BVerfGE 50, 205 - Strafbarkeit von Bagatelldelikten
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 17. Januar 1979 gemäß § 24 BVerfGG
-- 2 BvL 12/77 --
in dem Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 248 a des Strafgesetzbuchs - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Köln vom 8. November 1977 (223 B Ds 796/77).
Entscheidungsformel:
§ 242 des Strafgesetzbuchs in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 1) ist, auch soweit er den Diebstahl einer geringwertigen Sache (§ 248a StGB) unter Strafe stellt, mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
Gründe:
 
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob das Gesetz die Gerichte im Falle des Diebstahls geringwertiger Sachen (§§ 242, 248a StGB) zur Verhängung einer unangemessen harten Strafe zwingt.
I.
1. § 242 StGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 1975 (BGBl. I S. 1) lautet:
    (1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
    (2) Der Versuch ist strafbar.
2. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts für die Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte folgende Neuregelungen getroffen:
a) Mit der Streichung des Neunundzwanzigsten Abschnitts des Zweiten Teils des Strafgesetzbuchs durch Art. 1 Nr. 30 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) wurde die Deliktsform der Übertretung beseitigt und damit die bisherige Dreiteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen zugunsten einer Zweiteilung in Verbrechen und Vergehen aufgegeben. Die Streichung betraf auch die Vorschrift über den "Mundraub" (§ 370 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 StGB a.F.). Nach dieser Bestimmung wurde mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Deutsche Mark oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen bestraft, wer Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Verbrauch entwendete oder unterschlug. Die Verfolgung trat nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags war zulässig.
b) Nach § 248a StGB a.F. wurde mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft, wer aus Not geringwertige Gegenstände entwendete oder unterschlug. Die Verfolgung trat nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags war zulässig. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten beging, blieb straflos.
Diese Strafvorschrift erhielt durch Art. 19 Nr. 123 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. 1 S. 469) folgende Fassung:
    Der Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen werden in den Fällen der §§ 242 und 246 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
Gleichzeitig wurde der Vorschrift des § 243 StGB ein Absatz 2 angefügt, wonach ein besonders schwerer Fall im Sinne der genannten Bestimmung ausgeschlossen ist, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht (Art. 19 Nr. 118 EGStGB).
Eine entsprechende Anwendung des § 248a StGB ist in den §§ 257 Abs. 4 Satz 2, 259 Abs. 2, 263 Abs. 4, 265a Abs. 3 und 266 Abs. 3 StGB vorgeschrieben (Art. 19 Nr. 131, 132, 134, 137 und 138 EGStGB).
c) Auf prozessualem Gebiet wurde mit Art. 21 Nr. 44 EGStGB eine weitere Lockerung des Verfolgungszwangs eingeführt, die - speziell im Bereich der Bagatellkriminalität - eine Entlastung der Strafrechtspflege bewirken sollte. Danach kann die Staatsanwaltschaft unter den Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO bei einem Vergehen, das gegen fremdes Vermögen gerichtet und nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist, auch ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn der durch die Tat verursachte Schaden gering ist (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO). Darüber hinaus verleiht § 153a StPO., der Staatsanwaltschaft die Befugnis, mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen und dem Beschuldigten bestimmte Auflagen und Weisungen zu erteilen. Der Zustimmung des Gerichts bedarf es nicht, wenn die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen (Absatz 1 Satz 6). Mit der Erhebung der Klage geht die Entscheidungsbefugnis der Staatsanwaltschaft auf das Gericht und dessen Zustimmungsrecht auf die Staatsanwaltschaft über.
II.
1. Gegen den Angeklagten des Ausgangsverfahrens ist beim Amtsgericht Köln ein Strafverfahren anhängig. Ihm wird vorgeworfen, unter den Voraussetzungen des strafverschärfenden Rückfalls in einem Supermarkt Nahrungsmittel im Werte von 4,69 DM entwendet zu haben (§§ 242, 248a, 48 StGB); der Geschädigte hat Strafantrag gestellt.
