Gegen alle Widerstände der von solchem Kampfeseifer verblüfften Bundeswehrführung hat M. R... seinen eisernen Willen durchgesetzt und freut sich nun "unheimlich" aufs Kriegspielen. "Dein Kopf ist doch völlig o.k." will er sich gesagt haben, "warum solltest du der Bundeswehr nicht weiterhin als Reserve-Offizier nützlich sein?" Eine müßige Frage, da schon die Voraussetzung offenbar falsch ist.
    Daß man Soldaten fürderhin ganz ungestraft als "potentielle Mörder" bezeichnen darf, hat ganz unterschiedliche Gemüter schwer erregt. Vom wild gewordenen Rentner ("Pfui Teufel!") bis zum zahmen Bundespräsidenten haben sämtliche Militaristen prompt den Restverstand verloren vor Empörung. R. v. Weizsäcker hat das tödlichste Argument gefunden: "Soldaten sind Bürger und ebensowenig Mörder wie die anderen Bürger. Sie haben vielmehr den Auftrag, Mord zu verhindern". Mörder sind nämlich immer nur die anderen Soldaten, klar."
Den Anlaß für die Aufnahme des bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannten Klägers in die Rubrik "Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten" hatte ein im Dezember 1987 über ihn in der Zeitung "BILD am Sonntag" erschienener Bericht gegeben. Der damals 24jährige Kläger hatte vier Jahre zuvor einen Verkehrsunfall erlitten. Er ist seitdem vom 6. Nackenwirbel abwärts querschnittsgelähmt und kann nur noch Kopf, Brust und Arme bewegen; seine Finger sind gefühllos. Gleichwohl betrieb er seine Rehabilitation, studierte, fährt Auto und treibt Sport. Während seines früheren Dienstes bei der Bundeswehr hatte er tschechische Sprachkenntnisse erworben und sich zum Übersetzer ausbilden lassen. Die Bundeswehr lehnte seinen Antrag, ihn zu einer Wehrübung einzuberufen, zunächst im Hinblick auf die Querschnittslähmung ab. Nach weiteren Bemühungen konnte er jedoch seine Einberufung zu einer Übung erreichen. In dem über ihn in "BILD am Sonntag" erschienenen Artikel wird er mit den Worten zitiert:
    "Und irgendwann habe ich mir gesagt: Dein Kopf ist doch völlig o.k., warum sollst du der Bundeswehr nicht weiterhin als Reserve- Offizier nützlich sein? Tschechisch kann ich auch im Sitzen reden."
Der Zeitungsbericht schließt mit den Worten: "R. strahlend: Ich freue mich unheimlich."
Zur gleichen Zeit löste ein von der Anklage der Volksverhetzung und Beleidigung freisprechendes Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1987 eine lebhafte öffentliche Diskussion aus. Der Angeklagte hatte anläßlich eines Podiumsgesprächs im Jahre 1984 zu einem teilnehmenden Hauptmann der Bundeswehr unter anderem gesagt: "Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder - und Sie auch, Herr W. ... Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe, weil jeder Soldat ein potentieller Mörder ist und weil Sie Soldat sind. ... Bei der Bundeswehr gibt es einen Drill zum Morden über 15 Monate lang, besonders in den ersten drei Monaten".
In Presseartikeln des Monats Dezember 1987 wurde über Äußerungen des Bundespräsidenten zu diesem Urteil berichtet. Er habe es als unverständlich und unbegreiflich bezeichnet. Soldaten der Bundeswehr seien ebensowenig Mörder wie die anderen Bürger. Sie hätten vielmehr den Auftrag, Mord zu verhindern.
