BVerfGE 11, 89 - Bremisches Urlaubsgesetz
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 10. Mai 1960
-- 2 BvO 6/56 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, ob § 9 Abs. 2 des Bremischen Urlaubsgesetzes vom 4. Mai 1948 (GBl. S. 67) in der Fassung vom 25. April 1949 (GBl. S. 71) Bundesrecht geworden ist, soweit er sich auf Arbeiter der Bundespost bezieht -- Vorlage des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 15. November 1950 -- Sa 54/50.
Entscheidungsformel:
§ 9 Absatz 2 des Bremischen Urlaubsgesetzes vom 4. Mai 1948 (GBl. S. 67) in der Fassung vom 25. April 1949 (GBl. S. 71) ist insoweit Bundesrecht geworden, als er sich auf Arbeiter der Bundespost bezieht.
 
Gründe:
I.
1. Das Landesarbeitsgericht Bremen hat dem Bundesverfassungsgericht aus dem Verfahren R. ... gegen Oberpostdirektion Bremen -- Sa 54/50 -- die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das Bremische Urlaubsgesetz (BremUrlG) vom 4. Mai 1948 (GBl. S.67) in der Fassung vom 25. April 1949 (GBl. S. 71) gemäß Art. 124 bzw. Art. 125 Nr. 2 GG Bundesrecht geworden ist.
2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war Arbeiter der Bundespost und ist wegen Unterschlagung fristlos entlassen worden. Er verlangt von der Beklagten 94.08 DM als Urlaubsvergütung für 12 Arbeitstage und stützt diesen Anspruch auf § 9 Abs. 2 BremUrlG. Diese Bestimmung lautet:
    "Arbeitnehmer, die fristlos entlassen werden, gehen ihres Urlaubsanspruches nicht verlustig. Entgegen den Bestimmungen des § 6 ist in diesen Fällen eine Barabgeltung zugelassen."
Die Beklagte meint, diese Vorschrift gelte nicht für Postarbeiter. Zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Postbediensteten sei bei Erlaß des Bremischen Urlaubsgesetzes und des Änderungsgesetzes vom 25. April 1949 nicht der Landesgesetzgeber kompetent gewesen, sondern die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Diese Kompetenz sei nach der Natur der Sache ausschließlich gewesen. Der Anspruch des Klägers beurteile sich daher nicht nach dem Bremischen Urlaubsgesetz, sondern nach den Urlaubsbestimmungen für Postarbeiter, die bei Entlassung aus eigenem Verschulden einen Urlaubsanspruch ausschlössen. Das ergebe sich aus § 24 Abs. 6 der vom Reichspostminister erlassenen Dienstordnung für die Arbeiter der Deutschen Reichspost vom 1. Juli 1938 (DOArb.) und § 2 der zwischen dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und der deutschen Postgewerkschaft geschlossenen Tarifvereinbarung vom 27. April 1950 (Nr. 309/ 1950, ABl. des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen 1950 S. 144). Diese Bestimmungen lauten:
    § 24 Abs. 6 DOArb.:
    "Nach der Kündigung erhalten Gefolgschaftsmitglieder den noch nicht verbrauchten Urlaub während der Kündigungsfrist, soweit diese hierfür ausreicht; soweit sie nicht ausreicht, ist Urlaubslohn zu zahlen, es sei denn, daß das Gefolgschaftsmitglied aus eigenem Verschulden entlassen wird."
    § 2 der Tarifvereinbarung vom 27. April 1950:
    "Die Vorschriften über den Erholungsurlaub 1948 für die Arbeiter der Deutschen Post (AmtsblVf. der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen Nr. 136 1948) gelten für die Arbeiter der Deutschen Bundespost auch im Urlaubsjahr 1950."
Ziff. 6 der Verfügung Nr. 136/1948 der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets betreffend "Erholungsurlaub 1948/49 für die Arbeiter der Deutschen Post" (ABl. der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948 S. 82) bestimmt:
    "Der Urlaub wird auch Arbeitern gewährt, die sich in gekündigter Stellung befinden, es sei denn, daß sie aus eigenem Verschulden entlassen werden."
3. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Vorlage ausgeführt: Wenn das Bremische Urlaubsgesetz nach Art. 124, 125 GG im Lande Bremen partielles Bundesrecht geworden sei, gehe es als formelles Gesetz den Urlaubsregelungen für die Postbediensteten vor, da diese nicht in Gesetzesform ergangen seien. Sei das Bremische Urlaubsgesetz dagegen Landesrecht geblieben, so gelte es nicht für den Kläger: denn der Landesgesetzgeber sei nicht kompetent, die Rechtsverhältnisse von Bundesbediensteten zu regeln. Die Klage habe daher nur dann Erfolg, wenn das Bremische Urlaubsgesetz als Bundesrecht anzusehen sei.
4. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Senat und der Bürgerschaft sowie den obersten Gerichten des Landes Bremen und den Parteien des Ausgangsverfahrens Gelegenheit gegeben, sich zu äußern.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat erklärt, der bremische Landesgesetzgeber sei zu Urlaubsbestimmungen für Postbedienstete nicht kompetent gewesen, so daß das Bremische Urlaubsgesetz insoweit nicht Bundesrecht geworden sei. Der Bremische Senator für Justiz und Verfassung und der Präsident der Bremischen Bürgerschaft haben auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts Erklärungen zum Zustandekommen des Bremischen Urlaubsgesetzes abgegeben.
II.
1. Die Vorlage ist zulässig (§ 86 Abs. 2 in Verbindung mit § 80 BVerfGG).
Das Landesarbeitsgericht Bremen will dem Kläger die Urlaubsabgeltung nur zusprechen, wenn das Bremische Urlaubsgesetz Bundesrecht geworden ist. Dieser Rechtsstandpunkt ist vertretbar. Die vom vorlegenden Gericht verneinte Streitfrage, ob Urlaubsgesetze der Länder als allgemeines Arbeitsrecht auch für Arbeitnehmer des Bundes gelten (so u. a. Nipperdey, RdA 1950, 461; vgl. unten III 3 b), braucht hier nicht entschieden zu werden. Für die Zulässigkeit der Vorlage genügt es, daß die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 2, 181 [190 f.]).
Für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens kommt es auf die Qualifikation des Bremischen Urlaubsgesetzes als Bundesrecht allerdings nur insoweit an, als es sich um die Zulässigkeit einer Urlaubsabgeltung für Arbeiter der Bundespost handelt, die fristlos entlassen werden. Dagegen hängt die Entscheidung nicht davon ab, ob das Bremische Urlaubsgesetz auch in seinen sonstigen Bestimmungen und in bezug auf andere Arbeitnehmer Bundesrecht geworden ist (hinsichtlich der Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft vgl. BVerfGE 7, 342 [356]). Die für das Ausgangsverfahren erhebliche Frage ist daher wie folgt zu präzisieren: Ist § 9 Abs. 2 BremUrlG Bundesrecht geworden, soweit er sich auf Arbeiter der Bundespost bezieht?
Diese Rechtsfrage ist auch streitig. Hierfür ist erforderlich, daß das Gericht selbst ernstliche Zweifel über das Fortgelten einer Rechtsnorm als Bundesrecht hegt oder daß das Gericht hierüber nur entscheiden kann, indem es sich mit einer beachtlichen, in der Literatur vertretenen Auffassung oder zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichts eines Landes in Gegensatz setzt (BVerfGE 4, 358 [369f.]; 7, 18 [23f.]; 8, 186 [191 f.]). Eine Gesamtwürdigung des Vorlagebeschlusses ergibt, daß über die Qualifikation des § 9 Abs. 2 BremUrlG als Bundesrecht nicht nur unter den Parteien Meinungsverschiedenheiten bestehen, sondern daß auch das Gericht selbst hierüber im Zweifel ist.
2. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil keines der in §§ 82 Abs. 1, 77 BVerfGG genannten Verfassungsorgane dem Verfahren beigetreten ist.
III.
§ 9 Abs. 2 BremUrlG ist Bundesrecht geworden, soweit er sich auf Arbeiter der Bundespost bezieht.
1. Ob diese Umwandlung in Bundesrecht nach Art. 124 oder nach Art. 125 Nr. 2 GG erfolgt ist, kann dahingestellt bleiben.
Sieht man das Urlaubsrecht der Postarbeiter als ein Teilgebiet des Rechts der im Dienste des Bundes stehenden Personen im Sinne des Art. 73 Nr. 8 GG an, so handelt es sich um einen Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. In diesem Fall ist § 9 Abs. 2 BremUrlG, soweit er sich auf Arbeiter der Bundespost bezieht, nach Art. 124 GG Bundesrecht geworden. Nimmt man dagegen mit der im arbeitsrechtlichen Schrifttum vertretenen Auffassung an, das Urlaubsrecht der im öffentlichen Dienst stehenden Angestellten und Arbeiter gehöre zum Arbeitsrecht im Sinne des Art. 74 Nr. 12 GG und damit zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, so ist § 9 Abs. 2 BremUrlG nach Art. 125 Nr. 2 GG Bundesrecht geworden, da die in ihm vorgesehene Urlaubsabgeltung bei fristloser Entlassung von den vorher geltenden reichsrechtlichen Regelungen abweicht.