2. Das Amtsgericht hat im Eröffnungsverfahren (§§ 199 ff. StPO) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Aussetzung des Verfahrens beschlossen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 248a StGB mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dazu hat es ausgeführt:
a) Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 248a StGB durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch für den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen ein "privilegiertes Sonderdelikt" schaffen wollen. Dafür spreche, daß der Täter in den Fällen des § 248a StGB mit verhältnismäßig geringer krimineller Energie aufgrund eines spontanen Entschlusses - ausgelöst durch das Warenangebot der Kaufhäuser und Selbstbedienungsläden - und lediglich zur Deckung des Eigenbedarfs handele; hinzu komme, daß die Ware in solchen Fällen sogleich beim ertappten Täter sichergestellt werde, ein Schaden also nicht eintrete, zumal dem Täter in oft bedenklicher Weise die Zahlung einer Vertragsstrafe oder einer Bearbeitungsgebühr abverlangt werde. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Privilegierung von Diebstählen und Unterschlagungen geringwertiger Sachen werde indessen dadurch zunichte gemacht, daß für § 248a StGB die Strafdrohung des § 242 StGB gelte, die Begehung der Tat rückfallbegründend wirken könne, die Verjährungsfrist wie im Falle des § 242 StGB fünf Jahre betrage, der Versuch strafbar und die Strafverfolgung unter Umständen auch ohne Strafantrag möglich sei.
b) Im Falle des § 248a StGB fehle es an der gebotenen Ausgewogenheit zwischen der Schwere des Delikts und der angedrohten Sanktion. Dagegen lasse sich nicht einwenden, daß auch andere Straftäter, denen es - wie Taschendieben oder Straßenräubern - auf die Wegnahme fremder Sachen ankomme, sich gegebenenfalls mit einer geringen Beute begnügen müßten. Solche Täter seien auf eine möglichst reichhaltige Beute erpicht, während der Ladendieb von vornherein nur die Entwendung geringwertiger Sachen beabsichtige.
c) Im Falle der Gültigkeit des § 248a StGB sehe sich das Gericht genötigt, gegen den Angeklagten gemäß § 48 StGB eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu verhängen.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Landesregierungen, dem Angeklagten des Ausgangsverfahrens sowie der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Köln Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
1. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Justiz wie folgt geäußert:
Der Gesetzgeber habe bei der Neuregelung der Bagatelldelikte im Bereich der Vermögenskriminalität den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen als kriminelles Unrecht eingestuft und auf besondere Privilegierungstatbestände bewußt verzichtet. Der Unrechtsgehalt eines Vermögensdelikts richte sich nicht durchweg nach dem Wert des vom Täter erstrebten Gegenstandes. Die Entwendung einer Sache von geringem Wert könne sich in einem Fall als geringfügige Tat darstellen, in einem anderen dagegen, je nach den Verhältnissen des Opfers, zu einer schwerwiegenden Einbuße führen und auf eine rücksichtslose Einstellung des Täters hinweisen. Auch seien die Handlungen eines "Serientäters" nicht als geringfügig anzusehen.
Auf der anderen Seite habe der Gesetzgeber keine strengere Bestrafung der bisher unter die §§ 248a, 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a.F. fallenden Straftaten beabsichtigt. So sei der erhöhte Strafrahmen des § 243 StGB beim Diebstahl geringwertiger Sachen nicht anwendbar (§ 243 Abs. 2 StGB). Zudem werde durch eine Reihe von Vorschriften - insbesondere durch die §§ 153, 153a StPO - eine schuldangemessene Reaktion des Staates auf Straftaten im Bereich der Bagatellkriminalität sichergestellt.
Zwar ermöglichten die §§ 242, 246 StGB die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu fünf bzw. drei Jahren oder von Geldstrafe. In der Regel werde aber in den Fällen des Diebstahls und der Unterschlagung geringwertiger Sachen mit Rücksicht auf § 47 StGB auf eine Geldstrafe zu erkennen sein; für eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe und für deren Vollstreckung müßten schon besondere, erschwerende Umstände vorliegen. Deshalb könne auch aus der generellen Anwendbarkeit des § 48 StGB nicht auf einen Verstoß gegen das Übermaßverbot geschlossen werden.
2. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Köln hält die Bedenken des vorlegenden Gerichts ebenfalls für unbegründet:
Zu Unrecht gehe das Amtsgericht davon aus, daß mit der Neufassung des § 248a StGB ein "privilegiertes Sonderdelikt" habe geschaffen werden sollen. Das sei nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen; dieser habe vielmehr die Privilegierung des Täters in den Fällen des Diebstahls und der Unterschlagung geringwertiger Sachen aufheben wollen. Die Tatsache, daß in solchen Fällen nach der Neufassung des § 248a StGB der Strafrahmen den §§ 242, 246 StGB zu entnehmen sei, rechtfertige die Annahme einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht. Der Richter könne sich innerhalb des Strafrahmens frei bewegen. Im übrigen solle nach dem Willen des Gesetzgebers bei Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen von den Vorschriften der §§ 153, 153a StPO Gebrauch gemacht werden.
Ein Verfassungsverstoß könne auch nicht darin gesehen werden, daß in einzelnen Fällen der Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen rückfallbegründend wirkten.
3. Die übrigen eingangs genannten Stellen und der Angeklagte des Ausgangsverfahrens haben von der ihnen gegebenen Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
 
B. -- I.
Die zur Nachprüfung gestellte Regelung ist offensichtlich mit dem Grundgesetz vereinbar. Ober die Vorlage kann daher nach § 24 BVerfGG entschieden werden.
II.
Die Vorlagefrage bedarf der Präzisierung.
Zu Unrecht sieht sich das vorlegende Gericht durch § 248a StGB gehindert, gegen den Angeklagten des Ausgangsverfahrens eine mildere Maßnahme als eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu verhängen. § 248a StGB in der Fassung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch bildet - anders als § 248a StGB a.F. - im Verhältnis zu den §§ 242, 246 StGB keinen eigenständigen Straftatbestand, auf den eine Verurteilung selbständig gestützt werden könnte; es gibt kein "Vergehen nach § 248a StGB". Diebstähle und Unterschlagungen geringwertiger Sachen sind vielmehr uneingeschränkt Anwendungsfälle der §§ 242, 246 StGB; sie unterscheiden sich von sonstigen Diebstählen im Sinne des § 242 StGB und von Unterschlagungen nicht im Tatbestand, sondern nur in der Art ihrer prozessualen Behandlung: Ihre Verfolgung hängt von der Stellung eines Strafantrages oder davon ab, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält (§ 248a StGB); die verfahrensrechtlichen Befugnisse der Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung darüber, ob von der Strafverfolgung oder vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen werden soll, sind hier im Vergleich zu anderen Straftaten erweitert (§§ 153 Abs. 1 Satz 2, 153a Abs. 1 Satz 6 StPO). Die Vorlagefrage ist deshalb dahin zu stellen, ob die Vorschrift des § 242 StGB, soweit sie den Diebstahl einer geringwertigen Sache (§ 248a StGB) unter Strafe stellt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Von der Beantwortung dieser Frage hängt zugleich der Eintritt sonstiger Rechtsfolgen - etwa die Anwendbarkeit der Bestimmung über den Rückfall (§ 48 StGB) - ab.
III.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluß vom 19. Oktober 1977 (BVerfGE 46, 188 [192 f.]) festgestellt, es begegne angesichts der Übergangsregelung der Art. 298 ff. EGStGB offensichtlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, einen Straftäter, der sich vor dem 1. Januar 1975 einer Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a.F. schuldig gemacht habe, nach jenem Zeitpunkt und damit nach Aufhebung der genannten Vorschrift wegen Diebstahls zu bestrafen. Dem lag die Auffassung zugrunde, daß § 242 StGB, auch soweit er den Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a StGB) unter Strafe stellt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Daran hält der Senat fest.