b) Die Veröffentlichung in der TITANIC veranlaßte den Kläger, von den Beschwerdeführern Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verlangen. In der Juli-Ausgabe 1988 des Satiremagazins erschien daraufhin in der ständigen Rubrik "Briefe an die Leser" ein Artikel unter voller Namensnennung des Klägers mit nachfolgendem Inhalt:
    "Den Vorgang, daß ein Krüppel, nämlich Sie, granatenscharf darauf ist, in einer Organisation, nämlich der Bundeswehr, Dienst zu tun, deren Zweck es ist, Menschen zu Krüppeln oder gar totzuschießen, fanden wir obszön und ernannten Sie zur siebtpeinlichsten Persönlichkeit des Monats März. Den Folgevorgang, daß Sie unsere damaligen Zweifel an der Vollzähligkeit Ihrer Tassen im Spind zum Anlaß nahmen, über einen Anwalt uns ein weit überhöhtes Schmerzensgeld von 50000 DM abzufordern, weil "das rechtliche und tatsächliche Gewicht der öffentlichen Beleidigung unseres Mandanten" "weit schwerer" sei, als wenn wir "einen gesunden Menschen verunglimpft hätten", finden wir odiös. Oder wie würden Sie die rechtliche Degradierung des Gesunden zum Menschen zweiter Klasse nennen? Obskur? Ochlokratisch gar? Nein? Finden Sie okay? Tatsächlich?
    Na dann - werden wir uns wohl vor Gericht wiederfinden.
    Titanic"
2. Der Kläger hat wegen dieser Veröffentlichungen die Beschwerdeführer auf Zahlung eines Schmerzensgeldes verklagt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, während ihr das Oberlandesgericht durch das angegriffene Urteil in Höhe von 12.000 DM stattgegeben hat.
a) Die Beschwerdeführer hätten sich einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung schuldig gemacht. Die im Zusammenhang zu sehenden Artikel seien eine böswillige und gehässige Schmähkritik, die sich durch ein Übermaß an nicht hinzunehmender Abwertung auszeichne. Die Bezeichnung des Klägers als "geb. Mörder" solle beim Leser die Vorstellung hervorrufen, er sei sozusagen "von Geburt an", also seinem Wesen nach "der geborene Mörder". Das gelte um so mehr, als auf der gegenüberliegenden Umschlagseite unter Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts Frankfurt hervorgehoben werde, daß "man" "den" deutschen Soldaten als "potentiellen Mörder" bezeichnen dürfe. Der Kläger werde geradezu als "Belegexemplar" dafür vorgeführt, daß Soldaten der Bundeswehr nicht nur "potentielle" Mörder seien, sondern daß einigen von ihnen diese Eigenschaft angeboren sei, insbesondere dem Kläger. Er werde dadurch nicht nur als "möglicher" Mörder - als eine Person, die nur möglicherweise zum Mörder werden könne - dargestellt, sondern als eine Person, deren Wesensmerkmal es sei, Mörder zu sein. Gemeint sei eine innere Veranlagung, töten zu wollen. Daß das so gemeint sei, werde durch den späteren Brief bestätigt: Wenn gesagt werde, daß der Kläger "granatenscharf" darauf sei, einer Organisation zu dienen, deren Zweck es sei, andere Menschen zu Krüppeln oder gar totzuschießen, und sich diese Zwecke zu eigen mache, so sei damit nicht ein (Fehl-)Verhalten, sondern eine wesensmäßige Veranlagung beschrieben.
Eine Herabwürdigung des Klägers liege ferner darin, daß ihm die geistige Gesundheit abgesprochen werde. In dem Artikel werde unter Bezugnahme auf den Bericht in BILD am Sonntag der Ausspruch des Klägers, sein Kopf sei o.k., verdreht und auf seine angebliche Freude am "Kriegspielen" bezogen. Sein Verhalten werde als kriegslüstern und so widersinnig hingestellt, daß (auch) Zweifel an der geistigen Verwirrtheit des Klägers "offenbar" nicht angebracht seien.
