BVerfGE 20, 119 - Politische Bildung
 
Urteil
des Zweiten Senats vom 19. Juli 1966 auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 1966
-- 2 BvE 1/62 und 2/64 --
in dem Verfassungsrechtsstreit über die Frage, ob der Deutsche Bundestag und der Bundesrat das Recht der Antragsteller auf chancengleiche Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes dadurch verletzt und gegen Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen haben, 1. daß sie im Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 5 Millionen DM als Sondermittel für politische Bildungsarbeit und 15 Millionen DM als Sondermittel für die Aufgaben der Parteien, sowie dadurch, 2. daß sie im Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 38 Millionen DM als Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes bereitgestellt haben. Antragsteller zu 1):die Gesamtdeutsche Partei (DP/BHE), vertreten durch den Bundesvorsitzenden - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ... - Antragsteller zu 2):die Bayernpartei, vertreten durch den Landesvorsitzenden - Bevollmächtigte: Rechtsanwalt... und Rechtsanwalt... - Antragsgegner zu 1) und 2):der Deutsche Bundestag, vertreten durch den Präsidenten, Bonn - Bevollmächtigter: Bundestagsabgeordneter ... - Antragsgegner zu 2):der Bundesrat, vertreten durch den Präsidenten, Bonn. Weiterer Beteiligter: Für die Bundesregierung der Bundesminister des Innern.
 
Entscheidungsformel:
A. Der Deutsche Bundestag hat dadurch gegen Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen, daß er in dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 vom 23. Mai 1962 (BGBl. II S. 469) in Verbindung mit Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplans 5 Millionen DM als Sondermittel für politische Bildungsarbeit und 15 Millionen DM als Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes bereitgestellt hat.
B. Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben dadurch gegen Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen, daß sie in dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 vom 13. Mai 1964 (BGBl. II S. 477) in Verbindung mit Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplans 38 Millionen DM als Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes bereitgestellt haben.
C. Die Anträge der Gesamtdeutschen Partei (DP/BHE) und der Bayernpartei, die Erstattung ihrer Auslagen anzuordnen, werden zurückgewiesen.
 
Gründe:
 
A.-I.
1. Im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1962 wurde im Einzelplan 06 für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern im Kapitel 02 unter dem Titel 612 ein Betrag von insgesamt 20 Millionen DM ausgeworfen. Der Titel gliederte sich in den Untertitel 612 a - Sondermittel für politische Bildungsarbeit - in Höhe von 5 Millionen DM und den Untertitel 612b - Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes - in Höhe von 15 Millionen DM.
Zur Verteilung der Mittel aus dem Untertitel 612a bestimmten die Erläuterungen:
    Die Mittel werden auf die im Bundestag vertretenen Parteien nach dem Schlüssel ihrer Stärke im Bundesparlament aufgeteilt.
Die Mittel aus dem Untertitel 612 b, der erstmalig in den Haushaltsplan 1962 aufgenommen worden war, unterlagen einem Sperrvermerk. Der Haushaltsausschuß des Bundestags hat in der 34. Sitzung vom 29. Juni 1962 für den Untertitel 612b den gleichen Verteilungsschlüssel wie für den Untertitel 612 a gewählt und beschlossen, die Gesamtsumme der Mittel bei Kapitel 0602, Titel 612, in Höhe von 20 Millionen DM nach dem d'Hondt'schen Verfahren auf die Parteien zu verteilen.
2. Die Gesamtdeutsche Partei (DP/BHE) begehrt mit einer am 12. September 1962 eingegangenen, auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG gestützten Klage gegen den Deutschen Bundestag die Feststellung, daß
der Titel 612 zu a und b im Kapitel 0602 des Haushaltsgesetzes 1962 insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 des Grundgesetzes verstößt, als er die Klägerin von der Beteiligung an den dort ausgewiesenen Zuschüssen an die politischen Parteien ausschließt.