1. Die Frage, wie der zunehmenden Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte - insbesondere den sogenannten Ladendiebstählen - durch -geeignete gesetzgeberische Maßnahmen zu begegnen sei, ist vor allem in der Zeit vor Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, aber auch danach, Gegenstand zahlreicher rechtspolitischer und kriminologischer Erörterungen und Untersuchungen gewesen (vgl. z.B. die Nachweise bei Dreher/Tröndle, StGB, 38. Aufl., § 248a Rdnr. 3); verfassungsrechtliche Fragen sind dabei nur am Rande berührt worden. Das Bundesverfassungsgericht kann den Ergebnissen solcher Erörterungen im Normenkontrollverfahren, in dem es eine konkrete gesetzliche Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft, nur sehr begrenzt Rechnung tragen. Zwar erscheinen unter besonderen Voraussetzungen Fälle denkbar, in denen gesicherte kriminologische Erkenntnisse im der Normenkontrolle insoweit Beachtung erfordern, als sie geeignet sind, den Gesetzgeber zu einer bestimmten Behandlung einer von Verfassungs wegen gesetzlich zu regelnden Frage zu zwingen oder doch die getroffene Regelung als mögliche Lösung auszuschließen. Einen solchen Festigkeitsgrad weisen indessen die Ergebnisse der kriminologischen Untersuchungen nicht einmal im Bereich der Ladendiebstähle, geschweige denn in bezug auf sonstige Fälle des Diebstahls und der Unterschlagung geringwertiger Sachen auf (vgl. Geerds, Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag, 1977, S. 533 [534, 552]; Berckhauer, DRiZ 1976, S. 229 [229 f., 237], vgl. auch Naucke, in: Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten D, S. 71 ff., 120 ff.).
2. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, die Regelung des Diebstahls geringwertiger Sachen aus dem Strafrecht herauszunehmen und etwa in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu verlagern. Ebensowenig nötigt die Verfassung dazu, angesichts des verhältnismäßig geringen Unrechtsgehalts der von § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a.F. erfaßten Delikte die frühere oder eine ihr entsprechende Einteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen wiederherzustellen, den "Mundraub" also wieder als mindere Deliktsart - etwa als Übertretung - zu qualifizieren und damit seine Aufstufung zum Vergehen rückgängig zu machen (vgl. BVerfGE 46,188 [193]).
3. War der Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich gehindert, den Diebstahl geringwertiger Sachen als Vergehen einzustufen, so boten sich ihm zur Verwirklichung seiner Absicht, dem typischen Unrechtsgehalt solcher Straftaten generell Rechnung zu tragen (vgl. die Begründung des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, BTDrucks. 7/550 S. 247; Erster Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. 7/1261 S. 17), zwei Wege an: die Einfügung eines oder mehrerer Privilegierungstatbestände im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs oder einer spezielle Sanktionen in Fällen der Bagatellkriminalität ermöglichenden Vorschrift im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (materiellrechtliche Lösung) oder eine Begrenzung und Auflockerung des Verfolgungszwangs (prozessuale Lösung). Der Gesetzgeber hat sich im Grundsatz für den zweiten Weg entschieden, indem er den Diebstahl geringwertiger Sachen zwar als Straftat im Sinne des § 242 StGB eingestuft, zugleich jedoch über das eingeschränkte Antragserfordernis des § 248a StGB und die Einfügung der §§ 153 Abs. 1 Satz 2, 153a Abs. 1 Satz 6 StPO der Verfolgung solcher Delikte spezifische gesetzliche Grenzen gezogen und den Verfolgungszwang aufgelockert hat. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
4. Auch die nähere Ausgestaltung der vom Gesetzgeber für den Diebstahl geringwertiger Sachen getroffenen Regelung begegnet - soweit dies hier der Prüfung bedarf - keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; sie gewährleistet insbesondere eine dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Täters jeweils angemessene staatliche Reaktion.
a) Daß die Vorschrift des § 242 StGB insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als sie die den Bereich der Bagatellkriminalität im Unrechts- und Schuldgehalt übersteigenden Diebstähle erfaßt, versteht sich von selbst und bedarf deshalb keiner Begründung.
b) § 242 StGB steht aber auch insoweit mit der Verfassung im Einklang, als er den Diebstahl einer geringwertigen Sache (§ 248a StGB) unter Strafe stellt.
aa) Nach dem den Bereich staatlichen Strafens wesentlich bestimmenden Schuldgrundsatz setzt jede Strafe Schuld voraus ("nulla poena sine culpa"; vgl. auch § 46 Abs. 1 StGB). Dieser Grundsatz hat Verfassungsrang; er ist an der Idee der Gerechtigkeit orientiert und findet seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip und in Art. 1 Abs. 1 GG (BVerfGE 20, 323 [331]; 25, 269 [285]; 41, 121 [125]; 45, 187 [228]). Das bedeutet, daß - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein müssen (BVerfGE 25, 269 [286]). Vor allem darf die angedrohte Strafe nach Art und Maß der unter Strafe gestellten Handlung nicht schlechthin unangemessen oder gar grausam, unmenschlich oder erniedigend sein. Sie muß vielmehr in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (BVerfGE 6, 389 [439]; 25, 44 [54 f.]; 28, 191 [197 f.]; 45,187 [228]); insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Verfassungsgrundsatz des Übermaßverbotes (vgl. BVerfGE 34, 261 [266]). Schließlich darf der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung gemacht werden (BVerfGE 28, 386 [391]; 45,187 [228]).