b) Diese Schmähkritik sei in der Juli-Ausgabe fortgesetzt worden, indem die Beschwerdeführer in Bezug auf den Kläger erneut auf "Zweifel an der Vollzähligkeit Ihrer Tassen im Spind" hingewiesen hätten. Bereits die Bezeichnung eines Körperbehinderten als "Krüppel" sei in der heutigen Zeit eine Formalbeleidigung. Sie sei mit dem Makel des Minderwertigen behaftet. Rede man einen Körperbehinderten als "Krüppel" an, bringe man damit die Mißachtung seiner Person zum Ausdruck.
c) Die Beschwerdeführer sähen zu Unrecht ihre Rechtfertigung in - erlaubter - Satire. Es sei schon zweifelhaft, ob es sich bei Artikel und Leserbrief überhaupt um eine solche handele. Satire sei eine Kunstform, in der sich der "an einer Norm orientierte Spott über Erscheinungen der Wirklichkeit" nicht direkt, sondern indirekt, durch die ästhetische Nachahmung eben dieser Wirklichkeit ausdrücke. Diesen Anforderungen, die eine gewisse künstlerische ("ästhetische") Verfremdung des Wirklichen voraussetzten, genügten die Veröffentlichungen nicht. Sie beschränkten sich vielmehr auf eine Wiedergabe des - angeblich - Wirklichen und eine Kritik des Dargestellten. Allein der Umstand, daß beide Veröffentlichungen in einer Zeitschrift erschienen seien, die sich als "Satiremagazin" bezeichne und vorgeblich an einen Leserkreis wende, der etwas von Satire verstehe, mache sie dagegen nicht zur Satire.
Auf die Freiheit der Kunst könne sich nur berufen, wer eine künstlerische Aussage zu machen habe, nicht aber, wer sich nur über die Wirklichkeit äußere. Die satirische Form, sei sie auch noch so gelungen, erhebe einen Text nicht zum Kunstwerk. Die Darstellung der "sieben peinlichsten Persönlichkeiten" sei bereits von der Form her keine künstlerische Aussage, sondern bloße Kritik an bestimmten lebenden Personen und ihrem aktuellen Verhalten. Diese Kritik werde allenfalls mit Stilelementen der Satire vorgebracht, das hebe sie aber nicht in den Rang eines Kunstwerks.
Selbst wenn man die Veröffentlichung als Satire und deshalb als Kunstwerk ansehen wollte, enthielte sie eine schwere, rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung. Auch dem Künstler sei nicht erlaubt, über die von ihm dargestellte Person Unwahres zu berichten. Die Beschwerdeführer hätten sich nicht eines verzeichnenden Stilmittels bedient, um ein zwar mißverständliches, aber zutreffendes Bild vom Kläger zu zeichnen, sondern sie hätten dieses verzeichnet. Die im Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht andererseits vorzunehmende Abwägung müsse zugunsten des Persönlichkeitsrechts des Klägers ausfallen. Die beanstandeten Texte lebten nicht von Übertreibungen und Überspitzungen des dargestellten Sachverhalts, sondern sie bezweckten - ungeachtet der teilweisen Unwahrheit der Darstellung - gerade durch die Wortwahl eine persönliche Verunglimpfung des Klägers.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Eine die Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit nicht beachtende Schmerzensgeldrechtsprechung sei geeignet, diese für das Wesen des freiheitlichen Rechtsstaates konstituierenden Grundrechte nachhaltig zu beeinträchtigen.
Die Veröffentlichungen seien durch die Kunstfreiheit geschützt. Der satirisch-literarische Charakter der Texte stehe eindeutig fest. Daß ein der Satire unkundiger Leser diese mißverstehen könne, sei unerheblich. Das Magazin wende sich an einen Leserkreis, welcher der (politischen) Satire mit besonderem Interesse und Verständnis gegenüberstehe. Sie dürfe nicht beim Wort genommen werden, sondern müsse erst des in Wort und Bild gewählten Gewandes entkleidet werden, bevor ihr Kern beurteilt werden könne. In diesem Sinne sei die "Rangliste" mit den Zusätzen zu den einzelnen Namen für sich genommen unverständlich; der Leser müsse zu ihrer Beurteilung den Lauftext zur Hilfe nehmen. Dadurch werde deutlich, daß es bei der Gegenüberstellung "Bürger/Mörder" nicht um die Person des Klägers, sondern um das Prinzip der unterschiedlichen Beurteilung des Soldatseins gehe.