Zur Begründung dieses Antrages trägt sie im wesentlichen vor: Die Antragstellerin sei eine politische Partei und in mehreren Bundesländern parlamentarisch vertreten. Im Jahre 1962 habe sie vier Landesregierungen angehört. Ihre Minister hätten im Bundesrat mitgewirkt, ihre Abgeordneten seien mit zur Wahl des Bundespräsidenten berufen. Schon im Hinblick darauf lasse sich ihre Tätigkeit auf Bundesebene nicht ernsthaft bestreiten. Der Beschluß des Haushaltsausschusses des Bundestags vom 29. Juni 1962 und die in dessen Vollzug ausgesprochene Weigerung des Bundesministers des Innern, die Antragstellerin bei der Verteilung der im Titel 612 bereitgestellten Haushaltsmittel zu berücksichtigen, verletzten sie daher in ihrem Grundrecht auf Chancengleichheit.
Sowohl die Mittel für die politische Bildung als auch die für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG seien dazu bestimmt, die politischen Parteien bei der Erfüllung der ihnen durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben finanziell zu unterstützen. Darauf habe auch die Antragstellerin einen verfassungsrechtlichen Anspruch. Wenn das politische Leben nicht erstarren solle, dann müsse jedem Versuch der gegenwärtig erfolgreichen Parteien, neue Gruppierungen durch Verweigerung der Chancengleichheit niederzuhalten, entgegengetreten werden. Über den Wert einer politischen Partei habe allein der Wähler zu entscheiden. Hierin liege die ursprünglichste und wichtigste Äußerungsform der Demokratie.
3. a) Der Bundestag beantragt,
die Organklage abzuweisen.
Er trägt dazu vor:
Die Untertitel 612a und 612b seien für verschiedene Zwecke bestimmt gewesen. Der Untertitel 612 a müsse im Zusammenhang mit zahlreichen anderen Haushaltsmitteln für die politische Öffentlichkeitsarbeit gesehen werden, die an eine Vielzahl von Zuwendungsempfängern im In- und Ausland vergeben worden seien. Die politischen Parteien seien in diesen Kreis einbezogen worden, weil sie im Hinblick auf ihre sonstige Tätigkeit besonders befähigt und berufen seien, die politische Bildung der Staatsbürger zu fördern. Sie hätten diese Aufgabe nicht in eigenem Interesse, sondern als "Fremdaufgabe" für den Staat übernommen. Soweit die Antragstellerin begehre, an dieser Fremdaufgabe beteiligt zu werden, kämpfe sie nicht um ihren in Art. 21 GG umschriebenen verfassungsrechtlichen Status. Ihr stehe daher insoweit nicht der Organstreit, sondern allenfalls der Weg der Verfassungsbeschwerde offen. Eine Verfassungsbeschwerde könnte indessen keinen Erfolg haben, weil die angegriffene Regelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sei. Die Beschränkung der Vergabe der Mittel aus dem Untertitel 612 a auf die im Bundestag vertretenen Parteien sei gerechtfertigt, weil nur diese aktiv an der Bundesgesetzgebung teilnähmen und deshalb besonders geeignet seien, den Staatsbürger über Wesen und Inhalt der Bundespolitik aufzuklären.
Soweit die Antragstellerin sich durch den Ausschluß von der Vergabe der Mittel aus dem Untertitel 612 b in ihren Rechten verletzt fühle, sei sie zwar befugt, im Organstreit zu klagen, da ihr Status als einer zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung berufenen Partei durch diesen Ausschluß unmittelbar berührt werde. Der Antrag sei jedoch insoweit sachlich nicht begründet.
Der Staat könne die politischen Parteien bei der Erfüllung der ihnen in Art. 21 GG zugewiesenen Aufgabe finanziell unterstützen. Er sei dabei allerdings gehalten, dem Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien Rechnung zu tragen. Unbeschadet dessen dürfe bei der staatlichen Parteifinanzierung - ebenso wie bei der Vergabe der Sendezeiten für die Wahlpropaganda - an die Größe und Bedeutung der einzelnen Parteien angeknüpft werden. Außerdem müsse eine untere Grenze für die Parteien gezogen werden, die nicht berücksichtigt werden könnten, weil sie zu klein und unbedeutend seien. Dafür biete sich die vom Bundesverfassungsgericht im Wahlrecht für zulässig gehaltene 5-v.H.-Sperrklausel an. Sie sei geeignet, den Kreis der Empfänger der Sondermittel aus dem Untertitel 612 b sachgerecht abzugrenzen.