bb) Diesen Anforderungen ist hier genügt. Es verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Prinzip schuldangemessenen Strafens, daß das Gesetz die Begehung von Diebstählen geringwertiger Sachen wahlweise mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und mit Geldstrafe bedroht.
Schon der weite Rahmen der in § 242 StGB angedrohten Sanktionen ermöglicht dem Richter, auch in den Fällen des Diebstahls geringwertiger Sachen, für die das Gesetz die Anwendung des § 243 StGB ausdrücklich ausschließt (§ 243 Abs. 2 StGB), stets auf eine Strafe zu erkennen, die in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters steht. Die Taten brauchen keineswegs leicht zu wiegen: etwa dann, wenn der Täter - ohne Not oder sonstige noch verständliche Beweggründe - um geringfügiger Vorteile willen, einen Einbruch begeht oder die Hilflosigkeit eines unbemittelten Opfers ausnutzt (vgl. § 243 Abs. 1 Nr. 1, 6; Abs. 2 StGB). Andererseits erlaubt der Strafrahmen auch eine hinreichende Milderung. Im Hinblick auf § 47 StGB, der die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen nur in Ausnahmefällen gestattet, wird der Diebstahl geringwertiger Sachen im allgemeinen mit einer Geldstrafe geahndet werden können, es sei denn, daß die Voraussetzungen des strafschärfenden Rückfalls vorliegen (§ 48 StGB). Bei der Bemessung der Geldstrafe sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen; sie beträgt mindestens fünf Tagessätze zu je zwei Deutsche Mark (§ 40 StGB). Hat der Täter - abgesehen vom Fall des § 48 StGB - eine Freiheitsstrafe verwirkt, so beläuft sich deren Mindestmaß auf einen Monat (§ 38 Abs. 2 StGB).
Darüber hinaus bieten die Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs dem Richter weitere Möglichkeiten, dem spezifischen Unrechts- und Schuldgehalt von Bagatelldiebstählen im konkreten Fall Rechnung zu tragen. Er kann unter den gesetzlichen Voraussetzungen von Strafe absehen (§ 60 StGB), den Angeklagten schuldig sprechen und unter Vorbehalt der Strafe verwarnen (§ 59 StGB) oder die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen (§ 56 StGB). Erscheint die Vollstreckung einer solchen Strafe im Einzelfall geboten, so besteht nach § 57 StGB die Möglichkeit einer Aussetzung des Strafrestes nach teilweiser Strafverbüßung.
Das Gesetz trägt dem typischen Unrechtsgehalt von Diebstählen geringwertiger Sachen weiter dadurch Rechnung, daß es die Strafverfolgung von der Stellung eines Antrages oder der Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses abhängig macht (§ 248a StGB). Auch hiergegen ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern; die Auslegung und Anwendung der in diesem Zusammenhang rechtsstaatlich unbedenklichen unbestimmten Rechtsbegriffe "Geringwertigkeit" und "besonderes öffentliches Interesse" obliegt den Organen der Strafrechtspflege.
Angesichts der Gesamtheit dieser Regelungen erweist sich die Annahme des vorlegenden Gerichts, das Gesetz zwinge den Richter im Falle des Diebstahls geringwertiger Sachen zu unangemessen harten Reaktionen, als unzutreffend. Soweit das Amtsgericht seine Bedenken aus der Anwendbarkeit des § 48 StGB herleitet, verweist der Senat auf seinen Beschluß vom 16. Januar 1979 im Verfahren 2 BvL 4/77 (BVerfGE 50, 125).
c) Auch unter anderen Gesichtspunkten ist die zur Prüfung gestellte Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zeidler, Rinck, Wand, Hirsch, Dr. Rottmann, Dr. Dr. h.c. Niebler, Steinberger, Träger