Nach dem Frankfurter Soldatenurteil habe sich der Bundespräsident mit der im Text wiedergegebenen Äußerung in die Diskussion eingeschaltet. Daneben habe die ebenfalls richtig geschilderte Geschichte des Klägers gestanden, der sich trotz seiner schweren Behinderung mit beträchtlichem Aufwand und selbst veranstaltetem publizistischem Echo mit Erfolg darum bemüht habe, an einer Reserveübung der Bundeswehr teilzunehmen. Darüber hinaus habe er als anonymisierter Prototyp "des Soldaten" gestanden, wobei "die Soldaten" gerade Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung über das Frankfurter Soldatenurteil gewesen seien. Der der Satire kundige Leser habe diese Anspielung ebenso wie das Landgericht in seinem vom Oberlandesgericht aufgehobenen Urteil richtig verstanden. Das Landgericht habe ausgeführt, die satirisch überzeichnenden Formulierungen verhinderten in ihrer Gesamtheit, daß beim Leser auch nur der geringste Eindruck entstehe, der Kläger sei von seiner Charakterstruktur her ein verbrecherischer Mensch oder von der ganzen Anlage seiner Persönlichkeit her daran interessiert, als Mörder tätig zu werden, also "der geborene Mörder" zu sein. Wenn ein solches Verständnis des Artikels möglich sei, habe das Oberlandesgericht nicht die andere, den Beschwerdeführern ungünstige Interpretation zugrunde legen dürfen.
Die Umkehrung der eigenen Aussage des Klägers, sein Kopf sei völlig o.k., warum solle er der Bundeswehr nicht weiterhin als Reserveoffizier nützlich sein, stelle für den der Satire kundigen Leser nur die scharfe Kritik an dessen unverständlichem Verhalten dar. Über seine geistigen Fähigkeiten, seine Intelligenz oder sein Beurteilungsvermögen im allgemeinen werde nichts ausgesagt, sondern lediglich sein Verhalten im konkreten Fall kopfschüttelnd registriert. Die Zweifel am Verstand des Klägers hätten sich nicht auf geistige Defizite im klinischen Sinne bezogen, sondern auf die grundsätzliche Wertentscheidung desjenigen, der sich so verhalte.
Selbst wenn bei werkgerechter Auslegung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen werde, sei diese im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit zulässig. Die Grenze sei erst bei der Schmähkritik zu ziehen, die bei richtigem Verständnis des Textes nicht vorliege. Die Umkehrung der den Kopf des Klägers betreffenden Aussage solle ausdrücken, daß sein Verhalten aus der Sicht der Beschwerdeführer "hirnverbrannt" sei. Das sei eine pointierte Äußerung unterhalb der Schwelle zur Schmähkritik.
Der "Brief an die Leser" greife diese Diskussion lediglich nochmals auf. Die für sich genommen unzulässige Bezeichnung des Klägers als "Krüppel" müsse vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um das Frankfurter Soldatenurteil verstanden werden, bei der es im Kern darum gegangen sei, daß es zum Berufsbild der Soldaten gehöre, andere Menschen zu töten, zu verwunden und damit zu "Krüppeln" zu machen. An dieser tragischen Bedeutung des Wortes "Krüppel" habe sich nichts geändert.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, soweit sie wegen des in der März-Ausgabe 1988 der TITANIC erschienenen Artikels zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt worden sind. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist jedoch die Auffassung des Oberlandesgerichts, der an den Kläger gerichtete Brief in der Juli-Ausgabe 1988 verletze ihn in seinem Persönlichkeitsrecht.
I.