Im übrigen sei der Bund jedenfalls durch den Grundsatz der Chancengleichheit nicht gehalten, die Staatshilfe auf Parteien auszudehnen, die lediglich regionale Bedeutung hätten, im Bundestag aber nicht vertreten seien. Dies ergebe sich aus der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik. Die Finanzierung dieser Parteien sei Aufgabe der in Betracht kommenden Länder, die auch ihrerseits beträchtliche Mittel für die Arbeit der politischen Parteien zur Verfügung stellten.
b) Die Bundesregierung, die dem Verfahren gemäß § 65 Abs. 1 BVerfGG beigetreten ist, teilt die Bedenken des Bundestags gegen die Zulässigkeit der Organklage hinsichtlich des Untertitels 612 a und hält die Klage ebenfalls für sachlich nicht begründet.
Der Untertitel 612 a sei nicht der einzige Haushaltsansatz, der die finanzielle Förderung politischer Bildungsarbeit zum Gegenstand habe. Weitere Titel mit ähnlicher Zielsetzung fänden sich allenthalben im Bundeshaushalt. Der Gesetzgeber habe den von der Antragstellerin angegriffenen Verteilungsschlüssel gewählt, weil die Mitarbeit der Parteien im Bundestag ungefähr dem Maß ihrer Aktivität im Bereich der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit entspreche. Willkür im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Gleichheitssatz könne darin nicht erblickt werden.
Auch der bei der Verteilung der im Titel 612 b ausgewiesenen Sondermittel zu beachtende Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit sei nicht verletzt. Dieser vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG entwickelte Verfassungsgrundsatz werde von der Erwägung getragen, daß eine differenzierende Behandlung der politischen Parteien nicht gerechtfertigt sei in einem Staat, der alle Parteien durch seine Verfassung ausdrücklich zur Mitarbeit bei der politischen Willensbildung des Volkes aufrufe und der die Freiheit der Parteigründung verfassungsrechtlich gewährleiste. Dem Staat sei es jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestattet, von dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Parteien abzuweichen und gewisse Parteien gegenüber anderen auf die eine oder andere Weise zu begünstigen oder zu benachteiligen, wenn ein von der Verfassung als vorrangig anerkanntes Interesse des Gemeinwohls eine Differenzierung rechtfertige.
Die Beschränkung der finanziellen Unterstützung auf die im Bundestag vertretenen Parteien sei durch verschiedene vorrangige Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Es liege im Interesse des Gemeinwohls, daß nur solche Parteien vom Staat unterstützt würden, die sich im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland bereits hinreichend bewährt hätten und von denen daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werde könne, daß sie auch in Zukunft die den Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG obliegenden Aufgaben in einer für das Gemeinwohl förderlichen Weise erfüllen würden. Es liege ferner im allgemeinen Interesse, wenn vor allem solche Parteien vom Staat gefördert würden, die durch ihre Mitarbeit im Parlament zur Funktionsfähigkeit dieses Verfassungsorgans beitrügen, dem als Träger der gesetzgebenden Gewalt wie als Kontrollorgan gegenüber der vollziehenden Gewalt für das Staatsganze eine entscheidende Bedeutung zukomme. Die Tätigkeit außerhalb des Parlaments sei zwar ebenfalls eine wichtige, den Parteien in Art. 21 Abs. 1 GG zugewiesene Aufgabe. Der Mitwirkung innerhalb des Parlaments komme aber aus der Sicht des Staates der Vorrang zu.
Es sei offenkundig, daß nicht nur die Abgeordneten und die Fraktionen, sondern auch die Parteien selbst bei der parlamentarischen Arbeit mitwirkten. Die Parteien stellten die Grundsatzprogramme auf, an denen sich die Parlamentsabgeordneten und die Fraktionen orientierten. Sie verschafften diesen Programmen wie den grundsätzlichen Entscheidungen ihrer Parlamentsfraktionen die politische Legitimation durch die Bevölkerung. Diese bei den Parlamentsparteien - verglichen mit den mandatslosen Parteien - ungleich größere Arbeitslast spiegle sich in den Größenverhältnissen der personellen und sächlichen Organisationsapparate wider, deren Aufrechterhaltung den Parteien durch die staatliche Finanzhilfe erleichtert werden solle. All dies rechtfertige die Beschränkung der staatlichen Parteifinanzierung auf die im Bundesparlament vertretenen Parteien.
