BVerfGE 62, 323 - "Hinkende Ehen"
Art. 6 Abs. 1 GG gebietet eine Auslegung des § 1264 RVO dahin, daß Witwen im Sinne dieser Vorschrift auch Hinterbliebene aus "hinkenden Ehen" sind.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 30. November 1982
-- 1 BvR 818/81 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau W... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker, Dr. Kurt Schön, Dr. Hans Dahs, Dr. Dieter Sellner, Dr. Klaus D. Becker, Ulrich Keller, Ulrike Borger und Ulrich Hallenmeier, Oxfordstraße 24, Bonn l - gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Mai 1981 - 4 RJ 105/78 -.
 
Entscheidungsformel:
1. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Mai 1981 - 4 RJ 105/78 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, der Witwe eines Versicherten die Witwenrente aus der deutschen Arbeiterrentenversicherung nicht zu gewähren, weil ihre nach englischem Recht wirksam geschlossene Ehe nicht den deutschen Vorschriften über die Form der Eheschließung genügt hat (hinkende Ehe).
I.
1. Die Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) bestimmt:
    § 1264
    Nach dem Tode des versicherten Ehemannes erhält seine Witwe eine Witwenrente.
2. Die Ehefrau eines verstorbenen Versicherten, die als Deutsche in Deutschland geheiratet hat, ohne die nach deutschem Recht geltenden Formvorschriften zu beachten, wird nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch dann nicht als Witwe im Sinne dieser Vorschrift angesehen, wenn ihre Ehe nach ausländischem Recht wirksam zustandegekommen ist (vgl. BSGE 10,1; 27, 96; 33, 219; 45, 180). Sie erhält demgemäß auch dann keine Witwenrente, wenn die übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für deren Bezug gegeben sind.
3. Zur Wirksamkeit einer Ehe, die nach dieser Rechtsprechung Voraussetzung für den Bezug einer Witwenrente ist, bestimmt das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB):
    Art. 13
    (1) Die Eingehung der Ehe wird, sofern auch nur einer der Verlobten ein Deutscher ist, in Ansehung eines jeden der Verlobten nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dem er angehört. Das gleiche gilt für Ausländer, die im Inland eine Ehe eingehen.
    (2) ...
    (3) Die Form einer Ehe, die im Inlande geschlossen wird, bestimmt sich ausschließlich nach den deutschen Gesetzen.
Die Form der Eheschließung in der von britischen Besatzungstruppen besetzten Zone bestimmte sich im maßgeblichen Zeitpunkt nach dem Ehegesetz (Gesetz Nr. 16 des Kontrollrats) vom 20. Februar 1946 (KRABl. S. 77):
    § 13
    (1) Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.
    (2) ...
II.
1. Die 1928 geborene Beschwerdeführerin schloß 1947 in Hilden die Ehe mit einem britischen Soldaten. Die Trauung wurde in einer von englischen Besatzungstruppen belegten Kaserne von einem nach englischem Recht dazu legimitierten Geistlichen vollzogen. Später zogen die Ehegatten nach England. Die Beschwerdeführerin erwarb die englische Staatsangehörigkeit. Im Jahre 1949 kehrten beide in die Bundesrepublik zurück und lebten hier noch 25 Jahre zusammen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin war während dieser Zeit als ziviler Arbeitnehmer der britischen Rheinarmee in der deutschen Arbeiterrentenversicherung pflichtversichert.
Die Beschwerdeführerin ging von der Rechtswirksamkeit ihrer Ehe aus, die auch sonst von niemandem in Zweifel gezogen wurde. Bei der Geburt einer Tochter stellte der zuständige deutsche Standesbeamte im Jahre 1952 eine Urkunde aus, in der die Beschwerdeführerin als Ehefrau bezeichnet und auf der die Eheschließung in Hilden vermerkt wurde.
Als der Ehemann der Beschwerdeführerin 1975 starb, bewilligte der Träger der englischen Rentenversicherung der Beschwerdeführerin eine Witwenrente. Die zuständige Landesversicherungsanstalt in der Bundesrepublik lehnte hingegen die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente ab, weil die Beschwerdeführerin nach deutschem Recht mit dem Versicherten nicht wirksam verheiratet gewesen sei.