1. Prüfungsmaßstab hinsichtlich beider Presseartikel ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
a) Der Beitrag in der März-Ausgabe 1988 ist allerdings durch satirische Verfremdung geprägt. Seine satirischen Elemente heben ihn jedoch noch nicht in den Rang eines durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Kunstwerks. Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst. Das ihr wesenseigene Merkmal, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten, kann ohne weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung oder der durch Massenmedien sein. Allerdings muß auch bei der Anwendung dieser Grundrechte stets der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden. Auch Erklärungen, die lediglich unter Art. 5 Abs. 1 GG fallen, darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte; das gilt besonders bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung.
Wo bei satirisch gemeinten Äußerungen die Grenze zwischen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verläuft und ob eine satirische Äußerung im Einzelfall im Schutzbereich beider Grundrechte liegen kann, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. auch BVerfGE 68, 226 [233]). Selbst wenn auf den Märzbeitrag nur das nicht vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG angewendet wird, hält das angegriffene Urteil der verfassungsrechtlichen Überprüfung insoweit nicht stand.
b) Der "Brief an den Leser" in der Juli-Ausgabe 1988 der TITANIC ist hingegen nicht durch das für eine Satire Typische geprägt, nämlich durch Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung. Er stellt vielmehr eine Antwort auf die Schmerzensgeldforderung des Klägers dar; diese wird abgelehnt. Zwar enthält er gewisse Elemente der Verfremdung, so etwa daß abweichend von üblichen Leserbriefspalten nicht der Leser zu Wort kommt und dessen Zuschrift abgedruckt wird, vielmehr umgekehrt die Redaktion nochmals das Wort ergreift und die Äußerung des Lesers zum Gegenstand ihrer Antwort macht. Diese Elemente prägen indessen den Beitrag nicht. Vielmehr wird er durch seinen Inhalt bestimmt, das Begehren des Klägers abzuwehren.
2. a) Das Urteil des Oberlandesgerichts unterliegt einer intensiven verfassungsrechtlichen Prüfung. Diese kommt nicht nur bei strafgerichtlicher Ahndung eines dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterliegenden Verhaltens wegen des darin liegenden nachhaltigen Eingriffs in Betracht. Ein solcher Eingriff ist vielmehr auch bei zivilgerichtlichen Entscheidungen anzunehmen, wenn diese geeignet sind, über den konkreten Fall hinaus präventive Wirkungen zu entfalten, das heißt in künftigen Fällen die Bereitschaft mindern können, von dem betroffenen Grundrecht Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 54, 129 [139]; 83, 130 [145 f.]).
Diese Gefahr besteht hier. Ein Satiremagazin wie TITANIC, das es sich angelegen sein läßt, wirkliche oder vermeintliche Mißstände aufzugreifen und anzuprangern, hierbei häufig das Verhalten bestimmter Personen geißelt und dabei Übertreibungen und Verfremdungen als Stilmittel verwendet, könnte zur Aufgabe seiner Eigenart gezwungen sein, wenn Schmerzensgeldklagen deshalb Erfolg hätten, weil die Fachgerichte die Reichweite der Meinungsfreiheit verkennen.
Die Prüfung erstreckt sich deshalb darauf, ob das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung dem Sinn und der Eigenart des Textes ausreichend Rechnung getragen hat. Untersucht werden muß auch, ob das Gericht die Veröffentlichungen unzutreffend als Formalbeleidigung oder Schmähkritik mit der Folge eingestuft hat, daß sie dann nicht im selben Maße am Schutz des Grundrechts teilnehmen wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 60, 234 [242]; 61, 1 [10]; 82, 43 [51]; 82, 272 [281]).
b) Die Meinungsfreiheit ist vom Grundgesetz allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Diese Bestimmungen müssen aber ihrerseits wieder im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt werden, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 7, 198 (202 f.); st. Rspr.). Das führt in der Regel zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Rechtsgut.
II.
Hiernach hält die Entscheidung des Oberlandesgerichts der verfassungsrechtlichen Prüfung nur teilweise stand.