§ 9 Abs. 2 BremUrlG wäre nicht Bundesrecht geworden, wenn der bremische Gesetzgeber diese Bestimmung unter Verletzung der Bremischen Verfassung oder der Kompetenzen der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets erlassen hätte oder wenn die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets das Urlaubsrecht der Postarbeiter durch Normen geregelt hätte, die dem Bremischen Urlaubsgesetz vorgingen. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.
2. § 9 BremUrlG ist nach der Bremischen Landesverfassung gültig zustande gekommen.
a) Das Bundesverfassungsgericht ist zwar grundsätzlich nicht befugt, die Übereinstimmung eines Landesgesetzes mit der Landesverfassung zu überprüfen. Eine Ausnahme muß aber jedenfalls dann angenommen werden, wenn es auf die Gültigkeit eines Landesgesetzes als Vorfrage für die dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 126 GG obliegende Prüfung ankommt, ob ein solches Gesetz Bundesrecht geworden ist. Daß das Bundesverfassungsgericht befugt ist, für die Entscheidung maßgebliche Inzidentfragen zu prüfen, entspricht seiner ständigen Rechtsprechung (BVerfGE 4, 214 [216]; 8, 186 [190]; vgl. auch BVerfGE 2, 181 [193]). Wäre ein zu prüfendes Gesetz ungültig, so käme es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht mehr darauf an, ob das Gesetz im Falle seiner Fortgeltung Bundesrecht geworden wäre oder nicht.
b) § 9 Abs. 2 BremUrlG ist mit Art. 56 der Bremischen Verfassung (BremVerf) vereinbar.
Allerdings ist der Urlaubsanspruch nach Art. 56 BremVerf. "unabdingbar und kann auch nicht abgegolten werden", während § 9 Abs. 2 BremUrlG in der Fassung, die er durch das Änderungsgesetz vom 25. April 1949 erhalten hat, im Falle der fristlosen Entlassung eine Barabgeltung zuläßt. Läge darin eine Verfassungsänderung, so wären nach Art. 125 BremVerf. u. a. drei Lesungen an verschiedenen Tagen erforderlich gewesen und das nur in einer einzigen Lesung verabschiedete Gesetz vom 25. April wäre nicht rechtswirksam zustande gekommen.
Durch § 9 Abs. 2 BremUrlG wird jedoch Art. 56 BremVerf. nicht geändert. Die nur für den Sonderfall der fristlosen Entlassung zugelassene Barabgeltung des Urlaubsanspruchs entspricht dem Sinn und Zweck des Art. 56 BremVerf. Diese Bestimmung will sicherstellen, daß den Arbeitnehmern der zur Erhaltung ihrer Gesundheit und Arbeitskraft erforderliche Erholungsurlaub keinesfalls gegen Geldabfindung vorenthalten werden kann. Damit sollte aber offensichtlich nicht verboten werden, daß ein Arbeitnehmer, der aus dem Betrieb fristlos ausscheidet und darum seinen Urlaub nicht mehr nehmen kann, nicht entschädigt werden dürfe.
c) Es ist auch nicht erweislich, daß § 9 Abs. 2 BremUrlG unter Verstoß gegen Art. 150 BremVerf. erlassen worden sei. Zwar hat er früheres Reichsrecht abgeändert, und nach Art. 150 BremVerf. ist zur Abänderung von Reichsrecht erforderlich, "daß zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden, mindestens aber die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl zustimmen".
Nach den Sitzungsniederschriften ist nicht festgestellt worden, ob diese Mehrheiten bei der Beschlußfassung vorhanden waren. Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft hat aber auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts mitgeteilt, seiner Überzeugung nach sei das Gesetz mit den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Mehrheiten verabschiedet worden. Mangels gegenteiliger Feststellung spricht die Vermutung für verfassungsmäßiges Verfahren.
3. Der bremische Gesetzgeber war befugt, Urlaubsbestimmungen für Postarbeiter zu erlassen.
a) Als das Bremische Urlaubsgesetz erlassen und geändert wurde, waren die Postbediensteten Angehörige der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Daß das Bremische Urlaubsgesetz sich nach dem Willen des bremischen Gesetzgebers auch auf diese erstrecken sollte, wurde bei den Beratungen des Gesetzes nicht ausdrücklich ausgesprochen; es ergibt sich jedoch zweifelsfrei aus § 1 BremUrlG. Danach findet das Gesetz Anwendung "... für die Verwaltungen und Betriebe des öffentlichen Dienstes, die ihren Sitz im Lande Bremen haben oder im Lande Bremen tätig sind". Bei den Beratungen wurde ausdrücklich betont, daß das Urlaubsgesetz für "alle Arbeitnehmer des bremischen Staatsgebiets gelten solle (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft 1948 S. 188). Für die Abgrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten sollte also der Ort der Dienstleistung maßgebend sein und nicht die Person des Arbeitgebers.
b) Der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets stand für das Urlaubsrecht der Postarbeiter nicht die ausschließliche, sondern lediglich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu .
Bei Erlaß des Bremischen Urlaubsgesetzes und des Änderungsgesetzes vom 25. April 1949 gehörten zur Zuständigkeit des Wirtschaftsrates u. a. die Gesetzgebung über "Post- und Nachrichtenverkehr mit Ausnahme des Rundfunks" und "die Regelung des Personalwesens des öffentlichen Dienstes bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets mit Ausnahme des Personals des Länderrats" (Art. III Abs. 1 der am 9. Februar 1948 in Kraft getretenen Proklamation Nr. 7/VO Nr. 126 der Amerikanischen und Britischen Militärregierung -- WiGBl. Nr. 4/1948 Beilage Nr. 2).
Darüber, ob diese Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet des Personalwesens im Verhältnis zu den Ländern ausschließlich oder konkurrierend war, gab es keine Kompetenznorm. Das Deutsche Obergericht hat in seiner Entscheidung vom 29. März 1950 (BGBl. S. 82, Nr. 8; RdA 1950, 239) angenommen, die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets habe hinsichtlich der Regelung des Personalwesens des öffentlichen Dienstes die ausschließliche Kompetenz gehabt. Dies ergebe sich aus dem allgemeinen Grundsatz des Staatsrechts, daß in einem föderalistischen staatlichen Zusammenschluß die übergeordnete Körperschaft befugt sei, die Rechtsverhältnisse ihres Personals unter Ausschluß der Gesetzgebung der untergeordneten staatlichen Einheiten zu regeln. Das Bremische Urlaubsgesetz beziehe sich daher nicht auf Angehörige der Reichsbahn.
Den in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätzen kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es sich um den Umfang der ausschließlichen Kompetenz der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets handelt.
Daß es im Bundesstaat ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen aus der Natur der Sache gibt, ist unbestritten. Jedoch sind die für den Bundesstaat entwickelten Grundsätze über die ausschließliche Kompetenz des Gesamtstaats aus der Natur der Sache auf die von den Besatzungsmächten errichtete Organisation des Vereinigten Wirtschaftsgebiets nicht ohne weiteres übertragbar.
Davon abgesehen ist aber selbst im deutschen Bundesstaatsrecht eine ausschließliche Kompetenz des Reichs oder des Bundes zum Erlaß arbeitsrechtlicher Vorschriften für die im Reichs- oder Bundesdienst stehenden Arbeiter weder vor noch nach Bestehen der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets als selbstverständlich allgemein anerkannt worden.
Zur Zeit der Weimarer Verfassung wurde eine ausschließliche Kompetenz des Reichs zur Regelung der Rechtsverhältnisse seiner Bediensteten aus der Natur der Sache nur für die Reichsbeamten, nicht dagegen für die im Reichsdienst tätigen Angestellten und Arbeiter angenommen.
    Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl., 1933, Anm. 1 und 4 zu Art. 6, S. 73 f; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl., 1928, Vorbem. 2 zu Art. 6-12.
In der Bundesrepublik Deutschland besteht noch keine einheitliche Auffassung darüber, ob sich landesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet des "allgemeinen Arbeitsrechts" -- zu dem das Urlaubsrecht gerechnet wird -- auch auf Bundesbedienstete beziehen können. Zwar hat der Bund nach Art. 73 Nr. 8 GG die ausschließliche Gesetzgebung über die "Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen". Andererseits steht dem Bund nach Art. 74 Nr. 12 GG für "das Arbeitsrecht" nur die konkurrierende Gesetzgebung zu. Hieraus folgert die bereits erwähnte, vor allem im arbeitsrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung, "daß allgemeine Landesgesetze, die sich an einen allgemeinen Personenkreis mit einer arbeitsrechtlichen Regelung richten, nicht aber speziell das Personalwesen der Bediensteten des Bundes regeln, rechtswirksam sind und auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Bundes binden," solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat.
    Nipperdey, Rechtsgutachten vom 20. November 1950 in Sachen Ebner gegen Deutsche Bundesbahn; ders., RdA 1950, 461; Hueck RdA 1950, 240; AP 50 Nr. 96 S. 341; Hessel, RdA 1950, 407 Bulla, in RWP (ArbR) Bl."Bundesbahn, Arbeitsverhältnisse", Entscheidungen 1; LAG Stuttgart, RdA 1950,478; BAG, JZ 1954, 572.
Demgegenüber wird geltend gemacht, daß auch auf dem Gebiet des "allgemeinen Arbeitsrechts" gesetzliche Bestimmungen für Angestellte und Arbeiter des Bundes nur vom Bund getroffen werden könnten, da Art. 73 Nr. 8 gegenüber Art. 74 Nr. 12 lex specialis sei.
    Vgl. u. a. LAG Bremen, Beschluß vom 15. November 1950 -- Sa 54/50; LAG Frankfurt a. M., Urteil vom 27. Juni 1950 -- IV LA 130/50; Amtl. Begründung zu § 82 des Entwurfs des Personalvertretungsgesetzes -- BT-Drucks. 160 -- neu -- vom 4. März 1954, S. 18; Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957, S. 19 49, 50, 62, 63;
    vgl. auch Galperin in: Die Rechtseinheit im deutschen Arbeitsrecht 1951, S. 43 ff.
Diese Streitfrage braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden, da es in der dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Frage nicht auf die Kompetenzen des Bundes, sondern auf die Kompetenzen der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets ankommt. Immerhin spricht dieser Meinungsstreit dagegen, daß sich für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Urlaubsrecht der Postarbeiter schon "aus der Natur der Sache" ergeben hätte. Was für das Weimarer Reich überhaupt nicht und für die Bundesrepublik Deutschland nicht unbestritten anerkannt worden ist, kann für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet nicht einfach aus der Natur der Sache gefolgert werden, zumal die Länder damals grundsätzlich weitergehende Gesetzgebungskompetenzen hatten als unter der Herrschaft des Grundgesetzes.
Eine Kompetenz aus der Natur der Sache ist begründet nach dem "ungeschriebenen, im Wesen der Dinge begründeten, mithin einer ausdrücklichen Anerkennung durch die Reichsverfassung nicht bedürftigen Rechtssatz, wonach gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Reichs darstellen, vom Reiche und nur von ihm geregelt werden können.
    So Anschütz, HdbDStR I, 367; zustimmend für die Zeit nach 1945 Grewe, in: Bundesrecht und Bundesgesetzgebung, Bericht über die Weinheimer Tagung des Instituts zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten 1950, S. 39.
Diesen auch heute geltenden Voraussetzungen ist nicht genügt. Schlußfolgerungen "aus der Natur der Sache" müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluß anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern. Argumente aus der Natur der Sache versagen aber, wenn sich, wie hier, auch eine andere Lösung mit beachtlichen Gründen rechtfertigen läßt. Das Urlaubsrecht der Postarbeiter war weder eine der Landesgesetzgebung a priori entrückte ureigene Sache der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets noch konnte es nur von ihr geregelt werden.
Da somit eine ausschließliche Kompetenz der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets für die Regelung des Urlaubsrechts der bremischen Postarbeiter nicht zu erweisen ist, muß davon ausgegangen werden, daß der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets insoweit nur die konkurrierende Kompetenz zugestanden hat: allgemeine Urlaubsgesetze der Länder galten daher auch für Arbeiter der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, solange und soweit diese von ihrem Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet des Personalwesens keinen Gebrauch machte.
4. Die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets hat von ihrer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Urlaubs der Postarbeiter keinen Gebrauch gemacht.
a) Die am 10. Juni 1948 bekanntgegebene Verfügung Nr. 136/ 1948 der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets betreffend "Erholungsurlaub 1948/49 für die Arbeiter der Deutschen Post" wurde nach der Präambel "im Einvernehmen mit der Arbeitsgemeinschaft der Gewerkschaften Post- und Fernmeldewesen der US- und britischen Zone" erlassen. Sie erhöhte den Mindesturlaub entgegen der Tarifordnung B und der Dienstordnung für die Arbeiter der Deutschen Reichspost bei Erwachsenen auf 12 Arbeitstage (bisher 6), bei über 40jährigen auf 24 Arbeitstage (bisher 14). Bei Entlassung aus eigenem Verschulden blieb ein Urlaubsanspruch weiterhin ausgeschlossen (Ziffer 6). Diese Verfügung wurde später auf das Urlaubsjahr 1949/50 erstreckt (Verfügung Nr. 232/1949, ABl. der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen 1949 S. 136) und galt auf Grund der zwischen dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und der Deutschen Postgewerkschaft am 27. April 1950 abgeschlossenen "Tarifvereinbarung" auch für das Urlaubsjahr 1950/51.
Die Verfügung 136/1948 ist keine Rechtsverordnung. Der Direktor der Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen hatte keine Kompetenz zum Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet des Urlaubsrechts. Die Direktoren der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets konnten lediglich auf Grund spezieller Ermächtigung in einem Gesetz des Wirtschaftsrates Ausführungsbestimmungen zu Gesetzen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets oder zu Reichsgesetzen erlassen (Art. III Nr. 6, Art. VII Nr. 4 Prokl. Nr. 7/VO Nr. 126).
Ein Gesetz, dessen Ausführung die Verfügung Nr. 136/1948 hätte dienen können, ist jedoch nicht ergangen.
Davon abgesehen fehlten der zunächst nur als Urlaubsregelung für das Jahr 1948 gedachten "Verfügung" Nr. 136/1948 die herkömmlichen Merkmale einer Rechtsverordnung, vor allem die Unterschrift, das Datum und die Bezugnahme auf das ermächtigende Gesetz.
Die Verfügung Nr. 136/1948 ist eine Verwaltungsanordnung. Sie gab allgemeine Verwaltungsvorschriften, die lediglich verwaltungsinterne Verbindlichkeit haben und eine Anweisung an die nachgeordneten Verwaltungsbehörden enthalten -- hier die Anweisung, den Urlaub für das Jahr 1948 entsprechend den gegebenen innerdienstlichen Richtlinien zu gewähren.
b) Sonstige Urlaubsregelungen für die in ihren Diensten stehenden Arbeiter hat die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets nicht erlassen. Das Übergangsgesetz über die Rechtsstellung der Verwaltungsangehörigen der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets vom 23. Juni 1948 (WiGBl. S. 57) galt nach § 1 Abs. 2 nicht für die unter die Tarifordnung B für Arbeiter im öffentlichen Dienst vom 1. April 1938 fallenden Lohnempfänger. Ein Gesetz des Wirtschaftsrates über die Rechtsstellung der Arbeiter der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets ist nicht ergangen, ebensowenig ein Gesetz über die Rechtsstellung der Postbediensteten. Das am 15. März 1949 in Kraft getretene Militärregierungsgesetz Nr. 15 (Beilage 2 zu WiGBl. Nr. 8/1949), das an Stelle des Übergangsgesetzes getreten ist, galt zwar auch für Arbeiter, enthielt aber keine Urlaubsbestimmungen.
Es ist auch nicht möglich, die vom Treuhänder der Arbeit erlassene Tarifordnung B vom 1. April 1938 als Recht des Vereinigten Wirtschaftsgebiets zu betrachten. Hielte man dies für zulässig, so würden dieselben Rechtsfolgen eintreten, wie wenn die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets diese Rechtsverordnung selbst erlassen hätte. Einer solchen Übernahme von Reichsrecht steht jedoch entgegen, daß für die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets eine ausdrückliche, den Art. 124, 125 GG vergleichbare Regelung nicht getroffen worden ist. Vor Erlaß des Grundgesetzes brach neugesetztes Landesrecht älteres Reichsrecht. Nur wenn die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets innerhalb ihrer Kompetenzen selbst eine gesetzliche Regelung getroffen hätte, würde diese Norm gemäß Art. IX Abs. 1 Prokl. Nr. 7/VO Nr. 126 dem Bremischen Urlaubsgesetz vorgehen.