2. Das Sozialgericht hob den Bescheid der Landesversicherungsanstalt auf und verurteilte sie, der Beschwerdeführerin Witwenrente zu gewähren. Dabei ging das Gericht davon aus, daß die in der Kaserne in Hilden vollzogene Trauung nur nach englischem Recht wirksam sei; nach deutschem Recht liege eine Nichtehe vor. Indessen sei der Mangel heilbar aufgrund analoger Anwendung des § 17 Abs. 2 des Ehegesetzes (EheG), der bestimme, daß eine nichtige Ehe von Anfang an gültig sei, wenn die Ehegatten mindestens fünf Jahre als Ehegatten miteinander gelebt hätten.
3. Das Bundessozialgericht hat dieses Urteil auf die Sprungrevision der beklagten Landesversicherungsanstalt aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach den zwingenden Vorschriften des Ehegesetzes sei keine nach deutschem Recht wirksame Ehe zustandegekommen. Ein Formmangel sei auch nach langjährigem Zusammenleben nicht heilbar, denn der vom Sozialgericht analog angewendete § 17 Abs. 2 EheG beziehe sich nur auf nichtige Ehen, nicht aber auf Nichtehen. Der Mangel sei auch nicht dadurch geheilt, daß die Eheschließung der Beschwerdeführerin nach ausländischem Recht gültig sei.
In ständiger Rechtsprechung beurteile das Bundessozialgericht den Anspruch auf Witwenrente nach § 1264 RVO ausschließlich nach dem familienrechtlichen Status der Witwe, der sich aus der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften ergebe. Die im Schrifttum dagegen erhobene Kritik, die den sozialen Schutzzweck der Witwenrente in den Vordergrund stelle, erscheine zwar nicht unbeachtlich, reiche jedoch nicht aus, um die bisherige Rechtsprechung aufzugeben. Andernfalls würde der Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente Vorrang gegenüber dem familienrechtlichen Status der Witwe eingeräumt.
Ein durch die Witwenrente zu ersetzender Unterhaltsanspruch könne auch im Falle eines eheähnlichen Zusammenlebens bestehen. Aus der Sicht des Unterhaltsersatzes sei ein Unterschied zwischen einer "hinkenden Ehe" und einem bloßen eheähnlichen Zusammenleben kaum zu rechtfertigen. Die Ausdehnung der Witwenrente auf eheähnliche Verhältnisse sei jedoch nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht möglich. Die Hervorhebung des familienrechtlichen Status der Witwe entspreche auch dem Grundgedanken des besonderen Schutzes von Ehe und Familie, denn Anknüpfungspunkt dieses Schutzes sei nur die nach der geltenden Rechtsordnung rechtsgültig geschlossene Ehe, nicht aber jede eheähnliche Lebensgemeinschaft.
Im Hinblick auf die Rechtseinheit und das Bedürfnis nach klarer Abgrenzung familienrechtlicher Statusverhältnisse könne eine Ausnahme nach Billigkeitsgesichtspunkten -- es sei denn, es gebe dafür ausdrückliche Regelungen -- nicht in Betracht gezogen werden. Auch dürfe der familienrechtliche Status einer Person nicht davon abhängig gemacht werden, zu welchem wirtschaftlichen Ergebnis die Rechtsprechung im jeweiligen Fall führe. Schließlich rechtfertige der Gedanke des Vertrauensschutzes keine andere Lösung, denn es sei eine allgemeinkundige Tatsache, daß eine Ehe nur vor dem Standesbeamten geschlossen werden könne.
III.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG und des Sozial- und Rechtsstaatsprinzips.