1. Soweit es seinem Urteil den Artikel im März-Heft 1988 zugrunde legt, verletzt es Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schon deshalb, weil es bei dessen Deutung keine der Satire gerecht werdenden Maßstäbe angelegt hat.
Der Artikel war Teil einer damals ständigen Rubrik, mit der die üblicherweise positive Rang- oder Bestsellerliste anderer Magazine in eine Negativliste gewendet wurde. Der zugehörige Text deckte in mehr oder weniger rüder Weise tatsächlich oder vermeintlich schwache Stellen der betroffenen Personen auf. Neben diese Verfremdung des üblichen Inhalts solcher Listen trat noch der charakteristische Stil der Beiträge, der nicht nur durch Verzerrung oder Überzeichnung, sondern auch durch eine erkennbar unernste, durch Wortwitze bis hin zu Albernheiten geprägte Sprache gekennzeichnet war. Ziel war es ersichtlich auch, zum Lachen zu reizen, was ein typisches Ziel der Satire ist; dieser ist es wesenseigen, daß sie mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen arbeitet (vgl. BVerfGE 75, 369 [377]).
Besonders deutlich wird das durch die für die drei zuletzt genannten Personen gewählten Zusätze "geb.". Während dieser Zusatz für Frau Becker im herkömmlichen Sinne benutzt wird, um ihren - der Öffentlichkeit wesentlich bekannteren - Geburtsnamen kenntlich zu machen, trifft das schon auf den dem Namen des Bundespräsidenten beigefügten Zusatz "geb. Bürger" nicht zu. Im Falle des Klägers wird die Verfremdung noch einmal gesteigert, indem satirisch an das Urteil des Landgerichts Frankfurt angeknüpft wird, das sich mit der Frage zu befassen hatte, ob die Bezeichnung eines Soldaten als "potentieller Mörder" eine strafbare Volksverhetzung und Beleidigung darstellt.
Die Satire muß ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes entkleidet werden, um ihren eigentlichen Inhalt erkennen zu lassen. Ihr Aussagekern und ihre Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung der karikierten Person enthalten (vgl. BVerfGE 75, 369 [377 f.]). Bereits diesen Ansatzpunkt hat das Oberlandesgericht verfehlt, wenn es ausführt, die Wirklichkeit werde gerade nicht - nachahmend - indirekt, sondern direkt und gezielt angesprochen. Daran ist zwar richtig, daß sich der Begleittext auf das den Gegenstand der öffentlichen Erörterungen bildende Urteil des Landgerichts Frankfurt bezieht und der Beschwerdeführer zu 1) als Verfasser des Artikels die Kritik an diesem Urteil angreift. Das Oberlandesgericht klammert sich jedoch an die Bezeichnung "Mörder", die es wörtlich nimmt. Beim Leser solle die Vorstellung hervorgerufen werden, der Kläger sei sozusagen "von Geburt an", also seinem Wesen nach "der geborene Mörder". Diese Eigenschaft sei ihm in dem Sinne angeboren, daß er die innere Veranlagung habe, töten zu wollen. Dieses Verständnis verfehlt den Aussagegehalt des Artikels. Die isolierte Betrachtung der Zusatzbezeichnung "geb. Mörder" läßt außer acht, daß sich der gesamte Text nicht nur gegen den Kläger richtet, sondern auch das Verhalten anderer Personen aufs Korn nimmt und deren Namen ebenfalls der Zusatz "geb." beigefügt wird. Sie hat zur Qualifizierung der Äußerung als Schmähkritik zumindest beigetragen.
Das Urteil wird in diesem Punkt auch nicht von der Hilfserwägung getragen, wonach eine unerlaubte, schwere, rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung selbst dann vorliege, wenn man die Veröffentlichung als Satire ansehe. Hierin kommt wiederum die unzureichende Interpretation der Satire zum Ausdruck, die die persönliche Verunglimpfung des Klägers in den Vordergrund stellt, indessen kein Auge dafür hat, daß der Zusatz hinter dem Namen des Klägers "geb. Mörder" im Gesamtzusammenhang des Artikels im übertragenen Sinne zu verstehen ist.