Auch der Ausschluß der nur in einem Landesparlament vertretenen Parteien sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es entspreche dem föderalistischen Charakter des Grundgesetzes, die Entscheidung über eine Finanzhilfe an die in den Landesparlamenten mitarbeitenden Parteien den Ländern zu überlassen.
II.
1. Der Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1964 sah im Einzelplan 06 Kapitel 02 unter dem Titel 612 als staatlichen Zuschuß an die politischen Parteien einen Betrag von 38 Millionen DM vor.
Die Zweckbestimmung des Titels war: "Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 des Grundgesetzes". Über die Verteilung dieser Haushaltsmittel bestimmten die Erläuterungen:
    "20 v.H. der Mittel werden auf die vier im Bundestag vertretenen Parteien zu je 5 v.H., und der Rest wird auf die vier im Bundestag vertretenen Parteien entsprechend ihrer Stärke aufgeteilt. Die Auszahlung der danach jeder Partei zustehenden Mittel erfolgt auf Antrag. Der Antrag kann auf einen Teilbetrag beschränkt werden."
2. Die Bayernpartei, die im Bundestag durch Abgeordnete nicht vertreten ist, begehrt mit der am 10. November 1964 eingegangenen, auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG gestützten Klage gegen den Bundestag und den Bundesrat die Feststellung,
daß das vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedete Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 insoweit gegen die Artikel 3 und 21 des Grundgesetzes verstößt und deshalb nichtig ist, als es im Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 einen Zuschuß für Zwecke der im Bundestag vertretenen Parteien bereitstellt und dadurch die Antragstellerin in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf chancengleiche Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes verletzt.
Hilfsweise beantragt sie festzustellen,
daß der Ansatz in dem Titel 612 im Einzelplan 06 Kapitel 02 des Haushaltsgesetzes für das Rechnungsjahr 1964 insoweit gegen Art. 3 in Verbindung mit Art. 21 GG verstößt, als er die Antragstellerin von der Beteiligung an den dort ausgewiesenen Zuschüssen an die politischen Parteien ausschließt.
Die Bayernpartei will sich zu der Frage, ob eine staatliche Parteifinanzierung überhaupt zulässig ist, nicht äußern. Jedenfalls jedoch, so meint sie, verstoße bei der Gewährung von Staatszuschüssen an die politischen Parteien die Beschränkung des Empfängerkreises auf die im Bundestag vertretenen Parteien gegen den Grundsatz der Chancengleichheit. Hierzu führt sie aus:
Die Parteien nähmen das ihnen in Art. 21 GG garantierte Recht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, vor allem bei den Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften der Länder und des Bundes wahr. Ihnen obliege daher in besonderem Maße die organisatorische Vorbereitung der Wahlen und die sachlich exakte und praktikable Ausprägung des Willens der wahlberechtigten Staatsbürger. Diesem Zweck seien auch ihre finanziellen Mittel gewidmet. Dem gleichen Zweck sollten die staatlichen Zuschüsse mittelbar oder unmittelbar dienen. Sinn des Haushaltsansatzes sei es, solche Parteien zu fördern, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirkten. Das träfe auch für Parteien zu, die nach Programm und Struktur vornehmlich auf der Landesebene tätig werden sollten.
Auch die Antragstellerin habe als ein ernst zu nehmender Faktor im politischen Leben einen Anspruch auf die in Frage stehende finanzielle Förderung. Der umstrittene Zuschuß solle helfen, die Parteien von der Gefahr zu befreien, daß sie durch übermäßige Abhängigkeit von sachfremden Finanzierungsquellen ihrer Aufgabe aus Art. 21 GG nicht mehr gerecht werden könnten. Der Ausschluß der Antragstellerin von diesen Zuwendungen beeinträchtige sie in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Verfassungsleben.
3. Der Bundestag hält den Hauptantrag der Bayernpartei für unzulässig, soweit damit die Feststellung der Nichtigkeit des Haushaltsgesetzes für 1964 begehrt wird; ein solcher Antrag könne im Organstreitverfahren nicht gestellt werden. Im übrigen treten der Bundestag und die Bundesregierung den Anträgen der Bayernpartei aus den gleichen Gründen entgegen wie dem Antrag der Gesamtdeutschen Partei. Der Bundesrat hat von einer Äußerung in beiden Verfahren abgesehen.
III.
1. In den durch Beschluß vom 22. Juni 1965 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren hat am 22. und 23. Juni 1965 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Das Gericht hatte Termin zur Verkündung einer Entscheidung zunächst auf den 30. Juli 1965 angesetzt und diesen Termin dann auf den 9. November 1965 verlegt. Auf Antrag des Bundestags wurde dieser Termin durch Beschluß vom 21. Oktober 1965 aufgehoben und dem Verfahren Fortgang gegeben. Durch Beschluß vom 14. Dezember 1965 wurde die mündliche Verhandlung wiedereröffnet.
2. Das Gericht hat den Landesregierungen sowie den Beauftragten der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der Freien Demokratischen Partei, der Christlich-Sozialen Union, der Deutschen Friedens-Union und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
IV.
Die Bundesschatzmeister der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Professor F. B., der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, A. N., der Freien Demokratischen Partei, W. R., und der Landesschatzmeister der Christlich-Sozialen Union, Dr. F. Z., sind als Zeugen vernommen worden. Sie haben ausgesagt über die Verwendung der Sondermittel für politische Bildungsarbeit in Höhe von 5 Millionen DM (Untertitel 612 a, Kapitel 02 des Haushaltsplans 1962), über die Frage, wie ihre Partei die politische Bildungsarbeit von ihrer sonstigen Tätigkeit trennt, über die Einnahmen einschließlich der geldwerten Dienste wie über die Ausgaben ihrer Partei in den Jahren 1962, 1964 und 1965, über das Verhältnis der Leistungen der öffentlichen Hand zu den anderen Einnahmen der Partei und über die zusätzlichen Einnahmen und Ausgaben ihrer Partei für die Bundestagswahlkämpfe 1957, 1961 und 1965.
 
B.
1. Die Antragsteller sind politische Parteien. Sie können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die behauptete Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan vor dem Bundesverfassungsgericht im Wege des Organstreits geltend machen (BVerfGE 4, 27 ff., 31 [35], 375 [378]; 5, 77 [80]; 6, 84 [88], 99 [102 f.], 367 [371 f.]; 7, 99 [103]; 13, 1 [9]; 14,121 [129]).
2. Die Antragsteller behaupten, der Bundestag habe sie dadurch in ihren Rechten verletzt, daß er sie an den Mitteln aus dem Titel 612 in den Bundeshaushaltsplänen 1962 und 1964 nicht beteiligt habe. Der Erlaß des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans in Verbindung mit dem Haushaltsplan ist eine Maßnahme im Sinne des § 64 BVerfGG (vgl. BVerfGE 1, 208 [220]; 3, 12 [16 f.]).
3. Der Antrag der Gesamtdeutschen Partei und der Hilfsantrag der Bayernpartei entsprechen den Erfordernissen des § 64 BVerfGG; sie sind daher insoweit zulässig.
Dagegen ist der Hauptantrag der Bayernpartei unzulässig, weil sie damit die Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 insoweit fordert, als er Haushaltsmittel für die Zwecke der im Bundestag vertretenen Parteien bereitstellt.
Nach § 64 in Verbindung mit § 67 BVerfGG kann der Antragsteller im Organstreit nur begehren, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen, daß die von ihm beanstandete Maßnahme gegen eine näher zu bezeichnende Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Er kann aber, auch wenn die beanstandete Maßnahme im Erlaß eines Gesetzes Hegt, nicht beantragen, daß dieses Gesetz für nichtig erklärt wird. Ein solcher Antrag ist nur zulässig im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle und der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz. Nach dem Vortrag der Bayernpartei kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß sie einen Organstreit anhängig gemacht hat.
4. Die Antragsteller sind auch aktiv legitimiert.
a) Die Gesamtdeutsche Partei (DP/BHE) ist im Frühjahr 1961 aus dem Zusammenschluß des Gesamtdeutschen Blocks/BHE und der Deutschen Partei hervorgegangen. Sie hat an der Wahl zum Vierten Deutschen Bundestag am 17. September 1961 teilgenommen und ist mit 2,8 v.H. der gültigen Zweitstimmen an der 5-v.H.-Klausel gescheitert.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt den politischen Parteien der besondere Status einer Teilhabe am Verfassungsleben nur im Bereich der Wahlen zu. Dieser verfassungsrechtliche Status der Gesamtdeutschen Partei kann dadurch berührt sein, daß sie bei der Verteilung der in dem Untertitel 612 b des Haushaltsplans 1962 vorgesehenen Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 des Grundgesetzes ausgeschlossen ist. Deshalb kann die Gesamtdeutsche Partei als eine Partei, die von diesen Zuwendungen ausgeschlossen und dadurch möglicherweise in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Verfassungsleben beeinträchtigt ist, die Verletzung ihrer Rechte im Organstreit geltend machen (BVerfGE 4, 27 ff.; 14, 121 [129]).
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die im Einzelplan 06 Kapitel 02 Untertitel 612 a des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1962 ausgeworfenen Mittel - Sondermittel für politische Bildungsarbeit - für den gleichen Zweck oder für eine von dem verfassungsrechtlichen Status der Parteien trennbare "Fremdaufgabe" gedacht waren und verwendet worden sind. Wie die Beweisaufnahme bestätigt hat, läßt sich eine Grenze zwischen allgemeiner Parteiarbeit und politischer Bildungsarbeit durch die politischen Parteien nicht ziehen. Beides geht in der Praxis ineinander über. Da heute keine politische Partei darauf verzichten kann, allgemeine staatspolitische Fragen zur Diskussion zu stellen und für ihre Lösungsvorschläge in der Aktivbürgerschaft zu werben, kommen auch Mittel für die politische Bildungsarbeit der gesamten politischen Tätigkeit der Parteien zugute und geben den begünstigten Parteien einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den von diesen Zuwendungen ausgeschlossenen Parteien. Dafür, daß die im Untertitel 612 a bereitgestellten Haushaltsmittel nicht für eine "Fremdaufgabe" der begünstigten Parteien im eigentlichen Sinne gedacht waren, spricht ferner, daß auch deren Verwendung ebenso wie die der Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 des Grundgesetzes (Untertitel 612 b) nur der Prüfung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs unterlagen und daß dieser Untertitel in der Folgezeit bei gleichzeitiger Aufstockung der Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG fortgefallen ist.
b) Gleiches gilt für die Bayernpartei. Da die im Titel 612 für das Haushaltsjahr 1964 bereitgestellten Mittel ausweislich der Zweckbestimmung als staatlicher Zuschuß an die politischen Parteien zur Finanzierung ihrer in Art. 21 GG umschriebenen Aufgaben gedacht sind, kann die Bayernpartei als eine Partei, die von diesen Zuwendungen ausgeschlossen ist, dadurch möglicherweise in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Verfassungsleben verletzt sein.
Dem steht nicht entgegen, daß die Bayernpartei nach Satzung und Programm eine typische "Landespartei" ist, deren Parteiorganisation und Anhängerschaft sich auf ein Bundesland beschränken. Die Bayernpartei war im Ersten Bundestag mit 17 Abgeordneten vertreten. Sie behauptet, sich auch in Zukunft wieder um Sitze im Bundesparlament bewerben zu wollen, daran jedoch zur Zeit durch die Vorenthaltung von Bundesmitteln gehindert zu sein. Damit hat sie ihre Aktivlegitimation hinreichend dargetan.
5. Die Antragsgegner sind passiv legitimiert.
Der Bundestag hat durch die Feststellung der Bundeshaushaltspläne für die Rechnungsjahre 1962 und 1964 sowie den Beschluß seines Haushaltsausschusses vom 29. Juni 1962 die angefochtenen "Maßnahmen" getroffen.
Der Haushaltsplan ist vor Beginn des Rechnungsjahres durch Gesetz festzustellen (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG). Er muß das im Grundgesetz vorgesehene Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 bis 78 GG) durchlaufen und kommt nur zustande, wenn der Bundesrat in der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Weise mitgewirkt hat. Auch der Bundesrat ist also passiv legitimiert, weil er im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen an der Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 mitgewirkt hat.
6. Die Anträge sind fristgerecht gestellt (§ 64 Abs. 3 BVerfGG). Das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 ist am 29. Mai 1962, das Haushaltsgesetz 1964 am 20. Mai 1964 verkündet worden; der Antrag der Gesamtdeutschen Partei (DP/BHE) ist am 12. September 1962, derjenige der Bayernpartei am 10. November 1964 bei Gericht eingegangen.
 
C.-I.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965 vom 18. März 1965 (BGBl. II S. 193) - 2 BvF 1/65 - auf Antrag der Regierung des Landes Hessen durch Urteil vom heutigen Tage für Recht erkannt, daß diese Vorschrift insoweit nichtig ist, als sie den Bundesminister des Innern ermächtigt, gemäß Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplans 38 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes auszugeben.
Das Gericht hat diese Entscheidung damit begründet, daß Art. 21 und 20 Abs. 2 GG die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die gesamte politische Tätigkeit der Parteien grundsätzlich verbieten. Da jedoch die Abhaltung von Wahlen eine öffentliche Aufgabe sei und den Parteien bei der Durchführung dieser öffentlichen Aufgabe von Verfassungs wegen eine entscheidende Rolle zukomme, sei es zulässig, politischen Parteien, die sich an einem Bundestagswahlkampf beteiligt haben, die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes aus Mitteln des Bundeshaushalts zu ersetzen.
2. Die von den Antragstellern beanstandeten Haushaltsansätze von 5 Millionen DM für politische Bildungsarbeit und 15 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1962 und von 38 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1964 dienen nach ihrer Zweckbestimmung nicht dem Ersatz der notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes der Parteien, sondern werden zur Finanzierung ihrer gesamten politischen Tätigkeit zur Verfügung gestellt. Deshalb sind die Haushaltsgesetze insoweit nicht mit Art. 21 und 20 Abs. 2 GG vereinbar. Die vorgesehenen Haushaltsmittel hätten weder an die in den Erläuterungen und in dem Beschluß des Haushaltsausschusses des Bundestags als alleinige Empfänger vorgesehenen "im Bundestag vertretenen Parteien" noch an die Antragsteller ausgezahlt werden dürfen.
3. Da nach dem oben angeführten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvF 1/65 eine Ermächtigung zu Zahlungen an politische Parteien aus dem Haushalt verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig ist, kann das Recht der Antragsteller auf Chancengleichheit nach Art. 21 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt sein, daß sie von der Verteilung dieser Mittel ausgeschlossen sind. Dieses Recht ist aber gleichwohl dadurch verletzt, daß andere Parteien - im vorliegenden Fall: die im Bundestag vertretenen Parteien - entgegen dem Verfassungsrecht staatliche Zuwendungen aus Haushaltsmitteln erhalten haben. Es macht hier keinen Unterschied, ob die Antragsteller zu Unrecht nichts erhalten haben oder ob die im Bundestag vertretenen Parteien zu Unrecht etwas erhalten haben, was sie nicht hätten erhalten dürfen: Auch im letzteren Fall ist das Recht der Antragsteller auf Chancengleichheit verletzt, denn ihre Chancen wurden dadurch verringert, daß bestimmte andere Parteien staatliche Zuschüsse erhielten, die allen Parteien von der Verfassung grundsätzlich verwehrt werden.
Die Anträge sind daher begründet. Der Erlaß der Haushaltsgesetze, die den Bundesminister des Innern zur Auszahlung dieser Mittel ermächtigt haben, verstieß gegen Art. 21 Abs. 1 GG.
II.
Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der Erstattung ihrer Auslagen war zurückzuweisen. § 34 Abs. 3 BVerfGG ist eine Ausnahmevorschrift. Eine Erstattung kommt nur in Betracht, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (BVerfGE 14, 121 [140] mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Solche Gründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.