Die Hervorhebung des familienrechtlichen Status der Witwe bei der Auslegung des § 1264 RVO widerspreche dem Grundgedanken des besonderen Schutzes der Ehe. Diese Norm beziehe sich zwar nur auf solche Ehen, die dem bürgerlich-rechtlichen Institut der Ehe entsprächen und nicht etwa auf eheähnliche Lebensgemeinschaften. Zu Recht habe der Gesetzgeber strenge Formvorschriften für das Zustandekommen einer Ehe geschaffen. Diese müßten aber unter dem Blickwinkel des Art. 6 Abs. 1 GG zurücktreten, wenn im Einzelfall kein schutzwürdiges Interesse daran bestehe, daß bei der Eheschließung die maßgeblichen Formen eingehalten seien. So sei es hier. Die in den Wirren der Nachkriegszeit vollzogene Eheschließung der Beschwerdeführerin habe allen Funktionen genügt, denen die Formvorschriften des Eherechts dienten. Da sie nach englischem Recht voll gültig sei, gelte auch ihr der Schutz des deutschen Verfassungsrechts.
Zudem verstoße die Auslegung des § 1264 RVO durch das angegriffene Urteil gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn die Beschwerdeführerin werde, weil sie im Zeitpunkt der Eheschließung Deutsche gewesen sei, gegenüber Ausländern diskriminiert, die eine voll wirksame Ehe in der gewählten Form hätten schließen können. Dem Sozialstaatsprinzip widerspreche die Auffassung des Bundessozialgerichts, weil sie dazu führe, daß ihr die Hinterbliebenenversorgung, die dem Schutz ihrer sozialen Existenz diene, versagt werde, obschon sie ihren Lebensstandard im Vertrauen auf den späteren Bezug der Witwenrente eingerichtet habe. Schließlich verletze die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch die im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Die Beschwerdeführerin habe auf die Anerkennung ihrer Ehe vertrauen dürfen, zumal auch die Ehelichkeit ihrer Tochter von einem deutschen Standesbeamten bestätigt worden sei.
IV.
1. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der namens der Bundesregierung Stellung genommen hat, ist der Auffassung, das angegriffene Urteil verletze Art. 3 Abs. 1 GG. Unter den besonderen Umständen ergebe eine wegen der vorliegenden Verknüpfung des Familien- und Sozialrechts gebotene Gesamtschau, daß es nicht sachgerecht sei, der Beschwerdeführerin die Witwenrente zu versagen. Es sei willkürlich, nur auf die im Zeitpunkt der Eheschließung noch bestehende deutsche Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin abzustellen und den daraus folgenden Formmangel der Eheschließung als allein entscheidend anzusehen, dabei aber andere Kriterien wie die Gültigkeit der Ehe nach englischem Recht und die lange Dauer der ehelichen Gemeinschaft völlig in den Hintergrund treten zu lassen.
2. Die im Ausgangsverfahren beklagte Landesversicherungsanstalt ist der Auffassung, daß die angegriffene Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit geboten und auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
I.
Die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das angegriffene Urteil setzt zunächst die verfassungsrechtliche Prüfung des in diesem Urteil angewandten § 1264 RVO in der Auslegung durch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 10, 1; 27, 96; 33, 219; 45, 180) voraus. Prüfungsmaßstab ist Art. 6 Abs. 1 GG. Dieser gebietet eine Auslegung des § 1264 RVO dahin, daß Witwe im Sinne dieser Vorschrift auch die überlebende Frau aus einer "hinkenden Ehe" ist.
1. Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalt diese Verfassungsbestimmung sowohl ein Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates als auch eine Institutsgarantie und eine wertentscheidende Grundsatznorm (BVerfGE 31, 58 [67] m. w. N.).
Der Anwendung des Art. 6 Abs. 1 GG auf den vorliegenden Fall steht es nicht entgegen, daß die Beschwerdeführerin britische Staatsangehörige ist. Die Bestimmung gilt auch für Ausländer (vgl. BVerfGE 31, 58 [67]; 51, 386 [396]). Die Berufung auf diese Grundrechtsnorm wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß durch den Tod des Versicherten, von dem die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf Witwenrente herleitet, die eheliche Gemeinschaft aufgelöst worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 6 Abs. 1 GG wiederholt auch in solchen Fällen als Prüfungsmaßstab angewandt, in denen es um den Schutz von Ehegatten ging, deren Ehe, sei es durch den Tod des Partners, sei es durch Scheidung, beendet worden war (vgl. BVerfGE 48, 346 [366]; 53, 257 [296]).
Nach den durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Strukturprinzipien, die der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers entzogen sind, ist das dieser Norm vorgegebene Institut der Ehe die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer umfassenden, grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft (BVerfGE 53, 224 [245] m. w. N.). Dabei setzt Art. 6 Abs. 1 GG gesetzliche Regelungen über die Form der Eheschließung und ihre sachlichen Voraussetzungen voraus. Dies ergibt sich aus der untrennbaren Verbindung des Grundrechts mit der Institutsgarantie, die notwendig eine rechtliche Ordnung verlangt. Art. 6 Abs. 1 GG bedarf daher einer allgemeinen familienrechtlichen Regelung, welche diejenige Lebensgemeinschaft zwischen Frau und Mann, die als Ehe den Schutz der Verfassung genießt, rechtlich definiert und abgrenzt (vgl. BVerfGE 31, 58 [69] m. w. N.). Eine derartige Regelung muß die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Prinzipien beachten, die sich daraus ergeben, daß Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen -- etwa das Prinzip der Einehe -- anknüpft. Die Ehe ist ein öffentliches Rechtsverhältnis in dem Sinne, daß die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar ist, die Eheschließung selbst unter amtlicher Mitwirkung erfolgt und der Bestand der Ehe amtlich registriert wird.
Unter diesen Voraussetzungen erstreckt sich der Schutz des Grundrechts aber nicht allein auf die nach deutschem Recht geschlossenen Ehen. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 6 Abs. 1 GG wiederholt als Schutznorm für verheiratete Ausländer angewandt, ohne der Frage nachzugehen, ob deren Ehe nach deutschem Recht oder nach dem Recht ihrer Heimatländer geschlossen worden war (BVerfGE 35, 382 [407 f.]; 51, 386 [396]). Auch hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, daß die gesetzliche Regelung in Art. 13 Abs. 1 EGBGB über Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern nicht zu beanstanden ist, nach der das Zustandekommen der Eheschließung für jeden Verlobten nach seinem Heimatrecht zu beurteilen ist (BVerfGE 31, 58 [79]). Dabei kann es -- wie im vorliegenden Fall -- zu dem Ergebnis kommen, daß nach dem für den ausländischen Verlobten maßgebenden Heimatrecht eine rechtsgültige Ehe vorliegt, während für den deutschen Verlobten die Verbindung als "Nichtehe" zu beurteilen ist.
Grundsätzlich unterliegt auch eine so zustandegekommene sogenannte hinkende Ehe dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Der in § 13 EheG vorgesehenen Mitwirkung eines Standesbeamten als Voraussetzung für eine wirksame Eheschließung nach deutschem Recht kommt als Ordnungselement zwar wesentliche Bedeutung zu. Nicht minder wesentlich ist aber auch die Willensübereinstimmung der Verlobten, miteinander die Ehe eingehen zu wollen (vgl. BVerfGE 29, 166 [176]). Partner, die bei Abschluß einer "hinkenden Ehe" ihre Verbindung als dauernde Gemeinschaft beabsichtigen und versprechen, haben insoweit die Voraussetzungen für eine Ehe erfüllt. Da ihre lebenslange personale Gemeinschaft zudem durch die für den anderen Verlobten maßgebliche Rechtsordnung anerkannt wird, kann dieser Verbindung der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG jedenfalls dann nicht versagt werden, wenn es sich um den Anspruch auf Versorgung nach dem Tode eines Partners handelt.
Ob der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auch dann eingreifen würde, wenn die Ehe nach der maßgebenden ausländischen Rechtsordnung des einen Verlobten in einer Weise geschlossen würde, die dem ordre public der deutschen Rechtsordnung widerspräche, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls bestehen im Hinblick auf die nach englischem Recht wirksam geschlossene Ehe der Beschwerdeführerin insoweit keine Bedenken.
Der Einbeziehung einer nach deutschem Recht unwirksamen Ehe in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG steht die Besorgnis des angegriffenen Urteils nicht entgegen, die Außerachtlassung des familienrechtlichen Status der Witwe aus einer nach deutschem Recht nicht wirksamen Verbindung führe bei der Auslegung des § 1264 RVO zu einer nicht zu rechtfertigenden Verwischung der Grenzen zu eheähnlichen Lebensgemeinschaften. Die hinkende Ehe unterscheidet sich erkennbar von der eheähnlichen Lebensgemeinschaft dadurch, daß eine nach ausländischem Recht wirksame und damit auch nachweisbare Eheschließung vorliegt.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfolgt Art. 6 Abs. 1 GG auch das Ziel, den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie zu fördern (vgl. BVerfGE 28, 104 [113]; 40, 121 [132]; 60, 68 [74]). Das gilt besonders auch im Bereich der Sozialversicherung (vgl. BVerfGE 48, 346 [366]; 55,114 [127]; 60,68 [74]).
In diesem Zusammenhang ist die Witwenversorgung durch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente zu sehen. Sie knüpft an die Ehe an. Durch sie wird der Ehefrau aufgrund ihrer Eheschließung ein abgeleiteter Anspruch auf Hinterbliebenenrente eingeräumt, ohne daß sie eigene Beiträge zu leisten hätte (vgl. BVerfGE 48, 346 [367]). Diese Rente ist für viele Witwen von existentieller Bedeutung. Ohne eine solche Sicherung nach dem Tode des Ehemannes wäre die wirtschaftliche Situation auch während bestehender Ehe jedenfalls in solchen Fällen, in denen die Ehefrau -- etwa wegen Kindererziehung -- keiner eigenen Erwerbstätigkeit nachgehen kann, durch die Notwendigkeit des Aufbaus einer eigenen Alterssicherung erheblich belastet. Deswegen entspricht die sozialversicherungsrechtliche Regelung über die Gewährung von Witwenrente dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG; sie bedeutet gleichzeitig eine Konkretisierung des Sozialstaatsgebots.
Dabei bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, den Schutz der Ehe in der seit 1911 in Deutschland herkömmlichen Form des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Witwenrente zu verwirklichen (vgl. dazu BVerfGE 48, 346 [354 f.]). Grundsätzlich kann der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe verwirklichen will (BVerfGE 21, 1 [6]; 48, 346 [366]). Indessen ließe es sich mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbaren, wenn das Sozialrecht bestimmte Ehen, die dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen, mißbilligte und durch die Verweigerung sozialer Leistungen benachteiligte, die für andere Ehen selbstverständlich sind (vgl. BVerfGE 28, 324 [361]). Daraus folgt, daß es mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist, wenn eine Hinterbliebene bei im übrigen gleichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur deswegen von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen wird, weil ihre Ehe als "hinkende Ehe" nur nach einer ausländischen Rechtsordnung wirksam war.
3. Hiernach ist § 1264 RVO nicht zu beanstanden. Diese Gesetzesbestimmung läßt es nach ihrem Wortlaut und Sinn zu, auch der Witwe aus einer "hinkenden Ehe" eine Hinterbliebenenrente zu gewähren. Das Gesetz bindet weder die Verwaltung noch den Richter an eine Auslegung des Witwenbegriffs, der mit den Vorschriften über den familienrechtlichen Status der Witwe deckungsgleich ist. Vielmehr läßt die Vorschrift eine verfassungskonforme Auslegung zu, die den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG gerecht wird (vgl. BVerfGE 2, 266 [282]; st. Rspr.). Eine solche Auslegung ist auch geboten.
II.
Das angegriffene Urteil verkennt die Bedeutung und die Tragweite des Art. 6 Abs. 1 GG für die Auslegung des § 1264 RVO. Es war daher aufzuheben. Die Sache war an das Bundessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 Abs. 4 BVerfGG.
(gez.) Dr. Benda Dr. Simon Dr. Faller Dr. Hesse Dr. Katzenstein Dr. Niemeyer Dr. Heußner