2. Anders steht es um den Beitrag im Juli-Heft 1988, in welchem der Kläger als "Krüppel" angeredet worden ist, was das Oberlandesgericht als Formalbeleidigung beurteilt. Seine Wertung, die unmittelbare Anrede des Behinderten mit dieser Bezeichnung bringe dessen Mißachtung zum Ausdruck und verletze ihn schwer in seinem Persönlichkeitsrecht, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und läßt insbesondere keine Fehlgewichtung zu Lasten der Meinungsäußerungsfreiheit erkennen. Mit der Bezeichnung "Krüppel" ist nicht nur der in seiner Bewegungsfähigkeit auf Dauer behinderte Mensch mit Mißbildungen oder fehlenden Gliedmaßen gemeint (vgl. etwa Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, S. 1592). Der Begriff wird auch nicht nur wie in früheren Jahrhunderten als Beschreibung eines mißgebildeten körperlichen Zustandes gebraucht (vgl. die umfangreichen Nachweise bei Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1984, Sp. 2472 ff.). Heute wird die Anrede eines Menschen mit dem Wort "Krüppel" als Demütigung verstanden. Er wird damit zum minderwertigen Menschen gestempelt. Der Bedeutungswandel zeigt sich besonders darin, daß er auch gegenüber dem körperlich Gesunden benutzt wird, um diesen zu beschimpfen und in seinem Ansehen herabzusetzen. Diese Bedeutung verliert die Bezeichnung nicht dadurch, daß das Bemühen des Klägers, als körperlich Behinderter gleichwohl Dienst bei der Bundeswehr zu verrichten, kritisiert wird. Im Zusammenhang mit Kriegs- und Unfallopfern hat das Wort "Krüppel" zwar auch heute noch einen eher mitfühlenden Sinn. Aus dem gesamten Inhalt des "Briefes an die Leser" ergibt sich aber, daß der Kläger durch diese Anrede persönlich getroffen werden sollte.
Die Beschwerdeführer haben mit ihrer Verfassungsbeschwerde auch nicht darzulegen vermocht, weshalb die Verwendung des kränkenden Ausdrucks als Reaktion auf die Schmerzensgeldforderung des Klägers gerechtfertigt sein könnte. Sie können für sich insbesondere nicht das rechtfertigende Argument vom Gegenschlag ins Feld führen. Abgesehen davon, daß sie den Kläger mit dessen Aufnahme in ihre Liste der "sieben peinlichsten Persönlichkeiten" als erste angriffen, hat er sich ihnen gegenüber mit seinem Verlangen nach Zahlung einer billigen Entschädigung in Geld nicht eines aggressiven, das Persönlichkeitsrecht berührenden Mittels bedient. Zwar blieb es ihnen unbenommen, hierauf in publizistischer Weise in ihrem Magazin zu antworten. Diese Ebene haben sie aber mit der Anrede des Klägers in dem "Brief an die Leser" verlassen, indem sie ihn ohne jeden rechtfertigenden Grund als "Krüppel" bezeichnet haben.
III.
Da das Oberlandesgericht die Beschwerdeführer zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen beider Veröffentlichungen verurteilt hat, mußte seine Entscheidung insgesamt aufgehoben werden. Denn der Fehler bei der Interpretation des satirischen Artikels vom März 1988 hat sich auf die Bemessung der Höhe dieses Betrages ausgewirkt, ohne daß dies betragsmäßig vom Bundesverfassungsgericht abgegrenzt werden könnte.
Im übrigen erschien es angezeigt, die Sache gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Da die Beschwerdeführer in der Sache nur einen Teilerfolg erzielt haben, ist es angemessen, daß die ihnen erwachsenen Kosten nur zu einem Teil erstattet werden.
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert